-28- ➳ Gedanken
Am nächsten Tag war Mum schon aus dem Haus, als ich die kleine Küche betrat. Dad jedoch stand an mit dem Rücken zu mir an der Spültheke, die Hände klammerten sich fest um deren Rand.
„Dad?" fragte ich vorsichtig, während ich die Decken von der Sitzbank wegräumte.
Er antwortete nicht. „Ist etwas los?"
Diese Frage war überflüssig. Denn in letzter Zeit war nicht nur etwas los. Es schien, als würde sich mein Leben überschlagen haben. Und das Leben meiner Familie gleich mit.
Mein Bruder wurde ein Krimineller, meine Mum immer müder und mein Dad hatte einen totalen Charakterwandel hinter sich.
Langsam ging ich auf ihn zu, nicht sicher, was ich noch zu ihm sagen sollte. Als ich ihn leicht an der Schulter berührte, drehte er sich so ruckartig zu mir um, dass ich zusammen zuckte.
Dads Augen schossen wirr hin und her, bis er schließlich mich fixierte.
„Sophia.." keuchte er und krallte seine Finger in meine Schulter. „Du hast es doch keinen weiter erzählt, oder?"
Starr vor Schreck stand mir nur der Mund offen und rein aus Gewohnheit schüttelte ich seine Hände von mir ab.
„Sophia! Oder? Hast du nicht... Bitte..." krächzte er immer und immer wieder und verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Was meinst du?"
„Die Wasserkraftwerke."
So langsam wurde mir klar, was er von mir wollte. „Nein, ich habe es nicht weiter gesagt, aber was zu Hölle ist..."
„Gut, das ist meine Sophia. Natürlich, natürlich... Bist du dabei, kommst du mit?" unterbrach er mich, doch diesmal schüttelte ich energisch meinen Kopf. Ich hatte bereits gesagt, dass ich nicht zu den Wasserkraftwerken mitkommen würde. Das wäre ein weiteres Himmelsfahrtkommando, dem ich mich anschließen würde...
„Was ist mit dir los? Das ist nicht der gleiche Mann, denn die Wächter aus dem Pub gezerrt haben!" redete ich stattdessen auf ihn ein, in der Hoffnung, dass er zumindest ein einziges Mal etwas sinnvolles von sich geben würde. Doch sein Blick huschte nur durch das ganze Zimmer und er schüttelte weiterhin seinen Kopf.
„Du verstehst nicht. Ich habe es jetzt gesehen und eine Chance bekommen. Willst du sie nicht mitnutzen?" Er kam einen Schritt auf mich zu, doch ich verschränkte nur meine Arme und hakte nach: „Was hast du gesehen, Dad?"
„Ich werde heute nochmal mit Andrew reden. Er wird sicherlich helfen, na klar wird er das... Nächste Woche schon, sonst wird es zu spät, drei Wochen, Sophia...."
Und dann verschwand er ohne sich seine Jacke über zu ziehen und ließ mich zurück.
Ich wusste nicht mehr was ich glauben sollte.
War mein Dad verrückt geworden oder steckte mehr dahinter?
Auch wenn es mir Bauchschmerzen bereitete, wusste ich, dass ein weiteres Treffen mit Niall nicht unvermeidbar wäre und genau deswegen könnte ich ihn darauf ansprechen.
Denn er schien mehr darüber zu wissen als sonst einer...
Als mich Megs gestern durch viele Schleichwege, von deren Existenz ich bisher nichts wusste, nach Hause gebracht hatte, war Sam wirklich schon zuhause gewesen.
Doch heute Morgen als ich aufwachte war er weg.
Ich versuchte meine Sorgen um ihn beiseite zu schieben, denn ich musste so langsam einsehen, dass er erwachsen wurde.
Deswegen bereitete ich nur für Clovy und mich ein Frühstück, bestehend aus einem Brei, vor. Als ich meine kleine Schwester aufwecken wollte, saß diese schon aufrecht an der Wand lehnend und spielte mit ihrer Puppe.
„Warum warst du gestern nicht da, Soph?" fragte sie mich, als ich ihr einen Guten Morgen wünschte.
Leicht aufseufzend ließ ich mich auf dem Bettrand nieder und strich ihr über den Kopf. „Ich hatte etwas zu erledigen, Maus. Hast du Hunger? Es gibt Brei."
Sie fragte heute erst gar nicht nach Pfannkuchen und irgendwie machte mich dies traurig, als sie einfach stumm mit dem Kopf nickte und ihre Arme ausstreckte, damit ich sie hoch heben konnte.
„Und wo ist Sammy? Er spielt doch sonst immer mit mir..." murmelte sie leise als ich sie auf der Sitzbank absetzte und ihre Beine richtig anwinkelte. „Er erledigt auch Dinge, Clovy. Aber er hat dich nicht vergessen, wollen wir heute Abend uns wieder gegenseitig Geschichten erzählen?" versuchte ich sie aufzuheitern.
Auf der Stelle kam das Leuchten in ihren Augen wieder und begeistert fing sie an zu nicken. „Oh ja!" Ihre zerzausten Haare hüpften von der Bewegung auf und ab und lästig strich sie diese hinter ihr Ohr. Lachend reichte ich ihr den Löffel zusammen mit dem Brei.
„Nun iss erstmal..."
Ich selbst nahm mir meine Schale, doch als ich den ersten Löffel voll mit Essen in meinen Mund schob, drehte sich mein Magen um.
der gestrige Tag lag mir einfach noch zu sehr im Magen, auch wenn ich ihn so gut es ging verdrängte.
Wie mechanisch zwang ich mich jedoch noch dazu zwei weitere Happen zu kauen und runter zu schlucken, damit ich zumindest etwas im Magen hatte und schob dann die Schüssel weg.
Ich bemerkte Clovys verwirrten Gesichtsausdruck, während sie weiter fröhlich vor sich hin schmatzte.
Sie war so unschuldig. So klein und süß und dennoch fürs Leben bestraft...
Als sie fertig gegessen hatte, räumte ich beide Schüsseln weg. Die kindliche Stimme von meiner Schwester durchbrach die Stille, die die kleine nasskalte Wohnung innehatte: „Soph?"
Als ich mich zu ihr umdrehte, zwang ich mich leicht zu lächeln. „Was ist, Clovy?"
„Dinge werden erst Dinge, wenn man sie ausspricht..."
Und dann wurde das gezwungene durch ein echtes Lächeln ersetzt. Denn auch wenn es nicht so einfach war, wie Clovy dachte, munterte sie mich etwas mit ihrer kindlichen Naivität auf. Denn diese bestätigte nur, dass Clovy immer noch ein bisschen Kindheit hatte, das Sam und mir verweigert wurde. Und das reichte mir, um etwas die Sorgen von meinen Schultern zu nehmen...
„Wollen wir dich jetzt zu der Dame bringen, bei der Sam dich auch immer hinbringt?" fragte ich kurz darauf Clovy und fing an sie anzuziehen.
„Wie geht es Syra und June?" fragte ich Leo, als wir uns beide gleichzeitig das Kleid über den Kopf zerrten.
„Gut, ich war heute Morgen zusammen mit Mum und Dad noch einmal schnell bei ihr. Ich kann es gar nicht erwarten, ihr all die süßen Anziehsachen kaufen zu können..." Leo fing an zu lachen und strahlte dabei über das gesamte Gesicht. Sie quasselte noch weiter über ihre kleine Nichte, doch ich konnte mich nicht mehr darauf konzentrieren.
Es kam mir so abstrakt vor, dass ich erst gestern Abend noch im Krankenhaus war...
Niall, Megs und der Todessektor waren einfach zu präsent in meinem Kopf. Genauso wie die Wasserkraftwerke... Es war mir immer noch in Rätsel was Niall auf der Abendveranstaltung wollte, genauso warum ausgerechnet Dad zu den Wasserkraftwerken musste...
„Worüber denkst du nach, Sophia?" fragte mich Leo, als sie ihre Sachen in das Regal räumte und mir dabei einen prüfenden Blick zu warf.
„Ach nichts." Versuchte ich sie abzuwimmeln und setzte ein Lächeln auf. Weg war die Fröhlichkeit. Argwöhnisch aber auch besorgt hielt mich der Blick von Leo weiterhin gefangen und langsam sprach sie: „Ich mag es nicht, wenn ich meine Freundinnen bedrückt sehe. Ich habe den Zwang ihnen zu helfen, doch wenn man mich nicht helfen lässt, werde ich selber unruhig. Also bitte, Sophia, wenn irgendetwas..."
Ich unterbrach sie in einem Atemzug, nicht wissend, ob es das richtige war, es ihr gegenüber anzusprechen: „Was weißt du über die Wasserkraftwerke?"
Überrascht zog Leo ihre Augenbrauen hoch, doch meinte ohne große Zögerei: „Die Wasserkraftwerke? Hm, ich weiß nur, dass sie irgendwo außerhalb liegen und maschinell laufen..."
Ich bemerkte ihren neugierigen Blick, doch war froh, als sie nicht näher nachhakte. Stattdessen nickte ich nur und fragte: „Wollen wir los? Avaria würde sicherlich liebend gerne Abzugspunkte verteilen, doch ich kann heute ganz gut darauf verzichten..."
Leo schenkte mir ein leichtes Lächeln und nickte. Ohne ein weiteres Wort über die Wasserkraftwerke zu verlieren, verließen wir den Raum.
Dafür kreisten meine Gedanken nur noch mehr um die Stromquellen. Was sollte Dad dort maschinell wieder richtig stellen? Er hatte nicht oft in der Werkstatt gearbeitet, er war kein richtiger Techniker.
Also warum sollte er sich nach draußen begeben, sich den Tod ausliefern, um diesen Fehler beheben? Die Regierung müsste doch wissen, dass die Chance, dass er es lebendig bis zu den Anlangen schaffen würde, nur sehr gering war, geschweige denn, dass er den Fehler beheben könnte...
Warum schickten sie nicht gleich ein ausgebildetes Team zusammen mit Soldaten, die sie beschützen könnten, nach draußen, um auf Nummer sicher zu gehen?
Erst als wir den Aufenthaltsraum bereits erreicht haben, wurde mir etwas bewusst.
Etwas, was mir eine Gänsehaut über den ganzen Rücken jagte und mir die Luft zum Atmen nahm.
Denn was war, wenn es gar keinen Fehler bei den Wasserkraftwerken gab?
Was war, wenn sie ihn nur unter einem Vorsatz nach draußen schickten, um sich somit nicht für seinen Tod rechtfertigen zu müssen?
Was war, wenn Dad wirklich etwas wusste...?
Als Flynn lächelnd auf mich zu kam und mir berichtete, dass ich ihm heute wieder bei dem Rosengarten helfen würde, wusste ich, was ich tun müsste, um es heraus zu bekommen.
Wissen war nicht umsonst und ich würde es mir von Niall verdienen.
~
(14.10.2015)
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