-27- ➳ Sie werden fallen
Megs hörte nicht auf Niall. Während dieser uns in einen kleinen Raum führte, zappelte und fluchte sie wie wild umher und hatte bisher kaum einen Blick für mich übrig gehabt. Mir sollte es nur Recht sein.
Niall presste die Lippen aufeinander, schubste Megs auf ein kleines Sofa, dessen Bezug schon herunter gerissen worden war, und stieß dann mit einem lauten Krachen die Tür zu.
Währenddessen stand ich unsicher und nervös in einer Ecke und sah mich schnell um.
Es war anscheinend früher einmal ein kleines Büro gewesen, denn ein richtiges Fenster gab den Blick frei auf die große Halle, die wir eben gerade verlassen hatten. Für einen kurzen Moment konnte man die jungen Leute erkennen, die immer noch Mason in Schacht versuchten zu halten, dann aber riss Niall in einer wütenden Bewegung die Gardinen vor das Fenster.
„Mason hat es verdient, Niall. Wann schmeißt du ihn endlich raus? Er macht dir doch auch nichts als Probleme!" Megs hatte sich derweilen etwas auf dem Sofa zurück gelehnt und betastete prüfend ihre Fingerknöchel. Niall seufzte daraufhin nur, umrundete einen zerbrechlich aussehenden Schreibtisch und zog eine Schublade auf.
„Und du weißt ganz genau, dass wir ihn brauchen, Megs. Genauso wie dich. Also versucht verdammt nochmal nicht euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen...."
Megs schnaubte auf und als sie eine Stelle an einem Knöchel betastete, zuckte sie etwas zusammen, fasste sich aber schnell wieder. Sie blutete.
„Hier. Geh sparsam damit um, du weißt, dass wir nicht mehr viel davon haben..." Niall warf ihr über den Schreibtisch hinweg eine weiße Rolle Verbandszeug hin. Mum brachte ab und zu auch welche von ihrer Arbeit mit, wenn etwas übrig blieb.
„Aber dennoch gibt's du sie mir, Niall." Megs fing sie auf und drehte sie einmal in ihrer Hand hin und her, bis sie sie wieder zurück warf. „Ich brauche sie nicht, Niall. Es ist nur ein Kratzer, du solltest sie für die besonders schlimmen Fälle aufbewahren..."
Niall fing sie locker in der Luft auf, umrundete mit einer versteinerten Miene den Tisch und kam auf sie zu. Die beiden schienen mich vergessen zu haben und ich fühlte mich völlig fehl am Platz und unwohl. Warum war ich verdammt noch mal hier? Ob ich mich wohl davon schleichen konnte?
Aber bei dem Gedanken daran, dass ich an den anderen vorbei musste, verwarf ich diese Überlegung sofort wieder...
„Bei den besonders schlimmen Fällen wird kein einfaches Verbandszeug mehr helfen. Außerdem blutest du und denkst du, ich habe Lust, dass sich die Wunde entzündet und ich mir eine neue Technikerin suchen kann? Zeig sie mir mal, bitte..." Meinte er und kniete sich vor ihr hin. Wiederwillig hielt sie ihm ihre Hand hin.
Ich beobachtete Niall, wie er sie beinahe behutsam in seine nahm und leicht über die Wunde strich. Fasziniert sah ich auf seine Finger, die schließlich langsam den Verband um die Knöchel band. Bahn um Bahn wickelte er es um ihre Hand und achtete darauf, dass nichts verrutschte.
Als mein Blick jedoch von seinen Händen weiter nach oben wanderte, trafen meine Augen auf die dunkelblauen von Megs, die mich ohne jeglichen Hehl über Nialls Schulter musterten. Vor Überraschung zuckte ich einmal kurz zusammen und sofort breitete sich ein kleines Grinsen auf ihren Lippen aus.
„Und das ist dein hübsches neues Ding?"
„Was?" fragte Niall irritiert, aber als er ihrem Blick über seine Schulter folgte und mich in der Ecke, von einem Fuß auf den anderen springend, entdeckte, grinste auch er und schüttelte leicht den Kopf. „Megs, hör auf, alles was ich tue ins Lächerliche zu ziehen."
„Ich sag's ja nur." Meinte sie amüsiert und hob abwehrend ihre Hände.
„Du sagst es immer einfach nur... und das geht mir ziemlich auf die Nerven..."
Megs verdrehte die Augen, stieß Niall neckend an den Schultern von sich und breitete sich komplett auf dem Sofa auf. „Ach Quatsch, insgeheim liebst du es..." Sie streckte ihre verletzte Hand von sich weg und betrachtete prüfend den Verband.
Niall stand nur kopfschüttelnd auf und drehte sich mit seinem altbekannten Grinsen zu mir um.
„Nun meine Hübsche..."
„Ha, ich sags doch!" Megs fing an zu lachen und richtete sich dabei auf. Dann strich sie sich einmal durch ihre Haare und zwinkerte mir zu. „Bilde dir bloß nichts darauf ein. Hübsche Worte sind seine Masche um das zu bekommen was er will... na gut, auch ohne hübsche Worte bekommt er es...."
„Megs!"
„Hey, ich warne sie doch nur! Nachher ist sie wie ein Lämmchen, dass dir verliebt bis zur Schlachtbank hinterher läuft... zumindest sieht sie wie ein potenzielles Schaf aus, nichts für ungut...."
Sprachlos starrte ich sie mit offenem Mund an.
Ich war also ihrer Meinung ein Lamm, das sich in den Kerl verlieben würde, der mich und alle die ich liebte, bedrohte, damit ich nach seiner Pfeife tanzte? Hatte sie eigentlich noch alle ihre Gehirnzellen zusammen oder hatte sie die sich schon beim Zusammenschlagen verloren?
„Megs, wenn du nicht sofort aufhörst, schicke ich dich zu Mason, damit du dich entschuldigst..." Nialls Stimme war extrem ruhig, doch an seinen zusammen gebissenen Zähnen und den geballten Fäusten erkannte ich, dass er kurz davor war, zu explodieren.
„Bla bli blub, du würdest mich nie zu ihm schicken, dafür ist dir mein Stolz genauso wichtig wie mir selbst." Entspannt und immer noch amüsiert grinsend lehnte sie sich zurück, doch als Niall leise ein und aus atmete und meinte: „Doch, Megs." , verharrte sie und ließ ihren Arm sinken. „Okay." Sagte sie knapp, bevor ihr Lächeln verschwand.
„Gut." Nialls Grinsen kehrte wieder und mit zur Seite gelegtem Kopf musterte er mich. Warum musste das wirklich jeder machen? Niall und Liam, beide brachten mich mit diesem Blick zur Nervosität, wobei ich bei Liam eher Angst um meinen Job und bei Niall um mein Gesicht hatte.
„Nun, meine Hübsche..." Niall überging Megs Huster und redete ohne Pause weiter: „Sicherlich fragst du dich, was du hier sollst, oder?"
Er wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern ließ sich in dem alten Schreibtischstuhl fallen und legte die Füße auf die Arbeitsfläche, sodass ich seine dreckigen Fußsohlen sehen konnte.
„Nun, das ist leicht beantwortet. Da du, meiner Meinung nach, kein Lämmchen bist, wie sich Megs ausgedrückt hatte..." Er warf ihr einen Blick zu, doch sie betrachtete nur uninteressiert ihre Fingernägel. „, reichen hübsche Worte wohl nicht aus. Dies hier ist ein anderer Weg von mir, damit du dein Bestes gibst, die Aufgabe zu erfüllen... Dies hier," Er breitete seine Arme aus und umfasste damit symbolisch den gesamten Todessektor, „Ist mein Reich, hübsche Sophia. Wenn wir es geschafft haben den Tieren zu strotzen, schaffen wir es auch der Regierung zu strotzen. Dafür wurden wir geboren, genauso wie du, auch wenn du es jetzt vielleicht noch nicht einsehen willst..."
„Ich wurde für gar nichts geboren." Erwiderte ich und verschränkte meine Arme.
Doch Niall schüttelte nur leicht seinen Kopf, beugte sich vor und nahm einen kleinen Gegenstand vom Schreibtisch.
„Doch wurdest du, jeder wurde aus einem bestimmten Grund geboren und deiner ist es deine Geschwister zu beschützen, habe ich nicht Recht?"
Meine Miene verhärtete sich und mutig spottete ich: „Wenn, dann muss ich sie vor dir beschützen!"
Nun fing Megs an zu lachen und brachte mich damit vollkommen aus der Fassung. Hände hin und her wirbelnd symbolisierte sie uns, weiter zu reden. „Tut mir leid, doch Sam brauchst du nicht mehr beschützen und..."
„Wo ist Sam?" rief ich sofort Feuer und Flamme und ging ein paar Schritte auf sie zu. Sie kannte ihn. Wusste sie auch, wo er war?
„Sophia, Megs. Wenn ihr euch nun beide nicht beruhigt schmeiße ich vor die Türen von dieser Meldezentrale, in der Hoffnung, dass zumindest die Tiere euch fressen wollen!" knurrte Niall und erlangte somit wieder unsere beide Aufmerksamkeit. Ich jedoch schielte immer wieder etwas zu Megs, die sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte, in der Hoffnung, dass sie mir irgendwelche Informationen zu Sam sagen konnte.
„Was ich noch sagen wollte, Sophia..." fing Niall erneut an und das Grinsen leuchtete mir wieder entgegen. „, ist, dass du dennoch aus dem gleichen Grund wie wir alle geboren wurdest. Vielleicht denkst du, dass du deine Geschwister vor uns beschützen müsstest, aber das kommt auf das gleiche hinaus. Denn um sie beschützen zu können, musst du mir wohl oder übel gehorchen, bis du es aus freiem Willen machst und den wahren Feind erkennst..."
„Warum sollte die Regierung der wahre Feind sein, Niall? Vielleicht leben wir nicht so wohlhabend wie jene oben, aber..." setzte ich an, doch unterbrach mich selbst, als Niall anfing den Kopf zu schütteln.
„Wissen ist nicht umsonst, meine Hübsche... du musst nur wissen, dass du deine Geschwister beschützt und jene die du liebst, indem du dafür sorgst, dass du bei der Abendveranstaltung dabei bist."
Meine Beine fingen an zu zittern und ich konnte es nicht unterdrücken. Die Spannung im Raum war beinahe zu greifen und selbst Megs hatte sich gerade hingesetzt und beobachtete jede von Nialls Bewegungen.
„Dann verrate mir zumindest was ich dort tun soll, ich muss mich doch auf irgendetwas vorbereiten..." versuchte ich noch ein paar Informationen aus ihm heraus zu quetschen.
Lange Zeit blieb es still und ich gerade als ich mir nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, erhob Megs ihre Stimme: „Niall, hast du ihr das etwa noch nicht erklärt? Wie stellst du dir denn vor, wie sie etwas erledigen soll, von dem sie nichts weiß?" Fassungslos fing das Mädchen an ihren Kopf zu schütteln und ich starrte sie nur an. Sie riskierte bei Niall mehr als nur ein blaues Auge und eine dicke Lippe. Es war ein Wunder, dass Niall ihr noch nicht an die Kehle gesprungen war.
Mein Blick huschte von ihr zu Niall und dann wieder zurück. Beide vollführten ein Blickduell, der es in sich hatte. Ich konnte förmlich die Funken sprühen sehen, doch schließlich wandte sich Niall, mit einer wieder neutralen Maske mir zu und sprach: „Du musst dafür sorgen, dass die Müllrutschte bei den privaten Räumen unbewacht ist. Megs wird sich in das System hacken, damit ich mir Zutritt zu den Lüftungsschächten machen kann... Ich hoffe doch mal, du hast sie gut geputzt, ich möchte einen spektakulären Auftritt..." Er zwinkerte mir zu und auch auf Megs Gesicht erschien ein leichtes Lächeln.
Doch meine Gesichtszüge entglitten mir.
„Was willst du dort, Niall?" meine Stimme klang brüchig und selbst das Räuspern half nichts.
Wollte er jemanden umbringen? Vielleicht gleich alle? Immerhin waren viele angesehene Bürger dort... Aber anderseits würde es stark bewacht werden, allein die Wahrscheinlichker mich erfolgreich in die privaten Räume zu schleichen stand gleich Null... Sie würden mich ins Exil schmeißen, ich würde für Nialls verdammten Plan sterben...
„Sagen wir es mal so, meine Hübsche..." Niall drehte den Gegenstand in seiner Hand hin und her, strich über die Oberfläche und hob dann langsam seinen Blick zu mir. Seine blauen Augen, die nur vor Entschlossenheit strotzen, bohrten sich in meine. „Ich habe noch eine Rechnung mit jemanden von dort oben zu begleichen..."
Ich konnte nicht blinzeln, überhaupt nichts mehr realisieren. Wo zur Hölle war ich hier nur hereingeraten? Und alles hatte mit dieser verdammten Prüfbescheinigung angefangen...
Die Gedanken liefen im Turbomodus durch meinen Kopf und ich kam gar nicht mehr dazu sie alle zu erfassen. Es war nur noch ein riesiges Wirrwarr aus Panik, Angst und Sorge.
„Das wird nie und nimmer klappen..." murmelte ich leise und bekam kaum mit, wie Megs auf stand und auf mich zukam.
„Dann kennst du Niall nicht gut genug." Antwortete sie und ich hob langsam meinen Blick zu ihr. Sie hatte noch immer ihren knallharten Blick drauf und insgeheim fragte ich mich, woher sie diesen hatte. Wie konnte sie nur ihr Leben dafür riskieren?
„Nun komm, Niall sagt, ich soll den Babysitter spielen und dich nach Hause bringen..." Sie griff nach meinen Arm und führte mich zur Tür. Ich stolperte ihr einfach nur hinterher, obwohl ich mich eigentlich von ihr losreißen wollte.
„Sophia." Ertönte Nialls Stimme und langsam drehte ich mich zu ihm um. Er stand an der einen Ecke des Schreibtisches und hatte nicht wie erwartet ein Grinsen auf seinen Lippen.
Stattdessen meinte er mit einem harten Gesichtsausdruck:
„Wenn die Skyscraper fallen, werden sie am tiefsten stürzen, merke dir das..."
Ein Schauer überkam mich und so schnell ich konnte folgte ich Megs aus dem kleinen Arbeitszimmer.
Die Halle war leer und das Licht gedämpft und zumindest das beruhigte mich etwas. Denn ich wollte nicht noch die anderen Wahnsinnigen aus der Truppe kennenlernen. Wie konnte Sam nur freiwillig diesem Himmelsfahrtkommando beitreten?
Sam.
„Wo ist Sam." Fragte ich, als wir bereits den Gang in einem eisernen Tempo entlang gingen und schließlich an der Leiter ankamen.
„Zuhause." Antwortete Megs nur achselzuckend und sofort ging ein Ruck durch meinen Körper. „Das ist nicht euer Ernst." Ich griff nach ihrem Arm, aber als sie sich anspannte und mich warnend ansah, ließ ich meine Hand wieder sinken.
„Doch. Niall hat ihn nur kurz auf einen Botengang geschickt, er müsste vor der Ausgangssperre ohne Probleme wieder zuhause angekommen sein."
Fassungslos schüttelte ich meinen Kopf. Ich wurde heute nur von vorne bis hinten übers Bein gelegt. Wahrscheinlich war es Sam, der sich gerade Zuhause Sorgen um mich machte.
„Für Niall ist das alles nur ein großes Spiel, oder?" fragte ich Megs voller Hass und folgte ihr schließlich die Leiter hoch in die kleine Wohnung.
Erst als Megs die Matratze wieder über das Loch geschoben hat, warf sie mir einen Seitenblick zu. „Du kennst Niall nicht." Antwortete sie nur knapp. Voller Wut und Verzweiflung fing ich an zu lachen und hielt mir meinen Bauch.
„Ich kenne ihn nicht... kennt ihn überhaupt jemand?" Ich schüttelte meinen Kopf und wollte gerade noch etwas voller Hohn hinzufügen, als Megs mich schon gegen die Wand drückte und mich böse anfunkelte. Sofort verstummte und erstarrte ich.
„Du weißt gar nichts. Du weißt rein gar nichts über Niall, über mich oder über sonst wen, okay? Und nun sei endlich leise, sonst haben uns die Wächter bevor wir überhaupt die Halle von 1a erreichen..."" Als ich schnell nickte, ließ sie mich los und wich sofort zwei Schritte nach hinten.
Bevor sie aber die Tür öffnete, zögerte sie und sprach ohne mich anzusehen: „Irgendwann wirst du vielleicht anfangen zu verstehen, dass man fallen muss, um aufstehen zu können..."
~
(08.10.2015)
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