-18- ➳ Pause
„Habe ich etwas falsch gemacht?" fragte ich sofort, als ich vor ihm sein Zimmer betrat.
„Setz dich doch." Meinte er jedoch, ohne auf meine Frage einzugehen und machte eine einladende Armbewegung zu seiner Sitzecke. Langsam, da ich genau wusste, dass er sonst wieder mit seinem Befehl ankommen würde, ließ ich mich auf der Kante der Couch nieder. Ich fühlte mich unwohl, besonders da ich in meinem leicht durchs Putzen schmuddeligen Kleid auf der teuren Ledercouch Liam im maßgeschneiderten Anzug gegenüber saß.
Ich schluckte und faltete nervös meine Hände in meinem Schoß.
Was zur Hölle wollte er von mir?
Hatte er jetzt herausgefunden, dass meine Prüfbescheinigung gefälscht war? Würde er mich...
Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken, die bald in meinem Kopf Amok liefen: „Sophia, Sophia Smith, dein Kleid ist schon wieder dreckig und ich denke, du hast deine Hausaufgaben nicht ordentlich geübt, oder warum sitzt du dort so verkrampft und siehst so aus, als würdest du lieber tausend Etagen tief fallen, anstatt hier zu sitzen?"
Er beugte sich etwas vor und nahm eine Teetasse vom Tisch, dann richteten sich seine braunen Augen wieder auf mich.
Sofort rutschte mir ein ‚Es tut mir Leid' über die Lippen und ich senkte meinen Blick auf meine Finger. Vom Putzen hatte ich aufgeraute Handflächen und Dreck klebte unter meinen Fingernägeln.
„Sieh' mich an."
Langsam hob ich meinen Kopf und blickte direkt in seine Augen, welche mich misstrauisch musterten.
Würde er mich wieder auf den Zahn fühlen, so wie er es vor wenigen Tagen gemacht hatte?
Jedes einzelne Wort war in meinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er wusste, dass ich nur eine Rolle spiele und er hatte mir gedroht, ja sogar versprochen, dass er herausfinden würde, wie ich es auf die Bühne, in diese Etage geschafft hatte.
Würde er mir vielleicht jetzt sagen, dass er über Christopher und den gefälschten Prüfbescheinigungen Bescheid wusste?
Ich schluckte und versuchte die Panik zu vertreiben.
„Du entschuldigst dich und versuchst dich dennoch nicht zu bessern. Du sitzt immer noch genauso da wie eben." Er runzelte die Stirn und nippte an seinem Tee. Insgeheim fragte ich mich, wer ihn Liam diesmal gebracht hatte, aber als seine Worte mein Gehirn erreichten, zuckte ich zusammen und drückte meinen Rücken durch.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Payne?" fragte ich noch einmal vorsichtig nach.
Liam stellte seine Teetasse wieder auf dem kleinen Tisch ab, lehnte sich etwas nach hinten und ein verschmitztes Grinsen erschien wieder auf seinem Gesicht. „Gar nicht, meine Liebe Sophia, Sophia Smith."
Verwirrt blinzelte ich und öffnete langsam meinen Mund. „Aber warum..." setzte ich an, wurde aber von ihm unterbrochen, indem er meinen Satz zu Ende brachte: „Warum ich dich dann hier her geholt habe? Keine Sorge, es ist nicht deswegen, weil ich denken könnte, dass du mithilfe deines Hintern Regeln brechen willst – auch wenn es Nahe liegen würde – oder weil du mir noch einmal einen Tee bringen sollst. Wobei, nachher könntest du es wirklich, so lange es Margarete erlauben wird, denn dieser hier-" Er zeigte mit verzogener Miene auf die Tasse in seiner Hand. „-schmeckt, als hätte man Abwaschwasser mit Zucker verfeinert..." Er stellte die Tasse auf dem Tisch ab und legte seinen rechten Arm auf die Lehne. „Was ich aber eigentlich damit sagen will, ist, dass ich dich mitgenommen habe, weil es so ausgesehen hat, als könntest du eine Pause vertragen... Bist du nachts einen Marathon gelaufen oder warum sieht es so aus, als würdest du Drogen nehmen und dann vergessen haben dich abzuschminken?"
Entgeistert starrte ich ihn an. Das konnte er doch nicht ernst meinen...
„Mr. ... Payne..." stotterte ich, schüttelte meinen Kopf und rutschte auf der Couch auf meinem Hintern hin und her, bevor ich weitersprach: „Das meinen Sie sicherlich doch nicht ernst, oder?"
„Was? Das mit den Drogen? Nun Sophia, Sophia Smith, ich weiß natürlich anhand den Statistiken über den hohen Drogen- und Alkoholkonsum in den unteren Sektoren Bescheid, doch dafür scheinst du mir zumindest gut bei Sinnen. Hättest du welche genommen, würdest du schon längst über meiner teuren Vase hängen... Willst du Kekse?"
Ich konnte nichts anderes tun als ihn mit offenem Mund anzustarren, wie er auf den Teller mit dem Gebäck deutete.
Ich musste träumen. Oder jedoch ich hatte wirklich ausversehen Drogen genommen und hallunizierte. Denn warum zum Teufel sollte er mir sonst eine Pause gönnen, Kekse anbieten und über Drogen reden?
„Du bist nicht real, oder?" rutschte es aus mir heraus und sofort hätte ich im Boden versinken können.
Liams Blick sprach Bände. Wahrscheinlich dachte er jetzt doch, dass ich Drogen nahm. Vielleicht tat ich es ja auch und bildete mir dies hier nur ein...
Vielleicht wäre dies sogar noch die bessere Wahl als die, dass dies hier wirklich stattfand.
Denn Liam Payne war nicht unbedingt die Person, mit der ich an einem Tisch sitzen und Kekse essen wollte.
Oder dies war nur eine Taktik, um mich zum Sprechen zu bekommen...
Mein Kopf rauschte und langsam schüttelte ich meinen Kopf. Liam jedoch grinste schon wieder und meinte dann: „Auch wenn es so manch einer nicht glauben will – ja, ich bin real. Wenn du es jedoch auf die Situation beziehst, Sophia, Sophia Smith, muss ich dir auch dies bestätigen. Ich sorge nur dafür, dass du in keinen Unfall verwickelst wirst, beispielsweise, dass du beim Putzen der Bordüren von der Leiter fällst und somit in den nächsten Tagen nicht arbeitsfähig bist..."
Sofort wurde ich wieder rot und schob meine Hände unter meinen Hintern.
„Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, wenn ich Bellamy weiter unterstützen würde... Soweit ich mitbekommen habe, steht bald eine wichtige Veranstaltung an und ich möchte bei den Vorbereitungen helfen..."
„Glaub mir meine Liebe: In deinem Zustand behinderst du Bellamy eher, anstatt dass du ihr helfen würdest. Also könntest du mir genauso gut Gesellschaft leisten und mir etwas über deine Familie erzählen..." Er nahm sich einen Keks vom Teller und schob mir diesen dann über den Tisch hin.
„Meine Familie?" fragte ich überrascht, als mein Blick vom Keksteller zu ihm hin und her wanderte. „Entschuldigung, Mr. Payne, aber ich wüsste nicht, warum meine Familie Ihr Interesse wecken würde..."
„Du musst es auch nicht wissen, aber an die Regeln solltest du dich doch erinnern können, Sophia, Sophia Smith. Und das heißt, dass du keiner meiner Forderungen in Frage stellen solltest. Also, wie sieht es mit Geschwistern aus? Bruder, Schwester?"
Immer noch vollkommen verwirrt nahm ich mir langsam einen Keks, betrachtete für einen kurzen Moment das aufwendig gespritzte Muster des Spritzgebäcks und erzählte dann langsam: „Ich habe einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester. Sam und Clovy..."
„Und was machen deine Eltern?" Seine braunen Augen verließen nicht meine und ich konnte mir nicht zusammen reimen, was er mit all den Informationen anfangen wollte.
Dennoch antwortete ich: „Meine Mutter arbeitet in dem Krankenlager und mein Vater in der Kantine..." Ich verschwieg, dass ich nicht wusste, ob mein Dad dort immer noch arbeitete, da er seit vorgestern in Gewahrsam war.
Bei den Gedanken an diesen Abend presste ich meine Lippen zusammen und brach den Blickkontakt mit Liam ab. Ich hatte sonst zu große Angst, dass er all meine Geheimnisse in meinen Augen wie in einem offenen Buch lesen konnte.
„Wissen Sie, Mr. Payne. Es tut mir Leid, aber es ist mir unangenehm über meine Familie zu reden..."
„Weil du sie nicht magst?" fragte er mich sofort neugierig und schob die Ärmel seines Jacketts etwas hoch. Aber als ich realisierte, was er gerade gefragt hatte, riss ich erschrocken meine Augen auf und schüttelte so heftig meinen Kopf, dass sich mein Zopf endgültig löste und mir meine Haare im Gesicht hingen. „Nein, so meinte ich es nicht. Ich liebe meine Familie, aber..."
„Aber das Umfeld passt nicht dazu." Beendete er meinen Gedankengang. Und auch wenn es hart klang: es stimmte.
Langsam nickte ich.
Denn ich saß hier auf einer Ledercouch, hinter mir war eine Fensterfront, die diesmal einen Ausblick auf einen glasklaren Himmel zeigte, hatte einen Keks in der Hand, der wohl so viel kostete wie mein Wochengehalt und sprach über meine Familie, die 55 Etagen tiefer für unser Überleben schufteten.
Gerade als ich noch etwas hinzufügen wollte, klopfte es an der Tür. Ich bemerkte, wie Liam die Augen verdrehte und dann rief: „Was ist los?"
Von der anderen Seite der Tür ertönte eine tiefe Stimme: „Ich wollte den jungen Payne nur daran erinnern, dass Sie gleich eine Trainingseinheit im Sportsektor haben und Ihr Vater Sie danach in seinem Büro sprechen möchte."
„Danke." Rief Liam nur und stand dann auf. Unsicher was ich nun tun sollte, tat ich es ihm gleich und sah sofort nach, ob ich die Couch dreckig gemacht hatte. Zum Glück erkannte ich keine Flecken.
„Das Leder wird alle zwei Monate ausgetauscht, mach dir darum keine Gedanken, Sophia, Sophia Smith." Meinte Liam, der meinen Blick richtig gedeutet hatte. Sofort nickte ich und sah auf den Boden.
Für ihn war es wohl kein großes Problem, wenn etwas beschädigt wurde. Immerhin könnte er es im Handumdrehen ersetzen lassen...
„Sophia, Sophia Smith?"
Sofort hob ich meinen Blick wieder und sah, wie er bereits eine Sporttasche über der Schulter trug.
„Du kannst jetzt gehen. Bring mir und Danielle morgen doch bitte zwei Tassen Tee. Dieses Abwasser mit Kräutergeschmack von heute kann man ja nicht trinken ohne vergiftet zu werden..." Er zwinkerte mir zu während er den Raum verließ, ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten.
Somit war ich alleine in seinem privaten Zimmer und ich wollte nichts lieber als so schnell es ging es zu verlassen.
Ich hielt immer noch den Keks in der Hand, als ich durch den Gang lief, auf der Suche nach Bellamy. Ich entschied mich das Gebäckstück für Sam und Clovy aufzubewahren, sie würden sich sicherlich darüber freuen, auch wenn ich somit das Risiko einging, das Clovy die nächsten Wochen immer wieder nach Keksen fragen würde, so wie sie immer nach Pfannkuchen fragte. Meine Gedanken im Kopf überschlugen sich und ich wusste nicht, woran ich nun glauben sollte, oder ob ich mir das eben vielleicht nur eingebildet hatte. Der Keks widerlegte aber diese Möglichkeit.
Bellamy fand ich schließlich im Aufenthaltsraum Beine überschlagend und Zeitschriften lesend. „Das war ja ein langes Gespräch." Merkte sie an, als sie mich bemerkte.
„Tut mir Leid, dass ich dir so lange nicht helfen konnte. Wenn du willst, kann ich auch kürzer Pause machen..."
Sie warf mir über ihre Zeitschrift einen prüfenden Blick zu und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ohne Pause fällst du mir gleich noch aus den Schuhen. Margarete hat für uns alle einen Teller mit verschiedenen Sandwiches gemacht. Du kannst dir eins aussuchen..."
Ich nickte und ging zum Kühlschrank. Ich nahm mir ein einfaches Käsesandwich und setzte mich dann gegenüber von Bellamy. Sie hielt ihr Gesicht hinter der Zeitschrift versteckt und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sie schlecht gelaunt war.
„Wo müssen wir gleich noch putzen?" fragte ich sie, nachdem ich meinen ersten Bissen herunter geschluckt hatte.
Eins musste man sagen: Margarete konnte die besten Sandwiches der Welt machen. Vielleicht lag es auch nur an der Qualität der Lebensmittel, doch ich bezweifelte, dass ich es mit den gleichen auch so gut hinbekommen hätte.
„Nur noch hier." Meinte sie knapp und blickte gar nicht erst von ihrer Zeitschrift hoch. Auf dem Cover lächelte mir eine perfekt in Pose gestellte Danielle entgegen, genauso wie der Titel, der ihre neue Modelinie idle lane ankündigte.
„Bist du fertig?" fragte Bellamy mich plötzlich und legte die Zeitschrift zur Seite. Ich nickte und schob mir das letzte bisschen Sandwich in den Mund. Bellamy schenkte mir ein leichtes Lächeln, wobei ich mir nicht sicher war, ob sie sich dazu nur zwang.
„Dann lass uns mal den Dreck unserer Kolleginnen beseitigen!" Mit einem Händeklatschen und neuem Elan stand sie auf und schnappte sich den Putzeimer. Ich tat es ihr gleich, wobei mir eigentlich gar nicht mehr dazu zumute war.
Während wir arbeiteten unterhielten wir uns über alles Mögliche. Auch wenn Bellamy kurz angebunden blieb, hatte ich schnell ihre schlechte Laune beim Essen vergessen. Während wir die Dreckwäsche sortierten und zu den Waschräumen brachten, erfuhr ich, dass Bellamy aus dem Sektor 13c kam und hier schon seit einigen Jahren arbeitete.
Die restliche Arbeitszeit verging wie im Flug und als ich den Unterrichtsraum von Avaria betrat, hatte ich das Gespräch mit Liam schon wieder vergessen.
Ein Grund dafür war, dass mir wieder einfiel, dass ich die letzte Stunde geschwänzt hatte und der andere war, dass der einzige freie Platz nur noch neben Justice war.
Als mein Blick fragend den von Leo traf, die eingekesselt zwischen zwei anderen Mädchen saß, zuckte diese nur verwirrt die Schultern.
Justice schien auch nicht gerade erfreut über meine Gesellschaft zu sein, da sie verbissen nur nach vorne sah und nicht auf meine Begrüßung reagierte. Ihr Parfüm schlug mir entgegen, als ich mich neben ihr hinsetzte und ich hoffte, dass dieser Geruch mit der Zeit verging. Ich würde es sicherlich keine knappe Stunde so aushalten...
Als Avaria in den Raum gestürmt kam, suchte ich schnell mein Buch aus der Tasche und versuchte mich dann auf das Gesagte von Avaria zu konzentrieren.
Falls ich gedacht hatte, dass sie mich nun vollends auf den Kieker hatte, hatte ich mich nur in einer Sache geirrt:
Denn dies tat sie wirklich. Doch nicht, indem sie mich nur drannahm und mir Punkte abzog, sondern sie bestrafte mich damit, dass sie mich vollkommen ignorierte, auch als ich mich als einzige meldete.
So bekam ich zwar keinen Zusatzpunkt, die sie eh nur sparsam verteilte, dafür verließ ich aber nicht wie das Mädchen, das mir ihren Namen nicht verraten wollte, mit acht Abzugspunkten und wimmernd den Raum, als der Unterricht vorbei war.
„Was interessiert mich die funktionale Gliederung eines Gurkenschneiders, wenn ich mich nicht einmal als Köchin ausbilden lassen will?" flüsterte Leo mir genervt zu, als wir uns umzogen. Diesmal waren wir im Waschraum nicht alleine. Das Ich-verrate-dir-nicht-meinen-Namen-Mädchen und eine junge Frau, die ich schon einmal in der Küche gesehen hatte, zogen sich ebenfalls hier um.
Ich zuckte jedoch auf Leos Frage nur meine Schultern. Zwar war das Thema in der heutigen Unterrichtseinheit nicht sonderlich spannend gewesen, doch wenn ich ehrlich war, musste ich sagen, dass ich es diesmal zum ersten Mal richtig aufnehmen und abspeichern konnte. Ohne die Angst spontan dran zu kommen lernte es sich viel einfacher...
„Wie war es eigentlich neben Justice? Tut mir Leid übrigens, Helena hat sich einfach auf den Platz, den ich für dich freigehalten hatte, gesetzt. Ich glaube, sie hat sich mit Justice auch in die Haare gekriegt."
„Helena?" fragte ich verwirrt und schlüpfte schnell in meine Hose. Mit einer Kopfbewegung zeigte Leo zu dem Mädchen hinter uns. Helena war also das Mädchen, das nicht mit mir in der ersten Unterrichtseinheit reden wollte.
Grinsend musste ich darüber meinen Kopf schütteln, denn ihren Namen habe ich vorher auch noch kein einziges Mal von Avaria gehört, auch wenn sie Helena schon mehrere
„Und wie wars nun?" hakte Leo nach, als sie ihre Schuhe zuschnürte und dabei zu mir hochsah.
„So als wäre ich in einen Vorrat von Parfüm für die nächsten drei Jahrhunderte gefallen." Spaßig zwinkerte ich ihr zu, doch Leo zog nur die Nase kraus.
„Wie kannst du eigentlich so gute Laune haben? Aber naja, egal. Ich denke, wir sollten uns beeilen, Syra wartet sicherlich schon auf uns."
Bevor sie mich hinter sich herziehen konnte, griff ich gerade noch rechtzeitig in die Schürzentasche und steckte den Keks ein.
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(24.08.2015)
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