-11- ➳ Übungsstunde
Unsicher blinzelte ich ihn an.
Meinte er das ernst?
Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht und er streckte seine langen Beine aus. „Nun, Sophia...?"
Erwartungsvoll sah er mich an und ich bemerkte, dass ich wieder von einem Bein auf das andere tapste.
„Ich weiß nicht so recht, Mr. Payne. Ich muss gleich noch..."
„Oh, Sophia, das war keine Bitte..." unterbrach Liam mich und sein Grinsen wurde noch ein bisschen breiter, als er seinen Satz beendete: „sondern ein Befehl."
Meine Augen wurden noch etwas größer und tausend Fragen schwirrten mir in meinem Kopf herum.
Doch als er mit einer Hand auf die freie Sitzfläche neben sich klopfte und eine Augenbraue hochzog, als ich mich immer noch nicht bewegte, riss ich mich zusammen.
Es war ein Befehl, eine Aufgabe die ich ausführen sollte.
Dies versuchte ich mir zumindest einzureden, als ich mich vorsichtig neben ihn auf der Bank niederließ. Ich wusste nicht, wohin ich sehen sollte, deswegen starrte ich einfach abwechselnd auf das Buch in meiner Hand und auf den neu angelegten Rosengarten gegenüber von uns. Die Rosen waren atemberaubend hübsch, hoffentlich durfte ich Flynn bald wieder im Garten helfen...
Liam war mir nun so nahe, dass ich sein Parfüm riechen und ihn atmen hören konnte und dies machte mich unglaublich nervös.
Bevor die Situation noch unangenehmer wurde, schlug ich vorsichtig das Buch auf, um noch etwas lernen zu können. Ich blätterte zu der Seite, auf der die Regeln und Vorschriften für das perfekte Verhalten gegenüber Höhergestellten standen.
Doch bevor ich es mir verkneifen konnte, blickte ich aus dem Augenwinkel zu Liam und erschrak, als ich bemerkte, wie er mich ungeniert anstarrte.
Sofort blickte ich wieder auf dem Artikel im Buch und umklammerte die Seiten fest mit meinen beiden Händen.
Mehrmals versuchte ich mich auf das Geschriebene zu konzentrieren, doch scheiterte immer wieder daran, da Liams Blick mich unruhig machte.
Leise seufzte ich auf und schüttelte den Kopf.
Gerade als ich mich zu Liam umdrehen und sagen wollte, dass ich nun leider wieder arbeiten musste, beugte sich dieser neugierig zu mir vor und schnappte sich das aufgeschlagene Buch von meinen Knien.
„Was musst du denn lernen?"
Erschrocken zuckte ich zusammen und versuchte es ihm wieder abzunehmen.
„Grundregeln über das Benehmen innerhalb der sozialen Pyramide... So, so, nun heißt es schon soziale Pyramide?" Er zwinkerte mir zu und verzweifelt fragte ich mich in Gedanken, wie ich aus dieser Situation wieder herauskommen könnte.
„Also, die zehn goldenen Verhaltensregeln sind... Oh wow..." Er stockte einmal kurz, warf mir über dem Buch hinweg einen amüsierten Blick zu und fuhr dann fort: „Ich finde ja schon alleine hier vier Regeln, die du wohl nicht ganz so ernst nimmst. Da wäre die Nummer vier, warte ich zitiere..." Er räusperte sich, während ich ihn mit geschocktem Blick ansah und nicht fähig war ihm irgendetwas zu entgegnen.
„Alle sich aufhaltenden Angestellten sollen sich neutral verhalten und keine persönlichen Vor- und Abneigungen zur Geltung bringen.... Oder wie wäre es mit Regel Nummer Sieben, meine liebe Sophia, Sophia Smith: Gepflegtes Aussehen, sowie akzeptabler Ausführung von Aufgaben, denen man zugeteilt wird, ist die Voraussetzung für einen Zuteil an Pluspunkten in der Gesamtwertung, welche das Aufstreben in der sozialen Pyramide des jeweiligen Arbeitsbereiches kennzeichnet.... Daran müssten wir auch noch etwas üben, aber oh schau!"
Sein Grinsen wurde breiter und ich ahnte schlimmes, als er sich erneut räusperte, sich grade aufsetzte und erneut das Wort erhob: „Aber die erste goldene Verhaltensregel sollte dir doch wohl bekannt sein und auch wenn es Schade darum ist, solltest du weitere Angebote lieber unausgesprochen lassen: Das objektive und neutrale Verhalten ist Teil der Arbeit, sowie sind Affären, romantische Beziehungen und andere Form von körperlicher Verbundenheit zwischen Angestellten jeglicher Stufe, sowie zu den Familienmitgliedern strengstens untersagt... Tut mir Leid. Sophia, Sophia Smith."
Er zuckte die Schultern, doch ich vergrub nur mein Gesicht in den Händen und schüttelte meinen Kopf. Ich spürte, wie meine Wangen immer weiter rot anliefen und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass der Boden mich verschlucken würde.
„Mr. Payne, wirklich es war so nicht..." murmelte ich in meine Hände und traute mich nicht, ihn anzusehen.
„Ich würde dies nicht als ein korrektes Benehmen deuten." Unterbrach er mich und ich konnte mir denken, dass er immer noch breit grinste. „Also, nun sieh mich an und sag es nochmal. Denk an den neutralen Ton, oder wie du dich sonst neutral verhalten würdest."
Langsam ließ ich meine Hände fallen und hob meinen Kopf.
Komischerweise grinste er nicht mehr und sah mich erwartungsvoll an. Das Buch lag immer noch aufgeschlagen auf seinen Beinen.
„Nun komm schon, ich dachte, du musst es üben?"
Die Verwirrtheit schien mir ins Gesicht geschrieben zu sein und fragend hob ich eine Augenbraue.
„Üben?"
Liam verunsicherte mich.
„Ja, üben, und du hast die Ansprache vergessen, wobei ich es überflüssig finde, in jedem Wort ein Mr. Einzubinden... Aber das steht hier so..." Er tippte mit seinem Finger auf die Buchseite.
Und als er mich dann wieder auffordernd ansah, wurde mir bewusst, was er wollte.
„Sie wollen mit mir üben, Mr. Payne?" Überrascht strich ich mir eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und wartete auf seine Antwort.
„Nun, immerhin ist es deine Ausbildung und es soll nicht zu peinlichen oder unakzeptablen Zwischenfällen kommen, wenn du mir weiterhin den Tee bringen wirst..."
Sofort spürte ich, wie meine Wangen erneut rot anliefen und mein Herz nervös anfing zu klopfen.
Was meinte er damit genau?
Ich wollte nicht nachfragen, ob ich ihm jetzt regelmäßig den Tee bringen sollte, da ich mich daran erinnerte, dass dies nicht unter den Bereich Neutral fallen würde. Oder aber ob ich mich beim letzten Mal ihm oder Danielle gegenüber unakzeptabel verhalten hatte...
„Also?" hakte er nach und strich einmal über seinen Anzug.
„Okay..." stimmte ich ein und räusperte mich. Ich war viel zu nervös, um irgendetwas herausbringen zu können, geschweige denn etwas, das diesen goldenen Regeln entsprach.
„Also..." fing ich an.
„Falscher Anfang. Minuspunkt Nummer eins wäre das. Nochmal." Unterbrach Liam mich blitzschnell.
„Minuspunkt?"
„Keine Wiederrede. Zweiter Minuspunkt." Kam es erneut von Liam und erst jetzt verstand ich, was er von mir wollte.
Ich sammelte mich, rutschte einmal auf der Bank hin und her und wollte gerade anfangen zu sprechen, als Liam mir erneut zuvor kam: „Dritter und vierter Minuspunkt. Ersterer für zu langer Wartezeit. Willst du, dass ich erst verschimmle, bevor du endlich mal redest? Den zweiten bekommst du für das Herumgezappel. Setzt dich gerade hin, halte Augenkontakt und lass deine Stimme nicht so zittrig klingen."
Ich unterdrückte nur schwer ein Seufzen, kam ihn aber nach.
Ich fühlte mich unwohl unter seinem wachsamen Blick und konnte nur schwer den intensiven Blick aus seinen braunen Augen erwidern. Ich verschränkte meine Hände in meinem Schoß, um sie ruhig zu halten und holte leise Luft.
innerlich wappnete ich mich und sprach dann überdacht: „Mr. Payne, Sie haben das Angebot falsch verstanden. Es war nicht in dieser Richtung gedacht und..." Ich stockte einmal kurz, da mich sein Grinsen, das von Sekunde zu Sekunde breiter wurde, aus dem Konzept brachte. Schnell fasste ich mich aber wieder und beendete meinen Satz: „...und ich habe mich jegeglich versprochen."
„Meinst du also, dass ich zu dumm bin, um etwas zu verstehen? Fünfter Minuspunkt. Du musst dich geschickter Ausdrücken. Noch einmal." Er lehnte sich zurück und warf einen Blick ins Buch, bevor er mir wieder in die Augen sah und mir mit einem Handzeichen zu verstehen gab, dass ich anfangen sollte zu reden.
Peinlich berührt von meinen erneuten Fehler sprach ich mit geröteten Wangen und vor Nervosität schnell schlagendem Herzen: „Ich wollte sie keinesfalls als dumm bezeichnen, Mr. Payne. Ich habe mich falsch ausgedrückt, was ich meinte, war, dass ich mich damals versprochen habe und all diese Missverständnisse deswegen auf meinem genannten Fehler beruhen. Ich hoffe, Sie verzeihen es mir."
Sein Grinsen wurde breiter und das Braun seiner Augen strahlender. Zumindest sah es so aus und ich hatte keine Ahnung wie ich ihn einschätzen sollte. Meine ausgesprochenen Worte klangen so gekünstelt, aber vielleicht war es genau das, was er hören wollte und wenn ich mir damit einen Nachteil aus dem Weg räumen konnte, schob ich meinen Stolz beiseite.
Mit einem lauten Knall, der mich zusammen zucken ließ, schlug er das Buch zusammen und fing an zu nicken.
„Siehst du, Sophia, Sophia Smith? Es geht doch. Zwar solltest du beim nächsten Mal noch versuchen, deine gesamten Haarsträhnen in einen Dutt zu bekommen, aber ansonsten war es, zumindest am Schluss, einigermaßen akzeptabel."
Automatisch griff ich mit meinen Fingern an die wirren Haarlocken, die ich mir hinters Ohr gestrichen hatte und die Röte in meinen Wangen kehrte wieder.
„Danke fürs Helfen, Mr. Payne."
Ich packte das Buch, das er auf den freien Platz auf der Bank zwischen uns hingelegt hatte, in die Tasche und stand auf. Ich strich mein Kleid glatt und gerade als ich meinen Blick zu ihm hob und mich schnell aus dieser unangenehmen Situation verabschieden wollte, kam er mir zuvor: „Oh, Sophia, Sophia Smith. Dann macht es dir doch sicherlich nichts aus, wenn du mir morgen wieder den Tee bringst?"
Auch er stand auf und überragte mich somit um ein paar Zentimeter.
Meine Gedanken rasten, als ich realisierte, was er meinte.
„Mr. Payne... Wie meinen... Wie meinen Sie das?" stotterte ich und dummerweise kam mir sofort wieder das Angebot in den Sinn. Aber er wusste jetzt doch, dass ich es nicht ernst gemeint hatte, oder? Ich schluckte und versuchte ruhig stehen zu bleiben.
Nein, sicherlich meinte er nicht das. Warum sollte er auch?
„Ich meine es so, wie ich es gemeint habe und nicht anders." Kam seine ruhige Antwort.
„Aber meine Ausbildung ist noch nicht abgeschlossen und habe somit nicht alle Grundkenntnisse, die..."
Er unterbrach mich, indem er stirnrunzelnd seinen Jackett-Ärmel hochkrempelte und dabei, ohne mich anzuschauen, meinte: „Dann gibt es keine bessere Gelegenheit als es praktisch zu lernen."
Er zwinkert mir einmal zu, bevor er an mir vorbei lief und mich hier unter dem Baum stehen ließ.
„Aber Mr. Payne..." rief ich ihm geschockt hinterher, doch er drehte sich nur an der Tür einmal um und rief mir zu: „Vergiss die Kekse mit den Schokoraspeln nicht, Sophia, Sophia Smith!"
Dann verschwand er und ließ mich erstarrt und mit einem viel zu schnell klopfenden Herzen im Garten zurück.
Das war gar nicht gut.
Das war ganz und gar nicht gut.
Das war so nicht geplant.
Und es würde nicht gut gehen, das hatte ich im Gefühl...
Ich kam zu spät.
Ich hatte meine Mittagspause um zehn Minuten überzogen und Margarete war nicht zimperlich mit den Abzugspunkten. Ich nahm sie wortlos hin und begründete mein spätes Erscheinen mit der Teilwahrheit: Dass ich gelernt und die Zeit dabei vergessen hatte. Liam erwähnte ich dabei besser nicht, vorallem da Justice direkt neben uns gestanden hatte und mit einem hämischen Grinsen und spitzen Ohren gelauscht hatte. Nachdem ich mich mehrmals mit einem schlechten Gewissen entschuldigt hatte, wies mir, die etwas beleidigte Margarete endlich die Arbeit beim Obstschneiden zu. Ich glaubte, sie nahm es persönlich, dass ich zu spät kam. Da konnte ich nur hoffen, dass sie nicht ganz so nachtragend war...
Ich war erleichtert, als wir mit den Vorbereitungen des Abendbrotes fertig waren und ich die letzten Teller abtrocknen konnte.
Mein Blick huschte immer wieder zu der Uhr und leise aufseufzend versuchte ich immer von neuem, dass meine Gedanken nicht zu dem Gespräch mit Liam abschweiften. Ich schaffte es nicht.
Zu sehr machte mich der morgige Tag nervös, aber vielleicht war auch das wieder einer seiner Späße.
Kopfschüttelnd stapelte ich das Geschirr aufeinander und räumte sie in den Schrank.
Ich sollte mich auf meine Arbeit konzentrieren und nicht auf den Sohn meines Arbeitgebers.
Ich hatte diese unglaubliche Chance auf ein besseres Leben für mich und meine Familie bekommen, da sollte ich diese nicht durch meine Fehler aufs Spiel setzten.
„Sophia, du hast nun Schluss." Meinte Margarete und seufzte kopfschüttelnd auf. „Ich hoffe doch, du bist morgen wieder etwas fleißiger dabei."
„Natürlich, Margarete. Es tut mir Leid." Antwortete ich, legte aber erleichtert das Geschirrhandtuch weg.
Margarete machte nur eine wegschweifende Handbewegung und eilte dann zu einem anderen Küchenangestellten.
Geschafft fuhr ich mir durch die Haare, während ich mich auf den Weg in den Unterrichtsraum machte. Wenn ich ehrlich mit mir selber war, hatte ich überhaupt keine Lust darauf, mich von Avaria anschreien zu lassen.
Besonders da ich sicherlich für mein vergessendes Buch Punkte Abzug bekam... Mein Punktedurchschnitt sah bis jetzt nicht so rosig aus, wie ich es mir erhofft hatte...
Doch mir blieb keine andere Möglichkeit, wenn ich Clovy, Sam und Mum helfen wollte. Für sie musste ich es schaffen.
Auch wenn das einzige was ich jetzt noch wollte, schlafen war.
Schlafen und den nächsten Tag überspringen.
Schlafen und alle Probleme vergessen.
Schlafen und in einem neuen, besseren Leben aufwachen.
-
(26.06.2015)
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