-10- ➳ Ein Buch macht den Anfang
Die Arbeitszeit verging wie im Flug. Ich war wieder bei Flynn im Garten und ich konnte nicht bestreiten, dass ich diese Art von Arbeit viel mehr als die Küchenarbeit genoss. Auch wenn ich stundenlang unter der simulierten Sonne mein Kleid vollschwitzte, war ich zur Mittagspause immerhin schon mit dem Setzen von neuen Rosen fertig.
Denn Flynn wollte einen kleinen Teil des Gartens in ein sogenanntes ‚Rosenviertel' umwandeln und ein Teil der Umsetzung hatten wir bis zum Ende meiner Schicht geschafft.
Zwar hieß das für mich, dass ich kaum Pause gemacht, meine Haare mir angeschwitzt und aus dem Zopf gelöst im Gesicht gehangen haben und meine Hände mit Schrammen und Erde verziert waren, aber solange ich dabei helfen durfte, etwas zum Leben zu erwecken, waren mir sogar die kleinen Wunden, die die Dornen auf meiner Haut hinterlassen hatten, egal.
Durch Flynns freundliche, aber auch zielbewusste Art hatte ich gelernt, worauf es in der Gartenarbeit ankam und machte mich freudestrahlend mit zehn Pluspunkten in der Tasche auf den Weg zur Umkleide.
Ich musste mir keine Sorgen darum machen, dass ich vielleicht wieder Liam über den Weg laufen könnte, da ich von einer Frau, die auch mit im Garten geholfen hatte, erfahren hatte, dass dieser bis morgen Abend geschäftlich mit seinem Vater in den südlichen Skyscrapern unterwegs war.
Im Waschraum, den wir als Umkleideraum nutzten, fand ich schließlich eine miesgelaunte Leo vor.
„Was ist denn bei dir passiert?" fragte ich sie leicht verwirrt und zog, die nun etwas eingelaufenen Schuhen aus.
„Avaria ist passiert." Grummelte Leo als Antwort, zerrte sich ihr Arbeitskleid über den Kopf und stopfte es in ihr Fach. Ich überlegte, ob ich sie darauf hinweisen sollte, dass es so morgen ganz knitterig sein würde, aber im Anbetracht ihrer Laune ließ ich es lieber bleiben.
„Punkte?" fragte ich nach, während ich stirnrunzelnd meine Haare im Spiegel betrachtete. Ich müsste sie auf jeden Fall heute Abend noch waschen.
„Abzugspunkte, Geschrei vom Feinsten, eine kaputte Vase. Aber keine Sorge, das andere Mädchen, die ihren Namen wie ein dunkles Familiengeheimnis hütet, hat sie beim Putzen heruntergeworfen und dann geweint wie ein Wasserfall. Wir werden ja sehen, ob sie morgen noch bei uns im Unterricht sitzt..."
Leo zuckte die Schultern und schlüpfte in ihre helle Jeans.
„Oh." meinte ich nur, nicht sicher, ob ich Mitleid mit diesem Mädchen haben oder mich darüber freuen sollte, dass ich nun eine Konkurrentin weniger hatte. Kopfschüttelnd verdrängte ich diesen Gedanken. Immerhin könnte das Mädchen genauso von einer Festanstellung abhängig sein wie ich es war. Vielleicht würde ihr Rauswurf alles zerstören. Vielleicht müsste sie in eine niedrigere Etage ziehen.
„Bist du soweit?" fragte mich Leo und riss mich somit aus meinen Gedanken.
„Ja, gib mir noch eine Minute." Flüsterte ich, schlüpfte in Mums steife Bluse und knöpfte sie zu.
„Hast du schon gehört, dass Liam nicht da ist?"
Ruckartig schoss mein Kopf zu ihr, die mit dem Rücken zu mir stand und über die Schranktüren mit ihren Fingern glitt. Ich wusste nicht genau, wie ich ihre Frage deuten sollte, deswegen antwortete ich leicht verwirrt: „Ja. Ich habe es bei der Gartenarbeit erfahren. Er ist mit seinem Vater zu einer Ratssitzung in einem südlichen Skyscraper. Warum fragst du?"
„Nur so." Sie zuckte ihre Schultern und drehte sich zu mir um. „Und bist du fertig? Syra wartet auf mich." Zwinkernd wechselte sie das Thema und seufzend schlüpfte ich in meine Schuhe und griff nach meiner Jacke.
„Ja, ich bin jetzt soweit."
Schon wieder war ich alleine zuhause und ich bekam das Gefühl nicht los, dass Sam auch nicht so schnell wiederkommen wollte. Zumindest nicht jetzt, wo er ganz genau wusste, dass ich da war.
Seufzend ließ ich wieder einmal meine Jacke an, um der nasskalten Kälte zumindest etwas zu entwischen und öffnete wie heute Morgen schon alle Schränke, um nach etwa Essbarem zu suchen.
Mein Magen grummelte lautstark vor sich und ich wäre sicherlich während meiner Arbeitszeit verhungert, wenn Flynn mir nicht einen Apfel mit der Begründung, dass dieser ab sofort immer zur Gartenarbeit dazu gehörte, gegeben hätte.
Ich hatte aber eher die Vermutung, dass er mein viel zu lautes Bauchgrummeln gehört hatte.
Im letzten Schrank hatte ich schließlich Glück und fand hinter dem Becher mit dem Geld ein kleines Paket Cracker. Während ich die Cracker abzählte und im Kopf ausrechnete wie viele ich essen durfte, damit noch genügend für Sam und Clovy übrig waren, klopfte es an der Tür. Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, ging die Tür auf und Eleanor kam zum Vorscheinen.
„Hey." Meinte sie und schenkte mir ein erschöpftes Lächeln. „Du hast nicht abgeschlossen."
Grinsend schüttelte ich meinen Kopf und zog sie in eine Umarmung. „Ach wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht."
Sie erwiderte meine Umarmung, ging aber nicht auf meinen Spaß ein. Etwas war anders.
„Ist alles okay, Ellie?" fragte ich vorsichtig und drückte sie an ihren Schultern von mir weg, um ihr schmales Gesicht zu mustern.
„Ja klar. Ich bin nur etwas kaputt von der Arbeit." Sie lächelte und ihr Blick fiel auf die Cracker auf den Tisch. „Oh ihr habt ja Keksbrot!"
Ich musste über ihre Ausdrucksweise lächeln und ohne lange zu überlegen meinte ich: „Wollen wir in den Park gehen? Ich kann dir etwas von meinen Crackern abgegeben, wenn du willst."
Unsicher blickte meine Freundin zu mir und ich wusste mit einem Blick, dass sie innerlich mit sich selbst rang. Sie wusste nicht, ob sie dem Hunger nachgeben oder standhaft bleiben sollte und mir somit nichts wegzuessen.
Aber bevor sie sich gegen meinen Vorschlag aussprechen konnte, griff ich schon mit einer Hand nach meinen kleinen Stapel Cracker und mit der anderen nach ihrem dünnen Arm.
„Nun komm schon, Ellie. Im Park ist es auch nicht so nasskalt wie hier in der Wohnung."
„Das ist nicht dein Ernst!" Eleanors Stimme war in ein Quietschen übergegangen und beinahe fiel ihr ein Stückchen vom Cracker aus dem Mund. „Du hast die unfassbar geniale, wunderschöne, absolut fantastische Danielle getroffen? Die Danielle Peazer?"
Ich nickte und behielt meine beste Freundin fest im Blick. Mir fehlte gerade noch, dass sie mir an Atemnot starb.
„Oh. Mein. Gott." Sie strich sich mit ihrer Hand durch die Haare und schüttelte ihren Kopf. „Was für ein unglaubliches Glück du doch hast! Nun erzähl mal, wie war sie und wie war er so drauf?" Gespannt beugte sie sich vor, hatte wohl schon vollkommen ihren angeknabberten Cracker vergessen und sah mich aus ihren braun-grünen Augen erwartungsvoll an.
Tief holte ich Luft, da ich schon wusste, dass ich ihr alles haargenau erzählen musste. „Liam hatte aufgetragen, dass ich ihm Tee bringen muss und hat mich auf meinen Wohnzustand angesprochen..."
„Warte, er hat nach dir gefragt?" unterbrach mich Eleanor und hob irritiert eine Augenbraue. Ich nickte als Antwort.
„Wie komisch ist das denn?" Eleanor lehnte sich wieder an die Rückseite der Bank, die gefährlich auf quietschte.
„inwiefern?" fragte ich sie daraufhin, nicht sicher, wie genau sie es meinte.
„Warum sollte Liam ausgerechnet nach dir schicken, wenn jeder andere, die sich auch damit auskennt, ihm Tee hätte bringen können? Und dann hat er gefragt, wo du wohnst?"
Ich biss auf meine Lippe und nickte. Eleanor runzelte ihre Stirn und schüttelte erneut ihren Kopf, sodass ihr eine Haarsträhne ins Gesicht fiel. Ungeduldig strich sie sich diese hinter ihr Ohr. „Findest du das nicht auch komisch?" Eleanor warf mir einen fragenden Blick zu und ratlos zuckte ich meine Schultern. Doch erst ihre Reaktion hatte mir deutlich gemacht, dass es wirklich nicht normal war.
Aber warum hatte er es dann gemacht?
„Na gut, darüber können wir uns später noch Gedanken machen. Nun erzähl erstmal weiter." Und da war wieder die Eleanor, die vor Neugierde nur so sprühte.
Mehrmals musste ich ihr alles erzählen und ihr bis ins kleinste Detail das Kleid von Danielle erklären, da es sich ja vielleicht - laut Eleanor - um ein neues, selbstdesignierte Kleid von Danielles Fashionmarke handeln könnte.
„Und Liam ist gerade in einem südlichen Skyscraper?" hakte Eleanor noch mal nach.
„Ja, Eleanor. Er und sein Vater sind dort auf einer Sitzung. Können wir jetzt endlich mal zu dir kommen?" stöhnte ich und starrte sehnsüchtig auf die Crackerkrümel, die auf dem Boden lagen. Ich hatte immer noch Hunger.
„Sicherlich trifft er sich dort mit Danielle. Immerhin lebt sie im Skyscraper Süd 12."
„Oder aber er ist auf einer Ratssitzung." Erwiderte ich grummelnd.
Eleanor, die wohl bemerkt hatte, dass ich nicht mehr darüber reden wollte, beugte sich vor und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Ach, Soph. Tut mir leid. Du weißt ja wie ich bin. Nun bist du an der Reihe - frag mich was du willst."
Sofort war mein Ärger verschwunden und ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
„Dann erzähl mir doch von deinem Arbeitstag."
„Ich war wieder in der Küche und so wie es aussieht werde ich dort auch nicht so schnell wegkommen. Eine Küchenhilfe hat sich in die Hand geschnitten und kann vorerst nichts mehr halten. Ich springe so gesehen also als Ersatz ein. Aber es macht Spaß."
Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen und interessiert fragte ich nach: „Wirklich? Ist die Aufsicht in der Küche nicht so streng?"
Das Lächeln wurde noch breiter und ihre Augen funkelten mich freudig an. „Naja schon, aber der Koch gibt mir Tipps wie ich den Horror überlebe." Sie fing leicht an zu lachen und sofort wusste ich, dass sie wohl an eine bestimmte Situation von heute zurückdachte.
„So, so, der Koch also?" Ich zwinkerte ihr verschwörerisch zu und lehnte mich auch auf der Bank zurück.
„Ach hör doch auf." Meinte Eleanor und wandte ihr Gesicht ab. Die verräterische Röte erkannte ich aber dennoch in ihren Wangen.
„Eleanor Jane Calder! Du willst mich doch wohl nicht etwa belügen?" Rief ich gespielt ernst. Wir waren alleine im Park, so wie immer, und mussten somit keine Angst haben, dass wir belauscht wurden.
„Ich belüg dich nicht."
„Dann sag mir die Wahrheit über den Koch."
Eleanor verdrehte ihre Augen, doch an ihrem Grinsen erkannte ich, dass sie nicht auf mich sauer war. „Er ist lustig."
„Aha, lustig kann auch Pietro vom Marktstand sein." Meinte ich, um noch mehr aus ihr hervorzuholen.
„Ach hör doch auf. Zumindest ist er lustiger als du!" erwiderte sie und boxte mir spielerisch gegen die Schulter.
Geschockt griff ich an mein Herz und schüttelte meinen Kopf. „Das kann nicht wahr sein! Keiner kann lustiger sein als ich. Muss ich Angst haben, dass er mir meine beste Freundin wegnimmt?"
„Zumindest kann er auch besser kochen als du." Antwortete Eleanor und überschlug ihre Beine.
„Deswegen ist er ja auch Koch und nicht ich, meine liebe Ellie." Konterte ich und forderte sie mit einer Handbewegung dazu auf weiterzureden.
„Er ist die ganze Zeit laut. Entweder redet er mit jemand lautstark oder singt Lieder, die keiner kennt. Das lenkt zwar etwas ab, macht die Arbeitsatmosphäre aber entspannter."
Ich musste anfangen zu lachen und musterte Eleanor. „Du stehst also auf singende Köche?"
„Sophia! Man kann hier schlecht von ‚auf jemanden stehen' sprechen." Widersprach sie mir und haute mir erneut gegen den Arm.
„Aber du magst ihn?" Ich zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Das Grinsen bekam ich nicht mehr von meinem Gesicht weg, als Eleanor schließlich genauso grinsend antwortete: „Wie kann man keine singende Köche mögen?"
„Zum Beispiel wenn sie nicht singen können?" warf ich in den Raum und stand von der Bank auf. Eleanor tat es mir gleich. Es war spät geworden und ich sollte mal so langsam wieder nach Hause gehen, um zu schauen ob meine Geschwister schon wieder da waren und etwas gegessen hatten.
„Louis kann singen." Kam es wie aus der Pistole geschossen von Eleanor.
Erneut konnte ich mir ein Zwinkern nicht verkneifen. „So, so. Louis also..."
Kichernd umarmten wir uns und in diesem Moment wurde mir klar, dass es schön war, Eleanor als beste Freundin zu haben. Vielleicht hatte sie mich über Liam und Danielle ausgefragt, aber dennoch hatte sie mich in dieser Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, abgelenkt. Für einen kurzen Moment konnte ich, aber auch sie, all unsere Sorgen vergessen.
Insgeheim wusste ich aber, dass sich dies wieder ändern würde, sobald ich Eleanor loslassen und nach Hause gehen würde.
Und so war es auch. Sam und Clovy waren immer noch nicht da. Da die Cracker unberührt auf dem Tisch lagen, wusste ich, dass sie auch nicht zwischendurch da waren. Kopfschüttelnd kümmerte ich mich um den Abwasch, den ich heute Morgen nicht geschafft hatte, da ich verschlafen hatte.
Als alle Teller fein säuberlich in den Schränken gestapelt waren, schüttelte ich schon einmal für meine Eltern die Schlafdecke aus und legte sie zusammengefaltet auf die Sitzbank.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich mich auch so langsam Bett fertig machen sollte.
Wo waren Sam und Clovy bloß?
In einer halben Stunde würde die Sperrstunde anfangen und sie hatten keine Genehmigung, um alleine in den Korridoren herum laufen zu dürfen.
Außerdem wollte ich noch mit Sam sprechen.
Der nächste Gedanke drehte meinen Magen um, denn was wäre, wenn Sam wieder etwas stahl? Woher hatte er den Schmuck eigentlich?
Wo hatte er ihn versteckt?
Gerade als ich unter seiner Matratze nachschauen wollte, klapperte die Wohnungstür und sofort stürmte ich in den Wohnraum.
„Sam?" fragte ich, traf aber nur auf Mum. „Oh, hi Mum."
Sie lächelte mir erschöpft zu und zog sich ihren Mantel aus.
„Mum, weißt du, wo Sam und Clovy sind?"
„Nein, weiß ich nicht, mein Schatz. Hast du zufällig ein Glas Wasser für mich? Auf der Arbeit ist die Leitung mal wieder kaputt und ich habe vergessen, mir etwas mitzunehmen."
Ich griff nach einem Glas aus dem Küchenschrank und drehte den Wasserhahn auf. „Soll ich nach ihnen suchen? Es ist schon spät."
Ich wartete, bis das braune Wasser, das aus dem Hahn kam, endlich etwas klarer wurde und hielt dann das Glas unter den Wasserstrahl.
„Ach Liebes. Mach dir nicht so viele Sorgen. Sam ist alt genug und verantwortungsbewusst. Er ist sicherlich mit Clovy bei einem Freund und kommt gleich wieder."
Ich reichte ihr das Glas, was sie dankend an ihre Lippen legte. Ich hingegen schüttelte den Kopf. Sam war sicherlich nicht bei einem Freund, das hatte ich im Gefühl. Aber dies konnte ich Mum nicht sagen, ohne ihr von dem nächtlichen Ausflug zu erzählen. Das würde dazu führen, dass Sam auch mich verraten könnte und da ich nicht wusste, ob er auch über die gefälschte Prüfbescheinigung Bescheid wusste, musste ich dies erstmal außen vorlassen.
Außerdem würde auch Mum nicht viel daran ändern können und müsste nur noch mit einer weiteren Sorge kämpfen müssen. Das wollte ich ihr nicht zumuten.
Gerade als ich sie nach ihrem Tag fragen wollte, ging erneut die Wohnungstür auf und Sam kam mit Clovy auf dem Arm herein.
„Hallo Mum, hi Soph. Ich war eben noch bei einem Freund mit Clovy." Meinte Sam und ich spürte wie Mum mir einen Blick zu warf. Ohne ihn richtig sehen zu müssen, wusste ich, dass es dieser Habe-ich-es-dir-nicht-gesagt-Blick war.
Ich kniff nur die Augen zusammen und musterte Sam wie er seine Schuhe auszog.
„Soph?" Clovy streckte ihre Arme nach mir aus. „Bist du sauer?"
Sie hatte wohl mein Blick bemerkt, denn sofort lächelte ich und blickte in ihr besorgtes Gesicht.
„Ach Quatsch, süße Maus. Aber nun komm, du musst ins Bett, es ist schon spät."
Ich nahm sie aus Sams Armen und setzte sie neben Mum auf die Sitzbank.
„Hallo meine Prinzessin." Mum strich ihr einmal über das Haar.
„Mum, du kannst ihr die vier Cracker geben. Die anderen vier sind für Sam. Du hast doch schon gegessen, oder?" fragte ich sie, während ich Clovys Schuhe auszog.
Nickend reichte sie Clovy zwei Cracker, welche diese begeistert aß.
„Ich bringe sie eben ins Bett." Meinte Mum und hob meine kleine Schwester auf den Arm.
Als die beiden in unser Schlafzimmer verschwunden waren, drehte ich mich abwartend zu Sam um. Schnell hob dieser die Hände zu einer abwehrenden Geste und schüttelte den Kopf.
Dann legte er einen Finger an seine Lippen und schweifte mit seinem Blick zu der Tür, durch die Mum eben verschwunden war.
„Mum ist zwar da, Sam, aber du bist noch lange nicht raus aus dieser Nummer." Flüsterte ich und verschränkte die Arme. Er zuckte nur mit den Schultern und wollte sich an mir vorbei drängeln, doch ich hielt ihn auf.
„Die Cracker sind für dich." Seine Taschen waren nicht ausgebeult, das hieß zumindest, dass er nichts gestohlen hatte. Beziehungsweise es nicht hier bei sich hatte.
Oder irrte ich mich?
„Ich habe schon gegessen." Murmelte er und ließ seinen Blick gesenkt.
„Wo das denn?" fragte ich verblüfft und sah stirnrunzelnd auf die vier Cracker auf dem Tisch.
„Bei meinem Freund. Kann ich jetzt schlafen gehen? Ich bin müde. Du musst doch auch früh aufstehen..."
Er wand sich aus meinen Griff und huschte in unser Zimmer. Nachdenklich sah ich ihm hinterher und verstaute die Cracker dann kopfschüttelnd wieder in den Schrank.
Entweder würden wir morgen dann ein Frühstück haben oder Dad würde sie finden und essen.
Mum kam wieder aus dem Zimmer und warf mir einen müden Blick zu.
„Wenn du doch noch Hunger hast: Es sind noch ein paar Cracker im Schrank." Meinte ich und stellte ihre Schuhe beiseite, die achtlos auf dem Boden lagen.
„Danke mein Schatz, aber ich möchte nur noch schlafen."
Ich nickte und wollte gerade gehen, als sie mich noch einmal zurückhielt: „Ach Sophia: Wir haben so lange nicht mehr geredet. Du musst mir noch von deiner weiteren Ausbildung erzählen."
Ich sah ihr an, dass sie nur aus Schuldgefühlen nachfragte, deswegen umarmte und küsste ich sie auf die Wange.
„Aber nicht mehr heute, Mum. Du schläfst ja gleich im Stehen ein. Gute Nacht, ja?"
Ein Lächeln, das aber nicht ihre Augen erreichte, machte sich auf ihrem Gesicht breit. Auch wenn es nicht echt war, so ließ es sie doch gleich viel jünger und entspannter wirken.
„Okay, meine Kleine. Schlaf gut."
Ihre grünen Augen blickten mir hinterher, als ich in das andere Zimmer verschwand.
Ich hatte vergessen zu lernen.
Dies wurde mir klar, als ich bei der Arbeit Justice über das Gelesene sprechen hörte.
Ich war wieder für die Küche eingetragen wurden und Leo und ich hatten bereits von Avaria jeweils zwei Minuspunkte bekommen. Ich wieder einmal für meine zerzausten Haare und Leo für das zerknitterte Kleid. Sofort hatte ich Schuldgefühle bekommen, da ich sie am Tag davor nicht darauf hingewiesen hatte, dass sie das Kleid besser ordentlich zusammenfalten sollte.
In der Mittagspause suchte und fand ich schließlich eine Brot essende Leo in dem Aufenthaltsraum vor.
„Hey, hast du auch Pause?" fragte sie mich leicht schmatzend ich und ich nickte.
„Ja, hast du zufälligerweise dein Buch mit? Ich habe meins vergessen und vergessen..."
„Vergessen zu lernen...? Aber ja, meins liegt noch im Garten, weil ich dort gearbeitet habe... Flynn erlaubt dir bestimmt, es eben zu holen."
Dankbar nickte ich und und verließ dann die Welt der Angestellten und betrat die von Luxus und Reichtum.
Ich klopfte einmal leise gegen die Tür zum Garten und öffnete sie zögernd, als ich selbst nach ein paar Sekunden keine Antwort bekam.
„Flynn? Bist du da?" Ich wartete ein paar Sekunden, bis ich schließlich unsicher auf den Gartenweg trat und die Tür hinter mir schloss.
Alles war ruhig und die Wärme, sowie die vielen Gerüche hüllten mich wieder einmal ein und entspannten meine Muskeln.
Ich sah mich einmal um, aber als ich keinen Flynn oder eine andere Person entdeckte, die ich hätte um Erlaubnis bitten können, machte ich mich auf die Suche nach Leos Tasche, die sie mit sich genommen hatte.
Die Hitze brachte meine heraushängenden Haarsträhnen dazu, sich zu locken und genervt strich ich sie hinter meine Ohren. Als ich bereits bei dem großen Baum angekommen war, entdeckte ich endlich die rote Tasche hinter dem Baum auf der Bank hervorlugten.
Seufzend griff ich nach dem Henkel, doch im nächsten Moment ließ ich sie wieder erschrocken fallen, als eine Stimme hinter dem Baum ertönte: „Was suchst du denn genau, Sophia, Sophia Smith? Willst du mir ein neues Angebot machen?"
„Oh Gott, Sie haben mich erschreckt." Mein Herz raste wie wild und verzweifelt versuchte ich, mich zusammen zu reißen. Das Blut schoss trotzdem in meine Wangen, doch ich versuchte jetzt erst gar nicht, ihm von dieser 'Angebot'-Geschichte abzubringen. Er machte sich einen Spaß daraus.
„Ist dir schon einmal aufgefallen, dass du immer ‚Oh Gott' sagst, wenn wir uns sehen? Hat es vielleicht damit zu tun, dass du dieses Wort mit mir verbindest?"
Überrumpelt blinzelte ich und ging mit langsamen Schritten um den Baum herum, um die Tasche wieder aufheben zu können.
„Es tut mir Leid, Mr. Payne." Murmelte ich schließlich unsicher und kniete mich auf den Boden, um die Tasche und das herausgefallene Buch aufzusammeln. Die Röte in meinen Wangen war sicherlich nicht zu übersehen und meine Gedanken rasten.
Liam saß in einem Anzug auf der Bank und beobachtete mich interessiert. Schwitzte er nicht vollkommen in den langen Sachen?
„Was tut dir Leid, Sophia?" Er beugte sich belustigt zu mir vor und leise antwortete ich: „Dass ich Sie gestört habe, ich dachte, Sie wären noch in den südlichen Skyscrapern unterwegs und..."
„Meine Liebe, weißt du woraus Gerüchte entstehen? Sie entstehen daraus, wenn Menschen, die etwas glauben zu wissen, dies weiter sagen..." Er lehnte sich wieder zurück und ich verstummte. Ich hatte eindeutig etwas Falsches gesagt.
Mein Herz beruhigte sich nun erst recht nicht und ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich unwohl ein weiteres Mal mein Wort an ihn richtete: „Ich werde Sie nun nicht weiter stören, Mr. Payne."
Sein Blick war auf die Pflanzen gerichtet und die Hände hatte er in seinem Schoß ineinander verschränkt. War es also wirklich nur ein Gerücht gewesen, dass er unterwegs war?
Gerade als ich mit schnellen Schritten aus dieser unglaublich unangenehmen Situation verschwinden wollte, sah er auf und meinte mit ruhiger Stimme: „Bleib hier, Sophia, Sophia Smith. Vielleicht lernt es sich hier besser als in einem überfüllten Raum."
(19.06.2015)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro