-40- ➳ Identifikation
Stefanie.
Der Name rauschte in meinen Ohren und sofort tauchte vor meinem inneren Auge das Bild eines jüngeren Mason auf, der zusammen mit diesem Mädchen um die Skyscraper streifte.
Doch sie wurden erwischt und ihre Familien bestraft, während sie bei Niall Zuflucht finden konnten.
Jedoch hatte Mason davon gesprochen, dass Stefanie tot wäre.
Und seiner Reaktion nach zu urteilen, hatte er dies wirklich geglaubt.
Doch wie konnte Stefanie – Steff, nun hier sein?
„Ihr kennt euch?", durchbrach Briana meine wirren Gedankengänge, die zu keiner klaren Erkenntnis kommen wollten.
„Es ist lange her", fing Stefanie langsam an, während sie ihren Blick immer noch nicht von Mason abwenden konnte und dieser anfing lachend den Kopf zu schütteln.
„Der Tod dauert unendlich, da sind fünf Jahre nichts...", erwiderte Mason, nachdem er sich gefasst hatte. Man hörte die Verbitterung in seiner Stimme. „Es sei denn, man ist gar nicht tot." Alle um uns herum schienen wie erstarrt, spürten, welch eine Anspannung von Mason und Stefanie ausgingen.
„Mason...", setzte das Mädchen an, das ihm einst so viel bedeutet haben müsste, und trat einen Schritt auf ihn zu. In ihrem Gesicht konnte ich die Verzweiflung erkennen, doch Mason ging nicht darauf ein.
Angewidert verzog er sein Gesicht, entledigte sich in einer einzigen Bewegung seinen Rucksack und warf keine Sekunde später seine Waffe daneben.
„Wisst ihr was, hier habt ihr die Scheiße, aber denkt bloß nicht, ich bringe euch das gewünschte Verständnis und Vertrauen entgegen." Sein Blick traf auf den von Stefanie. „Besonders dir nicht, Stefanie."
Bevor eine weitere Sekunde verstreifen konnte, hatte Mason sich schon in Bewegung gesetzt und lief den Gang entlang. Stefanie sah ihm hinterher, während Thalia, ohne ein Wort zu der Situation fallen zu lassen, Mason folgte und ihm den Weg zeigte.
Dann, als sie um die Ecke verschwanden, seufzte Stefanie auf, fuhr sich einmal durch ihre Haare und blickte wieder zu uns.
Als ihr Blick auf Niall fiel, erschien für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln.
Genauso schnell verschwand es aber wieder.
„Warum seid ihr hier, Niall?"
„Genau das Gleiche könnten wir dich auch fragen", erwiderte er nur.
Langsam nickte Stefanie. Sie verstand, was er meinte.
Als sie jedoch Brianas intensiven Blick auf sich spürte, meinte sie lediglich: „Auch wenn ihr es seid, ändert es nichts an den Bestimmungen. Wenn ihr von hier an weiter kommen wollt, müsst ihr eure Sachen hier lassen."
Komischerweise war Megs die erste, die vor trat und ihre Waffe niederlegte. Jenia folgte ihr.
Gerade, als Christopher mit einer grimmigen Miene seinen Rucksack in Felix' Hände drückte, nicht jedoch, bevor er wütend seine Hände zu Fäusten ballen konnte, sah ich es.
Ich beobachtete immer noch Megs, sah, wie sie ihren Rucksack losschnallte und ihn auf den Tisch legte. Als Briana ihn jedoch entgegennehmen wollte und gleichzeitig von Nialls Fluchen abgelenkt wurde, verschwand Megs Hand für den Bruchteil einer Sekunde in einem Seitenfach. Hätte ich geblinzelt, hätte ich es sicherlich nicht mitbekommen, so schnell hatte sie ihre Hände wieder hinter ihrem Rücken verschränkt. Dann trat sie einen Schritt nach hinten. Mein Herz raste.
Was hatte sie vor?
Dann jedoch konnte ich das Fotopapier und die gewellten Ecken erkennen, bevor sie sich ihr kleines Andenken in den Hosenbund schob.
Trotz all meiner Vermutungen hatte sie keine Waffe versteckt – dies hier war keine Gefahr, kein Notfallplan, auch wenn ich mir dies insgeheim erhofft hatte.
Es war lediglich eine Erinnerung, die sie nicht verlieren wollte.
Ihr Familienfoto, das ich schon vor zwei Wochen in dem unterirdischen Bunker entdeckt hatte.
Ich wünschte, ich hätte auch so eines.
„Sophia, Sophia Smith?"
Ich blinzelte, als Liams Stimme mich aus meinen Gedanken riss.
Mein Blick traf auf seinen und mir wurde bewusst, dass ich die Einzige war, die noch immer den Rucksack und meine Waffe trug.
Alle Blicke lagen auf mir und unwohl versuchte ich jeglichen Blickkontakt zu vermeiden, als ich Schnalle für Schnalle löste und meinen Rucksack langsam ablegte.
Es fühlte sich so an, als würde ich mein Todesurteil unterschreiben, als ich schlussendlich an Liam vorbeitrat und Felix meine Sachen überreichte.
„Keine Sorge, du wirst sie wiederbekommen", versprach er mir und versuchte mir aufmunternd zu zuzwinkern, doch ich konnte nur schlucken und nicken.
„Steff, bist du dir sicher, dass du alleine zurechtkommst?", fragte Briana und ich hörte sofort die Vorsicht in ihrer Stimme.
„Natürlich!" Das braunhaarige Mädchen lächelte und stemmte die Hände in die Hüfte. „Nicht umsonst übe ich diesen Job aus, Bree. Du müsstest es am besten wissen."
Ich konnte sehen, wie Niall bei Stefanies Worten das Gesicht verzog.
Stefanie drehte sich zu uns um und sprach mit lauter Stimme: „Folgt mir einfach, wir müssen zuerst zu den Sanitären Anlagen."
Sie setzte sich in Bewegung und als zusammengedrängte Gruppe folgten wir ihr.
Ohne das altbekannte Gewicht des Rucksackes und die Sicherheit meiner Waffe fühlte ich mich seltsam nackig und drückte mich instinktiv näher an Sam.
Wir folgten Stefanie durch einen breiten Korridor, an dessen Wände robuste Rohre verliefen und von der Decke Neonröhren ein flackerndes Licht auf uns warfen.
Ich bekam mit, wie Niall und Megs bedeutsame Blicke untereinander tauschten, doch was sie stumm zu bereden schienen, wussten nur die beiden.
Hin und wieder kam uns jemand entgegen, der uns neugierig musterte, aber genauso schnell auch wieder verschwand.
Als wir schlussendlich bei einer Abzweigung abbogen und Stefanie vor einer breiten, schweren Tür aus dunklem Metall stehen blieb, schlug mein Herz erneut bis zum Hals.
„Wir sind gleich da."
Sie warf uns einen Blick über die Schulter zu, während sie eine Art Chipkarte gegen einen Sensor drückte und somit die Tür summend aufschwang.
Es hatte Ähnlichkeiten mit der Technologie der oberen Sektoren, wirkte jedoch um einiges einfacher gestrickt.
Vor uns erstreckte sich ein weiterer Gang, der jedoch – im Vergleich zum vorherigen – um einiges gepflegter aussah. Die Wände waren zwar noch immer aus rauem Gestein, doch mit weißer Farbe übergestrichen. Fliesen zierten den Boden und mehrere Türen mit kreisrunden Fenstern säumten den Gang.
Dennoch jagte es mir einen Schauer nach den anderen über den Rücken, als wir langsam weiterliefen.
„Ihr müsst euch gleich nur eine Identifikation und einer Säuberung durchziehen. Es ist nur halb so schlimm, wie es klingt", versuchte Stefanie die Anspannung aus der Luft zu lösen, die sich von Sekunde zu Sekunde stärker bemerkbar machte.
„Eine Identifikation?", hakte Megs nach. Ihre Stimme klang gereizt.
„Ja, genau." Stefanie blieb bei der ersten Tür stehen, öffnete sie erneut mit ihrer Chipkarte und hielt für uns die Tür auf. „Wir müssen wissen, wer ihr seid, damit wir euch entweder aufnehmen und bei uns registrieren, oder ein Visum ausstellen können."
Sofort huschte mein Blick zu Liam und an seinen zusammengepressten Lippen erkannte ich sofort, dass wir das gleiche dachten.
Er durfte auf keinen Fall identifiziert werden.
Als er meinen Blick bemerkte, legte er leicht den Kopf schief und setzte ein leichtes Lächeln auf. Automatisch entspannte ich etwas und nickte.
Es war komisch, aber ich wusste sofort, dass er mir mit diesem Lächeln signalisieren wollte, dass er bereits einen Plan hatte.
Stefanie trennte uns nach Geschlechtern und zuerst wollte ich krampfartig Sams Arm festhalten, bis ich realisierte, dass in dieser kurzen Zeit der Trennung schon nichts passieren würde. Außerdem wären die anderen bei ihnen.
Während die Jungs von einem schweigsamen, älteren Mann, der urplötzlich aufgetaucht war, in einen anderen Raum geführt wurden, folgten Jenia, Megs und ich Stefanie in ein geräumiges Bad.
Die hellen Fliesen könnten freundlich wirken, doch die Stille, die uns umgab und nur durch unsere widerhallenden Schritte durchbrochen wurde, schien uns alle regelrecht erdrücken zu wollen.
Eiserne Duschvorrichtungen säumten eine Seite des Raumes. Plastikvorhänge dienten dabei als geringfügigen Sichtschutz. Sonst hatte das Bad nicht viel mehr zu bieten. Eine schmale Bank stand am anderen Ende, auf der bereits mehrere Handtücher bereit lagen.
„Hier könnt ihr eure Sachen liegenlassen und euch waschen. Handtücher sind schon hier, aber bevor ihr eure neuen Anziehsachen anziehen könnt, müsst ihr noch durch den Desinfizierter und den Strahlenmesser."
Ich verzog meinen Mund, sagte aber nichts.
„Okay." Stefanie seufzte einmal auf und stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Habt ihr noch Fragen? Sonst würde ich euch nun passende Kleidungsstücke organisieren."
„Ja, wie wäre es mit einer Erklärung, warum du auf einmal von den Toten auferstanden bist?", schoss es sofort aus Megs heraus und herausfordernd hob sie ihr Kinn an. Sofort erstarrte Steff, bis sie sich nach ein paar Sekunden wieder gefasst hatte.
Lange sah sie Megs mit einem undefinierbaren Blick an, bis sie erneut aufseufzte und den Kopf schüttelte.
„Ich habe nie vorgegeben tot zu sein, Megs", gab sie schließlich als Antwort.
„Und warum hat Mason dies dann gedacht?" Megs gab sich nicht zufrieden und mein Blick huschte zwischen den beiden hin und her.
Stefanie strich sich eine dunkle Haarsträhne hinter ihr Ohr.
„Wenn man verschwindet, wird man zuerst vermisst. Und dann, irgendwann wird man nicht mehr vermisst, sondern für tot erklärt. Mason wusste, dass ich schon immer verschwinden wollte, nur dieses Verschwinden hat er dann falsch gedeutet."
Sie löste ihren Blick von Megs, griff nach einem Handtuch auf der Bank und drückte es der perplexen Megs in die Arme.
„Mason hätte wissen müssen, wo er mich suchen müsste. Wir haben immer davon gesprochen, nächtelang. Auch wenn es nicht sein Plan war, so wusste er doch, dass es immer mein Traum gewesen war und ich ihn auch ohne ihn verfolgen würde."
Bevor sie aus dem Raum verschwand, stockte sie noch für einen Moment und fügte leise hinzu: „Die Stefanie aus den Skyscrapern ist an jenem Tag wirklich gestorben. Zuerst ein Stückchen zusammen mit ihrer Familie und dann, als sie Mason im Inneren gelassen hatte. Hier draußen bin ich Steff."
Die Dusche war ein Geschenk des Himmels.
Zwar wurde das Wasser nicht ganz heiß und meine Vorrichtung war nicht richtig befestigt, sodass das Wasser in jegliche Richtung spritzte, aber dafür ließ ich genüsslich meine Schultern kreisen, während das lauwarme Wasser auf meinen Körper prasselte.
Auch von den anderen beiden hörte ich Laute des Genießens.
Eine Dusche war ein wahrer Luxus und sofort fühlte ich mich an den Tag nach Junes Geburt zurückversetzt. Nur knapp über einem Monat war es her, dass Leo mich freudestrahlend von dem Ausbildungsplatz abgeholt und mich mit ins Krankenhaus genommen hatte, damit ich ihre Nichte bewundern konnte. Damals musste ich auch solch ein Reinigungsprogramm über mich ergehen lassen und doch hätte ich liebend gerne noch weitere fünf Minuten unter der Dusche gestanden, bevor ich in das Krankenzimmer gegangen war.
Und nun konnte ich wirklich so viel länger hier einfach nur stehen.
Mit geschlossenen Augen ließ ich es einfach auf mich wirken. Ich breitete die Arme aus, berührte mit meinen Fingerspitzen das nasse Plastik der Trennwand und spürte, wie die kleinen Tropfen über meinen Körper rannen. Einige sammelten sich an meiner Nasenspitze, wollten mir unter die Augenlider schlüpfen und verfingen sich in meinen Wimpern. Automatisch musste ich lächeln.
„Ich bin im Himmel, buchstäblich", hörte ich Megs neben mir hauchen und im Stillen stimmte ich ihr zu. Zumindest für diesen Moment.
Für diesen Augenblick erlaubte ich es meiner naiven Seite nämlich, einfach nur zu genießen.
Denn mein Körper hatte es bitter nötig.
Die Seife bestand aus einem einzigen Klotz und nachdem ich damit meinen gesamten Körper abgeschrubbt hatte, brannte meine Haut und zeigte rote Flecken auf. Dafür flossen Tonnen an dreckigem Wasser in den Abfluss und faszinierend verfolgte ich den kleinen Wasserstrudel aus Dreck, bevor er verschwand. Die Stoffarmbänder an meinem Handgelenk trug ich noch immer, doch das Blut, das sich in die Fasern gefressen hatte, verschwand nicht.
Ich war die Letzte, die aus der Dusche trat. Ich beeilte mich, mich mit einem Handtuch abzutrocknen und wollte gerade nach meinen dreckigen Anziehsachen greifen, als Stefanie, gefolgt von Thalia wieder das Bad betrat. Beide trugen einen Stapel an gefalteten Kleidungsstücken und als Stefanie sah, wie ich mich gerade wieder anziehen wollte, schüttelte sie den Kopf und drückte mir ein Bündel in die Hand.
„Die Sachen werden weggeschmissen, es sei denn, ihr wollt sie aufbewahren, dann kommen sie in die Quarantäne zu euren Rucksäcken und Waffen."
Ich stockte und mein Blick fiel auf meine schnürbaren Wanderstiefel, die mir zwar schmerzende Füße gebracht, aber gute Dienste geleistet hatten.
„Wir behalten sie, solch eine Windjacke bekommt man nirgendwo sonst!", merkte Megs mit einem giftigen Ton an, während sie gleichzeitig Thalia beinahe ein Bündel aus der Hand riss, ihre Sachen zusammenklaubte und der Rothaarigen im Gegenzug gab. „Und nun, wo ist das Desinfektionsduschteil?"
Megs war geschickt. Das hatte ich schon immer an ihr bewundert und doch wurde mir nun wieder einmal bewusst, wie verbissen sie darauf aus war, dass zu erreichen, was sie schaffen konnte und auch wollte. In diesem Fall war es, das Foto aus ihren alten Sachen zwischen die Stofflagen des neuen Bündels zu schieben, ohne, dass einer von den beiden jungen Frauen etwas bemerkte.
Denn diese waren damit beschäftigt, über ihre ruppige Ausdrucksform die Stirn zu runzeln und gleichzeitig uns zu erklären, wie der nächste Schritt ablaufen würde. Wir würden in eine Art Kabine geführt werden und nach nur wenigen Sekunden vollständig desinfiziert sein.
Als wir Steff folgen wollten, sortierte ich noch einmal erneut mein Bündel und spürte im gleichen Moment einen brennenden Blick auf mir. Als ich meinen Blick hob, sah ich, wie Thalia mich fixierte.
Oder eher die Stoffarmbänder an meinem Handgelenk.
Instinktiv schob ich meinen Arm unter die Stofflagen, doch es war bereits zu spät.
„Was hast du da am Arm?", hakte sie nach, wobei wir beide mehr als genau wussten, dass sie es bereits ganz genau wusste.
Steff blieb stehen und auch Megs und Jenia drehten sich zu uns um.
Thalia kam zwei Schritte näher auf mich zu. „Du darfst keinerlei eigene Sachen mitnehmen, das gilt auch für Armbänder."
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und es fühlte sich so an, als würde mir jemand die Luft zum Atmen abdrehen. Das konnte sie doch nicht ernst meinen, oder?
ich musste sie falsch verstehen.
Es konnte nicht anders sein.
„Du musst sie abschneiden", setzte Thalia weiter an und als sie noch näher kam, wich ich sofort ein paar Schritte zurück. Meinen Hand mit den Armbändern drückte ich mir gegen die Brust und schüttelte harsch den Kopf.
Ich hatte es Harry versprochen.
Wie sollte ich seine Stoffarmbänder zerschneiden, einfach so – als wären all die Versprechungen, Sprüche und Wörter seiner Schwester Gemma nichts wert?
„Es sind doch nur Armbänder, was ist daran so schlimm, wenn sie sie umlässt?", setzte sich nun Megs für mich ein. Sie wusste, wie viel mir die Stoffarmbänder bedeuteten und sie wusste auch, dass sie selbst das Foto zwischen den Stofflagen in ihrer Hand genauso wenig hergeben wollen würde.
„Es verstößt gegen die Vorschriften", erwiderte Thalia giftig und streckte fordernd den Arm nach mir aus. Panisch schüttelte ich meinen Kopf und krallte meine Finger in den rauen Stoff des Handtuches, das um meinen Körper geschlungen war.
„Stefanie, das kann doch nicht euer Ernst sein. Du weißt genauso gut wie ich, was ich meine..." Nun richtete sich Megs an das braunhaarige Mädchen, das nur zwischen Thalia und mir hin und her sah. Instinktiv schien sie sich an den Hals zu fassen, berührte einen kleinen Anhänger an einer silbernen Kette. „Steff..."
Schließlich seufzte sie auf und schüttelte den Kopf. „Thalia, lass gut sein. Die Armbänder werden mit desinfiziert, das wird ausreichen."
„Aber-", setzte Thalia an, wurde jedoch von einem scharfen Blick seitens Steff unterbrochen.
„Ich habe noch etwas Gut bei dir, Thalia."
Die Rothaarige presste ihre Lippen zusammen und kniff ihre Augen leicht zusammen, nickte dann aber und wendete sich mit einem letzten, langen Blick an mich, ab.
„Dann sollten wir uns jetzt beeilen, die anderen sind bereits längst fertig und schon für die Identifikation bereit."
Die Desinfektion war wirklich um einiges harmloser, als dass ich es mir vorgestellt hatte. Es verging keine Minute, da konnte ich mit einem Frischegefühl, das ich die letzten zwei Wochen nicht mehr verspürt hatte, in die frischen Kleidungsstücke schlüpfen.
Zwar waren auch sie etwas rau auf meiner zerschrammten, von blauen Flecken übersäten und von der Seife geröteten Haut, aber sie hielt warm und war ansonsten gemütlich.
Die dunkle Jeans war mir jedoch noch immer etwas zu weit und lang, sodass ich sie zweimal hochkrempeln musste, dafür passte jedoch das weiße Hemd, das mich mit den groben Knöpfen an mein Flanellhemd erinnerte, wie angegossen.
Als Schuhe bekamen wir alle flache, bestehend aus einer dünnen Sohle und Stoff, die wir jedoch misstrauisch musterten, bevor wir in sie hineinschlüpften.
Sie waren bequem und nicht so eng, wie unsere Stiefel, dennoch vermisste ich den sicheren Halt, den mir diese gegeben hatten.
„Kommt ihr? Es wird nur noch auf euch gewartet", meinte Stefanie, als sie uns aus dem kleinen Raum wieder abholte. Ich bemerkte, wie Megs die Augen verdrehte, ihr aber stillschweigend folgte. Ich tat es ihr gleich.
Stefanie führte uns erneut durch den gefliesten Flur und öffnete schlussendlich eine Tür am anderen Ende. Kaum erkannte ich, dass Sam auf einem der Stühle saß, die um einen Tisch herum aufgestellt wurden, stieß ich erleichtert meinen angehaltenen Atem aus.
Ohne all den Dreck und mit den nassen Haaren sah er anders aus, aber er strahlte mir entgegen und auch die neuen Anziehsachen passten ihm wie angegossen.
„Die Dusche war unglaublich", quasselte mein kleiner Bruder sofort auf mich ein, als ich mich auf den Platz neben ihn gleiten ließ. Liam saß auf der anderen Seite und mit seinen nassen Haaren und dem frisch rasierten Gesicht wirkte er um einiges jünger.
Die Augenringe und die Schürfwunden auf seiner Wange hatte die Dusche jedoch nicht abspülen können.
„Du hast die Armbänder behalten dürfen", bemerkte er an und nickte in Richtung meines Handgelenkes. Blinzelnd richtete ich meinen Blick auf die bunten Stoffe und schnell schob ich meinen Arm unter die Tischplatte, in der Angst, dass vielleicht andere Außenweltler vielleicht auch so aufmerksam wie Liam waren.
„Ja, genau", antwortete ich nur.
„Das ist schön." Liam schenkte mir ein leichtes Lächeln und gerade als ich ihn fragen wollte, ob bei ihm alles in Ordnung war, ging die Tür ein weiteres Mal auf und neben Stefanie erschien ein älterer Herr mit bereits ergrautem, schütteren Haar.
Sie schienen vertraut miteinander zu sein, er lehnte sich etwas nach vorne und tauschte leise einige Worte mit Stefanie, bevor er sich wieder aufrichtete und uns musterte.
Ich spürte, wie sich jeder von uns automatisch anspannte.
„Hallo, wie ich sehe, seid ihr eine außergewöhnlich große Gruppe, wünsche euch aber dennoch nicht weniger herzlich Willkommen."
Er umrundete den Tisch um uns gegenüber Platz zu nehmen. Dabei ließ ich ihn nicht aus den Augen. Er trug einen dunklen Mantel und sein Gesicht war schmal. Trotz der grauen Haare, wirkte er nicht viel älter als fünfzig und mit wachsamen, grauen Augen sah er einen nach den anderen von uns an, bevor er sich an den schweigsamen Mann wandte, der die Jungs begleitetet hatte und nun neben Stefanie an der Tür stand.
„Führst du bitte Protokoll, überprüfst die Daten und kümmerst dich um die Abzüge der Aufnahmen?"
Er bekam als Antwort nur ein Nicken, doch dies schien ihm zu genügen. Denn dann wandte er sich an uns, verschränkte seine Hände miteinander und sah uns nach der Reihe an.
„Ich bin sicher, dass dies hier alles neu für euch ist-" Niall unterbrach ihn mit einem Schnauben, doch er ignorierte dies und sprach ungestört weiter: „Ich bin Raymond und für eure Datenerfassung zuständig. Es ist nichts schlimmes, wir protokollieren nur eure Namen, registrieren euch und vergleichen sie mit den Datensätzen aus den Skyscrapern-"
„Datensätze aus den Skyscrapern, wie kommt ihr bitteschön an die?", warf Megs die Frage dazwischen und verschränkte misstrauisch ihre Arme, während sie sich leicht nach vorne beugte. Dabei wirkte sie so, als wäre sie jederzeit auf dem Sprung.
„Nun meine Liebe, lass das mal unser Problem sein. Wir sind kein zurückgebliebenes Volk von Einsiedlern, sondern haben uns ganz gut mit unseren Umständen arrangiert, auch technisch." Raymond lächelte Megs zu und als Christopher das Wort erhob, sah ich ihn verblüfft und fasziniert zugleich den Kopf schütteln: „Personendaten basieren auf einer einfachen Strukturformel, aber ich hätte nie gedacht, dass man sich von so weit entfernt einhaken kann..."
Mein Blick huschte sofort zu Liam, denn mir war bewusst, was dies bedeutete. Wenn sie unsere Angaben mit denen aus den Skyscrapern verglichen, bedeutete dies, dass Liam unmöglich seinen richtigen Namen angeben konnte. Aber auch konnte er sich keinen ausdenken, da nur unsere Namen in der Datenbank als ins Exil geschickte notiert waren.
Mein Herz wollte mir versagen, doch als Liam meinen Blick erwiderte, schien er völlig ruhig, so als würde ihn diese Tatsache nicht nervös machen.
„Da scheint jemand aus Erfahrung zu sprechen...", schlussfolgerte Raymond und nickte leicht. „Aber du hast Recht. Die Skyscraper benutzen verschiedene Verschlüsselungsformeln und die für die Bevölkerungsregistrierung ist um einiges leichter zu entschlüsseln... Nun denn, wir schweifen ab: Wer möchte anfangen?"
„Und wenn keiner anfangen möchte?", stellte Niall provokativ die Gegenfrage und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
„Dann entscheide ich, dass wir mit dir anfangen", antwortete Raymond und beobachtete Niall ununterbrochen.
„Soll ich nun wie in einer Vorstellungsrunde meinen Namen und Alter runterrasseln? Vielleicht auch noch was meine Lieblingsfarbe ist?"
„Das wäre ein Anfang, warum denn nicht?" Raymond blieb ruhig und gelassen, während Niall sich immer mehr aufzuregen schien. Megs, die neben ihm saß, versuchte ihn zu beruhigen, indem sie ihm eine Hand auf den Arm legte und ihm leise etwas ins Ohr flüsterte, doch Niall schüttelte nur verbissen den Kopf.
Als ich den Blick sah, mit dem er Raymond ansah, wusste ich, dass Niall uns die Situation hier nicht leichter machen würde. Und ich sollte Recht behalten.
„Gut, mein Name ist Roswitha Fickdich, hundertundeins Jahre alt und stolze Besitzerin einer verschimmelten Matratze im Sektor 1a eines weit entfernten Skyscrapers."
Christopher prustete los und selbst auf Sams Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, während ich jedoch nur wie erstarrt Raymond anblinzeln konnte. Langsam schloss dieser seine Unterlagen, betrachtete lange Niall und hielt dessen Blickkontakt stand.
Dann sprach er: „Nun Roswitha, dann hast du dich für dein Alter ziemlich gut gehalten."
„Raymond, er heißt Niall Horan, das Mädchen neben ihm ist Megs und-", mischte sich nun Stefanie von hinten ein, doch bevor sie weiter reden konnte, hatte Niall mit einem lauten Knall seine Hand auf den Tisch geschlagen und war aufgesprungen.
„Wag es ja nicht uns einen nach dem anderen aufzuzählen, so als würdest du uns kennen. Denn dann wüsstest du, dass mein Name schon längst aus den Datensätzen ausradiert wurde und auch Megs wird nicht unter diesem Namen auftauchen."
Der Mann neben Stefanie trat einen Schritt vor, um die Situation zu entschärfen und gerade als Raymond, die Hände beruhigend in die Lüfte haltend, etwas sagen wollte, wurde die Tür aufgerissen und ein Mann mittleren Alters stürmte in den Raum. Raymond zuckte leicht zusammen, hatte sich jedoch schnell wieder gefasst. Aber selbst Niall schien verwirrt und schien vergessen zu haben, dass er sich geradewegs in einem Streitgespräch befunden hatte.
„Wer war es?", fragte der Mann mit lauter Stimme und sein Blick glitt über jeden von uns. Sofort duckte ich mich, auch wenn ich nicht wusste, ob mich seine scharfkantigen Gesichtszüge oder jedoch die strenge, autoritäre Ausstrahlung einschüchterte.
„Emerson, was machen Sie hier, ich dachte der Visumantrag erfolgt erst nach der Identifikation und-"
„Raymond, halten Sie den Mund! Ich will wissen, woher diese Kinder die verdammten Helikopter haben und wer ihn geflogen hat!"
Emerson.
Ich bemerkte, wie Niall und Megs einen Blick tauschten.
Auch die beiden erinnerten sich an den Namen.
Emerson war einer der Beiden, die für unseren Visumantrag zuständig war.
„Emerson, was ist-"
„Steff, verschwinde einfach!", rief Emerson auf und warf wütend seine Hände in die Luft. Dann schien ihm selbst bewusst zu werden, wie sehr er in Rage war, denn für einen kurzen Moment schloss er die Augen, bevor er tief einatmete und sie wieder öffnete.
Dann blickte er uns einen nach den anderen an und wiederholte seine Frage: „Ich möchte verdammt nochmal jetzt wissen, wer von euch den Helikopter geflogen hat und ich schwöre bei meinem Amt, dass ich statt Visumanträge Verhaftungsanlässe ausschreibe, wenn ihr es jetzt sofort nicht sagt."
Mein Herzschlag war wieder auf hundertachtzig und automatisch griff ich nach Sams Hand. Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Raymond aufstand und die anderen unsichere Blicke tauschten. Selbst Niall schien nicht zu wissen, was zu tun war und gerade, als er unentschlossen den Mund öffnete, stand Liam auf.
„Ich war es, Sir."
Ich erstarrte und alles was ich nur noch spürte, war, wie mein Herz stehen bleiben zu schien.
Emerson Blick fiel auf Liam und er musterte ihn von oben nach unten. „Und woher weißt du, wie man einen Helikopter fliegt?"
„Ich hatte theoretische Flugeinheiten, bevor ich desertiert bin, Sir."
Verwirrt von seinen Worten, nicht sicher, was Liam meinte, runzelte ich meine Stirn. Was redete er da?
Emerson kniff leicht die Augen zusammen und kam einen Schritt näher auf Liam zu.
„Und wer bist du?"
Ich bemerkte, wie Liams Schultern sich strafften, er tief einatmete, aber ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete: „Ich heiße Harry Styles, Sir."
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(18.10.2017)
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