-35- ➳ Mason
„Und wo versteckt sich diese Ratte jetzt?"
Niall war rasend vor Wut und schien es nicht mal zu bemerken, als er in Rage beinahe den Topf mit dem kochend heißen Wasser von der Feuerstelle kippte. Megs konnte ihn gerade so noch an seinem Arm festhalten, bevor er in den Wald rennen und nach Mason suchen würde.
Kaum hatten wir wieder unser vorübergehendes Camp erreicht, hatte Liam auch damit begonnen, das zu erzählen, was Mason uns ein paar Minuten zuvor an den Kopf geworfen hatte.
Und jeder von uns war geschockt, in jedem Gesicht sah man die Erkenntnis, man verstand nun langsam einen Teil dieser Welt, wobei sich ein noch viel größeres Geheimnis offenbart hatte, für das man zuvor blind gewesen war.
„Warum zur Hölle hat er es nicht vorher schon gesagt?", fluchte nun auch Christopher drauf los und tigerte auf und ab. Während Megs sich damit abmühte, Niall an Ort und Stelle zu behalten, verzogen Jenia und Sam nur nachdenklich das Gesicht.
Auch sie versuchten die Puzzleteile zusammen zusetzen und die fehlenden zu ergänzen.
Aber es machte alles keinen Sinn.
Warum behielt er all das Wissen für sich?
„Das ist doch nicht logisch", setzte nun auch Megs an und schüttelte ihren Kopf, während sie aufmerksam in die Richtung des Waldes schaut. Wohl in der Hoffnung, dass Mason gleich erschien und sie all die Antworten aus ihm herauspressen könnte. „Okay, ich kann nachvollziehen, wenn er unser Leben leichtfertig aufs Spiel setzt, aber dadurch setzt er auch sein eigenes Leben aufs Spiel. Es macht einfach keinen Sinn..."
„Und genau deswegen hat es auch keinen Sinn mehr, wenn er weiterlebt", knurrte Niall, wehrte sich aber nicht, als Megs ihn wieder zu sich auf den Boden zog.
Meine Gedanken wanderten wieder zu all den Momenten, die mir eigentlich komisch hätten erscheinen müssen. Mason, wie er so viel über die Tiere und über die Helikopter wusste, Mason, wie er Zusammenhänge sah, wo kein anderer ein zweites Mal drüber nachdenken würde.
„Wie gut kennt ihr Mason?", stellte nun Liam die Frage und augenblicklich verstummte das Gemurmel der anderen. Sie alle blickten Liam überrascht an und schienen sofort zu verstehen, worauf er hinaus wollte.
„Nein, du denkst in die falsche Richtung, Payne." Christopher war der erste, der sich wieder gefasst hatte.
„Mason hat jeden gehasst, aber wenn er etwas noch mehr gehasst hat als mich, dann die Regierung und all ihrer Gefolgschaft", fügte Niall hinzu, legte dennoch den Kopf schief und schien über etwas nachzudenken.
Langsam nickte auch Liam und entgegnete: „Aber warum war er all die Jahre bei euch? Es erscheint mir nicht so, als wäre er gerne in Gesellschaft von euch, geschweige denn von sonst irgendjemanden..."
Liam hatte Recht und mein Herz fing wie wild an zu hämmern. Ich hatte zwar vermutet, dass mehr hinter Mason steckte, als dass er es zugeben wollte, aber in diese Richtung hatte ich keine einzige Sekunde gedacht.
Liam sagte durch die Blume hindurch, dass Mason nicht der war, der er vorgab zu sein. Dass er vielleicht niemals ein wahres Mitglied Nialls Truppe war.
Ich bemerkte die Blicke, die die anderen untereinander tauschen. Über Megs Blick huschte für einen kurzen Moment Unsicherheit, bevor Niall das Wort ergriff und sie sich somit wieder zusammenriss: „Mason ist bereits seit Jahren bei uns, hätte er irgendetwas mit der Regierung am Hut, hätte er uns all die Jahre verpfeifen können."
„Und-", ergänzte Megs langsam, „-er ist damals nicht alleine gekommen."
Nun lag alle Aufmerksamkeit auf Megs, die sich durch die Haare fuhr und dann den Kopf schüttelte. „Stefanie war jedoch seltener bei uns und ein paar Wochen später war sie tot. Sie ist wohl die einzige Person gewesen, die Mason gerne bei sich hatte."
Ich schluckte und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Kiste, die die anderen als eine Sitzmöglichkeit aus dem Helikopter geholt hatten.
Stefanie.
Ich hörte zum ersten Mal von ihr.
Es kam mir so surreal vor, dass es wirklich eine Person gegeben hatte, der Mason nicht spöttisch unter die Nase rieb, wie gerne er sie töten wollte.
„Warum sind die beiden zu euch gekommen?" Liams Stimme klang immer noch ernst und sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Dennoch wusste ich, dass er immer noch misstrauisch war.
„Die Regierung hat seine Familie ausgelöscht, näher hat er es nie erzählt." Niall und Liam lieferten sich einen stummen Blickkontaktkampf, den keiner von beiden zu gewinnen schien.
„Warum habt ihr nie näher nachgefragt?", hakte sich nun Sam ein und ich konnte ihm nur zustimmen.
„Jeder besitzt sein dunkles Geheimnis, das man wegschließt", erwiderte Niall sofort und augenblicklich dachte ich an sein eigenes. Auch er schien nicht jedem sofort auf die Nase gebunden zu haben, dass er der uneheliche Sohn von Marcus Payne war und einen Rachefeldzug der Rettung der unteren Sektoren vorzog. „Zudem ist Wissen nicht umsonst", fügte Niall leiser hinzu und schüttelte dann den Kopf.
Er rappelte sich vom Boden auf und als Megs wieder nach seinen Arm greifen wollte, schüttelte er nur den Kopf und schenkte ihr ein Lächeln, das wohl beruhigend wirken sollte.
„Alles gut, Megs. Ich werde ihn nicht umbringen. Ich möchte nur reden." Dann hob er seinen Blick und sah einen nach den anderen von uns kurz an, bevor sein eiserner Blick an Liam hängen blieb: „Es mag vielleicht sein, dass Mason nach mir das größte Arschloch auf Erden ist, aber dennoch war er die letzten fünf Jahre Mitglied unserer kleinen Wahlfamilie und in keiner einzigen Sekunde hat er gezögert uns gegenüber loyal zu sein." Nialls Stimme war hart und kühl, so als würde er keine Widerworte akzeptieren. „Verdammt, ich mag diesen Kerl nicht mal – ich hasse ihn genau genommen – aber ich mag auch dich nicht, kleiner Bruder und dennoch bringe ich dir ein gesundes Maß an Vertrauen entgegen. Also warum sollte ich es auch nicht einem hässlichen, arroganten und unerträglichen Kotzbrocken entgegenbringen, dem ich fünf Jahre lang im Boxring die Nase eingeschlagen habe, ohne dass ich nachts mit einer Klinge am Hals aufgewacht bin?"
Niall hob seinen gesunden Arm in die Luft um seine gesagten Worte zu unterstreichen. Liam legte seinen Kopf schief und schien seine Worte zu akzeptieren, denn er blieb stumm und ließ sich auf den Platz neben Christopher gleiten.
An dessen Mimik konnte ich ablesen, dass auch er Nialls Meinung war. Und in diesem Moment verstand ich, dass die Gruppe, die ich damals im Todessektor oberflächlich kennenlernen durfte, vielleicht nicht nur herzlose, verbitterte Teenager waren, die sich gegenseitig bekämpften und herumschubsten, weil sie sonst keine andere Tätigkeit hatten. Es schien, als hätte die Zeit in dem Todessektor aus einzelnen Personen aus der Notsituation heraus eine Art Familie erschaffen, die sich gegenseitig unterstützten, egal wie sehr sie sich hassten.
Niall verschwand im Wald – wohl auf der Suche nach Mason, wobei ich nicht sicher war, ob dieser wirklich gefunden werden wollte.
Es würde so oder so wieder in einer Auseinandersetzung enden, von der ich ehrlich gesagt froh war, sie nicht miterleben zu müssen.
Stöhnend legte ich meinen Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Es war bereits nachmittags und die Sonne war hinter einer Wolkendecke verschwunden, sodass die heiße Luft um uns herum zumindest etwas abkühlen konnte.
„Ich habe Stefanie beinahe schon vergessen gehabt", kam es plötzlich von Christopher und sofort hatte er meine Aufmerksamkeit. Er erschien nachdenklich und strich sich mit seinen Fingern immer wieder über die leichten Stoppeln seines Bartes.
Jenia neben ihm blieb stumm und starrte nur in das kochende Reiswasser über dem Lagerfeuer, während sie ihre Arme um ihre angewinkelten Knie geschlungen hatte.
Megs jedoch hob den Blick und blickte mit intensiven blauen Augen in Christophers Richtung. „Ich nicht."
Es vergingen Stunden, doch weder Mason noch Niall kamen wieder. Ich merkte, dass auch Megs langsam nervös wurde. Ihr Blick ging nun öfter in die Richtung des Waldes und jedes Mal, wenn sie dort nichts ausmachen konnte, seufzte sie leise auf, schüttelte den Kopf und kniff ihre Lippen wieder zu einer komischen, starren Linie zusammen.
Ich hatte die Zeit nach dem Essen genutzt, um meinen Rucksack neu zu sortieren und eine Runde Karten mit Sam und den anderen zu spielen. Megs jedoch hatte bei jeder neu angefangener Runde abgelehnt, als wir sie fragten, ob sie mitspielen wollte.
Auch ich musste mir im ersten Moment die Finger auf meine Augen drücken, um die Tränen zurückzuhalten, als Sam den Stapel Karten aus seiner Hosentasche hervorgeholt hatte.
Denn von einem Moment zum nächsten kamen wieder all die Erinnerungen hoch, wie Harry uns das Spiel beibrachte. Es war kaum vorstellbar, dass es erst eine Woche her war, dass Harry uns gezeigt hatte, was die einzelnen Karten zu bedeuten hatte und wie man sie richtig in der Hand halten würde.
Und nun war er schon sechs Tage tot.
So schön der Zeitvertreib und die Ablenkung auch waren, so war ich dennoch etwas erleichtert, als Sam nach der vierten Partie den Stapel Karten wieder in den Tiefen seines Rucksackes verschwinden ließ.
Als die untergehende Sonne langsam den Abend einläutete, fingen Megs und Christopher damit an, die Helikopter vorzubereiten und den Tank umzufüllen. Während Sam mehrere Taschenlampen in unserem provisorischen Nachtlager aufstellte, spielte ich gedankenverloren mit den steifen Schnürsenkeln meiner Schuhe.
Plötzlich ließ sich jemand neben mich nieder und ohne den Blick zu heben, wusste ich, wer es war. Ich erkannte es alleine an seinem Geruch, denn so unmöglich es eigentlich war: Er roch noch immer nach Zimt und Kamille, so als hätte er gerade eben erst einen Tee getrunken. Vielleicht bildete ich mir dies auch nur ein, aber dennoch wusste ich, dass kein anderer als Liam neben mir saß.
„Vertraust du ihm?", kam es leise von ihm und ohne dass er einen Namen nennen musste, wusste ich, wen er meinte.
Ich blickte nicht auf, als ich antwortete: „Von Vertrauen kann nicht die Rede sein, dafür hat mir Mason oft genug deutlich gemacht, dass er mich tot für nützlicher halten würde, aber-" ich stockte, löste die Schleife aus dem Schnürsenkel, die ich eben gebunden hatte und sprach dann leise weiter: „-aber ich glaube, dass er den anderen wirklich loyal ist. Du hast doch seinen Hass auf die Regierung selbst gesehen, für mich ist Mason kein Schauspieler."
„Und was ist mit der Geschichte mit diesem Mädchen namens Stefanie?"
Nun hob ich meinen Kopf und blickte zu Liam. Er hatte seine Beine über Kreuz vor sich ausgestreckt und sich etwas seitlich zu mir gebeugt, um besser mit mir reden zu können. Seine braunen Augen leuchteten, er schien mit der gesamten Sache noch nicht abgeschlossen zu haben, selbst nach Nialls Worten nicht.
Langsam schüttelte ich den Kopf, denn im gleichen Moment musste ich an Megs und ihre Familie denken. An Glenn und dass auch sie ihn verloren hatte, wie Niall seine Mutter. Jordan war sicherlich auch nicht Jenias erster Verlust, denn sonst wären beide nicht in der Truppe von Niall gewesen.
Es schien, als wäre dieser Haufen rebellischer junger Leute damals nur zusammengekommen, weil jeder einen Verlust erlitten hatte.
Und Stefanie war Masons weiterer Verlust nach seiner Familie.
Es war verständlich, wenn jeder von ihnen diese Personen tief in ihren Inneren einsperren wollten.
Wie von selbst wanderten meine Gedanken zu Eleanor und nahmen mir somit die Luft zum Atmen. Ich hatte in letzter Zeit wenig an meine beste Freundin gedacht, es mir gerade zu verboten mir über ihr Schicksal Gedanken zu machen. Denn ich wusste, dass ich all dem Druck nicht standhalten könnte, wenn ich nur allzu lange darüber nachdachte.
So schien es auch den anderen zu gehen.
Sie wollten nicht darüber reden, denn sonst bestand die Gefahr, dass der innere Damm brechen und alles mit sich reißen würde. Und Schwäche war in einer Welt wie dieser tödlich.
„Ich denke-" Meine Stimme klang rau und belegt, sodass ich mich einmal räusperte und alle Gedanken an meine beste Freundin und unsere letzten Momente zu verdrängen versuchte. Es half nicht viel, denn meine Stimme klang noch immer brüchig, als ich neu ansetzte: „Ich denke einfach, das Mason die Geschichte mit dem Tod von Stefanie für beendet erklärt hatte. Über mache Kapitel in seinem Leben redet man nicht gerne, Liam."
Ich erkannte an seinem Stirnrunzeln, dass er anderer Meinung war. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln, denn er kannte es nicht, jemanden zu verlieren, den man über alles liebte.
Er war mit dem Schmerz des Verlustes nicht vertraut.
„Wir sollten Megs und Christopher mal fragen, ob sie unsere Hilfe brauchen", sprach ich schließlich in die Stille und stand auf. Liam entgegnete nichts und blieb sitzen, als ich mich in Richtung der Helikopter in Bewegung setzte.
Sam und ich lagen schon in unseren Decken, als Mason und Niall schließlich wieder kamen. Ich hörte, wie Megs lautstark mit den beiden anfing zu diskutieren und spitze die Ohren. Die metallischen Wände des Helikopters, in dem wir lagen, und das laute Wehen des Windes, der aufgekommen war, konnte ich jedoch nur unbedeutende Bruchteile aufschnappen.
Zumindest wusste ich, dass sie sich nicht gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben, was definitiv schon einem Wunder glich.
Nach ein paar Minuten verstummten die Stimmen und alle Taschenlampen bis auf eine wurden ausgeschaltet. Wir waren nicht so naiv, um Masons Worte keine Beachtung zu schenken, sodass wir beschlossen hatten, abwechselnd Wachen zu halten.
Megs hatte sich ohne zu zögern bereit erklärt, die erste Schicht zu übernehmen, obwohl man ihr die Müdigkeit mehr als ansah. Ihrem giftigen Blick und dem hochgehobenen Kinn wollte sich jedoch auch keiner stellen, indem wir protestierten. Wir alle wussten, dass sie auf Niall warten wollte.
Als schließlich die Tür zum Helikopter aufging und mit leisen Schritten Niall ins Innere trat, schloss ich schnell meine Augen, vergrub mein Gesicht in Sams Haare und tat so, als würde ich schlafen. Insgeheim in der Hoffnung, dass Niall und Megs noch ein paar Worte untereinander tauschen würden. Doch es blieb still und nicht viel später schlief ich tief und fest.
Jenia weckte mich kurz vorm Morgengrauen mit den leisen Worten, dass ich sie ablösen sollte, damit sie noch zwei Stunden Schlaf abbekommen würde. Ich tat mich schwer damit, meine Augen offen zu halten, denn wenn ich ehrlich war, kam es mir so vor, als hätte ich nur für fünf Minuten meine Augen geschlossen und keine acht Stunden geschlafen.
Von Erholung fehlte jede Spur, sodass ich nach meiner Decke griff, als ich verschlafen aus dem Helikopter tapste und dabei beinahe über Nialls Arm stolperte, den er komisch verrenkt über die Stuhllehne hängen ließ.
Draußen setzte ich mich gähnend auf die Kiste und schlüpfte als erstes in mein zweites Paar Wollsocken. Damit sie nicht nass wurden, winkelte ich sie so an, dass ich mich mit meinen Fußsohlen auf der metallischen Kiste abstützen konnte.
Jenia hatte ihre Waffe extra für mich draußen ließen gelassen, sodass ich sie nun vorsichtig in die Hand nahm und hin und her drehte. Als mir dann aber wie bei einem Daumenkino die Bilder von den erschossenen Wächtern vor meinem inneren Auge vorbeischossen, ließ ich sie schnell wieder neben mich fallen. Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus und ich musste mich schütteln.
Als ich ein weiteres Mal Gähnen musste, stöhnte ich auf und drückte mir die Hände gegen die Augen. „Verdammt, sonst schläfst du auch weniger und bist fitter", wies ich mich selbst zurecht und zwang mich wieder dazu, aufmerksam die Umgebung zu beobachten.
Die Sache war aber einfach, dass dort nichts war.
Es blieb ruhig und friedlich.
Nichts bewegte sich, selbst der unangenehme Wind, der am gestrigen Abend noch aufgekommen war, war verschwunden und einzig und allein das weit entfernte Zwitschern von kleinen Vögeln war zu hören.
Die Sonne ging langsam auf, tauchte die Landschaft in ein gleißend helles und warmes Orange und erwärmte zu gleichen Maßen mein Herz. Es war bezaubernd schön, wie sich die Gräser im sanften Windhauch bogen, nicht der unsichtbaren Macht nachgeben wollten. Blätterrauschen erfüllte ganz leicht die Luft und ich überlegte, ob vielleicht die Zeit reichen würde noch ein letztes Mal zum See zu gehen, bevor wir aufbrechen würden.
Verschwunden war die Müdigkeit und ich versuchte mir so viel wie es nur ging von diesem Ort einzuprägen. Schnell schlüpfte ich in meine Stiefel, griff nach der Waffe und stand auf.
Ich würde nicht weit gehen, immerhin war ich nicht naiv, aber ein paar Meter zu gehen und mir die Beine zu vertreten, würde mir gut tun. Außerdem hatte ich das komische Verlangen, mit den Händen durch die Gräser zu streifen und den Tau auf ihren winzigen Blättern zu spüren.
So etwas hatte es in den Skyscrapern nicht gegeben, selbst nicht im kleinen Garten der Paynes. Denn zum Schluss waren die Pflanzen vielleicht echt, jedoch nicht die Sonne, die das Wasser jeden Morgen zum Verdunsten bringen könnte.
Ich war keine zwei Meter aus dem Camp, als eine Stimme meine Gedanken unterbrach.
„Hältst du es wirklich für eine gute Idee, alleine herumzuwandern?"
Ich sah nicht über die Schulter, blieb aber stehen. „Und das kommt von der Person, die zuerst davon redet, dass man nicht wissen kann, in was für einer Zone man sich befindet, dann jedoch für etliche Stunden alleine im Wald verschwindet?"
Masons Lachen übertönte das Blätterrauschen und schlussendlich drehte ich mich doch um. Dort stand er, neben der Feuerstelle, mit aufgeknöpftem Hemd, vom Schlaf plattgelegene Locken und in den Hosentaschen vergrabene Hände. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich das neue blaue Veilchen unter seinem Auge erkennen. Ich wusste doch, dass eine Auseinandersetzung zwischen Mason und Niall unausweichlich war. Denn vielleicht vertraute Niall Mason gewissermaßen, aber der Hass und die Genugtuung bei einem Schlag ins Gesicht überwogen ohne Zweifel.
„Ich habe jedoch auch mehr Erfahrung als du, Sophia."
„Ich wollte nicht weit gehen", entgegnete ich und merkte dabei selbst, dass es wie eine Rechtfertigung klang. Wütend biss ich mir auf die Lippe und verschränkte die Arme. Bevor er etwas Spöttisches erwidern konnte, fügte ich schnell hinzu: „Du kannst dich ja mal als Nützlich erweisen und die Anderen wecken. Wir müssen bald aufbrechen."
„Oder aber, du machst das und ich lege derweilen meine Füße hoch."
Vor Wut fing ich an zu kochen und meine Hände ballten sich bereits zu Fäusten. Auch Mason schien dies zu bemerken, denn ein amüsiertes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er sich auf die Kiste fallen ließ, auf der ich nur Minuten zuvor gesessen hatte, und meine Decke um seine Schultern schlang.
Gerade, als ich beschloss, mich nicht weiter auf eine sinnlose Diskussion mit ihm einzulassen und einfach weiter meinen Weg zu gehen, erschien Niall, gefolgt von Megs aus dem Helikopter.
„Mason, so wie es aussieht, musst du nur noch Liam und Jenia wecken. Die anderen sind schon wach", sprach Megs in einem zuckersüßen Ton und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Mein Blick hingegen war auf Niall gerichtet. Ich war einfach zu neugierig, ob auch er etwas abbekommen hatte. Doch mehr als seine bereits bekannten älteren Wunden gab es nichts, was ich aus dieser Ferne ausmachen konnte.
Bevor Mason widersprechen konnte, wendete sie sich an mich: „Irgendetwas Ungewöhnliches?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, alles still. So wie es scheint, ist diese Zone wirklich unbewohnt." Mein Blick huschte bei meinen Worten zu Mason, der jedoch keinen von uns zu beachten schien. Stattdessen war sein Blick starr auf die Ausläufer des Waldes unter uns gerichtet. Selbst dass Megs ihm eine Aufgabe erteilt hatte, ließ er unkommentiert, wobei ich längst mit einer spöttischen Antwort gerechnet hätte.
„Das ist doch gut. Dann können wir nach dem Frühstück los. Niall, sagst du Christopher Bescheid, dass er die restlichen Sachen aus dem anderen Helikopter holen soll?" richtete sie ihre letzten Worte an Niall, doch ich hörte nur noch mit einem Ohr zu.
Stattdessen folgte ich Masons Blick.
Auf einmal erschien mir das sanfte Blätterrauschen nicht mehr beruhigend und eine unangenehme Kälte kroch über meinen Rücken. Mit zusammen gekniffenen Augen blinzelte ich mehrmals in die Richtung, die Mason nicht aus den Augen ließ.
Gräser, die aberhunderte von Bombenlöchern versteckten, braune Baumstämme, die aus der Erde ragten und Äste, die ihre grünen Blätterdächer stolz in die Lüfte hoben.
Es war alles so wie immer.
Was sah Mason, was ich nicht sah?
„Soph?", riss mich Sams Stimme aus meinen Gedanken und etwas abgelenkt drehte ich mich zu ihm um, den Blick immer noch auf den Wald gerichtet. „Hm?"
„Hast du mir zugehört?"
Nun löste ich meinen Blick von der Landschaft und drehte mich vollkommen meinen kleinen Bruder zu, der mich erwartungsvoll ansah. Um das unwohle Gefühl los zu werden, schüttelte ich mich einmal und verneinte dann: „Tut mir leid, ich war mit den Gedanken wo anders."
Sam runzelte die Stirn und legte die Decke, die er gerade zusammenfalten wollte, beiseite.
„Ist denn alles okay?"
Mein Blick huschte zuerst zum Wald und dann zu Mason. Überraschenderweise sah auch er nicht mehr zum Wald und stattdessen trafen meine Augen auf seine.
„Ja, klar, was wolltest du denn, Sammy?", fragte ich, noch etwas verstreut und gefangen von Masons Blick. Irgendetwas war anders an ihm. Sein Gesicht war nicht spöttisch verzogen und auch seine Augen schienen mir nicht zu zeigen, wie sehr er mich verabscheute. Irgendetwas anderes hatte sich nun in Masons Blick breitgemacht.
Dann, bevor ich von Sam erfahren konnte, was er wollte, unterbrach Mason den Blickkontakt, sprang auf und lief ein paar Meter vom Camp in Richtung des Waldes. Bevor ich ihm etwas hinterherrufen konnte, hörte auch ich es.
Ein immer lauter werdendes Dröhnen, dass innerhalb weniger Sekunden unsere Hügellandschaft erreicht hatte. Die Waffe in meiner Hand entglitt mir und landete im platt getretenen Gras vor meinen Füßen.
Und in diesem Moment wurde mir klar, dass es Angst gewesen war, was ich in Masons Blick gesehen hatte.
~
(13.07.2017)
( Dieses Kapitel und Stefanie geht ganz allein an @gracefuledits . Danke für alles, was du für Sky getan hast. Ich bin so unsagbar glücklich, endlich hier angekommen zu sein, denn ehrlich gesagt ist diese kleine Anlehnung bereits seit über einem Jahr geplant und nur ein kläglicher Versuch zu zeigen, wie sehr ich die Trailer, die du gezaubert hast, liebe und dass ich mich revanchieren möchte )
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