-32- ➳ Fliegen
Die Nacht verbrachten wir in dem Lager, das wir bereits aufgebaut hatten, bevor die Wächter uns überrascht hatten und während ich zusammen mit Sam einige Rationen Reis kochte, kümmerten sich Christopher, Liam und Jenia um die ‚Reste' der Wächter.
Allein bei dem Gedanken an die vielen toten Menschen und das viele Blut auf dem Boden, verdrehte sich mein Magen.
Von dem Reis bekam ich so gut wie nichts runter, umso mehr beruhigte es mich jedoch, dass Sam meine Portion auf aß.
Auch in der Nacht konnte ich kaum schlafen. Die frischen Erinnerungen, wie wir knapp dem Tod entkommen waren, liefen wie ein Daumenkino vor meinem inneren Auge ab.
Ich sah immer wieder wie der Schuss fiel und Tennessees Kopf traf.
Jenia muss geschossen haben.
Und ich spürte immer wieder, wie leicht es sich angefühlt hatte, den Abzug zu drücken.
Es hatte nur eine Millisekunde gedauert, würde mich jedoch mein ganzes restliches Leben begleiten.
Am nächsten Morgen war ich eine der Ersten, die aufwachte.
Nur Liam war bereits vollständig angezogen und sortierte seinen Rucksack. Als er bemerkte, dass ich ihn von meinem Schlaflager aus beobachtete, wollte ich im ersten Moment meine Augen wieder zusammen kneifen und so tun, als würde ich schlafen. Bevor ich dies jedoch machen konnte, sprach er leise: „Guten Morgen."
„Guten Morgen", erwiderte ich und richtete mich langsam auf.
„Wir sollten langsam aufbrechen. Die Regierung wird sicherlich schon Verdacht geschöpft haben, da sich Tennessee nun längere Zeit nicht mehr gemeldet hat."
Ich nickte und für einen kleinen Moment sahen wir uns nur schweigend an.
Liam hatte sich in diesen zwei Wochen grundlegend verändert.
Er war längst nicht mehr der Junge, der von mir Tee verlangte und vor dem ich mich auf eine gewisse Art fürchtete.
Stoppeln eines Dreitagebartes zierten nun sein Kinn und seine Haare hingen ihm wirr im Gesicht. Das Hemd aus einfachen Leinen war zerknittert und schmutzig und an seinem Hals erkannte ich eine blutrote Schramme.
„Ich wecke die anderen", murmelte ich schlussendlich und riss mich von seinem Anblick los.
Keine Stunde später standen wir alle zwei Straßenblöcke entfernt vor den riesigen Helikoptern. Mit ihren schwarzen Metallgehäusen und den in der Morgensonne glitzernden silbernen Metallflügelblättern wirkten sie furchteinflößend. Automatisch überkam mich ein Schauer.
„Und in diese Dinger sollen wir einsteigen?", sprach Jenia das aus, was ich dachte.
„Ja", entgegnete Liam nur knapp und trat einen Schritt vor.
„Wer kann das überhaupt fliegen?", hakte Jenia misstrauisch weiter nach und verschränkte die Arme.
Liam drehte sich zu uns um und sah einen nach den anderen von uns an. „Die Grundlagen lernt man in der Wächter-Grundausbildung..." er schluckte und sein Blick glitt in die Ferne. Ich wusste woran er dachte.
Harry.
Wenn er jetzt nur da sein könnte...
Sofort bildete sich auch in meinem Hals einen Kloß und ich spürte, wie mir die Tränen kamen. Schnell schüttelte ich meinen Kopf und umfasste wie von selbst die Stoffarmbänder an meinem Arm.
„Dummerweise haben wir die einzigen Wächter in nächster Umgebung gestern Abend niedergeschossen, rich boy", spottete Megs, doch schien trotzdem keinerlei Bedenken zu haben. Denn zielstrebig ging sie auf einen der Helikopter zu und öffnete mit einer schnellen Geste die Tür. Es offenbarte sich ein beengter Raum mit mehreren Sitzen und Geräten.
„Zufälligerweise musste ich als Sohn eines Ratsmitgliedes auch ein paar Grundlagen des Militärs lernen", sprach Liam trocken weiter und ich erkannte aus den Augenwinkeln, wie sich Nialls Lippen zu einem Grinsen verzogen.
„Das war wohl das einzig Gute an diesem Teil der Familie. Und nun zeig mir wie man den Arsch dieses Babys in die Lüfte bekommt, Bruderherz!"
Überraschung zeichnete sich auf Liams Gesicht auf, als Niall voller Selbstbewusstsein ins Innere des Helikopters verschwand und sich auf den Pilotensitz fallen ließ.
Mit einem Grinsen drehte er sich zu uns um.
„Was ist los? Denkst du, wir passen alle in einen Helikopter, Liam? Wo bleibt da der Spaß und die Luft zum Atmen? Also nun erklär es mir und in weniger als einer halben Stunde, werden wir beide fliegen."
Neben mir hörte ich Mason theatralisch aufstöhnen und murmeln: „Ich werde definitiv bei dem Anzugsschisser mitfliegen. Niall bringt uns noch alle um."
Und zum ersten Mal musste ich zu geben, dass ich Masons Meinung war.
Während Liam Niall alle Funktionen des Helikopters erklären zu versuchte, begutachteten Christopher und Megs zusammen die technischen Geräte.
In jedem der Helikopter gab es eine Notfallbox, die uns vor Freude aufschreien gelassen hat, als wir sie geöffnet hatten.
Nun waren wir drei Erste-Hilfe-Sets, riesige Mengen an Trockenobst, gepressten Weizenriegel, Vitamin- und Magnesium-gel und anderen kleinen Sachen reicher.
Selbst Wasserkanister und kleinere Schusswaffen waren vertreten.
Auf einem der – überraschend passabel schmeckenden – Weizenriegel kauend, lehnte ich mich an die Innenwand des Helikopters und beobachtete Christopher und Megs dabei, wie sie sich über einen Wirrwarr aus Kabeln beugten und dabei hitzig diskutierten.
„Worum geht es?", fragte ich neugierig nach und trat einen Schritt vor, um zu erkennen, was sie genau machten. Megs sah hoch und legte leicht ihren Kopf schief, bevor sie antwortete: „Wir überprüfen, ob wir den Sender entfernen können, ohne den Helikopter zu beschädigen. Sobald wir ihn starten, würden wir nämlich höchstwahrscheinlich wieder auf dem Funkradar der Regierung erscheinen."
Langsam nickte ich und mir wurde bewusst, dass ich beinahe vergessen hatte, dass Christopher und Megs beide überaus begabt in Sachen Technik waren. Ich hingegen konnte in dem riesigen Knoten aus allermöglichen bunten Kabeln nichts erkennen.
„Und ist das möglich?"
Christopher seufzte auf und fuhr sich einmal durch die Haare.
„Wir hoffen doch. Ansonsten könnten wir uns genauso gut ein riesiges Signalfeuer auf den Rücken schnallen."
Ich schob meine Unterlippe vor und runzelte die Stirn.
Er hatte Recht. Es würde uns nichts bringen, schneller mit den Helikoptern das Wasserkraftwerk zu erreichen, wenn wir gleichzeitig unseren Standort wie auf einem Präsentierteller präsentierten.
„Kann ich euch helfen?", fragte ich nach und machte Mason Platz, der sich an mir vorbei ans Freie drängelte. Megs warf mir einen Blick über ihre Schulter zu und schüttelte dann den Kopf: „Nein, wir werden jetzt auf gut Glück das Kommunikationskabel durchtrennen und die Antenne entfernen, in der Hoffnung, dass es sich damit erledigt hat. Mehr kann man da nicht machen. Aber kannst du sonst schon mal die Vorräte aus dem dritten Helikopter holen?"
Ich nickte. „Natürlich."
In einer fließenden Bewegungen sprang ich aus dem Helikopter nach draußen auf den sandigen Untergrund und stampfte durch den Staub auf den dritten der metallenen Käfige zu. Meine Hände vergrub ich in meine Hosentasche. Leicht hob ich meinen Kopf und blinzelte in den Himmel. Er war bewölkt, aber dennoch kämpfte sich ab und an die Sonne hindurch und erwärmte die Luft. Es war unglaublich, dass ich all diese Eindrücke nicht mehr bewusst wahrnahm, dabei hatte ich all dies mein ganzes Leben im Skyscraper lang verpasst.
Seufzend zog ich mich an der Tür des Helikopters hoch und schwang mich ins Innere. Überraschenderweise traf ich dort auf Mason und im ersten Moment erstarrte ich, verwirrt über seinen Anblick. Er hockte in der dunkelsten Ecke des Cockpits und hatte den Kopf in seinen Händen vergraben. Als er mich hörte, hob er leicht den Kopf an. Seine leicht gelockten Haare hingen ihm strähnig im Gesicht und auch der harte Ausdruck war von seinen Gesichtszügen verschwunden. Ein paar Sekunden starrten wir uns nur gegenseitig an und als die Stille zu viel Druck ausübte, hockte mich vor die Truhe mit den Vorräten, räusperte mich und sprach: „Ich glaube, wir werden gleich starten."
„Ja", erwiderte er nur und ich bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sein Blick nach draußen schweifte.
Schnell suchte ich die Sachen zusammen, die wir brauchen würden und richtete mich dann wieder auf. Es war mir immer noch ein Rätsel, wieso Mason hier in der Ecke kauerte, doch auf irgendeine Art und Weise – die ich von mir selbst nicht richtig nachvollziehen konnte- war es gut zu wissen, dass auch Mason nicht nur der war, den er vorgab zu sein.
Ohne einen weiteren Blick auf ihn zu werfen, wollte ich den Helikopter verlassen, als sich Mason plötzlich aufrappelte und meinte: „Grün zu Grün und Blau getrennt in Hell, ergibt des Piloten Unglück schnell."
Während ich noch versuchte zu verstehen, was er damit sagen wollte, war er schon an mir vorbei auf den staubigen Boden gesprungen.
„Mason!", rief ich ihm hinterher, meinen Stolz ein weiteres Mal herunterschluckend. „Was meinst du damit?"
Er drehte sich im Gehen um, grinste und hob die Schultern an. „Ist nur ein alter Spruch, aber..." Genau in diesen Moment gingen ratternd die Motorenblätter des einen Helikopters an und ich konnte hören, wie Niall vor Triumph einen Schrei ausstieß. „Aber wie es aussieht, haben es die anderen auch ohne ihn herausfinden können..."
Für einen Moment verhakten sich unsere Blicke und in dieser Millisekunde verstand ich, dass Mason viel mehr Geheimnisse besaß, als dass ich bisher vermutet hatte.
Dann brach er den Blickkontakt und sprach im Weitergehen über den dröhnenden Lärm hinweg: „Ich fliege definitiv bei Liam mit, Niall bringt das Teil nur zum Abstürzen. Also falls du hier nicht verrotten willst, solltest du dich lieber beeilen."
Im gleichen Moment sah ich, wie Megs sich halb aus dem Helikopter schwang und mir mit einem Grinsen zuwinkte. „Sophia!", schrie auch sie gegen die Lautstärke an und während ich mich beeilte, den Helikopter zu erreichen, besetzten Niall, Jenia, Christopher und Megs auf den zweiten Helikopter. Die Motorenblätter erzeugten einen unglaublichen Wind, aber dennoch konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Meine Haare lösten sich aus meinen sporadischen Zopf und flatterten mir ins Gesicht, als ich nach der Hand griff, die sich mir hilfsbereit entgegen streckte.
Liam zog mich mit einem Ruck ins Innere und über sein Aussehen musste ich erneut schmunzeln. Er trug eine Art Headset und Kopfschützer, von denen auch er mir nun ein Paar in die Hand drückte.
„Damit verstehen wir uns auch über dem Lärm hinweg!", schrie er mir zu, während er hinter mir die Tür zu zog. Ich nickte und zog sie mir schnell über. Sofort verschwand der Lärm und nur noch gefühlt weit entfernt vernahm ich das laute Rattern. Dafür piepste ab und an etwas in meinem rechten Ohr und im nächsten Moment ertönte Liams Stimme über die Kopfhörer: „Die Headsets sind miteinander auf einer Signalwelle verbunden."
Er ließ sich auf den Pilotensitz fallen und fasziniert sah ich ihm dabei zu, wie er einen Knopf nach den anderen drückte und anscheinend mehrere Sachen, die für mich keinerlei Sinn ergaben, überprüfte.
„Cool nicht wahr?", ertönte die Stimme meines Bruders und sofort drehte ich mich zu ihm um. Er saß auf einen der Sitze, hatte sich aber so vorgebeugt, dass er einen guten Blick aus dem seitlichen Fenster hatte.
„Aber sowas von!", erwiderte ich und schüttelte im nächsten Moment meinen Kopf. Es war ungewohnt, seine eigene Stimme selbst nur gedämpft wahrzunehmen. Mein Blick wanderte weiter zu Mason, doch bevor er mich richtig registrieren konnte, meinte Liam zu mir: „Sophia, setz dich hin, es kann gleich ziemlich holprig werden," dann, als ich mich neben Sam hinsetzen wollte, fügte er hinzu: „Nein, ich brach dich hier als Copilot."
Sofort blieb ich wie angewurzelt stehen, blinzelte mehrmals und starrte Löcher in den Hinterkopf von Liam. War das sein ernst?"
Langsam öffnete ich den Mund, um etwas zu erwidern.
Ich konnte doch gar nicht fliegen!
Wie sollte ich denn dann den Copiloten spielen?
Im gleichen Moment knackte eine Leitung und Nialls Stimme schrie in unser aller Ohren: „Wo bleibt ihr denn ihr Lahmärsche! Bewegt eurer Hinterteile in die Lüfte!"
Mit einem einzigen Blick aus dem großen Fenster konnten wir erkennen, wie Niall im anderen Helikopter mit einem breiten Grinsen seinen gesunden Arm in die Lüfte streckte, während Megs kopfschüttelnd neben ihm saß.
„Werden wir, Niall", grummelte Liam als Antwort und seufzte dann, bevor er einen anderen Knopf drückte, sich zu mir umdrehte und mir in die Augen sah.
„Bitte, Sophia, Sophia Smith."
Ich zögerte und er schien es zu merken, denn er fügte hinzu: „Ich habe uns auf die private Leitung eingestellt, die anderen hören uns nicht."
Langsam nickte ich und unter dem Blick seiner braunen Augen wurde ich noch etwas unsicherer.
„Ich kann nicht fliegen."
Liam schüttelte sofort den Kopf. „Du musst nur zwei Knöpfe drücken und in regelmäßigen Abständen den Luftausgleich überprüfen, mehr ist das nicht, keine Sorge."
Ich antwortete noch nicht sofort.
„Sophia, vertrau mir dieses eine Mal. Du kannst das." Er streckte mir seine Hand entgegen und als mein Blick von seinen Augen zu seiner ausgestreckten Handfläche wanderte seufzte ich auf, konnte es aber nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln auf mein Gesicht schlich.
Dann legte ich meine Hand in seine, umrundete die Sitze und ließ mich in auf dem Platz des Copiloten fallen. Ich versank beinahe in dem großen Sitz und mit zittrigen Händen schnallte ich mich an. Einmal holte ich tief Luft, bevor ich mich wieder zu Liam wendete und meinte: „Okay, zeig mir, was ich machen muss."
Wenige Minuten später drückte ich zeitgleich mit Liam mehrere Knöpfe und konzentrierte mich darauf, dass die Anzeigetafel des Sauerstoff- und Druckausgleiches im grünen Bereich blieb. Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn, als der Lärm lauter wurde und der ganze Helikopter anfing zu wackeln. Angst überkam mich und ich krallte mich mit den Fingernägeln in die Sitzlehne.
Dann passierte etwas Unglaubliches.
Wir hoben ab.
Mein Herz sackte mir in die Hose und im ersten Moment musste ich meine Augen zusammenkneifen und ich stieß einen kleinen Schrei aus.
Sofort darauf ertönte Liams Lachen und ein kollektiver Aufstöhner von Seiten Masons.
„Schaltet mich aus dieser verdammten Verbindung, wenn ihr nur mein Trommelfeld zerstören wollt", vernahm ich dann Masons Stimme.
„Soph, siehst du das? Das ist unglaublich!", ertönte im nächsten Moment Sams Stimme und ich überwindete mich, zuerst mein linkes, dann mein rechtes Auge wieder zu öffnen.
Und das, was sich vor mir, oder besser gesagt unter mir ausbreitete, verschlug mir die Sprache.
„Oh mein Gott!", hauchte ich und vergessen war die Angst.
Stattdessen löste ich mich aus meinem Gurt und klebte an der Glasscheibe, wie eines der Kinder aus den unteren Sektoren, die zum ersten Mal ein simuliertes Fenster sehen.
Mit dem einzigen Unterschied, dass dies hier echt war.
Es war nicht simuliert, die Landschaft war wahrhaftig und real.
Wir schienen wie über den alten Gebäuden von Cambridge zu schweben, von oben sah alles so anders, weniger trostlos aus.
Grüne Pfade schlängelten sich in Gestalt von Bäumen durch die Asphaltlandschaft, Türme erhoben sich ab und zu in weiter Ferne erkannte ich einen kleinen Schwarm Vögel aus einem See aufsteigen, der einst einmal eine Art Freibad gewesen sein müsste.
Je weiter wir in die Luft stiegen, desto undeutlicher wurden die Konturen und umso mehr verschwammen die Farben.
Wir ließen Cambridge hinter uns und stattdessen flogen wir über bunte Felder.
Unendliches Grün reihte sich an steinige Landschaften, gefolgt von saftigen Gelb- Und Orangetönen.
Die Sonne brach nun durch die Wolken und für einen Moment hatte ich das Gefühl in ihrem Licht zu ertrinken.
Es war so viel intensiver hier oben.
Irgendwann ließ ich mich völlig baff wieder in meine Sitz fallen und bemerkte, wie Liam mir immer wieder schmunzelnd einen Blick zu warf.
„Fliegen ist unglaublich", keuchte ich außer Atem und ließ den Blick nicht von der Landschaft los. Ein Fluss schlängelte sich zwischen einem kleinen Wald hindurch und wenn ich mich nicht täuschte, habe ich aus dem Augenwinkel ein größeres Tier sehen können.
„Das ist es wahrhaftig." Liam machte eine kleine Pause, in der auch er seinen Blick gleiten ließ. „Egal wie reich und wohlhabend man ist, dieses Gefühl kann man selbst im Skyscraper nicht erkaufen."
Mein Blick verhakte sich mit seinen und ich versank in dem dunklen Braun seiner Augen. Für einen Moment schien die Umgebung um uns herum zu verschwinden, doch bevor ich mich völlig fallen lassen konnte, blinzelte ich und schüttelte den Kopf.
Doch bevor ich auf seine Aussage antworten konnte, tauchte neben uns der Helikopter von Niall auf und sofort brach ich in Gelächter aus.
Denn während Jenia, genauso wie ich zuvor, nur am Fenster klebte, schien Niall alles daran legen zu wollen, unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Er tanzte an dem Fenster zu unserer Seite und machte komische Hand- und Mundbewegungen, während Megs alle Mühe hatte, nicht von seinen Händen geschlagen zu werden und gleichzeitig den Helikopter in der Luft zu behalten. Seufzend drückte Liam schlussendlich auf den Knopf, der die Leitung zu Niall freigab und sofort wurden wir von einem ohrenbetäubenden Lärm beschallt:
„I belieeeeeeve I can flyyyyyyyy. I believe I can touch the skyyyyyy!"
"Verdammte scheiße, Niall, du bringst uns gleich zum Abstürzen!", fluchte Liam und schob sich die eine Seite seines Headsets vom Ohr, um der Folter zu entkommen.
„Hey, das ist anscheinend ein Klassiker! Haben das Lied eben auf einem Sender gefunden, diese Schweine von Wächter hatten echt den Luxus Musik zu hören und-"
Etwas knackste in der Leitung und die Verbindung war für einen Moment unterbrochen. Verwirrt runzelte ich die Stirn und mein Blick glitt wieder zu Niall, der nur wenige Meter von uns entfernt flog. Auch er hatte mit seinem Tanz aufgehört und starrte auf die Monitore.
„Was ist-", setzte Sam von hinten an, doch im nächsten Moment war die Leitung wieder frei und Nialls Stimme dröhnte wieder in unser aller Ohren: „Test, Test, Test- oh warte, jetzt geht es wieder, oder?"
Grummelnd bejahte Liam.
„Das muss wohl ein Funkloch oder dergleichen gewesen sein", äußerte sich nun Megs zu Wort und langsam nickte Liam, während er die Monitore weiterhin im Blick hielt. Der dunkle Radarbildschirm zeigte an, dass wir nicht mehr auf dem Radar waren und auch der Sauerstoff- und Druckausgleich lag weiterhin im grünen Bereich.
Alles war gut.
„Wir fliegen weiter in den Osten, wir melden uns einfach wieder, wenn irgendetwas ist, okay?", äußerte sich Niall überraschend ruhig und vernünftig zu Wort und Liam stimmte dem zu.
Die Verbindung zum anderen Helikopter wurde unterbrochen und während Niall Megs dazu antrieb, schneller zu winken, hob er mit geöffnetem Mund den gesunden Arm in die Luft und winkte uns schelmisch zu, als sie an uns vorbei zogen.
Ich hingegen lehnte mich in meinem Sitz zurück und zog meine Schuhe aus. Es war unglaublich entspannend, mal nicht so viele Kilometer zu Fuß zurücklegen zu müssen, sondern sie so bewältigen zu können.
Als sich die Sonne langsam wieder der Erde zuneigte und alles in ein träumerisches Orange versinken ließ, verteilte Sam Weizenriegel zum Abendbrot.
Mein Bruder gesellte sich zu mir und schweigend machte ich ihm auf dem Copiloten-Sitz platz. Ich legte meinen Arm um seine Schulter und mein Kinn auf sein Haar.
Er roch vertraut und kurz schloss ich meine Augen, bevor ich sie wieder öffnete und zusammen mit meinem kleinen Bruder versuchte, den Sonnenuntergang zu erhaschen, der sich hinter uns abspielte.
Doch nach einigen Minuten fiel es mir auf.
Denn um ihn zu sehen, mussten wir nicht zurück schauen.
Langsam und dann immer schneller, breitete er sich aus, ließ den gesamten Horizont aufleuchten und die Welt, von der wir dachten, dass sie unbewohnbar wäre, ein letztes Mal für einen weiteren Tag erstrahlen.
~
(20.06.2017)
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