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-23- ➳ Stoffarmbänder


Es war, als würde ich plötzlich wieder unter Wasser sein.
Und es war egal, ob es das dreckige Badewannenwasser oder das verseuchte Wasser aus dem Liliental wäre.
Denn im Endeffekt fühlten sich die folgenden Augenblicke wieder so an, als würde ich in der Schwerelosigkeit mich versuchen zu orientieren.
Die Sekunden zogen sich wie Kaugummi in die Länge und ich bekam keine Luft mehr.
Es rauschte nur noch in meinen Ohren, der Schall drang nicht zu ihnen durch.
Ich hatte keine klare Sicht auf das, was gerade passierte.

Und dann – legte sich der Schalter wieder um.
Die Geräusche explodierten förmlich in meinen Ohren, aber Harrys Schmerzensschrei brachte sie erst zu klirren.

„Harry!", schrie ich und im nächsten Moment hatte ich ihn vollends in den kleinen Gang, weg von dem Wolf gezerrt.

Er stieß gegen die Wand, schrie erneut vor Schmerzen auf und krümmte sich, während sich die Wölfe nun gegenseitig weg von dem Gang schubsten, um jeweils ihre eigenen totbringenden Klauen nach uns ausstrecken zu können.

„Oh mein Gott, Harry!", schrie ich ein weiteres Mal und griff nach seinen Schultern, während er sich keuchend und mit qualvoll verzehrten Gesicht nach vorne beugte und seine Hände auf seinen Bauch presste.

„Harry, wir müssen...", setzte ich an und konnte es nicht verhindern, dass meine Stimme voller Angst und Panik zitterte, „Wir müssen..."
Ich wollte nicht auf seinen Bauch schauen, wusste aber, dass er Hilfe brauchen würde und zwang mich, seine Hände auf seine zu legen.
Er wusste was ich vorhatte und schüttelte seinen Kopf.
„Nein", stieß er abgehackt aus, „Nur ein Kratzer. Komm weiter, wir müssen weiter."
Das Kreischen der verärgerten Tiere verfolgte uns, als ich schließlich voller Panik und mit großen Augen nickte.
Wir mussten hier wirklich weg.

Ich legte seinen linken Arm über meine Schulter, sodass ich ihn stützen konnte, während er seine rechte Hand weiterhin auf seinen Bauch presste. Man konnte bereits die ersten roten Flecken erkennen, doch ich betete, dass seine Verletzung nicht allzu schlimm sein würde.

Vorsichtig umgriff ich mit meiner anderen Hand seine Hüfte und versuchte, ihm keine Schmerzen zu zubereiten.
Ich wagte es nicht, meinen Blick von Harry zu nehmen, einfach weil ich Angst bekam, dass er sich einfach so vor meiner Nase in Luft auflösen würde.
Sein Gesicht war vor Schmerzen verzerrt und er atmete hektisch ein und aus.
Sein Oberkörper hatte er etwas nach vorne gebeugt, sodass ihm Strähnen seiner längeren Haare ins Gesicht fielen.
Schweißnass klebten die anderen ihm auf der Stirn und das Blut in seinem Gesicht war zusammen mit dem Dreck bereits getrocknet.
Dennoch schaffte er es, relativ zügig voranzugehen, sodass ich mir einredete, dass es nur ein paar Kratzer sein könnten.

Der Gang endete bei einer stählenden Tür und erleichtert atmete ich auf. Zumindest war es keine Sackgasse, denn man konnte die Wölfe immer noch bis hier hin vor Wut jaulen und gegen die Wände kratzen. Das hieß, dass sie so zumindest keinen anderen Weg zu uns wussten.

„Ist es okay, wenn ich dich eben ganz kurz los lasse, um die Tür aufzumachen?", richtete ich meine Frage leise an Harry. Dieser kniff für eine Sekunde lang die Augen zu und nickte dann.
Er keuchte immer noch heftig und beunruhigt sah ich, was für Schmerzen er hatte.

„Okay, es dauert nicht lange, versprochen", flüsterte ich, wobei ich selbst nicht wusste, warum ich meine Stimme gesenkt hatte. Es schien, als wollte ich eher mich beruhigen, als ihn, denn er lehnte sich wie von selbst gegen die Wand, während ich mich der Tür zuwendete.
Der graue Stahl wies bereits dunkle Flecken auf und die Farbe war beinahe komplett abgeplatzt. Die Türklinke war aber noch vorhanden und ich hoffte, dass sie nicht abgeschlossen war, denn dann würde ich die naive Hoffnung, dass wir nicht den Tieren zu Opfer fielen, verfluchen, die sich ganz zögerlich in mir breit gemacht hatte.

Zitternd holte ich Luft und drückte die Klinge herunter.
Und es passierte – nichts.

„Nein, nein, nein, verdammt nochmal, das ist jetzt nicht wahr", fluchte ich leise in mich hinein und spürte, wie die Panik mich wieder zu überfluten drohte. Mit mehr Kraft rüttelte ich an der Klinke, versuchte die grässlichen Geräusche der Tiere und die Schmerzen meiner aufgeschürften Hände zu ignorieren. Ich stemmte mich mit meinen Oberkörper gegen die Tür und gerade als ich dachte, dass dies hier doch noch unser Ende werden würde, gab die Tür unter meinem Gewicht mit einem leisen Quietschen einen Spalt nach.

Sofort ging ich einen Schritt zurück und konnte kaum mein Glück fassen, bis ich mich wieder zusammenriss.

„Werfe dich... gegen die Tür", kam es keuchend von Harry und ohne ihn anzusehen nickte ich.
Dann tat ich es.
Bei dem ersten Aufprall meiner Schulter gegen die Tür, spürte ich noch den brennenden Schmerz.
Beim zweiten war er nur noch stumpf.
Und beim dritten spürte ich nichts als Hoffnung und Erleichterung.

Denn dann öffnete sie sich gefolgt von einem schleifenden Geräusch breit genug, um uns den Durchgang gewähren zu können.
Ich taumelte etwas, gewann aber schnell wieder das Gleichgewicht zurück und starrte in den hellen Raum, der sich vor uns eröffnete.

„Harry, es könnte wirklich unser Ausweg sein!", rief ich begeistert, als ich auf dem ersten Blick nur das weitgehend intakte Glasdach sah, was es erlaubte, dass das Licht den verwüsteten Raum vor uns in trübes Licht tauchte. Eine Notausgangtür befand sich genau gegenüber und mein Herz pochte unglaublich schnell in meiner Brust.

Doch als ich mich zu Harry umdrehte, versagte es und rutschte mir in die Hose. Genauso wie mir all meine Gesichtszüge entglitten.

„Harry!"

Er war halb an der Wand heruntergerutscht, sein Oberkörper war seltsam nach vorne gekrümmt, so als wollte er sich einrollen.

Und da war sie wieder – die allesverzerrende und hoffnungsfressende Panik.
Innerhalb zwei Schritte erreichte ich Harry und umklammerte seine Schultern. „Harry, oh mein Gott!"

Er atmete nur in schnellen, kurzen Zügen und als ich sein Gesicht etwas anhob, erkannte ich, dass er die Augen vor Schmerzen zugekniffen hatte. Sein ganzes Gesicht war kalkweiß und mit einer Schweißschicht überzogen.
Ich wollte nicht nach unten schauen.
Ich wollte nicht seinen Bauch sehen, doch schlussendlich tat ich es noch und für einen kurzen Moment hörte sich die Welt auf zu drehen.
Ein Zittern ging durch meinen ganzen Körper, als ich sah, wie rot sein ganzes Tshirt schon war.
Und wie viel rot immer mehr hinzukam.

Seine Hände hatten keine Chance.
Selbst sie leuchteten schon in dieser Warnfarbe und konnten es nicht verhindern, dass immer mehr von dieser roten Warnung durch seine Finger sickerten.

Das Rot strahlte mir entgegen, schrie mir zu, dass es falsch war. So, so falsch und gefährlich.

Ich wusste nicht was ich machen sollte, umfasste mit beiden Händen sein Gesicht, während mir voller Panik die ersten Tränen in die Augen schossen.

„Harry, wir bekommen das schon wieder hin, okay? Wenn erst einmal die anderen da sind, dann, dann-" Ich stockte, als ich das röchelnde Lachen von Harry vernahm, das leise und rau seine Lippen verließ.

Wenn er lachte, bedeutete das doch etwas Gutes, oder?
Wenn man lachte, war man am Leben.
Man würde doch nicht lachen, wenn man sterben würde, oder?
Denn Harry konnte nicht sterben.
Er durfte es nicht.

„Sophia..."

„Nein, nein!", unterbrach ich ihn hastig, mich wild umdrehend, nicht wissend, wonach ich eigentlich genau Ausschau hielt. „Spar dir den Atem um zu überleben, Harry. Nun komm, wir müssen aus diesen Gang raus. Ich habe unseren Fluchtweg gefunden, wir sind so nah wieder zu den anderen zu stoßen, also nun komm!"

Ich wusste, dass es Hoffnungen waren, die ich selbst glauben wollte. Aber an etwas anderes wollte ich gar nicht denken. Ich konnte es nicht.
Ich legte unsicher einen Arm um seine Hüfte und als er protestieren wollte, zog ich ihn auf seine Beine. Die ersten paar Schritte konnte er unter keuchender Anstrengung noch einigermaßen gut bewerkstelligen, diese deutete ich als gut.
Doch dann, kaum dass wir in den Raum traten, verließ ihn die Kraft und er wäre wie ein nasser Sack zusammengesackt, wenn ich ihn nicht gehalten hätte. Plötzlich musste ich sein ganzes Gewicht alleine tragen und beinahe gaben meine erschöpften und zittrigen Beine unter meinen und Harrys Körper, der gegen mich lehnte, nach.

Doch verbissen zwang ich mich die letzten Schritte zu gehen und mich nach einer Möglichkeit umzublicken, an dem ich Harry weich hinlegen konnte, damit ich ihn verarzten und er sich erholen könnte.

Doch der quadratische Raum bot nicht viel.
Über uns erstreckte sich das Glasdach, was an manchen Stellen bereits zersplittert war, sodass ich aufpassen musste, dass wir nicht auf zu viele Glassplitter traten.
Sand und Dreck war über die vielen kleinen Ritze und Löcher ins Innere gekommen, sodass eine feine Dreck- und Staubschicht alles einhüllte.
Unsere Fußabdrücke, die wir hinterließen, zeigten uns, dass dieser Raum lange Zeit unbetreten gewesen war.

Bis auf ein massiver Schreibtisch, der all die Jahre standgehalten hatte, war der Raum leer. Der dazugehörige Stuhl lag in einem Trümmerhaufen dahinter.

Als Harry aufstöhnte und noch tiefer in sich zusammensacke, wurde mir bewusst, dass er nicht länger stehen konnte und bevor seine Füße gänzlich unter ihm wegrutschten konnten, krallte ich mich fester in seine Jacke und ging vorsichtig in die Hocke.
Langsam zog ich ihn mit auf den Boden.

„Wir machen hier- ganz kurz eine Pause, okay Harry?", stotterte ich, doch er biss vor Schmerzen nur die Zähne und kniff die Augen zusammen, als ich ihn vorsichtig auf dem Boden in einer geraden Position ausstreckte, darauf bedacht, dass ich all die Scherben mit meiner Hand wegschob.

„Okay... okay", stotterte ich weiter vor mich hin und als ich ihn auf den Boden gebettet hatte, bemerkte ich, wie sehr meine Hände zitterten. Harry so vor mir liegen zu haben, drückte meine Lungen zusammen und nahm mir all die Luft zum Atmen.

„Du sagtest es wären nur Kratzer, Harry. Also werden wir sicherlich bald wieder los zu den anderen können, oder bist du da anderer Meinung?", fragte ich nach und umklammerte meine Hände, um sie davon abzuhalten, weiterhin unkontrolliert zu zittern.

„Ja, nur ein paar... Kratzer eines Raubtieres", stieß Harry hervor und für ein kurzen Moment verzogen sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln, bevor er wieder scharf die Luft einzog und vor Schmerzen die Augen erneut zukniff.

Er drückte seine Hände noch mehr auf die Stelle, an dem der Wolf ihn erwischt hatte.
Langsam legte ich meine Hände auf seine und wollte sie wegziehen, um mir die Wunde anschauen zu können, als er ein sehr ernst gemeintes und mit fester Stimme hervorgebrachtes „Nein", ausstieß.

Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. „Harry, meine Mum arbeitet auf der Krankenstation. Ich kann dir einen Verband anlegen, dann wird alles wieder gut."

Ich sah, wie er den Kopf schüttelte, aber er unternahm keinen weiteren Versuch, als ich tief einatmend seine Hände von seinem Bauch wegzog.

Nun wusste ich, warum ich nicht in Mums Fußstapfen getreten war und eine Ausbildung in einem der Krankenstationen gemacht hatte.
Warum ich ausgerechnet etwas ganz anderes gemacht hatte, indem ich eine Ausbildung im Haushalt angetreten war.
Denn ich konnte mit so etwas wie Verletzungen nicht umgehen.
Vielleicht hatte ich von meiner Mum vieles gelernt, was mir eine Ausbildung in diesem Bereich erleichtert hätte, aber ich konnte es nicht.
Ich konnte nicht den Tod vor mir sehen und wissen, dass ich nichts dagegen tun könnte.

Es war kein einfacher Kratzer.
Es würde auch kein Verband helfen.
Nein.
Selbst ein Druckverband würde hier nur fehl am Platz sein.

Meine Atmung beschleunigte sich, die Tränen traten erneut in meine Augenwinkel und alles was ich nur noch sah, war rot.

Rot, rot, rot.
Rot, rot.
Rot.

Die Krallen des Wolfes hatten nicht nur sein gesamtes T-Shirt zerfetzt, sondern auch Harrys Haut darunter.
Es waren vier tiefe Schnitte, die die Haut beinahe auseinander klappen ließ. Doch man konnte es unter all dieser verhängnisvollen Farbe nicht genau erkennen. Es sickerte einfach immer weiter aus seinem Körper, obwohl es so falsch war.
So sollte es nicht sein.
Verdammt nochmal, so sollte es nicht sein!

Die erste Träne rollte über meine Wange und erst als ich zusammenzuckte, als ich eine sanfte Berührung an meinem Oberschenkel spürte, bemerkte ich, dass ich am ganzen Körper angefangen hatte, zu zittern.

„Ein etwas... schlimmerer Kratzer..., nehm ich an?", keuchte Harry zwischen mehreren hastig eingezogenen Luftzügen. Ich griff nach seiner Hand, die auf meinen Oberschenkel lag und umklammerte sie so fest, als wäre ich diejenige, die dort auf dem Boden sterbend liegen würde.

Sterbend.
Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte diesen Gedanken so schnell es ging wieder zu verbannen. Ich würde Harry nicht so schnell den Tod überlassen.

„Vielleicht, vielleicht...", stotterte ich als Antwort, „aber, das bekommen wir wieder hin, Megs hat den kleinen Erste-Hilfe-Koffer und ich habe in meinem Rucksack..."

Ich stockte selbst, als es mir auffiel.
Weder Megs war hier, noch mein Rucksack.
Dieser lag draußen, neben Harrys.
Im Hinterhof.

Wir hatten ihn hinter uns gelassen, damit wir eine Chance aufs Überleben hätten, aber stattdessen hatten wir somit das zurückgelassen, was nun so unsagbar wichtig war.
Wasser zum Reinigen. Ein einigermaßen sauberes Tuch, einen Lappen....

„Ach was, das bekommen wir auch so hin!", versuchte ich mir selbst einzureden, ließ seine Hand los und zerrte mir meine Jacke von meinem Körper.
Sie war auch rot.

Bevor ich einen Kloß im Hals bekam, hatte ich sie zusammen geknüllt und Harry vorsichtig als eine Art Kopfkissen und Stütze unter seinen Kopf geschoben, in der Hoffnung, dass er so besser atmen konnte.

Mein Flanellhemd war bereits dreckig, doch das neu gefundene Langarmshirt darunter, war das sauberste Kleidungsstück was ich besaß, sodass ich es innerhalb einer Sekunde mit meinem Messer so angeschnitten hatte, dass ich es in Streifen zerreißen konnte.

Ich bemerkte, wie Harry mich beobachtete und dabei weiterhin hastig vor sich hin atmete. Sein Brustkorb hob sich viel zu schnell und genauso schnell sickerte das Blut aus seinen Wunden.

„Ich hatte immer gehofft...", er stockte und für einen Moment erstarrte ich, bevor er unter hastigen Atemzügen weiterredete: „... dass sich ein Mädchen aus anderen Gründen... vor mir ausziehen würde."

Für eine Millisekunde musste ich lachen, doch genauso schnell verstummte ich wieder und mein Blick traf auf seine grünen Augen.

„Hör auf mich abzulenken, zudem solltest du etwas anderes im Kopf haben", murmelte ich und als sich im nächste Moment seine Gesichtszüge wieder vor Schmerzen anspannten, wurde mir bewusst, dass ich gegen die Zeit anrannte.

„Aber... du lenkst mich ab und so lange... ich nicht an das ewige Weiß denke, kann ich... auch nicht in es geraten, od-"

Bevor er seinen Satz beenden konnte, drückte ich zwei der Stofffetzen auf seine blutige Wunde und setzte ihn damit Höllenschmerzen aus.
Er schrie wie am Spieß, versuchte sich aus meinen Griff zu winden und die qualvollen Laute trieben mir Tränen ins Gesicht.

„Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!", schrie ich gegen seine Schmerzensschreie an und als ich versuchte, den Verband um seinen Bauch zu schlingen, musste ich bemerkten, dass das Blut sich schon durch den ganzen Stoff gefressen hatte.

Meine eigenen Hände waren klebrig von dem Rot.

„Ahhh...", keuchte Harry, so als hätte er nicht mehr die Kraft, seine Schmerzen durch Schreie zu zeigen.
Als ich immer noch völlig unter Schock, Hilflosigkeit und Zitteranfällen auf meine Hände voller Blut sah, fing Harry an zu husten.

Erst einmal, dann zweimal.

„Ha-Harry", fing ich an, vollkommen hilflos was ich sagen sollte.
Seine grünen Augen waren immer noch auf mich gerichtet und sie sahen mich mit so einer Intensivität an, dass ich Angst bekam, dass er gar nicht mich, sondern den Tod fokussierte.

Doch dann biss er wieder die Zähne zusammen, legte seinen Kopf etwas in den Nacken und schob unter Anstrengung seine Hand wieder in meine Richtung.

Ich wusste nicht, was er wollte, doch ich nahm sie in meine Hand und spürte daraufhin einen leichten Druck seinerseits.
Er hatte den Kopf mir zugewandt und hielt weiterhin den Blickkontakt.

Hoch. Runter. Hoch. Runter. Hoch. Runter.
Viel zu schnell, viel zu hektisch und viel zu schmerzhaft hob und senkte sich sein Brustkorb und symbolisierte nur, dass sein Körper noch nicht verstanden hatte, dass es nichts brachte, die Lungen weiterhin mit Luft füllen zu wollen, das Herz weiterhin zum Schlagen zu bringen.
Denn dieses würde das Blut nur immer und immer weiter aus der Wunde pumpen, bis...

Tränen rollten über meine Wange und meine Sicht verschwamm.
Ich konnte nicht mehr an mich halten.

„Schht", machte Harry, was aber in einem Hustanfall endete.
Als er sich wieder beruhigt hatte, öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch es dauerte qualvolle Sekunden, bis er die Worte über seine Lippen brachte: „Die Stoffbänder... von Gemma."

Er übte leichten Druck auf meine Hand aus, doch allein diese simple Gestik musste ihm viel Kraft gekostet haben. Kraft, die er immer mehr verlor.

Mein Blick fiel auf sein Handgelenk und vorsichtig, fast schon zaghaft strich ich seinen Jackenärmel hoch, um die Stoffstreifen zum Vorscheinen zu bringen.

„Sie sind hier, Harry. Sie sind hier."
Ich erinnerte mich an sein eines Armband und sofort wurde ich von einem erneuten Heulkrampf ergriffen.
„Du hast weitergemacht und etwas verändert, Harry. Deine Schwester kann stolz auf dich sein, ich bin stolz auf dich..."

Als er sich verkrampfte und nach Luft schnappte, ließ ich seine Hand los und schlug mir meine eigenen beiden vor die Augen. Die Tränen mischten sich mit Harrys Blut auf meiner Handfläche.

Ich wollte nicht, dass dies hier die Realität war.
Ich wollte nicht, dass ausgerechnet Harry starb.

„Nein", vernahm ich seine angestrengte Stimme und als ich langsam meine Hände sinken ließ, bemerkte ich, wie er tastend nach meiner Hand suchte.

„Lass nicht los, Soph."
Sofort umschloss ich meine Finger mit seinen und schüttelte den Kopf.
„Nein, das werde ich nicht. Versprochen. Ich bin hier. Ich halte dich."
Ich wiederholte die Wörter immer und immer wieder in meinem Kopf, hoffte so sehr auf ein Wunder. Ein Wunder, dass Harry retten würde.

„Nimm..." Harry hustete, bevor er mit schmerzverzehrten Gesicht weitersprechen konnte: „..sie."

Ich folgte seinem Blick.
Die Stoffarmbänder.

„Harry...", stotterte ich und erstickte beinahe in meinen eigenen Tränen, doch er unterbrach mich mit schwacher Stimme, die immer wieder abbrach, wenn er nicht die Kraft dazu fand, gleichzeitig zu überleben und die Wörter auszusprechen: „...Du brauchst... sie mehr als... ich. Erinnerst du dich an meine.." Er hustete erneut. Es war schlimmer als bisher. „...Worte?"

Natürlich.
Natürlich erinnerte ich mich an die Geschichte, die hinter Harry steckte.
Hinter dem jungen Knirps, der von seiner großen Schwester in den Hintern getreten wurde, damit er die Zähne zusammenbiss und die Wächterausbildung abschloss, um etwas verändern zu können.
Der von seiner Schwester immer und immer wieder kleine Stoffreste mit aufmunternden und motivierenden Sprüchen geschickt bekommen hatte, die er von da an um sein Handgelenk getragen hatte.
Harry, der mich zwar aus Angst in der Zelle zurücklassen wollte, sich dann aber an die Worte seiner Schwester erinnerte und sich stellte.
Nur um mit uns hier rausgeschickt zu werden und uns zu unterstützen, um sein Versprechen an Gemma, dass er weitermachen und etwas verändern würde, gerecht zu werden.
Harry, der mit mir auf der Reise normal sprach, mit uns Karten spielte und lachen über Mau-Mau und Poker diskutierte.
Harry, der ein guter Freund für mich hätte werden können.
Und Harry, der nun vor mir auf dem Boden starb.

„Ich erinnere mich, ja, Harry."

Ich heulte Rotz und Wasser, doch er schenkte mir nur ein schwaches Lächeln, bevor er unter Anstrengung nickte. Der Anflug des Lächelns verschwand, als er sich vor einer erneuten Schmerzwelle wandte und fast am Husten erstickte.

Obwohl ich wusste, dass er dies nicht überleben könnte, bekam ich Heidenangst.
Panisch drückte ich seine Hand, wie versprochen ließ ich sie nicht los und als ich mich etwas zu ihm vorbeugte, fielen die Tränen von meinen Wangen auf seinen Arm.
Der Anfall ging vorüber, doch das unregelmäßige nach Luft schnappen blieb.
Er starrte mit weit aufgerissen Augen an die Decke und ich betete, dass er dort etwas wirklich schönes sehen würde, dass ihn friedlicher werden lassen würde.

„Nun... bitte..."
Seine Hand löste sich aus meiner und fiel neben mir und da er weiterhin an die Decke starrte, wusste ich nicht zugleich, was er wollte.

„Harry, was...?", hakte ich zitternd nach, dann sah ich es aus dem Augenwinkel und mein Herz setzte aus. Nein.
Nein.
Nein.
Nein.

Das könnte er nicht von mir wollen.
Das konnte ich nicht machen!

Ich wollte schreien, ihm mein Jagdmesser, das immer noch neben mir lag und das er nun zitternd mit seiner Hand bedeckte, wegnehmen und gegen die Wand schmeißen.
Ganz weit weg von uns.
Ganz weit weg von seinem Wunsch.

„Nein, Harry, nein, nein, nein." Ich weinte nur noch, krümmte meinen Oberkörper nach vorne und griff wieder nach seiner Hand, entfernte sie von dem Messer.
„Ich kann dich nicht umbringen, ich kann das nicht."
Mein Kopf berührte beinahe seine Brust und während ich meine Augen zusammenkniff, seine Hand umklammerte und die hektischen letzten verzweifelten Versuche von Harrys Körper zu überleben zu ignorieren versuchte, wusste ich, dass es gnädiger war.

Es wäre gnädiger, ihm jetzt ein Ende zu bereiten, sodass er nicht mehr die nächsten Minuten, die sich für uns beide wie Stunden anfühlten, in qualvollen, allesumfassenden Schmerzen verbringen musste.
Wir wussten beide, dass er nicht überleben würde.
Nicht bei seiner Verletzung.
Nicht bei all dem Rot, dem Blut.

Doch ich konnte es nicht.
Ich konnte nicht das Messer ansetzen und Harrys Leben beenden, obwohl ich alles dafür geben würde, um es retten zu können.

„Nein, Harry. Nein, nein, nein."

Als er vor Schmerzen immer und immer wieder nach Luft schnappte, versuchte ich meine Augen noch mehr zusammen zukneifen, obwohl ich bereits schon nicht mehr als Dunkelheit sah.
Ich wollte flüchten.
Ich wollte von hier verschwinden, mich in eine Ecke verkriechen, mich hin und her schaukeln und nie wieder daran denken müssen, was hier gerade passierte.
Und was gleich passieren würde.
Und... danach.

Als er erneut vor Schmerzen stöhnte und er daraufhin erneut anfing zu Husten, schrie ich schon fast: „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!"

Meine Stimme wurde dabei immer leise, bis das Schniefen meiner Nase beinahe lauter als die Worte war.

Als ich nah bei meinem Ohr schließlich hörte, wie er versuchte meinen Namen zu sprechen, richtete ich mich etwas auf, um ihn in sein Gesicht zu blicken.
Sein Blick schweifte umher, bis er schließlich meine Augen fand. Es schien, als nützte er seine gesamte Kraft, um seinen Blick mit meinen zu verhaken.

Langsam, wie in Zeitlupe öffnete er den Mund und seine Worte waren kaum mehr als ein leiser Hauch im Wind: „Zumindest bin ich dieser Hölle entkommen, Soph."

Dann drifteten seine Augen wieder zur Decke.
Angestrengt holte er zwei, drei Mal noch rasselnd nach Luft, bis ihm auch diese Fähigkeit versagt wurde.

Die Farbe übernahm die Oberhand über Harry.
Er spuckte Blut.

Ein letztes Mal spürte ich noch die Zuckungen seiner Finger.
Dann hörte es auf.
Genauso wie sein Hustanfall.
Und sein Herz.

Es schien, als würde mein Herz zeitgleich mit ihm aufhören zu schlagen und all das Blut durch den Körper zu pumpen.

Seine Hand hing schlaff in meiner, aber ich wollte sie nicht loslassen.
Ich hatte ihm versprochen, es nicht zu tun.
Ich hatte es versprochen.

Ich bekam kaum noch Luft, Tränen strömten mir in Wasserfällen über das Gesicht und fielen auf den Mann, der mir nicht nur einmal das Leben gerettet hatte.

Die blauen Tropfen vermischten sich mit dem vielen Blut, das überall zu sein schien.
Überall war es.
Überall war Rot.

Rot.
Rot.
Tot.

Nach etlichen Minuten hob ich schließlich meine freie, zitternde Hand und schloss Harrys Augen.
Seine Augen waren grün.
Ich musste es mir merken, damit ich es nicht vergessen würde.

Denn er hatte gesagt, dass er mir die Geschichte mit seiner Schwester erzählt hatte, damit er sie nicht ins Grab mitnehmen würde, falls er hier sterben würde.
Und nun war er wirklich tot.

Langsam glitt meine Hand von seinen Augenlidern, die sich nie wieder öffnen würden, über seinen Arm, der sich nie wieder bewegen würde, bis hin zu seinem Handgelenk mit den Soffbändern, die er nie wieder lesen würde.

Harry war tot und doch wusste ich, für wie stark er seine Schwester gehalten hatte.
Sie hatte ihm erst zu dem gemacht, der er heute war.
Und nur eine kleine Veränderung in der Denkweise konnte von einem einfachen Stoffband kommen.

Ich musste seine Hand loslassen, um ein Stoffstreifen nach dem anderen von seinem Handgelenk zu lösen.

Als mein Blick auf das mach weiter und verändere etwas trafen, stockte ich.
Ich hatte fünf Bänder gelöst, drei befanden sich noch an seinem blutverschmierten Handgelenk und ich beschloss diese dort zu lassen.

„Sie werden dich auf deiner Reise begleiten, Harry", flüsterte ich mit brüchiger Stimme und strich ihm die schweißnassen Haare aus der Stirn.
„Gemma kann verdammt stolz auf ihren kleinen Bruder sein." Nun brach meine Stimme weg und schnell rieb ich mir mit dem Ärmel meines Hemdes über mein Gesicht.
Es brachte nicht viel.
Es brachte Harry nicht wieder zurück.

Dann, als ich so langsam das Zittern meine Hände unter Kontrolle gebracht hatte, band ich mir vorsichtig die Stoffstreifen um. Dann legte die Hand auf seine und drückte sie leicht.
Sie war noch warm und könnte mich täuschen, dass er noch lebendig wäre, wenn mich das viele Rot und seine nicht vorhandene Atmung nicht wieder brutal in die Wirklichkeit zerren würden.

„Ich leihe sie mir nur aus. Denn irgendwann werden sie an ihren ursprünglichen Ort zurückkehren, wo sie viel mehr gebraucht werden..."

Ich hielt inne, denn in diesem Moment gab ich mir selbst ein Versprechen, das ich erfüllen werde, falls ich jemals in die Skyscraper zurückkehren könnte.

Mein Blick ging wieder zurück zu Harrys so still daliegenden Körper. Er sah nun so friedlich aus, seine Gesichtszüge waren gelöst, so als hätte er etwas in der Sekunde seines Todes gesehen, dass es leichter machte, alles was er Liebte in der Welt der Lebenden zurückzulassen.

„Ruhe in Frieden, Harry. Denn du hast Recht, nun kann dir diese Hölle nichts mehr antun."

Ich senkte wieder meinen Kopf und mir wurde klar, dass er in den letzten Sekunden seines Lebens wahrscheinlich auch seinen Fehler bemerkt hatte.

Denn Harry hatte Unrecht.
Mau-Mau ließ uns nicht vergessen, dass wir hier draußen sterben konnten.
Er hatte komplett falsch gelegen.
Denn unser Schicksal hier draußen war kein Mau Mau-Spiel.
Es war Poker und wir alle hatten als Spieleinsatz unfreiwillig unser Leben eingesetzt.
Jordan war der erste, der verloren hatte.
Nun Harry.
Und keiner konnte bei diesem Spiel austreten.

~

(04.01.2017)



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