-21- ➳ Jagderöffnung (+ TRAILER)
https://youtu.be/KssMjmpi-s0
Staub lag in der Luft, machte das Atem und die Sichtverhältnisse schwerer, aber dennoch konnten wir die richtige Sonne am Himmel für einen kurzen Moment erkennen, wie sie langsam, aber stetig ihren Weg hochkämpfte.
Es waren zwei weitere Tage vergangen, an denen wir durch die Häuser auf der Suche nach nützlichen Sachen gestreift waren. Drei weitere Nächte, die wir mehr oder weniger sicher in unserem vorübergehenden Lager verbracht hatten.
Dass wir etwas länger hier ausharren würden, wurde vor drei Tagen beschlossen, als wir alle erschöpft auf im Wohnzimmer ankamen. Jenia hatte die letzten Reste Reis für uns vorbereitet und während jeder seine Portion stillschweigend aß, merkte Niall an, dass zwar auch die zerstörten Supermärkte bis auf die letzten Servierten geplündert worden waren, er dafür aber eine Art Brunnen in einem Hinterhof gefunden hatte.
So beschlossen wir, den nächsten Tag dafür zu nutzen, unsere Wasservorräte wieder komplett aufzufüllen. Dieser Abend war ohne Streitereien verlaufen, Niall entdeckte Sams Pistole nicht und Liam verkroch sich in seine Ecke, ohne ein weiteres Wort mit mir zu wechseln.
Am nächsten Tag machten wir uns alle früh auf den Weg und folgten Niall, der zusammen mit Christopher voran ging. Er hat uns in ein Gebiet des Ortes geführt, in dem wir vorher noch nicht waren, kamen an einer heruntergefallenen Werbetafel vorbei, kletterten über verkeilte Autos und mussten uns schließlich unter mehreren Stahlträgern ducken, um in den besagten Hinterhof zu gelangen.
Aber all die Anstrengung war wie vergessen, als wir alle mit vereinten Kräften das Gitter von dem Brunnen schoben, das größere Gegenstände daran hindern sollte, in das Wasser zu gelangen.
Wir mussten unser eigenes Seil auf die Kordel einfädeln und den Eimer, den wir im Bunker als Toilette benutzt hatten, benutzen, aber wir alle ignorierten diesen Fakt. Denn die Aussicht auf Wasser überschattete den Ekel.
Als der erste Eimer Wasser hochgezogen wurde, brachen wir alle in Jubel aus, voller unbändiger Freude drückte ich Sam an mich und selbst Harry riss vor Begeisterung seine Faust in die Luft.
Dies ging so lange, bis Mason mit trockener Stimme meinte, dass wir ruhig so weiter rumschreien sollten, wenn wir alles Lebendige im Umkreis der nächsten fünf Kilometer auf uns aufmerksam machen wollten, wir aber dann doch bitte so lange warten sollten, bis er sein Wasser hätte und verschwunden wäre.
Ich gab es nicht gerne zu, aber er hatte Recht.
Daraufhin freuten wir uns nur noch still.
Innerhalb einer Stunde hatten wir genug Wasser hochgezogen, um all unsere Flaschen wieder zu befüllen, doch bevor Sam es sich gleich die Kehle herunterstürzen konnte, hinderte ich ihn daran und suchte in meiner Hosentasche nach den Jodtabletten, die ich vorsorglich an dem Morgen aus meinen Rucksack gekramt hatte.
Denn das Wasser war trotz des Gitters verschmutzt und voller Bakterien. Ich wollte meinen Bruder nicht an einer Darmkrankheit oder Ähnliches verlieren.
Die anderen taten es uns gleich und während wir warteten, dass wir das Wasser trinken konnten, fing Niall auf einmal an, sein Shirt über den Kopf zu ziehen. Als er unsere überraschten Blicke sah, grinste er nur und meinte, dass es eine einmalige Chance war, sich zu waschen.
Megs jedoch drehte ihm provokativ den Rücken zu.
An diesem Tag wuschen wir notdürftig unseren Körper, tranken, bis wir vom vielen Wasser einen Blubberbauch bekamen und durchsuchten anschließend weitere Häuser.
Es war der erste Tag, der vollkommen ruhig abgelaufen war.
Der nächste war ähnlich und langsam hatte ich mich an all die Ruinen, den Schutt und die Trostlosigkeit gewöhnt, die dieser Ort ausstrahlte. Trotz des Faktes, dass wir die Todeszone hinter uns gelassen hatten, waren wir noch keinem Lebewesen begegnet. Nur ab und an huschten zwei, drei Ratten vor uns weg, auf der Suche nach Schutz in der Dunkelheit.
An diesem Tag fanden wir in einem halb eingestürzten Keller einen Waffenschrank.
Bevor Niall alles einsacken konnte, ließ ich schnell eine Packung Munition mitgehen, in der Hoffnung, dass sie in Sams Pistole passen würden.
Zwar bekam ich weder die Schrotflinte, noch die einfache Handschusspistole – erste ging an Mason, zweitere an Niall – aber ich öffnete überrascht meinen Mund, als Megs mir eines der gefundenen Jagdmesser mit den Worten, dass es besser als mein kleines Universalmesser war, überreichte. Das Messerblatt wies zwar schon leichten Rost auf, aber für den Notfall würde es noch scharf genug sein. Diese alte Jagdausrüstung war ein wirklicher Glücksfang und so langsam schlich sich der Gedanke in meinen Kopf ein, dass wir nun bessere Karten vom Schicksal zugeteilt bekamen.
Am Abend hatte Sam wieder seine Dominosteine hervorgeholt und nachdem wir zwei Runden gespielt hatten, leistete Harry uns Gesellschaft. Zuerst sah er nur zu, grinste über meine Unbeholfenheit und zeigte auf, wo der Fehler in unserer Spielweise lag. Schließlich stand er kurz auf und verschwand mit den Worten, dass er gleich wieder kommen würde.
Und das tat er auch – mit einem Haufen vergilbter Spielkarten, die er laut seinen Worten in einer alten Kommode gefunden hatte.
An diesem Abend erklärte Harry uns mit leiser Stimme wie man Mau Mau spielte. Er erzählte davon, dass seine Schwester Gemma es ihm in der Kindheit beigebracht hatte und so schon manch langweilige Pause in seiner Wächterausbildung mit seinen Kameraden verbracht hatte. Ich bemerkte die neugierigen Blicke der Anderen und es dauerte nicht lange, bis ich plötzlich Liams Präsenz neben mir spürte. Sofort rutschte ich, damit er einen Platz auf der Isomatte fand.
„Darf ich mitspielen?"
Harry hob den Blick, doch in seinen Augen war keine Abneigung zu sehen. Er antwortete nicht, doch als er erneut die Karten verteilte, bekam auch Liam welche.
Mitten in der zweiten Runde tauchten Megs und Jenia auf.
Megs quetschte sich mit den Worten „Rutsch mal, rich boy!" zwischen Liam und Harry und schnappte sich zum Spielende den Kartenhaufen, mischte ihn, verteilte mit einem Grinsen die Karten und meinte überheblich: „Ich bin unschlagbar in diesem Spiel. Seid froh, dass wir kein Poker spielen, denn sonst würde ich euch bis auf euer Unterhemd und den Dreck unter euren Fingernägeln abzocken!"
Und so nahm der Abend seinen Lauf.
Wir spielten mehrere Runden und Harry wollte bei der fünften Runde frustriert das Handtuch werfen, da Megs Recht behalten und bisher die vorherigen vier Spiele gewonnen hatte, als Liam die entscheidende Karte legte und somit gewann.
Er lächelte nur verschwörerisch und lehnte sich leicht zurück.
Mit diesem Sieg hatte er sich Megs jedoch zur Erzfeindin gemacht, die in den nächsten Runden mit allen Mitteln versuchte, ihren unbesiegbaren Status wieder herzustellen.
Es war lustig, unbekümmert und man konnte für einen Moment alle Sorgen vergessen.
Selbst Masons Beschwerden, die er fluchend von seinem Sofa aus ausstößt, ließ uns kalt.
Christopher und Niall kamen genauso wenig zu uns, doch ich spürte oft genug seinen Blick.
Es war spät, als wir die Karten schließlich Harry wieder sorgfältig in die Hand legten und uns Gute Nacht wünschten. Eine ganze Kerze war an diesem Abend verbrannt, aber dies hatte sich gelohnt. Es fühlte sich an, als hätte uns Mau Mau ein Stückchen näher gebracht, auch wenn weiterhin keiner mit Liam direkt geredet hatte.
Und nun standen wir außerhalb des Hauses. Auf unseren Rücken befanden sich wieder unsere Rucksäcke, schwerer als je zuvor. Doch dieses zusätzliche Gewicht nahm ich liebend gern in Kauf, weil ich wusste, dass sie durch die Wasserflaschen und all den Konserven kam, die nun meinen Rucksack mit befüllten. Es war der erste Tag hier draußen, an dem ich weder Hunger noch Durst verspürte.
Und es war der erste Tag, an dem ich dachte, dass wir alles schaffen könnten.
Wir würden jetzt weiterziehen, weiter in Richtung Wasserkraftwerke.
Drei Tage und drei Nächte haben wir hier verbracht.
Bevor wir unser Lager abgebaut hatten, hatte Megs die Karte aus ihrem Rucksack hervorgezogen und auf dem Boden ausgebreitet. Liam hatte sich neben sie gekniet und nachdem Megs ihn einmal böse angestarrt hatte, hatte Liam nur einmal kurz auf einen Fleck der Karte gezeigt und war dann wieder aufgestanden. Man hatte an Megs gerunzelter Stirn und ihren dann überrascht geweiteten Augen gemerkt, dass sie verstand, worauf Liam hinauswollte. Genauso wie Niall es verstand, der genauso wie ich in der Beobachterrolle war, aber mit seinen Augen Liam verfolgte. Vor Wut hatte er seine Hände zu Fäusten geballt.
Ich hoffte, er würde erkennen, dass Liam nur helfen wollte.
Zumindest hoffte ich, dass das so stimmte.
„In Gedanken versunken?"
Ich zuckte zusammen, beruhigte mich jedoch, als ich nur Harry entdeckte, der mich von der Seite aus angrinste.
Er hatte seine Hände unter den Rucksackstrippen geklemmt und lief mit so viel Motivation, wie schon lange nicht mehr.
„Ja, kann man so sagen", gab ich leicht lächelnd zu und mein Blick schweifte von ihm zu den anderen. Ich hatte mich daran gewöhnt als einer der Letzten zu laufen. Nur Liam war – wie sonst auch immer – hinter mir.
„Wir sollten so etwas öfters machen, findest du nicht auch?" Harry blickte nun nach vorne und verlangsamte etwas seine Schritte. „Gestern Abend konnte ich für einen Augenblick vergessen, wo wir eigentlich waren, Sophia. Ich habe mich an meine Kameraden erinnert, die mich immer über den Tisch ziehen wollten. Aber ich habe dafür nicht daran gedacht, dass diese irgendwo im Skyscraper Nord 44 einen Fahrstuhl bewachen, untere Sektoren von den anderen abschotten oder Kontrollen durchführen, während wir hier in der alten Welt herumlaufen."
Ich nickte und schob mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Als ich wieder einen Blick zu Harry warf, traf ich auf seine grünen Augen.
„Wer hätte gedacht, dass ein einfaches Kartenspiel die Tatsache vergessen lässt, dass man hier draußen jederzeit sterben kann?"
Er grinste mir schief zu, doch bevor ich etwas erwidern konnte, ertönte Nialls Stimme laut von der Spitze unserer Gruppe: „Harry!"
Harrys Blick glitt nach vorne, dann seufzte er auf, hob zum Abschied die Hand und meinte: „Dann bis gleich, Sophia."
Sein Ärmel rutschte hoch und entblößte die Stoffarmbänder, die seine Schwester für ihn gemacht hatte. Sie mussten tröstlich für ihn in dieser Welt sein.
Als Harry in ein leichtes Joggen verfiel, um Niall einzuholen, wendete ich mich wieder der Umgebung zu.
Je länger wir liefen, desto mehr veränderte sich die Umgebung. Es schien, als würde sich das Wohnviertel in ein ehemaliges Industrieviertel verändern. Die Ruinen wurden größer, mehr Stahlträger ragten zu unseren Seiten auf und rohe Betonwände schirmten hin und wieder die Sonne ab. Ein riesiger Industrieschornstein war in einiger Entfernung komplett weggeknickt, war jedoch wie durch Zauberhand an sich intakt geblieben. Die steinerne Röhre lag trostlos auf dem Boden, wurde von der Natur erobert und endete in einem halb zerfallenden Gebäude. Dessen Dach war an der Seite zusammen mit dem Schornstein weggeknickt, dafür erhob sich zu der anderen Seite hin trotz all der Jahre ein zweiter Schornstein stolz in den Himmel. Ich riss den Blick von ihm los und konzentrierte mich wieder auf den Weg vor uns.
Wir mussten über umgestürzte und verhedderte Stacheldrahtzäume klettern und nach einiger Zeit fing ich wieder das Schwitzen an. Ein umgekippter Schwertransporter versperrte uns den weiteren Weg und mit einer einzigen Handbewegung symbolisierte Niall, dass wir über die Schuttberge außen herum klettern sollten.
Es wurde nicht gezögert und schon bei dem ersten Stein fing ich das Ätzen an. Da ich nur auf meine Füße achtete, um nicht zwischen die Trümmer zu rutschten und mir den Knöchel zu brechen, bemerkte ich erst, dass Mason angehalten war, als ich an ihm vorbei kletterte.
Er stand auf einem flachen Stein, hatte die Stirn gerunzelt und starrte in den Himmel.
Ich zögerte und blieb für ein paar Sekunden auf seiner Höhe stehen, unsicher, ob ich nachfragen sollte, ob alles okay war.
Bevor ich mir darüber jedoch länger Gedanken machen konnte, senkte er seinen Blick und seine blauen Augen trafen auf meine. Sofort verengten sie sich zu Schlitzen.
„Was ist?"
„Nichts", beeilte ich mich zu sagen.
„Dann sieh lieber zu, dass dein kleiner Bruderherz nicht wieder den Trümmerhaufen herunter purzelt und wie Jordan endet."
Sofort presste ich meine Lippen zu einer geraden Linie und hob mein Kinn an.
„Gibt es hier ein Problem?" Liam schloss von hinten zu uns auf und blieb neben mir stehen. Masons Blick wanderte beinahe desinteressiert zu ihm, dann schweifte dieser wieder in den Himmel.
„Nicht so lange du aufgetaucht bist, Liam. Und nun solltet ihr euch vielleicht besser beeilen."
Ich bemerkte, wie Liam wieder den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, doch ich legte ihm die Hand auf den Arm und schüttelte meinen Kopf.
„Lass es gut sein, es ist nur Mason", murmelte ich.
Ich erkannte an dem Zucken seines Auges, dass er anderer Meinung war, nickte aber schließlich und half mir beim Weiterklettern. Sam wartete etwas oberhalb auf uns und mühte sich ab. Er hielt weiterhin die Pistole in der Hand und als ich sah wie ungeschickt er damit nur vorankam, hielt ich ihn an der Schulter zurück, um so seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Pack die Pistole weg, du brauchst beide Hände frei und nachher löst sich noch ungewollt ein Schuss und dann hast du eine Patrone weniger."
Sam verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere und seufzte auf.
„Es passiert schon nichts, Soph."
„Sam", meinte ich warnend. Ich wollte jetzt keine Diskussion anfangen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Liam aufmerksam zwischen uns beiden hin und her sah, sodass ich mich schließlich leicht ihm zu wendete und meinte: „Geh bitte schon einmal vor, wir sind gleich da."
Es erschien, als wollte er dies zuerst nicht, aber als er meinen eindringlichen Blick sah, nickte er nur und nahm die nächsten Steine in Angriff.
Mein Blick glitt wieder zu meinen kleinen Bruder, der trotzig seine Arme vor der Brust verschränkt hatte und dabei weiterhin die Pistole in der rechten Hand hielt. In diesem Fall merkte man, dass er gerade einmal erst vierzehn, band fünfzehn war.
„Sam, tu mir einfach den Gefallen, okay? Wir haben jetzt keine Zeit zum Diskutieren."
Wir starrten uns gegenseitig an, bis Sam schließlich einknickte und mit einem „Okay" die Pistole in den Hosenbund schob.
Sofort lächelte ich und klopfte ihn auf den Rücken.
„Gut, dann lass jetzt weiter."
Mit einem Blick zurück, erkannte ich, dass sich auch Mason von seinen Beobachtungsplatz wieder aufgemacht hatte, dabei jedoch weiterhin aufmerksam seine Umgebung musterte.
Ich verdrehte nur die Augen und beeilte mich wieder zu den anderen aufzuschließen. Dabei musste ich jedoch einsehen, dass Sam und ich trotz unseren freien Hände weiterhin ungeschickt waren. Ich rutschte einmal ab und als ich mir die Handfläche aufschürfte, fluchte ich.
„Shit!"
„Das ist nur ein kleiner Kratzer zum Vergleich dazu, was alles passieren kann", vernahm ich Masons Stimme hinter mir. Schnell rappelte ich mich wieder auf und versuchte meine Überraschung darüber zu verbergen, dass er uns so schnell einholen konnte.
Wir hatten nun den Höhepunkt des Gerölls erreicht und ich erkannte, dass die anderen nicht viel weiter weg waren.
„Ach Mason, halt doch einfach mal deine verdammte-", fing ich frustriert an zu sagen, als es plötzlich laut wurde und eine schwarze Masse in den Himmel stieg, das wenige Sonnenlicht verminderte und in dem Dunst wie schwarze Geister umherflog.
Panik fraß sich durch meinen gesamten Körper und ich stieß einen kleinen Schrei aus. Mason neben mir jedoch beobachtete den Himmel fasziniert und schüttelte den Kopf.
„Das sind Vögel, ich wusste es!"
„Was zur Hölle?", vernahm ich Nialls Ruf. Sie alle waren stehen geblieben und sahen wie erstarrt der kreischenden Vogelschar zu, wie hin und her flogen und sich anscheinend nicht für eine Richtung entscheiden konnten.
„Mason...", setzte ich langsam an und tastete nach dem Jagdmesser, das mir Megs überlassen hatte, „was bedeutet das?"
Masons Gesicht war zu einem suspekten Grinsen verzogen, als er den Vögeln zusah und senkte gar nicht seinen Blick als meinte: „Nun, reizende Sophia. Das bedeutet, dass wir nicht länger alleine sind. Oder besser gesagt, es nie waren."
Und dann, urplötzlich, verstummte das Geschrei der Vögel und der Schwarm stob blitzschnell zu verschiedenen Himmelsrichtungen auseinander.
„Und das, Sophia, bedeutet, dass wir nun rennen sollen."
„Was?", fragte ich nach, die Panik lähmte mich, doch zeitgleich hörte ich, wie Megs schrie: „Rennt!"
Mason zögerte keine Sekunde. Flink sprang er von einem Stein zum anderen und hatte schneller als ich blinzeln konnte, die anderen eingeholt.
Doch meine Gedanken hingen immer noch fest.
Sie lähmten mich, vereinnahmten mich vollkommen.
Wie naiv war es von uns allen zu glauben, dass wir hier drei Tage bleiben konnten und nichts geschehen würde?
Wir hatten uns auf diese kleine Verschnaufpause ausgeruht, wir haben gedacht, dass wir weiterhin so vorwärtskommen würden.
Aber dabei hatten wir die Todeszone längst hinter uns gelassen. Es war klar, dass wir nicht länger alleine waren.
Und damit meinte ich nicht die zwei, drei Ratten, die ab und an quiekend durch die Trümmer huschten.
Ich meinte das, was man nun hören konnte.
Sam schrie mir durch den tierischen Schrei des Etwas zu, griff nach meinen Arm und riss mich so wieder in die grausame Wirklichkeit.
Er zog mich hinter sich her, mehr stolperten wir die Trümmer hinab als alles andere. Mehrmals knickte ich um und riss uns beide fast zusammen zu Boden, doch immer wieder konnte ich das Gleichgewicht wieder erlangen.
Ich wusste nicht, welchem Tier man dem Geräusch zu ordnen konnte, aber es klang furchterregend und so, als wüsste es, dass wir hier waren.
Es klang, als wäre es auf Jagd.
Wir sprangen die letzten Trümmerteile hinunter und landeten wieder auf der verstaubten Straße. Die anderen rannten bereits ein paar Meter vor uns auf ein riesiges Betongerüst zu und ich versuchte Sam und mich dazu anzutreiben, schneller zu rennen.
Ich kniff meinen Mund zu, ignorierte mein panisches Herz und dank des Adrenalins verschwanden all meine Schmerzen.
Mein einziger Gedanke galt, meinen Bruder in Sicherheit zu bringen.
Metallische Fässer, Autowracks und Drahte bildeten Stolperfallen, aber wir schafften es tatsächlich den Abstand zu verringern. Ich erkannte nun, worauf Niall zuhielt. Es war ein großes Garagentor, das ein Spalt breit offen war.
Egal was sich dahinter befinden würde, es würde uns hoffentlich Schutz bieten.
Der Rucksack rammte mir immer und immer wieder in den Rücken und ich verlor die Isomatte, die ich zwischen den Strippen geklemmt hatte. Doch dieser Verlust war jetzt egal.
„Komm, Sam!", rief ich und griff nach seiner Hand, um ihn anzutreiben.
Seine Antwort ging in dem nächsten Geheule unter.
Nun waren es mehrere und selbst das Adrenalin konnte nicht länger meine Todesangst unterdrücken.
Niall hatte das Tor bereits erreicht, ließ sich auf den Boden fallen und versuchte es mit aller Kraft anzuheben, als auch schließlich Mason und Christopher dazu stießen und ihm dabei halfen, die Lücke groß genug zu machen, damit man darunter hindurch robben konnte.
Niall blickte zurück, forderte uns mit hektischen Handbewegungen dazu auf, uns zu beeilen, hatte dabei jedoch nur Augen für Megs.
Jenia war die nächste, die das Tor erreichte, knapp gefolgt von Megs, die kurz davor ins Straucheln geriet. Sofort rannte Niall die letzten paar Meter zu ihr und half ihr unter die das Tor hindurch, dass Christopher und Mason mit aller Kraft hochhielten. Als Liam es erreichte, half er sofort mit.
Harry wäre der nächste, der am Tor ankommen würde und gerade, als ich nur noch im Tunnelblick das Tor fixierte, passierte es.
Harry stolperte.
Er fiel der Länge nach hin, durch die Flugkraft seines Rucksackes überschlug er sich halb und knallte auf Geröll. Schwerfällig versuchte er sich aufzurichten, doch er scheiterte.
Als wir ihn einholten, stand mein Entschluss fest.
Gerade als ein weiteres Aufheulen der Tiere mich zusammenzucken ließen, ließ ich Sams Hand los, schubste ihn weiter vorwärts und schrie: „Lauf, Sam, ich bin gleich hinter dir!"
Er drehte sich verwirrt um und als er erkannte, was ich vorhatte, wollte er zu mir zurück, doch ich schüttelte den Kopf und rief ein weiteres Mal: „Nein, Sam! Ich bin gleich da."
Ich kam bei Harry an, als ich sah, wie Megs von innen dabei half, das Tor aufzuhalten und Sam zuschrie, dass er sich beeilen sollte.
Als ich Harrys Arm um meinen Hals legte und ihn unter Anstrengung hoch half, sah ich, wie Sam sich unter das Tor hindurchbückte und augenblicklich fiel mir eine riesige Last vom Herzen.
„Sophia...", hustete Harry und hielt sich den Kopf, „Danke, aber-"
„Dank mir erst, wenn wir bei den anderen sind", unterbrach ich ihn. „Und nun schnell!"
Als ein weiteres Mal das Geheul durch die Betonruinen schallte, richteten sich all meine kleinen Härchen auf meinen Armen auf. Es klang so viel näher.
Wie verschwommen nahm ich wahr, wie Christopher, Liam und Mason weiterhin das Tor aufhielten, Sam mit seiner Pistole dahinter stand und mir mit verzweifeltem Gesicht etwas zu schrie. Megs machte hektische Handbewegungen und selbst Nialls Gesichtsausdruck war unruhig.
Mit Harry kam ich viel langsamer voran und wie in Zeitlupe sah ich, wie Mason schließlich eine und dann die zweite Hand von dem Tor losließ und in dem Inneren verschwand. Sofort rutschte das Tor ratternd etwas nach unten und Liam, sowie Christopher hatten Mühe, es zu halten. Sofort versuchte Sam und Megs Masons Platz einzunehmen, dennoch sah man, wie das Tor Stück für Stück tiefer sackte.
„Beeilt euch verdammt nochmal!", hörte ich Megs unter Anstrengung schreien, doch im nächsten Moment durchschnitt ein Knurren die Luft.
Es war anders als das Geheul.
Es war viel näher.
Auch Harry schien es zu bemerken, denn er wurde stocksteif und zog scharf die Luft ein.
„Sophia!"
„Streng dich an, Harry, wir sind gleich da!", keuchte ich und umfasste seine Schulter etwas fester. Meine Hände waren vom Schweiß rutschig und fanden an seiner glatten Jacke kaum genügend Halt.
„Sophia!", rief Harry erneut und dann blickte ich auf.
Nun hörten wir das Vieh nicht nur.
Nun konnten wir es auch sehen.
Es stand auf dem nächsten Trümmerhaufen, genau neben dem Tor und ähnelte dem Hund, den wir vorm Liliental begegnet waren.
Nur, dass dieses Etwas hier viel größer und angsteinflößender war.
Das dunkelgraue Fell stand ihm vom ganzen Körper ab, an manchen Stellen fehlte es ihm ganz und wulstige Narben zogen sich über den knorrigen Rücken. Das Gesicht verlief spitz und endete in einer Reihe scharfer, gefletschter Zähne. Während eine Augenhöhle leer war, starrte uns aus der anderen ein rotes Auge entgegen.
„Verdammte Scheiße, ist das ein Wolf?", schrie jemand, doch ich wusste nicht, zu wem die Stimme gehörte. „Schießt endlich!", kreischte jemand anderes.
Nun war es Harry, der mich hinter sich herzog, doch im nächsten Moment duckte sich das wolfsähnliche Tier und machte einen Satz auf das Tor zu.
Ein Schuss fiel, dann ein weiterer.
Ich sah, wie Sam zitternd die Pistole von sich weghielt und versuchte zu zielen. Auch Niall legte die Schrottflinte an, die er anscheinend Mason entrissen hatte.
Der nächste Schuss traf. Das mutierte Tier jaulte auf, doch der Schmerzensschrei vermischte sich mit dem Geheul eines anderen Tieres.
Und dann mit dem eines weiteren.
Und noch einen.
Es war ein ganzes verdammtes Rudel!
„Wir kommen nie an diesem Ding vorbei!", sprach ich das Unausweichliche aus.
Denn das Tier war zwar verletzt und zur Zeit auf Niall fixiert, aber es stand genau vor dem Tor.
Wir hatten keinerlei Chancen.
„Doch, wenn Niall noch einmal schießt...", entgegnete Harry keuchend und versuchte mich weiter zu ziehen.
Doch ich blieb stehen. Wenn wir weiter zum Tor rennen würden, würden wir in unseren eigenen Tod laufen.
Hektisch sah ich mich um.
Es gab nur Trümmer. Endlos halb eingestürzte Gebäude.
Ein weiterer Schuss fiel, das Tier kreischte auf und richtete sich auf seine Hinterbeine auf.
Es war riesig.
„Sophia, nun komm endlich, bitte!", rief Harry verzweifelt, doch ich konnte sehen, wie Christopher erkannte, was der mutierte Wolf vorhatte und nach hinten taumelte.
Das Tor rutschte noch tiefer und dann schienen auch die anderen zu kapieren, was das Tier plante.
Eine Hand nach der anderen rutschte von der Kante ab.
Mit einem Knall rasselte das Tor zu.
Und mit einem Knall trafen die Vorderläufe des Wolfes dagegen.
Es war zu spät.
Das Tor war zu.
„Scheiße!", stieß Harry aus, doch bevor noch weitere Sekunden vergehen konnten, schnappte ich mir seine Hand, wechselte die Richtung und fing an auf den riesigen, umgekippten Industrie-Schornstein zu rennen.
Ein weiteres Mal hörten wir das Auftreffen der Pfoten des Tieres auf das Tor und ich betete, dass es standhalten würde.
Genauso wie ich betete, dass es sich nicht umdrehen und uns somit entdecken würde.
Zwei weitere Wölfe heulten auf und als ich es wagte meinen Blick zu heben, setzte mein Herz einmal aus.
Nebeneinander standen sie oberhalb eines Trümmerberges und hatten uns genau im Visier.
„Schneller!", schrie ich als wir den Schornstein erreichten. Harry kletterte hinein und half mir ihm nachzukommen. Vor uns erstreckte sich gähnende Schwärze, doch uns blieb nicht die Zeit unsere Taschenlampen aus den Rucksäcken zu holen.
Es war, als könnte ich den heißen, nach Fleisch stinkenden Atem der Tiere bereits in meinem Nacken spüren, auch wenn ich wusste, dass dies nur eine Einbildung war.
In der Dunkelheit stolperten wir mehrmals über Schutt, die verstaubte Luft ließ uns Husten und als schließlich das Echo der Wölfe an den runden Schornsteinwände wiederhallte, wussten wir, dass die Wölfe ihren Weg hierein gefunden hatten.
Sie waren uns auf den Fersen.
Und mit Grauen musste ich feststellen, dass sie haushoch im Vorteil waren.
Dies hier war ihr Gebiet.
Sie kannten es.
Und sie hatten die einfachste Jagdmethode angewendet, die es gab.
Sie hatten die Schwachen von der Gruppe abgeschnitten.
Und eröffneten nun mit einem langgezogenem Geheul die Jagd.
~
(28.12.2016)
Bitte bitte, nehmt euch diese 90 Sekunden Zeit, um euch den Trailer anzusehen.
Bei den Trailer von Skyscraper war ich schon baff, aber hier hat sie sich mal wieder übertroffen. Und damit hat sie mich so sehr motiviert, dass nun hier schon das nächste Kapitel kommt, auch wenn es erst für den ersten Januar geplant war... xD
gracefuledits Ich danke dir vom ganzen Herzen, zwar hätte ich ohne dich ein, zwei beinahe-Herzinfarkte weniger, aber dafür nicht dieser hammer genialen Trailer...
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