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CeCe
„Das war so fantastisch", jauchzte sie. „Mega-geil!"
Ich grinste. „Dann wirst du die Rückfahrt kaum erwarten können."
„Absolut." Quietschend glitt meine beste Freundin Amber aus dem Auto und klatschte begeistert in die Hände. Mehrmals. „Der Hammer, CeCe."
Die Türen meines neuen Wagens glitten zu, der Mercedes piepste und war verriegelt.
„Ich weiß gar nicht, wie ich den Tag überstehen soll, wenn ich ununterbrochen an die Rückfahrt denken muss."
Tröstend klopfte ich Amber auf die Schulter. „Du wirst das schon schaffen. Ich glaube an dich."
„Oh man", stöhnte sie und warf ihre langen dunklen Haare in den Nacken. „Wieso kann ich nicht auch solche Eltern haben?"
„Du hast doch Eltern."
„Aber eben nicht deine."
Wir schulterten unsere Rucksäcke und gingen gemeinsam auf das Schulgebäude zu.
„Die Sorte Eltern, die einem aus dem Nichts zum Beginn des neuen Schuljahres ein Auto schenken", redete Amber weiter. „Einfach so, damit die Tochter nicht mehr mit dem Fahrrad zur Schule fahren muss. Oder – noch schlimmer – mit dem Schulbus, wie ich."
Ich verzog das Gesicht. „Dafür sind deine Eltern da", entgegnete ich. „Meine kompensieren ihr schlechtes Gewissen mit nem neuen Auto."
„Dagegen hätte ich gar nichts." Amber zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen Reue und Abwesenheit und dafür einen scharfen Flitzer, da wäre ich dabei." Sie sah mich von der Seite an. „Wo sind sie dieses Mal?"
„Gerade wieder mit dem Forschungsschiff Richtung Grönland aufgebrochen", antwortete ich. Mittlerweile hatten wir das Schulgebäude erreicht und betraten nacheinander den Eingangsbereich. „Gestern Abend. Und ich habe keine Ahnung, wie lange die Expedition dieses Mal dauert."
„Ist doch gut!"
„Das kann man sehen, wie man will." Liebend gerne hätte ich mein Leben mit ihrem getauscht. So häufig ließen mich meine Eltern allein, um mit einer Gruppe Wissenschaftlern das Meer und den Klimawandel zu erforschen, dass ich es schon gar nicht mehr zählen konnte. Sie suchten nach Lösungen für ein menschgeschaffenes Problem. Ich wusste aber, dass weitaus mehr dahintersteckte.
„Ich sehe es so: Partyalarm im Hause DeMeer." Amber hatte den Zeigefinger erhoben und sah mich auffordernd an. „Wir sollten dringend über eine solche Hausparty reden."
Ich lachte. „Das hättest du wohl gerne."
„Oh ja." Damit begann sie ohne Punkt und Komma über alles Mögliche zu reden, während wir durch die Flure zu unserem Kursraum schlenderten. Die Fahrt zur Schule, die Fahrt nach Hause, den Auftritt am Wochenende und die große Party morgen Abend. Ich hörte ihr kaum zu und war schon in Gedanken bei der nächsten Unterrichtsstunde. Freitags in den ersten beiden Stunden hatten wir Mathe, und so endete die Woche genauso beschissen, wie sie begonnen hatte. Mit Mr Loyd und den faszinierenden Wundern der Mathematik. Börgs.
Missmutig ließ ich mich schließlich auf meinen Platz fallen und warf meine langen, rostbraunen Locken zurück. Mathe war keins meiner Lieblingsfächer. Und Mr Loyd war mir immer schon sehr suspekt gewesen. Wer sich so dermaßen für Mathe begeistern konnte und bei jedem Ergebnis freudig losquiekte, konnte nicht ganz richtig sein im Kopf.
Gähnend verfolgte ich den Unterricht und war kaum bei der Sache. Ich hatte schlecht geschlafen. Das tat ich immer, wenn meine Eltern nicht zuhause waren, und das war nun mal die meiste Zeit meines Lebens. Chronisch unausgeschlafen nannte man das.
„In der Mittagspause haben wir ein Date", raunte mir Amber plötzlich zu.
Ich verstand nicht ganz und runzelte die Stirn, als ich sie fragend von der Seite ansah.
Sie schien die unausgesprochene Frage dahinter verstanden zu haben, denn sie flüsterte weiter: „Du musst die neue Uniform noch anprobieren. Für morgen. Für unseren Auftritt."
„Okay." Ich nickte.
„Sonst bekommst du alles hin?"
„Ich denke, ja."
„Wir müssen uns vorher nicht nochmal treffen und das Programm durchgehen?" Sie redete von dem anstehenden Cheerleader-Auftritt und war als Kapitänin unserer Mannschaft immer darauf bedacht, dass alles einwandfrei ablief.
„Nein, Amber." Ich winkte ab. Auch wenn ich beim letzten Training etwas unkonzentriert war, war ich sicher, dass mir kein Fehler in der Choreografie unterlaufen würde. „Ich schaffe das schon. Keine Sorge."
Neben uns räusperte sich jemand. Ertappt fuhren wir auseinander und blickten uns um.
„Gibt es ein Problem?" Mr Loyd beugte sich tiefer über unsere Tische und sah uns nacheinander forschend in die Augen.
„Nein, nein." Amber lachte charmant und wickelte sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. „Alles gut hier. Ich fragte nur gerade nach einem Geodreieck."
Blitzschnell reichte ich ihr eins. „Und hier ist es."
„Danke."
Mr Loyd nickte. „Dann ist es ja gut. Und ich dachte schon, hier ginge es um ein privates Gespräch." Er kniff die Augen zusammen.
„Natürlich nicht." Meine Freundin wedelte mit dem Geodreieck und lächelte ihn süß an. Dann wandte sie sich an mich. „Danke, CeCe. Ich, Schussel, hab meins Zuhause vergessen."
„Gerne doch."
Bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf den ganzen Kurs richtete, deutete er mit dem Finger auf meinen Block. „Aufgabe drei, hier. Da fehlt etwas. Am besten guckst du nochmal nach, Cecilia."
„Sicher, Mr Loyd", nickte ich schnell. „Ich seh' s mir gleich nochmal an."
Er schnalzte mit der Zunge und schlurfte zurück durch die Reihen der restlichen Schüler, um hier und da einen Blick auf ihre Arbeitsergebnisse zu werfen.
„Das ist ja gerade nochmal gut gegangen", wisperte Amber und zwinkerte mir zu.
Der Schultag endete dann, wie er begonnen hatte: Mit einer quietschenden Amber, die ihr Glück kaum fassen konnte, dass ich heute ihren Chauffeur spielte, als sie vor ihrem Haus aus dem Wagen ausstieg und selig zum Abschied winkte.
„Wir sehen uns morgen!", flötete sie. „Sei pünktlich."
Wieder zuhause angekommen ließ ich meinen Rucksack im Flur auf den Boden fallen und hängte die neue Cheerleaderuniform an die Garderobe. Es war ein schwarz-grüner Turnanzug mit langen Ärmeln und ein kurzes, fächerförmiges Röckchen. Die Ärmelenden und ein Teil des Rocks waren mit glitzernden Pailletten besetzt, auf der Brust waren in großen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund die Anfangsbuchstaben EPD eingestanzt. East Port Dolphins. Unser Teamname.
Eine Weile betrachtete ich die Uniform und konnte mir sehr gut vorstellen, wie ich darin aussehen würde. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über den hochwertigen Stoff. Als ich sie vorhin anprobiert hatte, hatte sie mir perfekt gepasst und wie eine zweite Haut an meinem Körper gesessen. Ich freute mich auf das morgige Spiel und unseren Auftritt.
Während ich mit den Füßen auf und ab wippte, pustete ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und grinste breit. Das würde Spaß machen. Die Ferien waren lang gewesen und das Training hatte mir gefehlt, die Auftritte noch viel mehr.
Schließlich machte ich mich auf den Weg in die Küche, um mir ein Sandwich zu machen. Wenig später lief ich kauend die Treppe hoch in mein Zimmer und wagte einen Blick aus dem Fenster auf das helle Nachbarhaus. Völlig unscheinbar lag es neben unserem. Es war weiß mit schwarzem Dach und hatte seitlich eine schmale Veranda, von der die Eingangstür abging. Über der Veranda ragte ein Erker heraus, dessen Fenster meinem fast gegenüber lag.
Bisher war es unbewohnt gewesen, weil unsere ehemaligen Nachbarn vor einigen Monaten in die Großstadt gezogen waren. Jetzt war es das offensichtlich nicht mehr.
Ich stutzte und trat näher an mein Fenster. Von hier oben konnte ich ein Zimmer hinter dem gegenüberliegenden Fenster erkennen, das nur karg möbliert war. Ein Regal, ein Bett, ein Tisch. Auch das große Wohnzimmerfenster im Erdgeschoss war zu sehen und einige Umzugskartons, die sich darin befanden. Sonst niemand.
Mein Handy vibrierte.
~~~
NOAH
Eigentlich hatte ich gedacht, ich würde mich besser fühlen, wenn wir erst einmal eingezogen waren, aber genau das Gegenteil war der Fall. Ich vermisste mein altes Leben nur noch mehr. Hier am Arsch der Welt irgendwo in Virginia fühlte ich mich einsamer als je zuvor.
Und doch war ich hier und musste irgendwie mit meinem Leben klarkommen. Im Moment wollte ich aber nur eins: Hier raus und mich ablenken. Kurzentschlossen tauschte ich meine Jeans gegen eine Jogginghose und zog mir ein anderes T-Shirt über. Ich hatte nicht vor, joggen zu gehen, aber frische Luft und Bewegung würden mir helfen, den Kopf frei zu bekommen und mich besser zu fühlen. Hoffte ich.
Schnell schlüpfte ich in meine Sneaker und band mir die Schnürsenkel. Dann lief ich die Treppe hinunter.
„Bin nochmal kurz unterwegs", rief ich meinem Onkel zu, bevor ich zur Haustür lief. Ich wollte schon die Klinke hinunterdrücken und nach draußen treten, da hörte ich ein Räuspern hinter mir. Schnell fuhr ich herum.
„Du läufst davon", meinte mein Onkel. Er war im Türrahmen zur Küche aufgetaucht und musterte mich aufmerksam.
„Und?"
„Davonlaufen ist niemals die Lösung, Noah."
„Ich will nur frische Luft schnappen, mehr nicht." Knapp zuckte ich mit den Schultern und öffnete die Haustür. „Bin bald zurück." Damit verließ ich das Haus und schnappte mir mein Mountainbike, das an der linken Hauswand lehnte.
Die Straßen waren recht leer. Ich versuchte nicht so viel auf meine Umgebung zu achten und verfiel beim Treten in einen gleichmäßigen und lockeren Rhythmus. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Meter um Meter legte ich zurück und ließ schnell unsere Straße hinter mir. Es fühlte sich gut an, durch den fremden Ort zu cruisen, sich dabei zu bewegen und eine leichte Brise um die Ohren zu spüren. Wieder bog ich um die nächste Ecke, eine Straße weiter und rechts in die nächste hinein. Leider achtete ich zu wenig auf meine Umgebung und fuhr viel zu schnell.
„Oh shit!", hörte ich noch jemanden rufen, gefolgt von einem lauten Aufschrei.
Da war es schon zu spät. Ich riss den Kopf hoch und spürte nur noch, wie ich etwas hart streifte. Mein Lenker ruckte nach links. Dabei kam mein Bike bedenklich ins Trudeln und ich brachte es nicht mehr unter Kontrolle. Mit einem lautem Scheppern fiel es zu Boden und schleifte mich ein paar Meter mit.
Fuck!
Als ich das nächste Mal blinzelte, lag ich auf dem Boden und fühlte einen pochenden Schmerz an meiner Hüfte. Doch um mich machte ich mir keine Sorgen. Mein Blick flog zu einer anderen Person, die ein Stück weiter weg auf dem Asphalt kauerte und sich die Hand hielt.
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