Sirenengesang
Hallo!
Dies ist mein Beitrag zum New Year, New You Contest 2025. Ich habe dieses Jahr spontan entschieden, einfach einmal mitzumachen :). Folgenden Prompt habe ich mir ausgesucht:
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Prompt 4: Baue mindestens fünf der folgenden Wörter in deinen Beitrag ein und markiere diese im Text fett: Nebel, Flüstern, Straße, Brücke, Umweg, Stille, Geheimnis, Verlangen, Liebe, Zeichen, Spiegel, Schleier, Koffer, Vergessen, Fehler
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Über ehrliches und konstruktives Feedback freue ich mich jederzeit, da ich mich dieses Mal auch an ein neues Genre rangetastet habe. Ich hoffe, die Geschichte ist nicht zu verwirrend geworden xD. Viel Spaß beim Lesen!
Fröhliches Gelächter und heitere Gesprächsfetzen drangen von den Häuserreihen herüber. Angetrunkene Feierwütige stolperten durch die Straßen, zündeten Böller und Feuerwerk und sahen begeistert dabei zu, wie sich ihr Geld binnen weniger Sekunden von einem bunten Funkenschauer zu flüchtigem Nebel in der Dunkelheit der Nacht verwandelte.
Laute Musik spielte in den Häusern und ich spürte den dröhnenden Bass bis hier in meinen Knochen vibrieren. Wie erlitten die da drinnen keinen Hörschaden? Wie habe ich da drinnen früher keinen Hörschaden erlitten?
Gute Frage. Obwohl es erst ein Jahr her sein musste, seit ich das letzte Mal mit unbeschwerter Leichtigkeit – und ungeachtet des Katers am nächsten Tag – mit meinen Freunden angestoßen und gefeiert habe, fühlte sich diese Zeit dennoch schon so unglaublich weit weg an. Wie ein bereits verblassendes Foto in einem alten Album aus einem anderen, längst vergangenen Abschnitt in meinem Leben.
Ich verzog mein Mund zu einem Lächeln, das eher einem Zähnefletschen glich. Hatte sich mein Leben in einem Jahr wirklich so tiefgreifen verändert? Es fühlte sich beinahe surreal an. Die Ligeia von vor einem Jahr hatte nichts mehr mit der Ligeia jetzt gemein.
Die Ligeia von jetzt hob leicht den Kopf und erblickte zwei Silhouetten auf dem Balkon eines nahe liegenden Hauses. Meine stechend grünen Augen erkannten direkt, wer dort eng umschlungen zusammen stand.
Cardin und Chessy. Als Cardin Chessy an sich zog und sie so intensiv küsste, dass mir hätte schlecht werden müssen, spürte ich jedoch nichts als eine abgrundtiefe, gefühllose Leere in mir. Ein weiterer Unterschied zur der alten Ligeia.
Bald. Bald wirst du mir gehören, Cardin, versprach ich in die winterliche Nachtluft hinein.
Ich wand mich von der feiernden Meute ab und schlug den Weg zum Strand ein. Die gewünschte Stille wurde mir dort leider nicht vergönnt, weiterhin zischte und knallte es pausenlos hinter mir. Ich trat auf einen morschen Holzsteg und folgte ihm in das Meer hinein.
Das dunkle, unergründliche Wasser schwappte leise plätschernd gegen die Holzplanken des Stegs. Hinter mir zerbarst ein weiteres Feuerwerk zu einem bunten Spektakel und hinterließ einen nebeligen Schleier. Der beißende Gestank von Rauch lag in der Luft.
Gut, dass die ihre Feuerwerk nicht im Wasser zünden können. Im selben Moment lachte ich mich wegen meines naiven Gedankengangs aus. Einige Meter von mir entfernt saßen gut ein Dutzend Jugendliche um ein Feuer herum und stießen mit Bier an. Ich wollte gar nicht wissen, wie viel Müll von dieser Nacht am Strand blieb und von der Flut am nächsten Morgen mitgenommen wird.
Ich starrte regungslos auf das schwarze Meer. An den Wellenkämmen brach sich das wenige, silberne Mondlicht und verlieh dem Ganzen eine geheimnisvolle mystische Atmosphäre.
Früher hatte mir meine Großmutter oft haarsträubende Sagen über das Meer erzählt. Von menschenähnlichen Monstern handelten ihre Erzählungen, die wahllos Opfer in das Wasser lockten und sie dort ertränkten.
Viele Jahre lang habe ich das Meer gemieden. Wenn ich als Kind mit meinen Freunden baden gegangen bin, habe ich immer darauf geachtet, festen Boden unter meinen Füßen behalten zu können. Bis zu jenem Tag vor einem Jahr ...
Monatelang hatte ich damals Cardin bereits angehimmelt, jedoch nie den Mut gehabt, ihn auf dem Campus anzusprechen. An diesem Tag kurz vor Weihnachten sah ich in – zusammen mit einem fremden Mädchen, von der ich jetzt wusste, dass sie Chessy hieß.
Kopflos stolperte ich davon. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie ich zum Meer gekommen bin, jedoch sehr wohl, wie ich gestürzt und von einer kleinen Klippe in das eiskalte Wasser gefallen bin.
Wie Tausende kleine Nadeln hat sich die Kälte des tiefwinterlichen Nordatlantiks in meine Haut gebrannt und noch während ich voller Panik strampelnd gegen das schwere Salzwasser gekämpft habe, habe ich eine Veränderung in mir gefühlt. Seitdem hatte sich das süße, flatternde Gefühl, das ich für Carin empfunden habe, in kaltes, gefühlloses Verlangen gewandelt ...
Eine kalte Welle schlug hoch und schwappt über den Steg. Ich erinnerte mich daran, dass in letzter Zeit wieder einige bisher ungeklärte Vermisstenfälle in den lokalen Nachrichten gemeldet wurden. Wenn ich nicht gewusst hätte, wer dahinter steckt, hätte ich mich definitiv vom Wasser ferngehalten, vor allem angesichts der vielen aktuellen Spekulationen im Internet über Seemonster.
Neben den meisten Leuten, die übernatürliche Erscheinungen lauthals verleugneten und auf eine logische Erklärung für die verschwundenen Personen pochten, gab es auch genauso viele Menschen, die fest an die Existenz von Seemonstern glaubten und diese für die Vermisstenfälle verantwortlich machten.
Neben wilden wissenschaftlichen Hypothesen forderten die meisten von ihnen mehr Schutz an Stränden und Untersuchungsmaßnahmen von den zugehörigen Behörden. Und was sollte das bringen? Einige ganz verrückte Stimmen verlangten sogar freie Jagd auf diese angeblichen Seemonster. Verzeiht, aber man kann Sirenen nicht einfach jagen.
Teilweise habe ich Artikel entdeckt, in denen die Autoren argumentierten, dass die vermeintlichen Seemonster ebenso schützenswerte Lebewesen mit Familie und Emotionen wie wir waren und auf geeignete Maßnahmen für ein friedliches Beisammensein plädierten.
Familie und Emotionen, äffte ich innerlich nach. Wenn eine Sirene mit ihrem betörenden Gesang ein armes Opfer direkt in ihre todbringenden Arme trieb, dann war da nur noch Platz für Kaltblütigkeit und Machtbesessenheit. Zwei unendlich berauschende, süchtig machende Gefühle. Und es war damals genau die richtige Ablenkung von meinen eigenen verletzen Gefühlen.
Am Ufer begannen die Jugendlichen lauthals grölend von zehn herunterzuzählen. Zehn. Neun. Ich streckte meine Hand in das Wasser. Die kalten Wellen umspulten meine Haut wie Balsam.
Acht. Sieben. Ich beugte mich nach vorne. Das dunkle Meer war wie ein Spiegel meiner Seele. Verschwommen, unbeständig und von Wellen durchkämmt.
Sechs. Fünf. Ein blasses Gesicht, umrahmt von dunklen Haaren und leuchtend grünen Augen, blickte mir entgegen.
Vier. Drei. Wer genau hinblickte, sah in der Spieglung die blassen Kiemen hinter den Ohren und die dünnen Schwimmhäute zwischen meinen Finger.
Zwei. Eins. Das Inferno an Feuerwerken hörte ich schon nicht mehr. Lautlos glitt ich in das Meer und tauchte unter. Das eiskalte Wasser drang mir in Nase und Mund und zufrieden registrierte ich den schneidenden Schmerz hinter meinen Ohren.
Langsam spülte das Salzwasser meine äußere Haut fort. New Year, new you.
Zurück blieb die wahre Ligeia. Ligeia, die skrupellose Sirene.
Das Meer verlieh mir Macht, wobei das Hochgefühl der Verwandlung nur ein Flüstern war, im Vergleich zum unglaublichen Rausch, ein Opfer in den Händen zu halten. Ich lächelte und schwamm los. Mein Schwarm, meine Familie, die mich vor genau einem Jahr aufgenommen hatte, wartete auf mich. Eine neue Jagd konnte beginnen.
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