S Z E Ś Ć
Die Türen des Kleiderschranks stehen offen, und ich werfe einen Blick hinein. Ich habe keine Wahl getroffen, irgendwie bleibe ich ratlos. Mal gleitet der Blick zu der linken Seite, dort, wo die dunklen Klamotten liegen, dann aber zu der anderen. Hier befinden sich die, welche leuchtende Farben besitzen. Ich verspüre keinen Drang, Farbe zu tragen. Ich strecke eine Hand aus und nehme eine schwarze Hose und ein graues Shirt heraus. Die Unterwäsche folgt danach. Die Wahl steht somit fest. Ohne dass ich mich von den Gedanken löse, schließe ich die Schranktüren und trete zu dem relativ kleinen Bett. Ich habe vergessen, das Bett zu machen. Die Decke liegt wie ein Haufen am Fußende, das Kissen hat schier unzählige Falten. Ein flüchtiger Blick, dann lasse ich das Handtuch zu Boden fallen. Es löst sich lautlos von meinem Körper, und ich befördere es mit dem rechten Fuß beiseite. Die ausgewählten Klamotten finden ihren Platz auf der Matratze.
Die Vorstellungen hören nicht auf, starte ich einen inneren Monolog, schnappe den BH und lege ihn an. Zupfe ihn ein wenig ordentlich, ehe der Rest von der dunkelfarbigen Unterwäsche folgt. Sie werden schlimmer. Viel schlimmer. Machen mich wahnsinniger. Wenigstens das Zittern hat aufgehört. Selbst der Puls ist zu der Ruhe angelangt. Allerdings schafft mein Kopf es nicht, die Bilder zu löschen. Sie bleiben hartnäckig vorhanden. Jetzt stelle ich mir vor, wie sie in meinem Bett liegt. In spärlichen und reizvollen Klamotten. Am besten rot mit schwarz. Ein Schauder läuft meinen Rücken herunter. Ich streife mir das lockere Shirt über und versuche, nicht auf die Anfänge des Drangs zu achten. Diese Farbkombination bringt mich um den Verstand. Die Zähne vergraben sich etwas in die untere Lippe. Der nächste Atemzug fällt schwerer aus. Ich presse die Lippen fester zusammen und schlüpfe in die Hose. Spiele an den Bändern, welche aus dem Bund hängen. Sie liegt wie ein anmutiges Tier in meinem Bett und sehnt sich nach mir. Ihr hungriger Blick und ihr wunderschöner Körper. Fuck. Mir ist nicht aufgefallen, dass ich plötzlich auf das Bett schaue. Es befindet sich niemand auf der Matratze, auch wenn das Unterbewusstsein versucht, mir eine imaginäre Gestalt auf dieser zu jubeln. Ich muss mich zusammenreißen. Wenigstens heute. Mensch, so schwer kann das doch nicht sein. Wie sehr ich mich doch getäuscht habe. Dessen bin ich mir bewusst.
Ich reiße förmlich den Blick von dem Bett und lasse mich auf die Bettkante sinken. Nehme einen willkürlichen Punkt in den Fokus. Die Stille umgibt mich. Zoë muss in das Wohnzimmer gegangen sein, denn wenn ich genau hinhöre, kann ich undeutliche Geräusche des Fernsehers wahrnehmen. Ich habe keine Lust, mich zu ihr zu gesellen. Sie wird Fragen stellen, da bin ich mir sicher. Zoë ist schon immer ein neugieriger Mensch gewesen. Ihre Neugier macht sie sehr hartnäckig. Genau diese Sache macht meine Schwester binnen weniger Augenblicke unerträglich und im schlimmsten Fall nervig. Deshalb habe ich den Beschluss ergriffen, in meinem Schlafzimmer zu sitzen und in die Welt der eigenen Gedanken abzutauchen. Ich könnte mir wieder verschiedene Vorstellungen und Bilder ausmalen. Mich selbst wahnsinnig machen. Zu mehr bin ich nicht fähig. Ich blinzele langsam. Doch, ich wäre es, dennoch will ich es nicht, besonders nicht allein. Allein nützt mir nichts.
Ein leiser Seufzer entweicht mir. Ich lege die Hände in meinen Schoß und blicke nach wie vor den Nachttisch an. Die Lampe wirft mit einem schwachen Licht um sich, dementsprechend sind viele Winkel des Schlafzimmers in den Schatten versunken. Mir gefällt diese Tatsache nicht. Also, dass sie für fremde Männer tanzt. Ich balle die Hände zu Fäusten und realisiere, wie die Fingernägel sich in die Haut bohren. Sie soll schleunigst damit aufhören. Ich einzig und allein darf sie in knappen und stilvollen Klamotten sehen. Ich will die Shows und den Anblick genießen. Ihre Schönheit soll einschließlich mir gehören. Ein sehr schwaches Knurren ertönt aus der Kehle. Ein neues, aber scharfes Gefühl brodelt in mir auf. Ich muss ihr das klarmachen. Am besten jetzt gleich. Je früher, desto besser. Sie soll gefälligst nach meinen Regeln tanzen. Die Fingernägel graben sich tiefer in den Handballen, sodass ein leichter Schmerz entsteht. Ich ignoriere ihn. Mir wäre es lieber, wenn sie nur mir gehört und sich meinen Regeln unterordnet. Die Lampe gibt ein kurzes Flackern von sich. Die Blondine braucht Regeln, ihre wunderschöne Anmut gerät sonst in Gefahr. Und das will ich vermeiden. Jetzt, wo wir schon 'mal dabei sind; es wird mir ein großes Vergnügen bereiten, sie zu bändigen. Ein wohliges Prickeln füllt mich aus. Ich fahre mit der Zunge über die Unterlippe. Nehme dabei den metallischen Geschmack von Blut wahr. Darauf freue ich mich am meisten.
Ich gleite immer tiefer in meine eigene Welt ab. Blende beständig die Außenwelt aus, überhöre die feinen Geräusche. In meiner Welt befindet sich die Blondine bei mir. Eine gehorsame und anmutige Frau, welche nicht von meiner Seite weicht. Die Gedanken halten mich so sehr fest, sodass ich das Klopfen an der Tür überhöre. Erst, als Zoë ihren Kopf in das Zimmer streckt, schrecke ich abrupt aus der Welt. Der Puls steigt von Null auf Hundert an, und ich wende den Blick zu meiner Schwester. Mit schnellem Herzklopfen schaue ich sie an. Bilde ich es mir ein, oder wirkt Zoë besorgt?
„Ach, entschuldige", beginnt sie, ein zögerliches Lächeln breitet sich auf den Lippen aus. „Ich wollte dich nicht erschrecken." Sie hat es also wahrgenommen. Ich sage nichts. „Tut mir leid." Ihre dünnen Finger streichen über die Tür. „Ist alles okay bei dir? Du wirkst auf einmal wie ausgewechselt."
Bin ich mittlerweile so leicht zu durchschauen? Und warum stelle ich mir überhaupt solche Fragen? Ich ziehe etwas die Augenbrauen zusammen und bringe ein Kopfschütteln nach. Ich muss dafür sorgen, dass Zoë sich mit keinen Sorgen herumschlägt. Das ist das Letzte, was ich benötige.
„Schon gut", gebe ich zurück und deute neben mich. Zoë begutachtet den Platz, ehe sie in mein Schlafzimmer tritt und sich dem Bett nähert. Ich mustere sie, entdecke sogleich einen winzigen Fleck oberhalb ihrer rechten Brust. „Es ist ja nichts los. Du störst nicht." Ich bemühe mich um ein Lächeln. Irgendwie muss ich es schaffen, Zoë zu entspannen. „Ach, es ist alles okay bei mir. Wie beim Abendbrot erwähnt, ist der Tag etwas anstrengend gewesen."
Anstrengend nicht - sonderbar. Sonderbar und besonders. Ich behalte den Blick auf Zoë gerichtet. Zwischen uns klafft eine kleine Lücke. Meine Schwester hat ihre langen Beine ausgestreckt, und die Finger spielen an dem Saum des hellblauen Oberteils. Eine verräterische Geste. Sie setzt sich also mit etwas auseinander, und ich bin mir sicher, dass sie sich mit der Situation am Tisch beschäftigt. Fragen brennen in ihr, aber Zoë traut sich nicht, diese zu stellen.
„Ich weiß ja nicht." Die Vierundzwanzigjährige sieht mich an. Ich erwidere und erkenne Zweifel in dem Grün. „Na ja, du solltest wissen, dass ich ... ich ..." Sie gerät ins Stocken. Ich hebe die Augenbrauen an. Setze eine erwartungsvolle Miene auf. „Ich bin skeptisch. Ich glaube dir nicht. Sorry, falls ich schon wieder so skeptisch bin, aber ich mache mir etwas Sorgen. Ich meine, deine Reaktion beim Erwähnen von dem Nachtclub war nicht normal."
Ich habe das Bedürfnis zu lachen. Es würde einen großen Nutzen tragen. Hätte die Stimmung ein wenig aufgelockert und uns die Anspannung genommen. Nicht vollständig, aber zum Teil. Es hätte ausgereicht. Aber das Gelächter ist in meiner Kehle steckengeblieben und kann sich nicht nach draußen bahnen. Ich bleibe somit ruhig.
„Kannst du mir vorher einen kleinen Gefallen tun?", frage ich stattdessen, rutsche mehr auf die Matratze und ziehe die Beine an mich.
„Und welcher wäre das?" Zoë blickt über ihre Schulter hinweg.
„Hör' auf, dich ständig für alles zu entschuldigen. Das nervt auf Dauer, und ich hasse es." Ich schnipse einen Faden von dem Knie und fahre mit den Fingerkuppen über den Stoff. „Also? Lässt du es bitte sein? Dann kann ich dir auch gerne die ... Wahrheit erzählen."
Schließlich habe ich meine Schwester vor mir. Ich kann sie nicht mit Lügen konfrontieren. Mein Gewissen würde mich augenblicklich quälen.
Zoë blinzelt und setzt für die nächsten Sekunden ein Schweigen ein. Sie hat mit dem Zupfen inne gehalten und stattdessen ihr Handy aus der Hosentasche geholt. Angeschaltet ist es nicht, sie dreht es in der Hand umher. Eine typische Schwäche. Zoë schafft es nicht, für eine bestimmte Zeit still und teilnahmslos zu sitzen.
„Ist versprochen." Sie seufzt, als sie meinen Blick bemerkt hat. „Okay, okay. Ich bemühe mich, ja? Besser?" Ein Nicken meinerseits. „Dann wäre das geklärt." Zoë vollbringt eine halbe Drehung und lässt anschließend ihre Beine auf das Bett sinken. Meine Zehenspitzen berühren sie.
„Wäre es wirklich." Ich schaue aus dem Fenster. Sie Sonne ist vollständig verschwunden, und die Nacht lässt nun Miami zum Leben erwachen. Ich beobachte die Mücken und Fliegen, welche vor dem Fliegengitter auf und ab segeln. „Ich mach's jetzt aber verdammt kurz. Ich habe keine Lust, einen ganzen Roman zu erzählen. Zumal ich dir das Wesentliche am Tisch gesagt habe." Die Fliegen werfen sich mit aller Kraft gegen das Netz.
„Mir ist es wichtig, dass du überhaupt etwas sagst", erwidert die Blondine und schiebt den linken Träger von ihrem Top hoch, als er an der Schulter hinab geglitten ist.
„Du, das werde ich schon. Mach' dir da keine Sorgen." Ich suche mir passende Worte zusammen, ehe ich ergänze: „Also, du weißt ja schon, dass Vincent mich zu der Bar geschleppt hat, wir dann auf die Blondine gestoßen sind, und dass sie den Nachtclub Red Roses erwähnt hat." Zoë lauscht aufmerksam der Spiegelung von meinem Abend. „So, dann bist du gekommen und hast mir die eigentliche Tatsache erzählt. Die Sache mit dem Nachtclub."
„Und?", unterbricht sie mich. Ihre Stimme zeugt von einem neugierigen Ton.
„Ja, davor habe ich eine Weile nachgedacht. Was sie mit dem Red Roses gemeint hat. Sogar Vince hat nichts mit dem Namen anfangen können." Ich befördere eine nasse Haarsträhne aus meinem Gesicht, als sie vor meinen Augen baumelt. „Unter der Dusche habe ich weiter überlegt. Das tue ich immer noch. Und ich habe eine bescheiden schöne Einsicht gewonnen."
„Welche wäre das? Dass deine Blondine eine Stripperin ist?" Ihre schmalen Lippen verziehen sich zu einem schiefen Grinsen. Ich verdrehe die Augen und stoße ein lautes Brummen aus. Zoë greift es als Bestätigung auf. „Aha, da liege ich also richtig." Ich hebe einen Arm und deute einen Schlag an. Meine Schwester lässt sich nicht davon beeindrucken. Unbeirrt fährt sie fort: „Hm, ein verrückter Anfang für eine verrückte Beziehung."
Ich starre sie ungläubig an.
„Ja, sag' mal. Was denkst du denn, bitte schön?" Meine Lippen gleichen einem schmalen Strich, als Zoë ihr Gelächter ertönen lässt. Meine Laune sinkt ein wenig in die Tiefe. „Das ist nicht dein Ernst. Mensch, das ist nicht lustig. Ehrlich gesagt, finde ich das beschissen."
Wenn sich eines in meinem Bewusstsein befindet, dann ist es dass, dass solche Tänzerinnen eine Beziehung bestmöglich vermeiden wollen. Sie pflegen oft ein Leben ohne einen Partner an ihrer Seite. Auf einer Art kann ich dies nachvollziehen, schließlich sieht man nicht gerne, wie die eigene Freundin an einer Stange tanzt, um während der Tänze von fremden Männern mit gierigen Augen angeschmachtet zu werden.
„Was ich denke?" Sie hat ihr Gelächter beendet. Dennoch bleiben meine Gesichtszüge hart. „Ich denke, dass du mit ihr eine wenn auch spezielle Beziehung führen willst. Sie hat es dir ordentlich angetan. Und wehe, du leugnest das. Du weißt selbst, dass das stimmt." Sie wartet nicht auf meine Antwort. „Fahr' doch morgen zu ihr hin. Ich wette, dass sie zu einhundert Prozent wieder im Red Roses sein wird."
Ich habe mit diesem Gedanken längst gespielt. Diese Frage steht somit außer Raum. Ich bleibe still und starre meine Knie an. Ich kann es tatsächlich schlecht leugnen. Zoë hat recht. Ich sehne mich nach einer Beziehung mit dieser Blondine. Sie ist meine Auserwählte. Schließlich ist sie dazu imstande, mich mit ihrem bloßen Anblick in den Wahnsinn zu treiben. Zwar wird diese Beziehung nicht auf einer typischen Ebene sein, aber wenigstens hätte ich sie an meiner Seite.
Ich beschließe, nicht auf den ersten Teil von ihrer Aussage einzugehen. Darüber könnten wir eine schier unendlich lange Diskussion führen. Für sie habe ich keine Kraft mehr übrig. Aus diesem Grund lege ich ein Veto ein.
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht", gebe ich zu und schiebe mich von dem Bett. Ich will nicht länger in dem Schlafzimmer sitzen. Jetzt muss ich mir eine Ablenkung verschaffen. Die Bilder aus meinem Kopf entfernen. Schließlich will ich eine ruhige Nacht durchleben. „Vince wollte da nämlich auch hin. Einfach mal nachgucken, ob was es sich handelt. Na ja, ich weiß es ja jetzt. Für ich wird es eine recht schöne Überraschung werden." Ich nähere mich der Tür. Zoë hat sich ebenfalls erhoben und folgt mir. „Aber da ich ganz schlecht warten kann, werde ich gleich morgen zum Red Roses fahren. Wenn Vince die Nachtschicht übernehmen muss, dann ist es sein Problem. Ich werde den Besuch nicht mehr verschieben. Ich kriege es nicht hin, geduldig zu sein."
„Tu' ich, dann kann ich mit reinem Gewissen zu Natasha fahren." Die Vierundzwanzigjährige klingt entspannt. Selbst ich habe es geschafft, die Anspannung von mir zu werfen. „Wir wollen nämlich noch lernen und ein paar Recherchen anstellen."
„Bestimmt mit Wein, oder? So wie ihr das nämlich immer macht, wenn ihr lernen müsst." Ich schenke ihr ein Grinsen und schreite die Treppe herunter. Das vertraute Knarren hallt in meinen Ohren wieder. „Lernen unter Alkoholeinfluss. Und das bringt tatsächlich etwas? Also, wenn das wirklich klappt, dann sollte ich das auch in Erwägung ziehen." Endlich kann ich lachen.
„Das werden wir vor Ort und ganz spontan entscheiden", gibt Zoë spitz zurück, und zusammen betreten wir das Wohnzimmer. Der Geruch von dem Abendessen hängt immer noch in der Luft. „Hey, es nützt etwas, wirklich. Solange man es nicht übertreibt, bringt es eine ganze Menge. Natasha hat ihr letztes Examen so bestehen können. Verrückt, oder? Und da sagt mir einer, Wein sei schlecht. Sieht man."
Wir nehmen auf der recht großen Couch Platz. Zoë auf der waagerechten Seite, ich auch der senkrechten. Ich beuge mich nach vorne und ergreife die Fernbedienung. Betätige einen Knopf, um den Fernseher anzuschalten.
„Hauptsache, du lässt dir nicht den Kopf volllaufen, wenn du Examen schreibst", spreche ich und lege die Fernbedienung neben mich, als ich eine ansprechende Serie entdeckt habe. „Ich kann nämlich darauf verzichten, wenn du am nächsten Tag bei uns in der Station sitzt. Du, ich werde für dich kein gutes Wort einlegen. Das kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen."
Ich lehne mich zurück.
„Das wird nicht passieren. Wir trinken nur während des Lernens ein paar Gläschen." Die Vierundzwanzigjährige schaut mich belustigt an. „Freundlich wie eh und je, was? Da habe ich wohl einen deiner guten Tage erwischt." Sie löst den Blick von mir, und zusammen sehen wir uns eine typische amerikanische Serie an.
Ich bastele mir keine Antwort zusammen. Verschränke die Arme vor der Brust. Ich hoffe, dass diese sinnlose Serie es schafft, mich von meiner eigenen Welt fernzuhalten. Jetzt will ich nämlich nicht in sie abtauchen. Ich will die Ruhe im Körper verspüren. Einen freien Kopf.
Ohne irgendwelche Bilder von dieser Blondine, die mich verrückt macht und in mir einen scheinbar extrem hohen Puls verursacht.
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