P I Ę Ć D Z I E S I Ą T O S I E M
„Ich könnte ewig hier draußen stehen bleiben", raune ich in Cessys Ohr, nachdem meine Lippen über ihre rechte Wange gestreift sind. „Es ist wirklich schön." Ich hebe ein wenig den Kopf und schaue zu den strahlenden Lichtern. „Und vor allem ist es nicht mehr so unerträglich heiß." Lege meinen Kopf auf Cessys Schulter. Sie steht mit dem Rücken vor mir, hat die Hände auf das Geländer gelegt.
„Dann tu' es doch", erwidert sie, und ich höre klar und deutlich, dass sie glücklich ist. Es veranlasst mich zu einem Lächeln. „Du weißt, dass ich die ganze Nacht Zeit habe." Sie sieht mich aus einem schrägen Seitenblick an. „Ich habe mich selten so wohl gefühlt."
„Leider geht es nicht. Ich habe schließlich einen Job auszuführen. Aber da gibt es dennoch eine gute Sache. Ab morgen trete ich eine neue Schicht an. Das bedeutet, dass ich erst später zur Arbeit muss. Ich schätze mal, dass ich erst um zwei Uhr los muss. Aber das werden sie mir noch sagen. Hoffentlich pünktlicher als sonst." Cessy drückt mir einen Kuss auf den Kopf. „Nachmittags bis spät abends. Das passt mir. Damit kann ich mich arrangieren." Ich richte mich wieder auf und schiebe die Hände um Cessys Hüften. „Wenn du magst und ich es darf, kann ich dir vorher einen kleinen Besuch abstatten."
„Ich denke, dass wird leider nicht klappen. Ich weiß nicht, ob du dir der Sache vertraut bist, aber pünktlich zur Mittagsstunde fängt mein zweiter Job an, der zum Glück nur sechs Stunden in Anspruch nimmt. Es ist nur ein Nebenjob, damit ich mich finanziell absichern kann." Sie neigt ein wenig den Kopf zur Seite, als ich ihre Wange küsse. „Ich befinde mich dennoch in der Nähe deines Reviers. Unmittelbar bei dem Lummus Park. North West Street, die sechste. Ist so ein kleiner Shop in der Straße." Cessy blickt wieder zu der Straße. „Na ja, es wird sich schon etwas ergeben. Vielleicht kannst du mich ja während deiner Mittagspause besuchen. Du kommst dann einfach vorbei."
„Wir werden es sehen", erwidere ich leise und werfe einen Blick auf meine Uhr. Ich ziehe die Augenbrauen empor, als ich die aktuelle Zeit erkenne. „Mann, wie schnell die Zeit vergeht. Das ist jetzt schon wieder dreiviertel elf." Ein kaum wahrnehmbares Gelächter flieht aus mir. „Dabei habe ich es nicht 'mal mitbekommen. Außerdem fühlt sich das gar nicht so an." Lauter Protest breitet sich in mir aus, als ich die Hände von Cessys Hüften entferne. „Ich schätze, wir müssen leider den Abschied einleiten, auch wenn ich es nicht will." Ich weiche einen winzigen Schritt nach hinten, als die Tänzerin sich zu mir umdreht.
„Ich weiß. Es ist ziemlich verrückt." Die Blondine geht an mir vorbei, ergreift aber meine Hand. Wie ferngesteuert verschränke ich unsere Finger ineinander. Sogleich stiehlt sich ein Lächeln auf die Lippen. „Die schönsten Augenblicke gehen am schnellsten vorbei - das ist schon immer so gewesen." Sie betritt das Schlafzimmer, mich im Schlepptau. Ich schiebe die Tür halb zu. „Scheint wohl so." Mehr Wörter ertönen nicht. Still verschwinden wir aus dem Schlafzimmer und steuern die Wohnungstür an. Widerwillen durchzuckt die Blondine, als sie meine Hand freigibt. Ich versinke ebenfalls im Schweigen und beginne, in die Schuhe zu schlüpfen. Lasse mich in die Hocke fallen und binde die losen Senkel zu unordentlichen Schleifen.
Ich richte mich auf, und gemurmelte Worte entweichen Cessys zarten Lippen: „Vielleicht sehen wir uns morgen wieder." Sie öffnet die Tür. Ich will mich nicht vom Fleck rühren, aber meine Beine bewegen sich wie von allein.
„Ich werde alles Mögliche tun, damit es geschehen wird", rede ich und halte mitten im Türrahmen inne. Der Blick segelt zu Boden. Jetzt ist eine Spinne aufgetaucht. Wenn Cessy die Tür schließt, wird das Tier zerquetscht werden. „Bekomme ich noch einen kleinen Abschiedskuss?" Braun kreuzt den Weg eines leuchtenden Grüns. „Bitte? Bist du so unfreundlich?"
Die Vierundzwanzigjährige lacht leise in sich hinein und setzt einen Schritt zu mir. Nimmt meine Hände in ihre und haucht, ehe sie mich in einen liebevollen Kuss holt: „Zu dir doch immer." Und unsere Lippen vereinen sich. Sogleich trommelt das Herz fest gegen den Brustkorb, veranlasst ihn zum Vibrieren. Der Puls, genauso rasend wie ein moderner Sportwagen. Die Adern, ein Leitungssystem für flüssiges Gold. Der Körper, ein sicheres Konstrukt, das erfolgreich besteht und arbeitet.
„Ich liebe dich." Drei Worte. Kleine Worte. Nicht mehr als ein Wispern gegen meine Lippen. Kaum mehr als ein vager Windhauch. Aber eine unfassbare Auswirkung. Ein wohliger Schauder rennt mir den Rücken hinab, von einem Mundwinkel zum anderen erstreckt sich ein breites Lächeln. Ich lege meine Arme um Cessys Rücken und drücke sie an mich. Vergrabe die Nase in ihren seidenweichen Haaren, die ständig nach tropischen Blüten duften.
„Ich liebe dich auch, Cessy", flüstere ich und schließe die Augen. Koste die liebliche Wärme aus, die sich in meinem Körper fortbewegt. „Mehr, als du es dir vorstellen kannst." Ich breche den Redefluss ab, tauche in die Stille ab.
Ich kann es kaum begreifen. Ist es ein Traum? Es erscheint mir surreal. Völlig unwirklich. Sonst läuft nie etwas reibungslos im Leben ab - zu oft bricht etwas urplötzlich über mich herein und drängt mich auf fremde Wege, deren Verlauf ich mir nicht ausmalen kann. Ich werde nicht von Zweifeln geplagt. Bin mir außerdem bewusst, dass ich mich nicht in der eigenen Welt befinde. Stecke mitten in der Realität. In der warmen Nacht, inmitten von Miami.
Die Wirklichkeit, just in diesem Augenblick eine Zusammenstellung aus Wunschträumen und Sehnsucht. Ein Traum, der wahr geworden ist und die Sehnsucht endgültig gestillt hat. Cessy und ich sind vereint. Körperlich als auch seelisch. Zwei Herzen, endlich miteinander verbunden.
Eine unmerkliche Bewegung durchläuft die Tänzerin, und schwerfällig gebe ich sie frei. Wir blicken uns tief in die Augen - ich habe noch nie solch eine intensive Farbe gesehen. Sie strahlt, glänzt. Leuchtet förmlich. Hell und klar. Nicht mehr heimtückisch und trügerisch wie am Anfang.
Ich küsse flüchtig ihre Stirn, ehe ich mich von ihr abwende. So, als würde ich mich in Zeitlupe bewegen. Jegliche Zellen haben einen lautstarken Protest in das Leben gerufen und wollen mich daran hindern, zu gehen. Cessy zu verlassen. Nur mit Mühe kann ich die Schreie überhören.
Die Hände gleiten in die Hosentaschen, während ich mich zu der Treppe bewege. In meinen Rücken brennt sich Cessys Blick; ich schaue für einen Moment über die linke Schulter hinweg - sie sieht mir nach. Währenddessen ist das Lächeln von meinen Lippen verschwunden. Die erste Stufe erscheint, und ich setze den rechten Fuß auf sie. Wieder dieses tonlose Quietschen, aber ich bringe die kleine Treppe schnell hinter mich.
Eine Tür fällt in das Schloss. Anscheinend muss Cessy zurück in ihre Wohnung gegangen sein. Als mir das klar geworden ist, büßt mein Herz einen scharfen Stich ein. Ich verziehe den Mund und überquere den übersichtlichen Hof. Eine fauchende Katze springt aus einem Schatten und rennt über das Kopfsteinpflaster hinweg. Ich verdrehe die Augen und nähere mich dem weißen Tor. Vincent hat vergessen, es zu schließen. Ich husche durch den schmalen Spalt und beschließe, es offenstehen zu lassen.
Wow. Dieses eine Wort scheppert permanent in meinem Kopf umher. Mehr Wörter kreuzen nicht auf. Jegliche Gedanken kreisen um Cessy. Sie machen keinen Hehl mehr aus der Sache mit Vincent. Er ist in die Vergessenheit geraten.
Ich trete zu meinem Fahrzeug. Ich habe tatsächlich angenommen, dass der Abschleppdienst es mitgenommen hat. Ein erleichterter Seufzer entstammt mir, als ich ihn erkenne, nach wie vor die Einfahrt des Grundstücks blockierend. Ich zücke die Schlüssel hervor und sperre ihn auf. Begebe mich zu der Fahrerseite, öffne die Tür und lasse mich auf den Sitz fallen. Starre das Lenkrad an.
Ich bin mit Cessy zusammen. Einer Stripperin, die sich in ihrer Szene einen Namen gemacht hat. Das muss ich erst einmal verarbeiten. Nach so vielen Jahren habe ich wieder eine feste Freundin. Ich schiebe den Schlüssel in das Zündschloss. Drehe ihn um. Der Wagen brummt leise. Es ist kein Traum, nie und nimmer. Dieses Mal spielt mir niemand einen gemeinen Streich.
„Ich bin echt gespannt, was Zoë dazu sagen wird. Die wird vielleicht Augen machen. Hm, eine echt witzige Vorstellung." Ein wenig durch die Vorstellung belustigt, rolle ich aus der Lücke, direkt auf die unbefahrene Straße. „Oder allgemein der Rest. Besonders meine Eltern. Oh, Mann. Das kann ja etwas werden." Ich schaue auf die Straße. Werde nachdenklich. „Ich glaube, nächste Woche werde ich es ihnen sagen. Bei einem gemeinsamen Abendessen. Ja, erst Mama, dann werde ich mit Papa sprechen." Meine Finger kribbeln schwach. „Nächste Woche wird also eine Menge anstehen. Prima, ich freue mich jetzt schon." An meinem Sarkasmus muss ich noch ein wenig feilen, das wird mir soeben bewusst. „Oh, die werden allesamt große Augen machen, wenn ich ihnen erzählen werde, dass meine Freundin eine Stripperin ist." Ein hohler Laut verlässt mich, und ich schalte den CD - Spieler ein. „Ich sehe die Vorurteile jetzt schon vor mir."
Die Musik durchflutet den Innenraum des Fahrzeugs, und ich gebe mich der kraftvollen Töne und der imposanten Melodie hin. Das Gefühl, auf einer watteähnlichen und federleichten Wolke zu schweben, verstärkt sich. Heiterkeit zeichnet sich in einem Gesicht ab, Entspannung unterstreicht meine momentane Haltung.
„Ich schätze, dass die nächsten Tage so dermaßen wunderbar sein werden." Und schon beginnt das gewohnte Selbstgespräch. Glücklicherweise hat man die Außenwelt mit pechschwarzen Farben gezeichnet, und die Straßenlaternen würden mich nicht erkenntlich machen, zumindest nicht auf den ersten Blick. „Die Arbeit wird ein Klacks werden, und alles wird nach dem Motto Friede - Freude - Eierkuchen ablaufen." Ich halte an einer Kreuzung. Fahrzeuge kommen aus beiden Seiten. Ich beuge mich mehr über das Steuerrad und kann einen Blick auf die relativ breite Straße erhaschen, die zu dem High Way verläuft. „Ach, Scheiße. Das habe ich ja total vergessen." Eine freie Lücke, diese nutze ich aus. Ich lenke das Fahrzeug auf die Straße und ordne mich geschickt in den fließenden Verkehr ein. Die anderen Fahrer schrauben das Fahrttempo auf, dann tue ich dies selbstverständlich auch. „Wenn ich morgen fröhlich und gut gelaunt zur Arbeit fahre und dort aufkreuze, werden die nachfragen. Auch Jim." Ich blinzele langsam. Dann zucke ich resigniert mit den Schultern. „Ach, sei's drum. Das interessiert mich nicht. Soll er von mir halten, was er will. Das, was zählt, ist, dass ich mit Cessy glücklich bin. Nimmt er das nicht gut auf ... Ja, dann ist es eben so."
Ich beende mein Selbstgespräch, schmiege mich an die Rückenlehne und konzentriere mich vollständig auf die Fahrt. Mittlerweile erstreckt sich vor mir der High Way. Ich werfe einen knappen Blick in den Rückspiegel, bevor ich die Spur wechsele.
Die Musik hat mich nun in ihrem Bann. Wischt jegliche Anzeichnen der Müdigkeit fort und hält den rauschähnlichen Zustand am Leben. Ich könnte die gesamte Nacht wach verbringen; durch das ganze Viertel fahren oder einen sehr langen Spaziergang unternehmen. Könnte aber auch in meinem Bett liegen und einen Marathon an Serien anfangen. Oder ich könnte mir die Kopfhörer aufsetzen, die Musik anschalten und in die eigene Welt abtauchen. Mich vollständig von der Wirklichkeit abschirmen.
Zu Schlaf würde ich gewiss nicht kommen, ganz gleich, ob ich müde bin oder nicht.
„Ich schätze, ich werde es wie früher machen", rede ich und drücke das Gaspedal fester durch. Ein schwarzes Fahrzeug zieht an mir vorbei - ich habe den Fahrer für einen Moment angesehen. „Auf dem Bett sitzen, Musik an, Welt aus, so ganz nach dem Motto. Vielleicht mit einem kleinen Buch. Aber das werde ich ganz spontan entscheiden."
Ich ertappe mich dabei, wie ich lächele. Niemand kann mir diesen unvergleichlichen Moment nehmen und ihn zerstören. Keiner wäre fähig, mir die rosarote Brille von der Nase reißen. Nichts kann das arbeitende Konstrukt unterbrechen. Ich fühle mich sicher, als würde ich inmitten einer Blase stecken, die man nicht platzen lassen kann, sodass ich unvermittelt auf dem steinharten Boden aufpralle.
„Und das mit Vincent." Ich seufze. „Das wird sich wieder legen, davon bin ich fest überzeugt." Ein kurzer Blick auf den Tacho. Dieses hohe Tempo werde ich beibehalten. „Cessy hat recht. Ich muss ihm Zeit geben. Wahrscheinlich hätte ich genauso reagiert, hätte sie sich für ihn entschieden." Der linke Außenspiegel reflektiert die Scheinwerfer eines näherkommenden Fahrzeugs. Ich nehme den Fuß von dem Gaspedal und unternehme einen Spurwechsel. Der Motor röhrt immer lauter, und ehe ich mich versehe, ist der Wagen an mir vorbeigezogen und verschwindet als kleiner werdender Punkt in der Dunkelheit.
Er wird eine Frau finden, die zu ihm passt. Was hat meine Mutter einst gesagt? Für den Bruchteil einer Sekunde durchwühle ich die Erinnerungen. Ich habe sie gefunden. Für jeden Topf gibt es den passenden Deckel. Manchmal findet man ihn auf Anhieb, oft muss man lange nach ihm suchen. Dass man ihn aber im Laufe der Zeit verliert oder verlieren kann, sei völlig normal. Man verliert den Deckel oder er geht kaputt. Entweder lohnt es sich, den gleichen zu suchen oder ihn zu reparieren. Und wenn nicht, sollte man sich einen neuen anschaffen.
„Auch wenn es total bescheuert klingt, finde ich, dass sie damit recht hat." Ich spitze ein wenig die Lippen und reguliere die Lautstärke der Musik. „Ich habe endlich den passenden Deckel gefunden. Oh, Gott. Das klingt vielleicht verrückt. Die Liebe, verglichen mit verdammten Kochtöpfen. Auf so einen Scheiß muss man erst einmal kommen." Lache für einige Sekunden los und schüttele amüsiert den Kopf. „Nun, ich bin positiv. Viel besser gelaunt als vorher."
Das ist, was für mich eine bedeutende Rolle spielt. Bin ich positiv gestimmt, blicke ich voller Optimismus nach vorne. Hege Hoffnungen, pflege Zuversicht. Bewahre ein immenses Ausmaß an Motivation und gehe mich freudigen Gefühlen an diversen Dingen heran. Ehrlich gesagt, sehe ich selbst für Vincent nicht schwarz. Er benötigt Zeit. Für sich. Ich werde sie ihm geben.
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