P I Ę Ć D Z I E S I Ą T D W A
Ich bin aufgewühlt. Dieser Zustand hält seit der Mittagspause an. Es hat nicht an Jim gelegen, der mich in ein schnell übersehbares Restaurant an der North East Second Avenue ausgeführt hat. Das rostige und schiefhängende Schild hat den Namen offenbart – NIU Kitchen. Mexikanische Gerichte sind angeboten worden, scharfe Gerüche sind durch die dicke Luft gewabert. Nirgends hat sich ein Ventilator oder ähnliches befunden; selbst die geöffneten Fenster haben nicht für frische Luft gesorgt. Es hat nicht lange gedauert, und ich habe erste Anfänge von Kopfschmerzen wahrgenommen. Nichtsdestotrotz ist das Gericht, was ich für mich ausgewählt habe, köstlich gewesen. Wenn ich ehrlich bin, esse ich nicht oft mexikanische Gerichte. Für mich ist das Ausmaß der Schärfe zu hoch. Was sonst noch abgelaufen ist? Die gewohnte Routine. Dieses Mal mit mehreren Kontrollgängen und Verhaftungen. In beiden Fällen habe ich mitgewirkt. Die Abwechslung vom Büroalltag hat mir nicht sonderlich viel genützt – mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand eine Bombe gezündet. Voll mit Gedanken, mangelnde Konzentration. Ich habe es aufgegeben, aufgeschlossen durch den Tag zu ziehen.
Ich habe das Ende der Schicht mit offenen Armen empfangen. Selten habe ich mich so sehr auf den Feierabend gefreut. Schnell habe ich meine Habseligkeiten zusammengesucht, die Vorbereitungen für den morgigen Tag getroffen und vor dem Verlassen kontrolliert, ob alles seine Ordnung hat. Dann habe ich dem Büro meinen Rücken zugedreht, die Tür geschlossen. Die Tasche umgehangen und habe die Station verlassen. Morgen würde Abigail mir die neue Schichteinteilung zukommen lassen. Das hat sie beiläufig erwähnt, als ich mich zu dem Ausgang begeben habe. Ich habe darauf nichts erwidert. Bin still in den Abend getreten und habe mein Gefährt aufgesucht, welches sich auf dem naheliegenden Parkplatz befindet.
Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, setze ich einen langsamen Schritt nach dem anderen. Ich habe durch einen Kollegen Cessys Adresse herausgefunden. Fragen für den Grund hat er glücklicherweise nicht gestellt, aber ich habe ihm deutlich angesehen, dass er mit Mühe seine Zunge im Zaum gehalten hat. Die Adresse ist auf dem Bildschirm erschienen, ich habe sie mir sogleich notiert und den Block weggesteckt. Zum Dank habe ich ihm leicht auf die Schulter geklopft.
Cessy lebt in einem der sozialen Brennpunkte. In Overtown. In der Nähe des South Pointe Piers. Ich mache oft einen großen Bogen um dieses Viertel; mehrmalig werde ich wegen Ausschreitungen zu diesem gerufen. Vor einigen Monaten hat mir jemand eine Verletzung zugesetzt, weil derjenige auf mich losgegangen ist. Die Erinnerung lässt mich ein wenig erschaudern, und wie von allein berühre ich meinen Kiefer. Beinahe hätte dieses Arschloch mir den Kiefer zertrümmert, wäre Vincent nicht rechtzeitig eingeschritten. Irgendein verdammter Latino, der unter Alkoholeinfluss gestanden hat.
Ich atme laut aus und setze mich in meinen Wagen. Mein Körper hat mit den Temperaturen zu kämpfen; er hat sich förmlich aufgeheizt. Keine zehn Sekunden vergehen, und auf meiner Stirn kleben Schweißtropfen. Der Motor röhrt, nachdem ich den Schlüssel, begleitet von einem leisen Knirschen, im Zündschloss umgedreht habe. Der Blick gleitet zu dem linken Außenspiegel, und ich manövriere das Gefährt aus der Parklücke. Langsam, mit dem letzten Rest der Konzentration, der noch übrig geblieben ist.
Eine vollbrachte beschriebene Kurve, und ich habe die Parklücke verlassen. Der Wagen kriecht über den mit Schlaglöchern übersäten Weg. Ab und zu holpert er über den Asphalt, und ich lege die Hände fester um das Lenkrad. Stumm starre ich geradeaus und nähere mich der 95. Schärfe die Sinne, auch den Blick. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist. Die Sonne funkelt weiterhin am Himmel, auch wenn sie den Abend wiegt. Goldenes Licht überflutet die Stadt. Graue Wolken haften wie Schmutzflecke an der strahlenden Farbe. Den Großteil der Palmen, welche am Straßenrand gepflanzt worden sind, kann ich als scharfe Silhouette ausmachen. Es ist ein schönes Schauspiel der Natur. Ein lohnenswerter Anblick.
Die erste Ampel kommt in Sicht. Allerdings behält sie das grüne Signal bei. Die Schlange kommt schleppend voran. Normalerweise würde so etwas in mir auf Ärger stoßen. Ich würde mit den Zähnen knirschen und mich zügeln. Heute nicht. Ich bin ruhig, mein Kopf gleicht einem Minenfeld. Mit der rechten Hand fahre ich über die Stirn hinweg, wische die Schweißperlen fort. Trockne die Hand am Hosenbein ab.
Mein Wagen hat die Ampel passiert, ehe sie auf Rot gesprungen ist. Ich werfe einen Blick nach links, dann nach rechts. Lenke das Fahrzeug in den fließenden Fluss, der über den Highway rauscht. Ich drücke das Gaspedal fester durch und lehne mich anschließend zurück. Das gleichmäßige Brummen des Motors schallt in den Ohren wider. Ich fahre den Highway hinauf. Nach Overtown. Zu Cessy. Sie ist bestimmt zu Hause. Noch hat die Uhr nicht zehn Uhr abends angedeutet. Um zehn muss sie für gewöhnlich los. Zumindest hoffe ich, dass es dieses Mal nicht zutreffen wird. Ich bin ehrlich. Heute verspüre ich nicht die Lust, das Red Roses aufzusuchen, um mir die Schönheiten der Natur anzusehen. Solange ich einen schweren Kopf habe, muss ich mich nicht in das Lokal begeben. Nur ein dringendes Gespräch führen. Mehr beabsichtige ich nicht.
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Overtown sieht noch heruntergekommener aus als bei meinem letzten Besuch. Es ist nur ein Empfinden. Ich habe währenddessen den Wagen von dem Highway gelenkt und rolle durch die North West Eighth Street. Der Straßenrand ist mit Müllcontainern und Tonnen vollgestellt. Aus den meisten quillt der Müll heraus. Auch Säcke liegen verstreut auf dem zerlöcherten Gehweg; die meisten von ihnen sind kaputtgegangen, und der Abfall liegt nachlässig herum. Unzählige Häuser stehen verlassen da. Fenster in den unteren Etagen sind mit Brettern verrammelt worden, viele Scheiben befinden sich nicht in einem unbeschadeten Zustand.
Ich baue das Tempo ab, als eine Gruppe junger Latinos über die Straße läuft. Da ich nicht das Radio eingeschaltet habe, dringt ihr lautes Grölen zu mir in das Fahrzeug. Ich schürfe die Lippen und fahre noch etwas langsamer. Einer von ihnen torkelt über die Straße, bevor er sich, nachdem er das andere Ende erreicht hat, an einen seiner Freunde festklammert, damit er nicht zur Seite kippt. Ich schüttele verständnislos den Kopf und fahre an ihnen vorbei. Würdige sie keines weiteren Blickes mehr. Ich fahre an einem Restaurant vorbei. Da es bodenlange Fenster aufweist, habe ich flüchtig hineinsehen können. Eine Handvoll Gäste habe ich ausmachen können.
Irgendwo hier muss Cessy ihren Wohnsitz haben. In Gedanken gehe ich die Adresse durch. Als keine Antwort erscheint, zücke ich den Notizblock aus der Brusttasche hervor. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, mich umzuziehen. Gerade in diesem Viertel ist es vorteilhafter, die gesamte Ausrüstung mit sich zu tragen, auch wenn sie sich unnachgiebig in meine Hüfte bohrt. Ich sehe die blauen Flecken jetzt schon vor mir.
„Ach, fast wäre ich vorbeigefahren", murmele ich und senke den Notizblock, schaue nach vorne. „Na ja, wenigstens kann ich gleich vor dem Apartment parken. Hoffentlich wird mein Wagen nicht verschwunden sein." Auch wenn es ein ziemlich schlechter Scherz gewesen ist, lache ich tonlos. Ich stecke den Block weg und peile eine leere Parklücke an. Unmittelbar hinter einem Anhänger, der von einer dicken Dreckschicht überzogen wird. Ich fackele nicht länger, bringe mein Gefährt zum Verstummen und stopfe die Schlüssel in die Hosentasche. „Was für ein Haus. Das sieht noch schlimmer aus als das Teil daneben."
Und hier soll Cessy wohnen? Auf einer Art ist es unvorstellbar. Ich steige aus dem Wagen und drücke die Tür zu. Schiebe eine Hand in die Hosentasche und sperre das Fahrzeug ab. Ich blicke die schmale Straße hinauf. Das Erste, was mir sofort ins Auge sticht, ist dieses Gewirr an Kabeln, das man an die dünnen Masten befestigt hat. Ich habe Sorge, dass das Holz unter der Last zusammenbrechen wird. Die meisten der wenigen Straßenlaternen werfen unruhige Lichter auf die Straße. Irgendwo summt etwas. Wahrscheinlich der Strom, der in einem Kasten gefangen ist.
Ich sehe zu den Häusern. Die meisten wirken wie ausgestorben. Viele Lichter sind erloschen. Wenn, dann zwängen sich einzelne Lichtstrahlen durch die Rollläden, die man heruntergelassen hat. Das flexible Metall biegt sich teilweise oder ist vollständig abgebrochen. Dort, wo der Lichtkegel der Straßenlaterne auf die Außenfassaden der kleinen Wohnhäuser trifft, kann ich die Umrisse schlechter Graffitis ausfindig machen, die man schludrig auf der weißen Backsteinmauer hinterlassen hat. Putz bröckelt ab; die meisten Häuser machen einen maroden und vernachlässigten Eindruck.
Bedingt setze ich mich in Bewegung und trete zu dem rostigen Eingangstor. Es ist nicht vollständig verschlossen. Ich stoße es mit einer Hand auf und betrete den schmalen Innenhof. Ein Bewohner hat den Fernseher zu laut eingestellt. Eine Talkshow kann ich vernehmen – jemand scheint herzhaft eine Diskussion zu führen. Ein öliger Geruch liegt in der Luft, auch Zigarettenrauch, welcher irgendwo seinen Ursprung hat.
Ich husche über den Innenhof und steuere die erste Treppe an. Die Pflanzen, die hier sind, wiegen sich leicht im Wind, und die langen Blätter zittern schwach. Ein Vogel hat sich in einem der Wipfel niedergelassen und verbreitet sein schrilles Lied. Der rechte Fuß trifft auf die erste Stufe. Dann vollbringe ich den nächsten Schritt. Ich traue mich gar nicht, eine Hand auf das Geländer zu legen. Es glänzt seltsam im Licht des gähnenden Abends, außerdem ist es an einer Stelle gänzlich verschwunden, sodass dort eine Lücke klafft. Dass sich der Besitzer nicht um solche Makel kümmert, ist mir nicht neu. In den sozialen Brennpunkten versucht man immer irgendwie, an etwas zu sparen. Dass man oft mit der Sicherheit der Menschen spielt, scheint denen nicht zu interessieren.
Ich gehe nach links. Lautstarke Gespräche werden abgehalten. Aus einem Apartment stöhnt jemand genießerisch. Fältchen ziehen sich über der Stirn hinweg, und ich gehe stur weiter. Cessy wohnt am Ende dieser Reihe. Das Fenster, was neben der Eingangstür ist, wirft Licht nach draußen. Sie ist also zu Hause und nicht unterwegs. Vor der Tür halte ich inne. Sortiere mich und streiche zum wiederholten Male das Oberteil glatt. Keine Falten zieren es. Die Kehle ist ausgetrocknet, und das Herz schlägt unnachgiebig gegen den Brustkorb. Ich habe das Gefühl, dass mir das Atmen schwerer gefallen ist.
Mechanisch hebe ich eine Hand und trommele mit den Knöcheln auf das glatte Holz. Ich werfe einen Blick zum Fenster. Cessy hat die Jalousie nicht heruntergelassen. Eine Pflanze, die keine Blüten trägt, thront auf dem Fensterbrett. Einige Fliegen werfen sich hoffnungslos gegen die Fensterscheibe. Von Cessy keine Spur.
Ich lasse die Hand sinken und warte geduldig. Reime mir Anfänge für das kommende Gespräch zusammen. Schraube an ihnen herum oder tausche Worte aus. Hauptsache, sie ergeben irgendeinen Sinn. Schritte ertönen. Dann knirscht eine Kette, und die Tür wird ein Spaltbreit geöffnet. Ich blinzele langsam, als ich die stechend grünen Augen wahrgenommen habe.
„Keine Sorge", beruhige ich sie und lächele kurz. „Ich bin es nur und kein perverses Arschloch." Die Tür schließt sich. Cessy entfernt die Kette und öffnet die Tür ganz. Mein Blick wandert über ihren Körper. Sie hat sich einen Bademantel übergestreift. Einer, der flauschig wirkt. Ihre Haut schimmert ein wenig. „Hast du einen Moment für mich?"
Die Vierundzwanzigjährige tritt nach hinten, und ich nehme es als Aufforderung zum Eintritt ein. Ich gehe in den Flur und schiebe die Tür zu. Schlüpfe aus den Schuhen und lege meine Tasche auf eine Anrichte.
„Was gibt es denn so Dringendes?", will sie erfahren und geht in das Innere des winzigen Apartments. Ich sehe mich um. Drei Zimmer. Eins befindet sich auf der rechten Seite, das andere mir gegenüber. Das letzte liegt unmittelbar neben der Küche. „Hm, das muss scheinbar sehr dringend sein, sonst würdest du mir keinen privaten Besuch abstatten." Ich gehe ihr nach, blende mit Mühe den muffigen Geruch aus, der in der gesamten Wohnung herrscht. „Ich frage am besten nicht nach, woher du meine Adresse hast." Sie deutet neben sich. Cessy hat sich auf einem fleckigen Sofa niedergelassen. „Komm', setz' dich zu mir."
Ich tue, was sie von mir verlangt. Schreite zu ihr und nehme den Platz ein. Auf dem Glastisch stehen Gläser, eine angebrochene Wasserflasche, und ein kleiner Haufen Magazine stapelt sich in einer oberen Ecke.
„Ich muss mit dir reden", nenne ich den Grund für mein Erscheinen und strecke die Beine aus. Fummele an dem schweren Gürtel mit der Ausrüstung herum und nehme ihn schließlich ab. Lege ihn neben mich. „Und ohne irgendwelchen Hintergedanken." Ich suche Cessys Blick. Kann es aber nicht verhindern, dass mein Blick ihren Körper empor wandert. Sie hat die langen Beine grazil überschlagen, der Bademantel ist ein Stückchen hochgerutscht. Ihre Hände liegen im Schoß. Der Stoff um ihre Oberweite hat sich gelockert. Die Ansätze ihrer Brüste blitzen hervor. Dennoch bemühe ich mich, ihr ins Gesicht zu sehen.
„Aha. Und worüber?" Sie beugt sich zu dem Tisch und nimmt ein halbvolles Glas an sich. Ohne dass ich es registriert habe, ist mein Blick in ihren Ausschnitt gefallen.
„Ich weiß nicht, ob du es schon mitbekommen hast, aber es geht um Vincent." Bei dem Klang von Vincents Namen ist Cessy etwas in sich zusammengefahren. Auch wenn sie sogleich versucht, diese Geste zu überspielen, spreche ich es an. „Anscheinend weißt du etwas darüber."
Sie nimmt einen Schluck zu sich und dreht das Glas in der Hand umher. Für einen Moment sagt niemand von uns ein Wort. Die Rohre in den Wänden ächzen und klackern leise.
„Dass du früher oder später damit ankommst ..." Sie nimmt eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Ich hätte dir vorher Bescheid geben sollen." Sie setzt das Glas an ihren wohlgeformten Lippen an, genehmigt sich dennoch keinen Zug. „Ja, ich weiß auch etwas darüber. Er ist ja ziemlich schlecht drauf, was?" Sie schaut mich an. Ich nicke. „Entspricht ihm überhaupt nicht. Auch im Red Roses hat er diesen Zustand beibehalten." Cessy spielt an dem Stoffgürtel herum. „Marley hat einen unschönen Schlag einbüßen müssen, weil er auf einmal die Kontrolle über sich verloren hat." Ein Kopfschütteln ihrerseits. „Sie hat sich zwar nichts anmerken lassen, aber ein dicker blauer Fleck ist zurückgeblieben."
Verwirrung spiegelt sich in meinem Gesicht wider. Habe ich richtig hingehört? Mein Verstand ist wie gelähmt. Die Blondine sieht es mir anscheinend an, denn sie erhebt ihre Stimme erneut: „Wie ich sehe, hast du bis eben nicht gewusst, dass Vince gestern Nacht im Red Roses gewesen ist. Das kannst du mir ruhig glauben – immerhin hat Marley es mir selbst erzählt." Ihr Ton unterzieht sich einer Veränderung. „Erst hat er ständig nach mir gefragt. Tja, aber Marley ist mir leider zuvorgekommen. Sie hat sich um ihn gekümmert."
Eine lahme Frage bahnt sich aus mir.
„Und woher weiß er bitte schön, dass ich zuletzt bei dir gewesen bin?" Ich sehe wie ein schlaffer Sack aus. Hocke in mich gesunken auf dem Sofa, das unter mir die Federn zum Singen veranlasst, sobald ich mich bewege. „Etwa von dir?"
„Bitte?" Ihre Augen werden groß, und die Finger umklammern das Glas. „Ich habe kein Wort von unserem kleinen Spaß erwähnt. Warum auch? Das geht ihm schließlich nichts an." Sie rutscht näher zu mir. Ich starre den Tisch an. „Aber ich denke, ich weiß, woher er es weiß." Schweigen meinerseits. „Als ich dich zu einem der Zimmer gezogen habe, ist uns doch eine Rothaarige entgegengekommen. Kannst du dich noch an sie erinnern?"
Ich kämpfe um die Stimme. Es verlangt viel von mir. Fast verweigert sie den Dienst zum zweiten Mal.
„Nein, nein. Nicht da. Das ist vorher geschehen." Ich schlucke laut. „Das hat sich ergeben, kurz bevor ich zu dir gegangen bin. Ich habe das Zimmer betreten wollen, und sie hat mich kurz aufgehalten." Ihre Worte erscheinen in meinem Kopf. „Sie hat um eine schnelle Nummer mit mir gebeten, aber ich habe abgelehnt." Der gesamte Abend spielt sich ab. Ich kann behaupten, dass ich ganz allein in einem Kinosaal sitze.
Cessy zuckt mit den Schultern, und sie stellt das Glas zurück auf den Tisch. Sie ergreift meine rechte Hand. Spürt, dass meine Finger verkrampft sind. Ihre Fingerkuppen streicheln meinen Handrücken. Allerdings kann ich mich nicht auf die sanften Bewegungen konzentrieren. Alles dreht sich um diesen einen Abend.
Um den Auslöser.
„Oder so. Ich kann mich nicht ganz daran erinnern." Sie hält nicht inne. „Wie dem auch sei. Heute Morgen hat Marley mir gesagt, dass sie ein Auge auf Vince geworfen hat. Hat gemeint, dass er ein verdammt scharfer Typ sei und ihr Beuteschema passe. Recht hat sie; er ist ein Hübscher. Zumindest deutlich hübscher als der Großteil der Besucher, die wir haben." Ich schlinge meine Finger um ihre. „Ich denke, dass Marley ihm von unserem Treffen erzählt haben muss."
Ich schneide ihr das Wort ab.
„Und deswegen ist Vincent letzte Nacht so ausgeflippt? Weil er von unserer Nacht erfahren hat?" Ich hebe die Augenbrauen, und der Ton in der ohnehin schon hohen Stimme hat eine schrille Richtung eingeschlagen.
„Das ist für mich die einzig logische Erklärung", antwortet die Blondine ruhig und legt ihre Hand um meine. „Anders kann ich es mir nicht erklären." Sie räuspert sich schnaubend. „Ich bin letzte Nacht bis fünf Uhr morgens im Red Roses gewesen. Das ist übrigens der Grund, weswegen ich zu Hause bin. Mein Chef hat mir eine kleine Ruhepause erlaubt." Sie legt ihren Kopf auf meine rechte Schulter. Ich rühre mich nicht. „Vincent ist bis vier geblieben. Auf jeden Fall recht lange. Das hat mich gewundert, immerhin muss er früh raus. Hm, aber es hat ihn nicht interessiert."
„Was ist sonst noch passiert?" Sehr leise Worte, die mir über die Lippen geglitten sind.
„Er hat ständig nach mir gefragt", führt sie ihre Schilderung fort, und ich merke, wie ich mich anspanne. Die Lippen fest aufeinanderpresse. „Irgendwann hat es mich genervt. Na ja, dann habe ich eine kurze Pause eingelegt und bin zu ihm gegangen. Anfangs hat man ihm die schlechte Laune deutlich angesehen – die hat man kaum übersehen können. Ziemlich offensichtlich, musst du wissen." Stille. „Als ich bei ihm gewesen bin, ist er wie ausgewechselt gewesen. Von schlecht gelaunt zu charmant und übertrieben freundlich. Mir ist das Ganze nach wenigen Sekunden gegen den Strich gegangen. Und dann noch die ganzen Komplimente, von wegen, ich sei die schärfste Tänzerin, ich sei verdammt heiß und was weiß ich." Ablehnung prägt den Unterton. „Der Höhepunkt kommt erst noch. Erst hat er erwähnt, dass er nur noch eine Stunde bleiben könne aufgrund seiner Arbeit. Ich habe ihm geraten, den Heimweg anzutreten; schließlich ist Schlaf wichtig. Ach, der hat sich nicht abbringen lassen." Cessy setzt sich auf, und ein Knurren erklingt. Erstaunt blicke ich die junge Frau an. Cessy scheint meinen Blick nicht zu realisieren. „Hat er doch tatsächlich versucht, mich zu einer schnellen Nummer zu bewegen. Ich bin doch nicht blöd, ich habe selbstverständlich einen Riegel vor dieser Sache geschoben. Es reicht mir voll und ganz aus, dass ich mich den Männern präsentiere, aber ich bin doch keine Tänzerin, die man für eine schnelle Nummer überzeugt kriegt. Wenn wir, also die anderen Tänzerinnen und ich, den Besuchern mehr bieten wollen, dann tun wir das. Ist ja unsere Entscheidung. Aber andersrum geht's nicht. Das ist nicht drin. Dann sollen die sich mit ihrer Freundin vergnügen oder mit den Huren, die an jeder x - beliebigen Straßenecke stehen." Ein Blickkontakt wird aufgebaut. „Wozu sollen die sonst da sein? Umsonst stehen sie nicht an den Bordsteinen."
„Da hast du recht", pflichte ich ihr bei. Wut flammt in mir auf. Ich bemühe mich kaum noch um einen beherrschten Ton. „Und gleich, nachdem du ihm die Abfuhr verpasst hast, hat er Marley aufgesucht, oder was?"
Cessy bewegt ihren Kopf. Ich deute es als ein Nicken.
„Ganz genau. Und so ist auch der blaue Fleck entstanden. Der ist vielleicht wütend gewesen, und Marley ebenfalls. Aber gut, das kann man nachvollziehen." Sie mustert mich prüfend. „Du siehst weniger begeistert aus, bevor du hergekommen bist."
Ich spanne den Kiefer so fest an, sodass sich erste Schmerzen zu Wort melden. Nur langsam verdaue ich die ganzen Worte. Aber Cessy hat die wichtigsten Fragen beantwortet, die ich mit mir getragen habe. Endlich habe ich Antworten erhalten. Jetzt kann ich die Verbindungen ausbauen. Kann die Spekulationen abhaken. Ich kenne den Grund. Ein Grund zur Freude ist es jedoch nicht.
„Na ja, jetzt weiß ich, dass er eifersüchtig ist", erwidere ich und hole Cessy zu mir zurück. Sie schmiegt sich sogleich an mich. „Eifersüchtig, weil ich mit dir dreckige Spielchen treibe und mehr von dir zu sehen bekomme als er."
Sie lacht auf.
„Entschuldige, dass ich lachen muss, aber das klingt sehr verrückt." Sie nimmt meine Hände und platziert sie auf den flauschigen Gürtel, der ihren Bademantel verschlossen hält. „Da ist er deswegen eifersüchtig." Die Blondine beruhigt sich. „Weißt du, woran ich gerade denke?"
Irgendwie gefällt mir der Ton, den sie nun anschlägt. Etwas provokant.
„Nein. Aber das wirst du mir bestimmt verraten, habe ich recht?" Ich beobachte sie genau. Übe mit meinen Händen keine Bewegungen aus. Die Starre habe ich wieder von mir abgeworfen. Doch die Hitze wälzt sich weiterhin durch mich.
„Ja." Sie wendet ihren Kopf. Schaut mich aus den Augenwinkeln an. Ich erkenne, dass sie grinst. „Weißt du, lass' uns Vincent noch eifersüchtiger machen." Ihre Worte gleichen beinahe einem Flüstern. Es verstärkt dieses Provokante.
Ich nehme die Hände von ihr, und Cessy erhebt sich. Ich setze mich mehr auf. Sie dreht sich zu mir um. Ehe ich etwas machen kann, hat sie sich rittlings auf meinen Schoß gesetzt. Die Arme um meinen Nacken gelegt. Blindlings schiebe ich die Hände um ihre schlanke Taille.
„Nichts lieber als das", murmele ich und wandere mit den Händen hinauf zu ihren Brüsten. „Dagegen habe ich nichts einzuwenden." Ich schiebe den Stoff mehr herunter und hauche einen Kuss auf ihren Hals.
Eigentlich habe ich dies nicht beabsichtigt. Eigentlich habe ich nur reden wollen. Eigentlich habe ich schnell gehen wollen, weil ich das gesamte Paket mitsamt Inhalt in Ruhe studieren muss. Aber der Plan hat eine neue Wendung eingenommen. Und begleitet von dem Hintergedanken, dass Vincent eifersüchtig auf mich ist, weil ich Privilegien genießen darf und kann.
Dass ich das gesamte Bild der Schönheit betrachten darf als nur einen bestimmten Ausschnitt.
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