J E D E N A Ś C I E
Wir haben die erste Hälfte von unserem Arbeitstag geschafft. Der Vormittag befindet sich endlich hinter uns. Auf einer Art verspüre ich eine Woge der Erleichterung. Schließlich rückt der ersehnte Abend immer näher. Anders ringe ich um Zuversicht. Will, dass der Ablauf sich nicht zu schnell abspielt. Der Gedanke an dem Abend jagt ein kaum wahrnehmbares Zittern durch meinen Körper. Ich will gerne im Job stecken und durch Miami fahren, der gewohnten Routine nachgehen. Hauptsache, ich kann den Tag strecken und den Abend hinauszögern. Aber ... Ich weiß nicht. Trägt diese Entscheidung gute Facetten? Ich stehe mit den Füßen in zwei verschiedene Welten.
Die Uhr hat die Mittagsstunde eingeläutet. Vincent und ich haben unser gewohntes Diner aufgesucht. Zu dieser Zeit ist das Lokal gut gefüllt, und in der ohnehin schon dicken Luft hängt der fettige Geruch des Tagesmenüs. Ein Hauch Süßes hat sich ebenfalls in den Nebel gedrängt. Schon nach wenigen Augenblicken hat die drückende Hitze mir Schweißperlen auf die Stirn getrieben.
Jetzt sitzen wir bei einem kleinen Tisch, welcher sich direkt neben einem beschlagenen Fenster befindet. Die weißen Jalousien sind heruntergelassen worden, an vielen Stellen zeichnen sich winzige Dellen ab. Fliegen schwirren auf dem Material herum. Ab und zu wedele ich mit der Hand herum, um sie mir vom Leib zu halten.
„Weißt du, wenn ich ehrlich bin, wäre mir ein anderes Diner lieber", spreche ich meinen Gedanken aus und wische mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Es ist zu voll und viel zu heiß." Ein Blick gleitet nach oben. Der Deckenventilator zieht träge Runden. „Selbst dieses Teil erfüllt nicht seinen Sinn. Wahrscheinlich dient es nur als Dekoration."
Die Luft erschwert es mir ein wenig, klare Atemzüge zu nehmen. Ich unternehme den Versuch, die Atmung etwas zu verlangsamen. Einige Haarsträhnen kleben auf der Stirn. Ein sehr leises Murren ertönt meinerseits, und ich nehme sie von der verklebten Haut.
„Ach, mir nicht", gibt der Dreißigjährige zurück und nimmt die Karte aus der Halterung. Sie weist viele abgenutzte Stellen auf, die linkere obere Ecke unterzieht sich einem Knick. „Ich finde es schon gut so. Es ist nicht immer so rappelvoll." Er hebt seinen Kopf und schaut sich um. Das Sonnenlicht verfängt sich in den Tropfen, welche auf seiner Stirn haften. Anscheinend kämpft auch er mit der drückenden Hitze, die sich im Diner ausgebreitet hat. „Ich bin so sehr an diesem Diner gewöhnt, dass ich nicht einmal daran denken könnte, mir ein neues aufzusuchen. Die Muffins sind hier besonders appetitlich. Einen besseren habe ich noch nicht gegessen." Vincent schiebt die Karte zurück in die Halterung und dreht den unbedeutenden Gegenstand im Kreis umher. „Nein, nein, das passt schon so." Er stoppt es nach einigen Augenblicken.
„Ja, die Muffins sind hier wirklich lecker. Shelly macht sie echt prima. Eine begabte Frau." Ich zeichne die glatte Tischplatte mit dem Blick auf. Unscheinbare Überreste von einem vergangenen Essen kleben auf dem Tisch. „Hm, wahrscheinlich bin ich es immer noch nicht gewohnt, inmitten von so vielen Gästen oder allgemein Menschen zu sitzen. Na ja, dann ist es eben so." Ich behalte die folgenden Worte für mich. Vincent scheint davon Notiz zu nehmen, er greift das Wort auf.
„Wirklich nicht?" Mein Kollege starrt mich perplex an. „So langsam wird es dafür Zeit. Das gehört schließlich zu unserem Job." Ich übe ein Schulterzucken aus. „Ach, du wirst es noch lernen. Und zur Not bin ich ja noch da." Ein schwaches Grinsen schmückt seine Lippen. „In meiner Nähe musst du kein Unwohlsein haben."
Mir kommt ein sekundenandauerndes Gelächter auf. Mit so einer Gegenantwort hätte ich insgeheim rechnen müssen. Bisher ist Vincent der Einzige in meinem Umfeld, der so etwas zustande bringt. Ich nehme einige Haarsträhnen aus meinem Gesicht und klemme sie hinter die Ohren. Nicht alle verweilen dort, wenige fallen sogleich nach vorne. Ich blende sie aus dem Wahrnehmungsfeld aus und lenke die Aufmerksamkeit auf meinen Kollegen. Er wirkt wie ich ruhig und ausgeglichen. Es haften nirgends Anzeichen der Unruhe an ihm. Seine Lippen sind ein wenig geteilt, gelegentlich blitzen seine scheinbar strahlend weißen Zähne hervor. Ich lasse Vincent aus meinem Blick verschwinden und mustere das Diner.
Man hat unsere Bestellungen längst aufgenommen. Die Getränke stehen ebenfalls auf dem Tisch. Ein kühles Wasser für mich und für Vincent etwas anderes. Ich lege die linke Hand um das Glas, presse für einen winzigen Augenblick die Lippen aufeinander. Die abrupte Kälte hat sich wie ein scharfer Dorn in die Haut gebohrt. Aber so schnell wie dieser Moment gekommen ist, ist er auch wieder verschwunden. Ich lasse die Hand auf dem Glas ruhen, koste die begrenzte Abkühlung aus.
„Ich weiß." Eine junge Dame sammelt die Bestellung von der Ausgabe ein. Auf ihrer weißen Schürze klaffen einige Flecke. „Dafür bringst du mich ziemlich oft in Verlegenheit. Ich sage nur gestern. Das mit dieser verdammt scharfen Blondine." Die Kellnerin balanciert die Bestellungen auf ihren dünnen Armen und setzt sichere Schritte durch die schmalen Gänge. „Ehe ich darauf zu sprechen komme; kann ich dir jetzt die Frage stellen, die ich dir ausrichten soll? Ich will es gerne jetzt tun, sonst vergesse ich die wieder ... Und Zoë ist danach sauer auf mich."
Ein Bild taucht vor meinem geistigen Auge auf. Ich sehe mir dieses an. Meine Schwester und ihre schlechte Laune. Mit Eile entferne ich das Bild. Auf diese Vorstellung kann ich gut verzichten. Es ist schon schlimm genug, dass sie sich mit Schwankungen ihrer Stimmung herumschlagen muss. Oft realisiert sie es nicht einmal. Anfangs habe ich schlecht damit umgehen können, aber im Laufe der Zeit habe ich daran gearbeitet.
„Hm? Was? Wie? Was hat sie denn jetzt damit zu tun?" Verwirrung hat sich in seiner Stimme ausgebreitet. Der Dreißigjährige setzt plötzlich ein freundliches Lächeln auf die Lippen. Ich hebe etwas die Augenbrauen und blicke die Kellnerin an, welche die Bestellungen auf den Tisch stellt. „Ah, sehr gut. Ich dachte schon, es würde nichts mehr kommen." Vincent schnappt sich das Besteck und fügt einen flüchtigen Dank hinzu.
„Danke sehr", murmele ich und hole den Teller zu mir.
„Lassen Sie es sich schmecken." Die junge Afroamerikanerin lächelt uns an, macht auf dem Absatz kehrt und entfernt sich schließlich von unserem Tisch.
„Hm, die ist mir neu", merkt mein Kollege an und sieht ihr nach. Die Kellnerin hat sich zu den nächsten Kunden gesellt, ihren Notizblock hervorgeholt und ist nun dabei, eine Liste anzufertigen. „Also neu im Sinne von nicht kennen. Muss wohl eine neue Angestellte sein." Vincent lässt die Gabel durch das kleingeschnittene Hähnchen wandern.
„Das kann gut möglich sein." Auch ich ergreife das Besteck und fange mit dem Mittag an. Meine Wahl besteht aus einem recht appetitlich wirkenden Salat. „Na ja, wie dem auch sei. Lass' es dir schmecken." Ich schiebe die freie Hand um den Teller und nehme den ersten Bissen zu mir.
„Du dir auch." Vincent schenkt mir ein kurzes Lächeln und widmet sich anschließend seinem Essen. Schweigsame Sekunden ziehen uns vorbei. Ab und zu tauschen wir einen Blick aus, aber ergänzen nichts weiter. Vielmehr konzentrieren wir uns auf das Mittag. Eigentlich entspricht das nicht unserer Art. Wir führen häufig ein Gespräch. Meistens stellen wir Spekulationen über den restlichen Tag an oder reden über irgendwelche Pläne, die wir für das Wochenende angefertigt haben. Aber dieses Mal nicht.
Ein Salatblatt löst sich von der Gabel und fällt in den Teller zurück. Ich habe es bemerkt, tue dennoch nichts. Etwas in Gedanken versunken, fällt mein Blick in den Teller. Warum rutsche ich eigentlich in meine eigene Welt ab? Ich finde keinen Grund dazu. Seltsam. Ich fahre mit einem Finger über den Tellerrand hinweg. Doch, es gibt einen Grund dazu. Es erscheinen ständig Gründe. Ich steche einige Tomatenstücke auf die Zähne der Gabel. Eine Schweißperle läuft von der linken Wange. Ich denke über den kommenden Abend nach. Mein Herz hat scheinbar auf diesen Satz gewartet. Es hat das Tempo des Schlages verändert. Es leicht erhöht. Mist, bitte nicht schon wieder. Warum denn jetzt? Jetzt will ich gerne das Mittagessen in Ruhe essen. Der Herzschlag gerät nicht in das normale Tempo. Der Appetit verringert sich. Und dabei habe ich den Teller noch nicht einmal bis zur Hälfte geleert. Sie lässt mir keine Ruhe. Verdammt.
„Wie lautet eigentlich deine Frage? Du kannst sie mir jetzt ruhig stellen. Ich kann diese Stille zwischen uns nicht ausstehen. Die passt nicht zu uns." Die tiefe Stimme von Vincent reißt mich jäh aus den Gedanken. Ich kneife die Augen zusammen und schaffe es fast, die Gabel fallen zu lassen. Sogleich verstärke ich den Griff um sie. „Äh, ist alles gut? Du scheinst schon wieder auf Abwegen zu sein."
Ich muss schleunigst lernen, eine neutrale Fassade zu errichten, wenn ich mich mit den Gedanken auseinandersetze. Jeder nimmt es sofort wahr. Kann man wirklich so leicht aus mir lesen? Ein leiser Seufzer gleitet aus mir.
„Alles gut", sage ich und bekräftige die Antwort mit einem Nicken. „Wirklich, alles ist gut. Ich habe nur kurz nachgedacht, mehr nicht." Ich muss mich etwas dem Zwang aussetzen, um Vincent anzusehen. Das strahlende Blau in seinen Augen trägt irgendeinen Ausdruck in sich. Ich kann ihn aber nicht deuten. „Also, ich soll dir etwas von Zoë ausrichten. Darum habe ich vorhin ihren Namen erwähnt."
„Ah ja, wenn du meinst." Keine Überzeugung regt sich in dem Ton. Ich habe es geahnt. Gehe trotzdem nicht darauf ein und schlage einen bewussten Umweg ein.
„Wir wollen am Freitag zur Kirmes, die unten am Pier ist. Sie will wissen, ob du eventuell auch Lust dazu hättest. Hm, ich persönlich würde mich sogar freuen. Mit mehr Leuten macht es immerhin Spaß." Ich erwähne nicht den eigentlichen Grund. Dann würde ich entscheidende Hinweise abliefen. Vincent könnte sie schnell deuten. Das Risiko darf ich keineswegs eingehen.
Mein Kollege führt die Gabel durch seinen Teller, scheint über meine Einladung nachzudenken. Ich blicke ihn unverwandt an, esse ab und zu etwas von meiner Bestellung. Der Dreißigjährige zuckt dann mit den Schultern.
„Klar, warum nicht? Ich habe an dem Tag eh nichts zu tun." Er nimmt mit der freien Hand das Glas und führt es zu seinen Lippen. „Ja, ich bin dabei. Um die Schichteinteilung muss ich mir keine Gedanken machen. Bis nächste Woche bin ich für den Vormittag und für den Abend eingeteilt. Du übrigens auch. Ich habe dafür gesorgt." Er leert das Glas bis knapp über die Hälfte.
Ich widerstehe dem Drang, das Handy hervorzuholen, um Zoë die Antwort zu schreiben. Ich lehne mich stattdessen zurück und ignoriere die schwache Freude. Das bedeutet somit, dass nichts mehr zwischen den Versuchen, Natasha Vincent näherzubringen, im Wege steht. Selbst das Lächeln muss ich zurückdrängen. Ein tiefer Atemzug folgt.
„Super, das ist prima. Ich werde dir übermorgen die genaue Zeit nennen." Ich nehme den nächsten Bissen zu mir und füge, nachdem ich ihn heruntergeschluckt habe, hinzu: „Danke übrigens. Ich glaube, ich bin dir etwas schuldig. Du hast schon ziemlich oft dafür gesorgt, dass wir erträgliche Schichten zusammen machen können. Sag', was bin ich dir schuldig? Ein Kasten Bier?"
Vincent stimmt ein leises Gelächter an.
„Nein, lass' das mal stecken", lehnt er das Angebot ab und räuspert sich amüsiert. „Das passt schon so. Ich tue es ja gerne. Es ist ja nicht so, dass ich das ohne Grund mache oder so. Wie gesagt, lass' es einfach sein. Mir reicht es aus, dass wir zusammen durch die Stadt fahren können."
„Behalte mein Angebot lieber im Hinterkopf. Irgendwann wirst du so oder so darauf zurückgreifen." Ich esse die letzten Reste von dem Salat auf und lege dann die Gabel in den Teller. Kleine Reste kleben auf dem Rand. Ich nehme das Glas in die Hand, hebe es an und lasse das kühle Wasser die Kehle hinabfließen. Eine angenehme Kälte breitet sich rasch in meinem Körper aus. Ein sanfter Schauder folgt. „So, ich wäre fertig." Nur noch der Boden des Glases ist bedeckt. Ich drehe es in meiner Hand umher.
„Fast." Mein Kollege sticht die übrigen Reste des Hähnchens auf die Gabel.
„Hetz' dich jetzt nicht. Das ist ja wohl das Allerletzte, was du machen sollst." Ich schaue an ihm vorbei. Direkt zu der kahlen Wand. Ich wünsche, mein Kopf wäre von einer weißen Farbe ausgefüllt. Weiß symbolisiert Leere, ein gedankenloser Raum. Aber im guten Sinne. Weiß befreit den Kopf und lässt einen besser durchatmen.
Vincent gibt ein undeutliches Brummen von sich, ehe er den Teller von sich schiebt und den Bissen mit seinem Getränk herunter spült. Er stellt das Glas etwas grob ab. Ich sage nichts, fokussiere nach wie vor die Wand.
„Jetzt bin ich auch fertig." Mein Kollege blickt zu der Ausgabe, streckt dann einen Arm empor, um eine Bedienung zu sich zu holen. Sie lässt nicht lange auf sich warten. Ich nehme ihre gleichmäßigen Schritte wahr, schenke ihr allerdings keinen Augenkontakt. Irgendwie fesselt mich die weiße Wand. „Wir würden gerne die Rechnung in Kauf nehmen."
Dieses Mal ist Vincent an der Reihe, unsere Bestellungen zu bezahlen. Gestern habe ich die Prozedur übernommen.
„Natürlich." Die ältere Dame holt etwas aus der Tasche von ihrer Schürze. Ich beachte sie weiterhin nicht. Bemerke außerdem nicht, wie ich in meine Welt verschwinde. Gedanken wirbeln um mich, verschiedene Bilder erscheinen, und ich werde förmlich von ihnen überflutet. Ich kann mir keinen Überblick verschaffen. Überall diese rasende Schnelligkeit, das verschwommene Sichtfeld. Ich fühle mich inmitten des Sturms hilflos. „Das macht zusammen neunzehn Dollar."
Der Abend kommt immer näher, versuche ich, mit mir selbst zu reden. Und ich verspüre den Drang, in die Nachtschicht überzugehen. So müsste ich nicht den Nachtclub aufsuchen und kann es getrost auf einen anderen Abend verschieben. Kaum zu glauben, dass ich so etwas will. Ich stecke zwischen zwei Gefühlslagen fest. Scheiße. Einerseits will ich dahin, anderseits auch nicht. Warum ich diese Ablehnung in mir trage, weiß ich nicht. Das kann ich schlecht sagen. Ich sehe aus den Augenwinkeln, wie Vincent der Kellnerin die erforderliche Summe überreicht. Im Gegenzug nimmt er das Wechselgeld an sich und stopft es in sein Portemonnaie. Aber ich muss dahin. Wirklich, ich muss es einfach. Nur wenn ich sie erblicke, kann ich ruhig sein. Sie muss mich ruhig stellen.
Ihr Einfluss auf mich ist immer noch so stark. Ich kann ihn nicht beenden, mich ihm nich entwinden. Muss mich ihm voll und ganz hingeben. Zusehen, wie er mein Herzschlag bestimmt. Meine Träume kontrolliert und mir kleine Steine in den Weg legt. Gelegentlich vergesse ich diese Steine und stolpere über sie.
„Vielen Dank, Mister Delrose. Kann ich mich morgen wieder auf Ihr Kommen einstellen?" Die Bedienung ergreift die Teller.
Mein Kollege schiebt den Stuhl zurück. Das dabei entstehende Quietschen hat mich ohne jegliche Gnade aus meinen Gedanken geholt. Ein starker Schrecken sucht mich heim. Ich gebe einen scharfen Laut von mir und dränge dabei die überraschten Blicke von Vincent und der Dame aus.
„Aber klar doch", antwortet der Dreißigjährige mit einem Lächeln und zupft an dem Oberteil. Ich habe das Gefühl, dass ich aus einem schweren Metall bestehe. Ich muss ein wenig Mühe aufbringen, um aufzustehen. „Richten Sie Shelly beste Grüße von mir aus."
„Werde ich selbstverständlich machen. Einen angenehmen Tag noch." Die Dame behält das Lächeln weiterhin auf den Lippen, dreht sich um und geht dann von uns weg. Ich sage nichts und suche den Weg zu dem Ausgang auf. Vincent stellt mir eine Frage, die ich nicht beantworte. Er will erfahren, womit ich mich beschäftige. Theoretisch betrachtet, müsste er sich einer logischen Antwort bewusst sein. Man sieht mir doch an, dass ich an dem Abend denke. An dieser Stripperin.
Vincent wird wohl immer noch von dem Mittagessen benebelt. Das Essen kontrolliert seinen Kopf. Auch nicht schlecht, denke ich und dränge mich an einem übergewichtigen Mann vorbei, welcher bei der Tür steht. Er hat mich gesehen, aber er hat keine Anstalten gemacht, aus dem Weg zu gehen. Ich verdrehe die Augen und halte eine Bemerkung zurück.
Ich stoße die Tür auf und trete nach draußen. Die unerträgliche Hitze schlingt sich wie ein festes Seil um mich. Die Atmung fällt sogleich schwerer aus, und mehr Schweiß bildet sich auf meinem Körper. Ich fackele nicht länger und suche den Streifenwagen auf, welchen Vincent in der Nähe von dem Diner geparkt hat. Aber sei's drum.
„Ja, schön. Dann ignoriere mich weiterhin, soll mir recht sein." Der Dreißigjährige übt einen leichten Stoß aus, als er an mir vorbeigeht, um zu der Fahrerseite zu gelange. Ich gerate ins Straucheln, kann mich dennoch fangen. „Meine Fresse ey. Schlimmer als meine Schwester. Und selbst die überbietet das. Aber nein, dann kommt die werte Valary und muss es übertreiben. Toll."
Ich lasse ein verärgertes Murren ertönen und trete zu der Beifahrerseite. Ich bemühe mich, nichts dazu beizutragen. Das ist typisch Vincent. Kaum blendet man ihn aus dem eigenen Wahrnehmungsfeld aus, fängt er an, launisch zu werden. Es kommt oft vor, dass er diese Momente zu einer gefühlten Ewigkeit streckt. Es bringt eine Menge Anstrengung mit sich.
Vincent entriegelt den Wagen und steigt ein. Ich tue es ihm gleich und schließe die Tür. Mein Kollege erhebt erneut seine Stimme, startet die Aktion, mir verärgerte Bemerkungen zuzurufen. Ich gehe nicht auf sie ein, sondern sehe aus der Frontscheibe und versuche nebenbei, gleichmäßig zu atmen. Die Hitze hemmt etwas den Versuch.
„Mein Gott, ist das zu viel verlangt?" Er steckt die Schlüssel in das Schloss und startet den Motor. Wir verlieren keine weitere Zeit, der Streifenwagen wird in Bewegung gesetzt. Vincent lenkt ihn in die richtige Fahrtrichtung. „Eine simple Antwort? Ja, anscheinend schon. Vor allem für dich." Ein Knurren folgt. Meine Lippen kräuseln sich zu einem Grinsen. Zugegeben, es ist amüsant, wenn er sich aufplustert. „Hallo? Ich weiß, dass deine Stimmbänder funktionieren." Er wirft mir einen Blick zu, und sein Ton verändert sich. Vincent klingt nun verärgerter. Er hat wohl mein Grinsen realisiert. „Was grinst du so blöd? Kannst du mir das mal sagen?" Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Bin nicht mehr dazu fähig. Lauthals fange ich an zu lachen. Stachele somit Vincents Verärgerung an.
Dieser bricht in einer wahrhaftigen Tirade aus. Lässt jegliche Beleidigungen ertönen, verleiht mir irgendwelche sinnlosen Titel, welche mich eigentlich kränken sollten. Nichts dergleichen. Ich lache laut und unbeschwert.
Zumindest haben Vincents Launen es geschafft, eine dünne weiße Wand in meinem Kopf zu errichten. Somit wird ein großer Teil des Sturms zum Verstummen gebracht. Jedoch bleibt ein Teil laut und wild. Ich weiß, dass ich ihn erst ersticken kann, wenn ich im Red Roses sein werde.
Bei der Blondine.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro