D Z I E W I Ę Ć
„Hast du mir überhaupt zugehört? Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich mit einer Wand rede." Meine Schwester hat den Tisch gedeckt und mir eine große Tasse mit dampfendem Kaffee auf den Tisch gestellt. Ich habe meine Finger um den Henkel geschoben, sie angehoben und einen winzigen Schluck zu mir genommen. Augenblicklich hat sich die Hitze in dem Mund ausgebreitet, ich habe etwas das Gesicht verzogen. Dennoch fühle ich mich nun erfrischter. Leichter. Die Müdigkeit hat sich sofort auf dem Rückzug gemacht.
„Also, wenn du schon 'mal so fragst", fange ich an und platziere die Tasse neben meiner Schale. Ich habe beschlossen, mir ein schnelles Frühstück zuzubereiten. Im Laufe des Tages werde ich schließlich mit Vincent zu unserem üblichen Dinner fahren, um uns für den restlichen Tag eine Stärkung zugutekommen zu lassen, „nein, ich habe dir keineswegs zugehört. Ich war mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt." Ich lasse den Löffel sinken. Das Müsli fällt in die Schale zurück. Ein kleiner Tropfen der Milch landet auf dem Tisch. „Was denn? Guck' mich nicht so an. Du hast mich gefragt, und ich habe dir eine ehrliche Antwort gegeben." Ich wende den Blick zu meinem Frühstück, tue etwas Müsli auf den Löffel und nehme es zu mir.
Die Vierundzwanzigjährige stößt einen scharfen Laut aus und stochert mit der Gabel in ihrem Salat herum. Im Gegensatz zu mir hat Zoë sich in die Alltagsklamotten geworfen. Eine schlichte weiße Bluse und eine knappe Hose, welche ihre dünnen Beine zur Schau stellt. Nur ihre blonden Haare stehen zerzaust auf ihrem Kopf ab. Ich mustere sie, ehe ich mich auf das Frühstück konzentriere. Ich sollte mich ein wenig beeilen, schließlich muss ich mich ebenfalls für den Tag fertigmachen.
„Wenigstens bist du ehrlich", gibt Zoë in einem trockenen Ton zurück und streicht eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Zwar ist deine Ehrlichkeit in manchen Situationen echt unpassend, aber du bist es. Immerhin sind das nicht viele Leute."
„Das interessiert mich doch nicht. Mit Ehrlichkeit muss man umgehen. Das Leben kann doch nicht ständig aus Lügen bestehen." Ich lehne mich zurück und rühre in der Schale herum. „Ach, das spielt doch jetzt keine Rolle. Jetzt sag' doch, was du mir vorhin gesagt hast. Jetzt höre ich dir nämlich zu." Ich stoppe nicht das Rühren – eher habe ich es beschleunigt.
Die Blondine hebt ein wenig die kaum erkennbaren Augenbrauen. Zoë ist eine Blondine durch und durch. Nicht nur die Haare besitzen diese Farbe, auch ihre Augenbrauen. Selbst die langen Wimpern sind nicht mit einer dunklen Farbe gesegnet worden. Es wundert mich nicht, dass das Grün in ihren Augen strahlt, schließlich trägt das Blond dazu bei.
„Ich hoffe es mal." Zoë sucht meinen Blick. Ich realisiere es erst nach wenigen Augenblicken. Ich hebe den Kopf und erwidere ihren ruhigen Ausdruck. „Ich habe dir gesagt, dass Natasha und ich in drei Tagen zu der Kirmes am Pier gehen werden. Willst du mitkommen? Mit mehr Leuten wird es bestimmt mehr Spaß machen. Oh, und bevor ich das vergesse; kannst du Vince noch fragen? Das soll ich dir nämlich von Natasha ausrichten."
Jetzt hätte ein Gelächter gut gepasst. Allerdings lasse ich es nicht erklingen, sondern bleibe ruhig. Ich blinzele langsam und kaue auf dem Müsli herum. Dieses Geräusch breitet sich in meinen Ohren aus. Irgendwie habe ich geahnt, dass Zoë mir diese Frage stellen wird. Ich habe mich etwas darauf eingestellt. Soweit ich es richtig in Erinnerung behalten habe, hat Natasha angefangen, ein Auge auf meinen Kollegen zu werfen. Bisher hat sie noch nicht den Schritt gewagt, ihn anzusprechen, wenn Zoë und ich nicht in deren Nähe gewesen sind.
Vincent weiß noch nichts von seinem Glück. Er hat ihre Gefühle nicht wahrgenommen. Wahrscheinlich wird dies noch eine Menge Zeit beanspruchen. Es ihm verraten, das werde ich nicht tun. Natasha soll es ihm allein sagen.
„Ich habe mir schon gedacht, dass du mich das fragen wirst." Ich kratze mit dem Löffel die letzten Reste aus der Schale, ehe ich sie von mir wegschiebe. „Also ich bin auf jeden Fall dabei. Ich könnte ein bisschen Spaß gut vertragen." Für einen Moment halte ich inne. Nutze ihn aber, um die Tasse zu mir zu holen. „Ich kann Vince mal fragen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass er auch mitkommen wird. Immerhin versteht er sich mit Natasha ziemlich gut." Ich hebe die Tasse an.
Zoës Lippen verziehen sich zu einem Lächeln.
„Prima. Schreibst du mir dann seine Antwort?" Eine Erdbeere steckt auf den Zähnen der Gabel. „Ich werde so oder so das Handy den ganzen Tag über angeschaltet haben. Für wesentliche Notfälle bin ich immer erreichbar."
Ein belustigter Laut flieht aus meiner Kehle. Ich nehme einige Schlucke zu mir, ehe ich erwidere: „Das kann ich machen. Ach ja, und Zoë. Notfälle? Ehrlich? Was heißt bei dir bitte schön Notfall? Hilfe, meine beste Freundin dreht am Rad, weil ihr Schwarm zugesagt hat, oder was?" Meine Frage wird mit einem stummen Grinsen beantwortet. „Aha, ich liege also richtig." Ich verdrehe die Augen. „Oh Mann, Gott sei Dank muss ich mir darum keinen Kopf machen."
„Dafür musst du dir einen Kopf um deine Stripperin machen", entgegnet die Blondine und lässt das Grinsen abklingen. „Du steckst also in einer ähnlichen Lage wie Natasha."
Ich pruste los und schaffe es beinahe, den Kaffee auf dem Tisch zu verschütten. Gerade noch rechtzeitig stelle ich die Tasse auf die Oberfläche und verschränke die Arme vor der Brust. Ich habe nicht gemerkt, wie die Haltung sich etwas verhärtet hat.
„Ich glaube nicht", lege ich den Widerspruch ein und lockere schnellstmöglich die Haltung. Versuche, einen ausgeglichenen Ausdruck anzunehmen. „Meine Lage ist bedeutend schlimmer." Ich kann mir nicht vorstellen, dass Natasha das Gleiche durchmacht wie ich. Sie mag zwar von Vincent hin und weg sein, aber sie ist mit Sicherheit nicht besessen von ihm. Ich bin es. Ich bin besessen von dieser Stripperin. „Was? Ist doch so."
In Zoës grünen Augen funkeln Zweifel.
„Bestimmt nicht." Die Vierundzwanzigjährige führt die Gabel durch die Luft.
„Wetten doch?" Ich blicke die Tasse an, schiebe sie umher.
„Was heißt denn bei dir bedeutend schlimmer? Träumst du von ihr, oder was?" Meine Schwester schaut mich nach wie vor an. Die halbvolle Schale ist in die Vergessenheit geraten.
„Gegenfrage. Willst du das wirklich wissen? Das könnte dich nämlich ... Ach, ich sag' es lieber nicht. Sonst hältst du mich noch für krank." Ich strecke die Beine aus und beschließe, die letzten Tropfen von dem Kaffee zu mir zu nehmen.
„Da du mich schon neugierig gemacht hast, ja. Also, sag's. Ich will es gerne wissen." Meine Schwester hat ihre Arme auf den Tisch gelegt und sich ein wenig zu mir gebeugt. „Und keine Lügen."
Ich seufze, fälle die Entscheidung, die Antwort umzubauen. Ich will nicht alles auf einen Punkt bringen. Bei einigen muss ich einen großen Umweg gehen. Zoë braucht nicht alles zu erfahren.
„Um es so zu sagen", starte ich mit den bedachten Überlegungen und richte mich auf. Schiebe den Stuhl nach hinten und erhebe mich. „Ich träume nicht nur von ihr, sondern habe auch gewisse Vorstellungen." Ich schere mich nicht um ihre überraschte Miene. Stattdessen sammele ich das Geschirr ein und trage es zu der Spüle. „Und wer ist nun schlimmer dran, hm? Ganz klar ich. Ich bin nämlich nicht nur in diese Stripperin verschossen – da steckt noch etwas mehr dahinter."
Ich stelle das Geschwirr neben die Spüle und wende mich zu meiner Schwester. Sie hat ihren Blick nicht von mir gelöst. Die Zweifel sind aus ihren Augen verschwunden. Irgendein undefinierter Ausdruck glimmt in ihnen. Ich kann ihn nicht deuten.
„Äh, ja gut", ist das Erste, was sie hervorbringt. Sie lässt mich aus dem Fokus und widmet sich dem Frühstück. „Okay, ja. Okay."
Ich grinse schwach.
„Sag' ich doch, ich bin bedeutend schlimmer dran als deine Freundin", sage ich, ein milder Ton erfüllt die Stimme. Ich nähere mich dem Tisch. „Aber egal. Ich werde das schon in den Griff kriegen. Vor allem heute. Ich werde mit ihr auf Konfrontationskurs sein." Ich sehe den Tisch an. „Soll ich das schon wegräumen oder willst du davon noch etwas essen?"
Ein sanftes Kribbeln zieht sich durch den Körper. Ich kann es kaum noch erwarten. Heute werde ich die Chance haben, die Stripperin, die mir den Kopf verdreht, in ein vollkommen neues Gespräch zu holen. Ich werde sie in völlig neuen Klamotten erblicken. Die Vorstellung treibt eine plötzliche Hitze durch mich. Eine Sache ist in mein Bewusstsein gedrungen. Ich werde mich nicht auf das Gespräch konzentrieren können, denn ihr Körper wird mir eine üble Ablenkung bescheren.
„J-ja, damit hast du sogar recht." Die Blondine kneift die Augen zusammen, ehe sie ergänzt: „Nein, das musst du nicht machen. Ich werde es nachher tun. Geh' du schon 'mal nach oben und zieh' dich um." Sie späht aus einem schmalen Blick zu mir. „Pass' bloß auf, dass du dich nicht allzu sehr von ihr beeinflussen lässt. Das kann sehr schnell nach hinten losgehen."
Ich stoße mich von der Zeile ab und schreite an Zoë vorbei. Sie blickt mir nach. Ihr Blick brennt sich förmlich in meinen Rücken. Ich weiß, dass meine Schwester die Wahrheit angewendet hat. Ich muss darauf achten. Nicht, dass noch andere Dinge passieren werden. Viel üblere Dinge. Sie könnte mich vollständig von meinem Willen lösen und mich so ihrer Kontrolle aussetzen. Wenn ich eins weiß, dann das, dass solche Frauen sehr clever sind. Sie haben die Fähigkeit, hauptsächlich Männer in ihren Bann zu ziehen, um sie schließlich willenlos zu machen. Ihre ästhetischen Körper üben eine hypnotische Wirkung aus. Man kann nicht anders, man muss die Geldscheine hervorholen und sie für diese Eleganz bezahlen. Ganz gleich, wie hoch die Summe ist.
„Ich werde mir Mühe geben", murmele ich im Vorbeigehen und schlucke sehr leise. Sie wird mich ebenfalls hypnotisieren. Mich in ihren Bann ziehen. Ich werde mit Sicherheit diesen Prozess nicht beenden können. „Auch wenn ich nichts garantieren kann." Ich trete aus der Küche und suche die Treppe auf. Setze die Schritte auf die erste Stufe. Vertraute Geräusche sammeln sich in den Ohren an. „Das kann etwas werden."
In einem unregelmäßigen Abstand geben die Schritte ein leises Knarzen von sich. Ich habe anschließend die Treppe hinter mir gelassen und steuere das Schlafzimmer an. Ich sollte für frische Luft sorgen, erscheinen die Worte in meinem Kopf, als ich die verbrauchte Luft wahrgenommen habe. Das ist doch nicht mehr erträglich. Ehe ich in mein Zimmer gehe, schwenke ich zu dem kleinen Fenster, welches sich in diesem Flur befindet. Ich klappe es an. Obwohl es recht früh sich, besitzt die Luft eine warme Hülle. Sie zwängt sich durch den Spalt und wandert schließlich durch das Obergeschoss.
Ich wende mich von dem Fenster ab, überhöre die Kinder, welche sich auf dem Gehweg befinden und sich auf dem Weg zu der Haltestelle machen. Sie scheinen fröhlich unterwegs zu sein. Das kleine Mädchen singt ein willkürliches Lied, ein anderes stimmt gelegentlich ein.
„Würde ich auch so gut gelaunt sein, würde ich vor Freude an die Decke springen", murmele ich und gehe in das Schlafzimmer. Lehne die Tür an und stoppe vor dem Kleiderschrank. „Na ja, wenigstens kann ich nachher in Ruhe durch Miami fahren." Ich öffne die Schranktüren und nehme die Dienstkleidung heraus, dann frische Unterwäsche. Den Stapel unter dem Arm klemmend, nähere ich mich dem Bett und werfe die Sachen auf die Decke.
Ich beginne, mich umzuziehen. Erst verschwindet das Oberteil, es wird ausgetauscht. Das Gleiche wiederhole ich unten herum. Ein letztes Mal zupfen, etwas glatt streichen, und schon habe ich das Umziehen beendet. Ich schiebe die Schlafklamotten über die Bettdecke und stopfe das weiße Hemd in die Hose.
„Geht doch", spreche ich und stecke die Zufriedenheit in die Stimme. Ich gehe zu dem Spiegel und beäuge mich. „Die Klamotten sitzen. Locker, aber nicht zu locker, damit das unordentlich aussieht." Ich streiche mit der linken Hand durch die Haare. „Nur noch die müssen gemacht werden. Dann wäre ich für den Arbeitstag bereit. Schön, schön." Ich schenke mir selbst ein Grinsen und öffne danach das Fenster. Ich sehe das Fliegengitter an und weiche plötzlich einen Schritt zurück. Eine relativ dicke Spinne hat ihr Netz auf Höhe der Mitte gebaut und sitzt jetzt in der Nabe von dem Netz. Ich starre das scheinbar reglose Tier an. Im Normalfall verspüre ich keine Angst, wenn ich eine Spinne erblicke. Aber ich kann es nicht ausstehen, wenn sie wie aus dem Nichts erschienen sind. Dies bereitet mir jedes Mal aufs Neue einen Schrecken. „Gut, von mir aus kannst du Vieh da sitzen bleiben. Hauptsache, du hältst mir die Mücken vom Leib ... und kommst mir nicht in die Wohnung."
Ich lasse das Fenster weit offen stehen und verlasse das Schlafzimmer. Schlage den Weg zu dem Bad ein. Unten erklingt das Klappern von dem Geschirr. Anscheinend muss Zoë die Tassen, Teller und Schalen in den Geschirrspüler gestellt haben. Zumindest ist sie dabei. Ich richte den Blick zu dem Badezimmer und gehe in dieses hinein. Schließe hinter mir die Tür.
„Jetzt müssen nur noch die Kleinigkeiten erledigt werden, und schon kann ich zur Station fahren." Ich bleibe vor dem Waschbecken stehen und sehe mich erneut an. Ich wirke müde, aber ich fühle mich wach und erfrischt. Mein Körper vermittelt verschlafene und erschöpfte Signale. Zumindest der Verstand und der Geist haben die Müdigkeit abgeschüttelt. „Und heute Abend geht es dann zum Red Roses."
Ich werde mich wohl von meinen Willen verabschieden müssen, wenn ich den Schritt in das Lokal setzen werde. Tiefe Atemzüge folgen. Ich kann mir keinen klaren Ablauf von dem Abend machen. Es wird eine Überraschung für sich sein. Aber die werde ich mit geheimer Freude und einem sehnsüchtigen Hunger in Empfang nehmen.
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