D W A D Z I E Ś C I A S I E D E M
Vincent hat es nicht getan. Ich meine, er hat kein Gespräch mit mir angefangen. Ich habe nach einem gesucht, aber kein passendes Thema gefunden, um überhaupt Worte anzuwenden. Somit hat sich die Stille erneut zwischen uns ausgebreitet, nachdem wir das Diner betreten haben und uns an den gewohnten Tisch gesetzt haben. Ich habe ihn immer wieder fragend angesehen, habe gehofft, dass er von allein mit der Sprache herausrücken würde. Die Hoffnung hat sich als unbrauchbares Gut herausgestellt. Also sitzen wir schon wieder schweigend zusammen, das jeweils bestellte Essen vor uns. Ich habe die Gabel durch die grünen Blätter geführt und keinen Bissen zu mir genommen. Vincent scheint sogar nicht bemerkt zu haben, dass seine Bestellung vor ihm steht. Ich hebe den Blick und sehe den Blonden schweigend an. Vielleicht wird er davon Notiz merken und irgendetwas sagen. Sei es ein Wort, das keinen Sinn ergibt; ich wäre dankbar für das Entfernen der Stille, welche zwischen uns besteht. Ich könnte sie vertreiben, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll. Ich stoße einen leisen Seufzer aus und steche ein paar Salatblätter auf die Gabel, führe sie zu meinem Mund und kaue anschließend auf dem Grünzeug herum.
Der Appetit hat an Kraft verloren, ich verspüre den Hunger kaum noch. Ich muss mich zwingen, etwas zu essen. Der Tag neigt sich nämlich nicht dem Ende zu. Ich lege die linke Hand um die Schüssel und blicke in sie hinein. Wenige kleingeschnittene Stücke vom Huhn, hier und da blitzt das Rot von Tomaten hervor. Gurkenscheiben und winzige Käsewürfel sind ebenfalls in den Salat gemischt worden.
„Vince, ist mit dir alles gut?", breche ich doch hervor, als weitere Minuten des Schweigens an uns vorbeigezogen sind. „Du bist so still. Das ist ziemlich untypisch für dich." Ich beiße mir augenblicklich auf die untere Lippe, als ich realisiert habe, dass ich etwas gesagt hat. Eigentlich habe ich es nicht vorgehabt; Vincent könnte gereizt sein.
Dass ich auch jedes Mal vorpreschen muss, denke ich und schaffe es, seinem ausdrucksbefreiten Blick standzuhalten. Nicht, dass er jetzt noch schlechter gelaunt ist. Wobei ... kann man dies als schlechte Laune bezeichnen? Seinen momentanen Zustand? Ich warte ein wenig unbehaglich. Ich denke schon.
„Was soll schon sein?", gibt der Blonde zurück. Ich habe erwartet, dass er unwirsch klingt, genervt. Nichts dergleichen. Der Dreißigjährige hat einen neutralen Ton in der Stimme. „Mit mir ist alles gut." Gelegentlich rührt er seine Bestellung an. Erlaubt sich einen kleinen Bissen. „Ach, bin ich das? Hm, dann ist es eben so." Mehr sagt er nicht, isst weiter.
Ich hege Zweifel, auch wenn ich dies nicht tun will. Er hat mich mit einer Lüge konfrontiert. Davon bin ich überzeugt. Ich wage nicht, dies auszusprechen; ich will diese seltsame Atmosphäre, welche herrscht, nicht zerstören oder einer Veränderung unterziehen. Ich kämpfe innerlich mit den Zweifeln, während ich den Salat zu mir nehme.
„Es hätte sein können, dass irgendetwas vorgefallen ist", murmele ich und schlucke den Happen herunter. „Normalerweise ist es zwischen uns nicht so still, wenn wir essen." Ich löse den Blick von meinem Kollegen und lasse ihn durch das Lokal schweifen. Heute ist es nicht allzu sehr aufgesucht worden. Viele Tische, besonders vorne bei dem Eingang, sind unbesetzt. Selbst das Klappern von dem Geschirr scheint weniger geworden zu sein.
Ich mustere eine Bedienung, welche ein volles Tablett durch die Reihen balanciert. Ihre schwarzen Haare hat sie zu einem geschmeidigen Zopf gebunden, ihre dunkle Haut glänzt ein wenig, wenn das Licht auf sie fällt. Das weiße Shirt weist hier und da winzige Flecke auf, und um ihre schlanke Taille schmiegt sich eine schwarze Schürze.
„Nein, nein. Es ist alles in bester Ordnung", reißt Vincents Stimme mich aus den Tagträumereien, und ich werde von einem sanften Schrecken heimgesucht. „Ich weiß nur nicht, worüber man reden sollte. Jetzt, wo ich darüber nachdenke; gestern war es genauso." Er führt die Spitze von dem Messer über den Tellerrand. „Na ja, vielleicht müssen auch solche Tage sein. Zumindest ein Mal."
Möglicherweise hast du recht, aber ich kann dir schlichtweg keinen Glauben schenken. Die Zweifel hindern mich daran. Ich widme mich der halbvollen Bestellung. Irgendwo hast du eine Lüge versteckt. Ich weiß nicht, wo genau sie sich befindet, doch ich werde sie finden. Gib mir Zeit, und ich werde sie aufdecken.
Neben den Zweifeln habe ich auch Spekulationen in meinem Kopf. Sie verstreuen sich in alle Richtungen. Sie schenken mir keine Ruhe. Eine sticht besonders hervor. Sie geht ein bisschen mit der Sache von heute Morgen auf. Ich wage zu behaupten, dass ich mich sehr irre – Ich denke, dass Cessy damit etwas zu tun hat. Wie gesagt, es ist eine reine Spekulation. Doch warum habe ich mich in sie festgebissen? Schwache Falten bilden sich auf der Stirn, und ich lege den Kopf in die linke Hand. Schaue in die Schüssel und schiebe mit der Gabel die Gurkenscheiben umher.
Ich sollte aufhören, darüber nachzudenken, rede ich mir ein und steche die übriggebliebenen Reste auf. Schiebe die Gabel in meinen Mund. Nicht, dass ich mit diesen Überlegungen eine Menge Schaden anrichten werde.
„Das kann gut möglich sein." Ich lege die Gabel in die leere Schüssel und schiebe sie ein wenig von mir. Hole stattdessen das unberührte Glas zu mir. „Hast du heute noch etwas vor?" Mit dieser Art von Frage kann man die Zeit irgendwie sinnvoll nutzen. Wobei ... sinnvoll mag hier das falsche Wort sein.
Der Blonde zuckt mit den Schultern und lässt nebenbei von seinem leeren Teller ab. Er greift nach einer Serviette und säubert mit dieser seinen Mund.
„An sich nicht", antwortet er nachdenklich und schiebt die benutzte Serviette unter das Besteck. „Vielleicht werde ich mir einen entspannten Abend zu Hause machen oder ich werde mit Jasmine einen Rundgang durchs Viertel machen. Muss ich noch sehen."
Sogleich werde ich hellhörig. Ich blicke ihn an.
„Jasmine? Etwa deine Freundin?" Sollte dies zutreffen, muss ich dies meiner Schwester mitteilen, was sie wiederrum an Natasha weiterreichen soll.
Der Dreißigjährige lächelt kurz, schüttelt danach den Kopf. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Spüre schwache Merkmale der Erleichterung.
„Nicht Freundin im Sinne von Zusammensein", stellt er klar und lehnt sich zurück. „Jasmine ist eine Freundin aus der High-School. Eine Schulfreundin, wenn man es so will." Mit der rechten Hand fährt er sich durch die Haare. „Aus uns wird so oder so nie mehr werden, aus dem Grund, weil wir verdammt viel Wert auf eine Freundschaft legen."
„Ah, ach so, okay. Ich dachte, da wäre doch mehr." Ich sehe Vincent an. „Du bist heute dran mit Bezahlen."
Er stößt ein leises Gelächter aus.
„Ich habe das nicht vergessen", erwidert er und angelt das nötige Geld aus der Hosentasche. „Hauptsache, wie plötzlich du damit angekommen bist. Was für ein abruptes Themawechsel. Nicht schlecht." Er drückt das Geld auf den Tisch. „Willst du noch einen Muffin oder so?"
„So bin ich eben." Ein knappes Grinsen folgt. „Ich nicht. Nein, ich bin satt." Ich schließe die Finger um das Glas und leere es mit wenigen Zügen. Das kühle Wasser rauscht spürbar durch mich. Ich stelle das Glas ab.
„Okay. Dann kann ich also bezahlen gehen." Vincent setzt sich gerade auf und wendet sich mehr dem Geschehen zu, was sich in dem Diner abspielt. „Mal sehen, ob mich jemand gleich sieht."
Ich hebe etwas die Augenbrauen und sage dazu nichts. Eher fische ich das Handy aus der Hosentasche und werfe einen Blick auf dieses. Eine einzelne Nachricht. Die Neugier erwacht in mir, und ich sehe sogleich nach, wer mir geschrieben hat.
Eine Nachricht von Cessy.
Ich habe das Gefühl, dass mein Herz für den Bruchteil einer Sekunde ausgesetzt hat. Eine leichte Starre hat mich umklammert und mir ein kaltes Gefühl zugeschoben. Das kann nichts Angenehmes bedeuten. Jedenfalls nicht für mich. Ich drücke die Lippen aufeinander und muss mich überwinden, die Worte aufzunehmen.
Ich solle mich auf eine heiße Überraschung einstellen. Das hat sie mir zukommen lassen. Mehr nicht und nicht weniger. Ich lese mir die Nachricht ein zweites Mal durch, dann ein drittes Mal. Ein viertes Mal. Immer und immer wieder, als könnte ich nicht glauben, dass Cessy mir diese Nachricht geschickt hat.
Der Puls hat sich etwas beschleunigt, und mehr Schweißtropfen perlen von meiner Stirn. Ich schlucke leise, schreibe nichts zurück, sondern lasse das Handy in die Hosentasche gleiten. Mittlerweile ist eine Brünette aufgetaucht, welche die Rechnung aufgegeben hat, das erforderliche Geld eingenommen hat. Gerade wechselt sie mit Vincent ein paar fröhliche Worte.
Eine heiße Überraschung also, denke ich und bemühe mich zu einem Lächeln, als die Kellnerin sich von uns verabschiedet hat. Auf die soll ich mich einstellen. Verdammt. Ich realisiere, wie der sehnsüchtige Hunger zum Leben erwacht. Und jetzt soll ich bis heute Abend warten. Na, das kann ja ein schöner Arbeitstag werden.
Ich schiebe den Stuhl nach hinten, ein dumpfes Quietschen entweicht ihm. Dann erhebe ich mich, sehe einer anderen Bedienung zu, wie sie Vincents und mein Geschirr auf ein Tablett platziert, es im Anschluss auf den Arm nimmt und es geschickt trägt, während sie Richtung Theke geht.
„Kann es losgehen?" Der Dreißigjährige schaut mich an, und ich nicke nur. „Okay, super." Er geht an mir vorbei, Richtung Ausgang. Ich im Schlepptau. Vincent hat nicht einmal nachgehakt. Vorher hat er dies getan, wenn er gespürt hat, dass ich mich mit etwas auseinandersetze.
Das verstärkt dieses Chaos in meinem Kopf.
Ich komme mir vor, als würde ich in einem schlechten Film stecken. Ich schlüpfe flink durch die schmale Lücke, ehe die Tür ins Schloss fallen kann. Ich bin die Hauptdarstellerin, die sich mit einem sehr schlechten Skript herumschlagen muss, und viele verrückte Szenen werden mich erwarten. Verrückt ist das Geschehen, was sich heute Morgen abgespielt hat. Dann noch Cessy, die urplötzlich meine Telefonnummer von Vincent bekommen hat, und dann ist noch die Sache mit dem Red Roses verrückt. Es fehlt nicht mehr viel, dann werde ich selbst verrückt sein.
Ich schließe zu Vincent auf. Gehe schweigsam neben ihn her. Ich behalte den Blick nach vorne gerichtet, registriere somit die Menschen, die sich auf dem Gehweg bewegen. Ein verrückter Tag. So kann ich ihn bezeichnen. Zutreffender kann es nicht sein. Ich schiebe eine Hand in die Hosentasche und lege die Finger um das Handy.
Ich werde es noch schaffen, auf die vielen Fragen eine Antwort zu finden. Dann diese Zweifel aus meinem Kopf zu entfernen. Zumindest muss ich es schaffen, wenn ich ein ruhiges und ausgeglichenes Gewissen besitzen will.
___
Es tut mir wirklich leid, dass es dieses Mal nur 1'700 Wörter sind. Bei mir beginnt ab nächster Woche die Phase mit den Prüfungen. Das bedeutet, dass ich mehr Zeit für die Schule investieren und Wattpad mehr den Rücken zukehren werde. Zumindest, was das Schreiben betrifft. Ich hoffe, ich habt dafür Verständnis. =)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro