D W A D Z I E Ś C I A C Z T E R Y
Der Abend hat die gesamten Farben verloren, als ich mein Haus erreicht habe. Ich bin nicht länger im Wagen sitzen geblieben, habe die Schlüssel sowie die Tasche an mich genommen und bin ausgestiegen. Die Muskeln gleichen zitternden Bändern. Ich begebe mich zu der Haustür, blende die aufkommende Müdigkeit aus. Ehe ich die Hausschlüssel an mich nehme, werfe ich einen Blick zu den Fenstern. Die Gardinen bedecken das Glas, dennoch zwängen sich einzelne Lichtstrahlen nach draußen. Meine Schwester ist also noch auf den Beinen. Ein schwaches Lächeln zeichnet sich auf den Lippen ab, und ich öffne die Haustür und betrete den halbdunklen Flur. Eine Lampe von kleiner Größe, platziert auf der hüfthohen Anrichte, welche neben der Tür von dem Wohnzimmer steht, ist die einzige Lichtquelle.
Ich nehme die Jacke ab, nachdem ich die Haustür geschlossen habe, habe die Finger von den Trägern entfernt, und die Schuhe habe ich zu Zoës geschoben. Ich bringe keine Worte auf, sondern gehe schweigend zu dem Wohnzimmer und werfe einen Blick zu der Couch. Der Fernseher ist ausgeschaltet, allerdings ist der Laptop meiner Schwester zum Laufen gebracht worden. Die Mundwinkel üben eine schwache Bewegung aus, und ich nähere mich der Vierundzwanzigjährigen. Sehr leise Musik sickert aus ihren Kopfhörern. Das Lied ist mir vertraut, aber den Titel kann ich nicht auf Anhieb nennen. Ich bleibe hinter Zoë stehen und sehe auf den Bildschirm. Die Blondine hat meine Anwesenheit nicht registriert, sie schaut sich ungestört die verschiedenen Artikel an.
„Aha, sie shoppt also wieder", murmele ich und beuge mich mehr zu ihr. Ich wende ein wenig den Kopf zu ihr und puste ihr auf die Wange. Erst gluckse ich, dann breche ich im Gelächter aus, als Zoë vor Schreck in sich zusammengefahren ist und die Kopfhörer von ihren Ohren gerissen hat. Mit großen, vor schreckgeweiterten Augen starrt sie mich an, unfähig, etwas zu sagen. Ich bringe nicht einmal die Mühe auf, mich zu besinnen. Ich lasse die Zeit ungehindert vergehen. Meine Schwester stößt ein lautes Brummen aus und zieht die Augenbrauen zusammen. Ihre sanften Gesichtszüge spannen sich an.
„Mensch, Valary", erhebt sie ihre Stimme, die Verärgerung bestimmt den Ton. Ich habe währenddessen das Gelächter eingestellt. „Wirklich? Was sollte das? Das ist überhaupt nicht lustig." Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Warum bist du eigentlich so spät nach Hause gekommen? Du hast wohl die Zeit außer Acht gelassen, was?"
Ich gehe um die Couch herum und nehme anschließend neben Zoë Platz. Ich fahre mit einer Hand durch die Haare, ehe ich erwidere: „Ja, wirklich. Ich hatte dazu Lust, weil es sich gut angeboten hat. Aber hey, du musst es positiv sehen; jetzt bist du vollständig wach." Ich schenke ihr ein Grinsen, meine Schwester verzieht keine Miene. Ich schaue ihren weißen Laptop an. „Haben wir. Das Training war wohl etwas zu intensiv." Stille. „Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht? Bist du durchgehend zu Hause geblieben?"
Die Blondine klappt den Laptop zu und stellt ihn neben sich. Sie lässt sich mehr herunter gleiten, sodass nur noch ihr Kopf an der Lehne ruht. Ich mustere sie für einen Augenblick, ehe ich zu dem vollbestückten Tisch blicke.
„Du bist doch blöd", meint sie und verliert die Anspannung, die ich ihr beschert habe. „Weil es sich gut angeboten, aha. Schöner Grund, wirklich." Sie verdreht die Augen, und ich schmunzele. „So muss es auch sein. Na ja, Hauptsache, du hattest Spaß. Gelohnt hat es sich wahrscheinlich auch." Ein langsames Nicken meinerseits. „Das Übliche. Habe das Haus auf Vordermann gebracht, mit Natasha gelernt, und wir sind sogar zum See gefahren und sind für ein paar Stunden baden gewesen. Das ist ziemlich lustig gewesen."
„Wow, ich bin echt stolz auf dich." Ich stupse meine Schwester an. „Du hast es tatsächlich geschafft, dich mal vom Standard abzuwenden. Wow, Zoë. Was für ein Fortschritt." Ich halte ein aufkommendes Gelächter unterdrückt, als ich erkenne, wie sie ihre Lippen aufeinanderdrückt. „Ach, Spaß beiseite. Das kann man auch ruhig machen, vor allem heute war es so warm. Schön, schön." Ich hefte den Blick an die Blondine. „Was hast du eigentlich gesucht? Willst du dir schon wieder etwas bestellen?"
Die Vierundzwanzigjährige ignoriert den ersten Teil meiner Aussage, geht höchstens auf den zweiten ein. „Ganz genau. Wieder einmal ein paar neue Klamotten. Ist zwar schon wieder Auslandsware, aber dafür finde ich die Qualität stimmig und die Form. Die fünfzehn Dollar Versandkosten kann ich mir auch klemmen, ganz ehrlich." Sie schließt halb ihre Augen. Ein leises Gähnen verlässt ihre Lippen. „Ich schlafe gleich ein, der Tag war doch etwas anstrengend."
Ich gebe einen kurzen Seufzer preis und klettere von der Couch. Richte mich gerade auf.
„Nicht, dass du sie dir umsonst gekauft hast", spreche ich und entferne mich von ihr. Jedoch stoppe ich im Türrahmen. „Dann sind die fünfzig, sechzig Dollar futsch." Mit den Fingerspitzen fahre ich über das glatte Holz. „Du kannst gerne hier schlafen, ich kann dich morgen früh wecken." Worte, die Zoë veranlassen, hochzufahren. Sie schaut mich an. Sekunden des Schweigens ziehen an uns vorbei. „Was ist?"
„Du und wecken? Du bist kein Frühaufsteher", widerspricht sie mir und schiebt sich von der Couch. „Wenn du mich wachmachst, ist es wahrscheinlich viel zu spät. Ich will schließlich pünktlich sein." Sie stiehlt sich an mir vorbei. Ich schaue ihr etwas verblüfft nach. „Schlaf' nachher gut."
Ich bin nicht in der Lage, ein ordentliches Wort hervorzubringen. Ich bleibe stumm, ehe ich ihr nach oben folge. Die Vierundzwanzigjährige biegt in das Badezimmer ab, ich hingegen steuere mein Schlafzimmer an. Trete ein und drücke hinter mir die Tür zu. Ich führe die rechte Hand zu der Wand, taste nach dem Lichtschalter. Das Licht erscheint mir in diesem Moment viel zu grell, ich kneife halb die Augen zusammen, bevor ich zu dem Bette schreite.
Das, was sich heute alles abgespielt hat, denke ich und schäle mich aus den Klamotten, welche ich austausche, wird mich bis in den kühnsten Träumen verfolgen. Allein schon diese gedanklichen Worte treiben die Vorstellungen in meinen Kopf. Meine Zähne bohren sich leicht in die untere Lippe. Ich hoffe aber, dass sie mich nicht wachhalten werden. Ich lösche das Licht und gehe sicher zu meinem Bett, auf welches ich mich fallen lasse. Ich ziehe nicht die Decke über mich, bleibe auf dem Rücken liegen. Reglos, den Blick zu der Decke gerichtet. Das wird eine Nacht. Ich schiebe die Arme unter meinen Kopf und lasse mich von der Schwärze verschlingen. Na ja, morgen wird ein anderer Tag sein. Wie sagt man so schön? Neuer Tag, neues Glück. Vielleicht wird es auch auf mich zutreffen.
Ich schließe die Augen, dennoch ist nicht an Schlaf zu denken. Die Vorstellungen halten mich davon ab. Wenn ich wieder einmal eine schlaflose Nacht in Angriff nehmen soll, dann werde ich das tun. Irgendwie werde ich den morgigen Tag durchstehen.
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Es muss ziemlich spät gewesen sein, als ich in den Schlaf gerutscht bin. Ich habe keinen Blick zu dem Wecker geworfen, aber mein Gefühl hat mir zugeflüstert, dass ich erst in aller Frühe eingeschlafen bin. Vielleicht drei oder vier Uhr. Das bedeutet, dass ich gerade einmal drei Stunden für mich gehabt habe. Meine Laune hat sich irgendwo verzogen, sie will nicht mehr ansteigen. Das habe ich realisiert, als der Wecker ein schrilles und lautes Klingeln von sich gegeben hat, das meinen begrenzten Schlaf unterbrochen hat. Vollkommen schlaftrunken habe ich mich aufgerichtet, die linke Hand zu dem schrillenden Wecker ausgestreckt und ihn unabsichtlich von dem Nachttisch befördert, als ich den Knopf zum Ausschalten nicht gefunden habe. Der kurze Aufprall hat mir ein unschönes Zusammenzucken untergejubelt. Ein scharfer genervter Laut hat meine Kehle verlassen, und ich habe mich aus dem Bett geschoben, den Wecker eingesammelt, ihn zum Verstummen gebracht und ihn danach auf seinen üblichen Platz gestellt.
„Ich fühle mich echt scheiße", spreche ich recht undeutlich, strecke meine Arme empor und starte den Versuch, die Müdigkeit aus den Knochen zu vertreiben. Ein leises Knacken hier, ein leises Knacken dort. „Müde, beschissen. Ich will zu Hause bleiben. Gerade habe ich keinen Nerv für die Arbeit übrig." Ich schlurfe zu dem halbbedeckten Fenster, ziehe die Jalousie hoch. Hastig kehre ich dem Fenster meinen Rücken zu und gehe schweren Schrittes zu dem Schrank. „Warum kann ich mich nicht einfach krankmelden? So wie damals an der High-School. Ja, das waren noch einfache Zeiten gewesen." Ich betrachte meine Klamotten. „Toll, viel Auswahl bleibt nicht übrig." Die übliche Dienstkleidung, der übliche Ablauf. Manchmal liebe ich diese Routine, allerdings gibt es auch Tage in meinem Leben, wo ich sie verfluche. Einer dieser Tage ist heute in mein Leben gekracht. „Kann mich bitte jemand motivieren?"
Ich werfe die Klamotten auf das zerwühlte Bett und schließe den Schrank. Ich habe das Gefühl, dass ich die Mundwinkel hinter mir her schleife. Die Vorstellung veranlasst meine Laune nicht zu einem Anstieg. Das hätte mich, wenn ich ehrlich bin, auch gewundert.
Bei dem Bett angekommen, wechsele ich rasch die Klamotten. Schlafshirt und Hose werfe ich unachtsam auf die Bettdecke, das neue Shirt stopfe ich in die neue Hose. Ich übe ein schwaches Zupfen an meinem schwarzen BH sitzt, als ein stechendes Ziehen meine Aufmerksamkeit gewonnen hat.
„Ich kann mich echt glücklich schätzen, dass ich nicht so viel Oberweite habe", murmele ich und stecke die kurzen dunklen Haare hoch, damit sie nicht in mein Gesicht hängen. „So muss ich mir keine Gedanken um zusätzlichen Ballast machen." Ich streiche einige lose Haarsträhnen hinter die Ohren, gehe dann aus meinem Schlafzimmer. Gelegentlich rutsche ich über das glatte Laminat. Ich blinzele langsam und starre die weißen Socken an. „Ich denke, ich muss mir neue beschaffen. Aber nicht heute. Vielleicht in zwei Wochen, wenn ich Urlaub habe." Da habe ich mir vorgenommen, neue Klamotten einkaufen zu gehen.
Wie immer ist meine Schwester auf den Beinen. Wie immer tönt die Musik in meinen Ohren. Wie immer hilft es nicht, meine Laune zu einem Anstieg zu verhelfen. Ich drücke die angehaltende Luft laut aus mir heraus, gehe langsamen Schrittes die Treppe herunter. Ich vergrabe die rechte Hand in die Hosentasche. Die standardmäßige Routine, spreche ich stumm und betrete das Wohnzimmer, um zu der angrenzenden Küche zu gelangen. Ein Fluch und Segen zugleich. Ich lasse den Blick über den gut gedeckten Tisch wandern. Aber wenigstens ist das Frühstück mit jedem neuen Tag anders. Zoë hat zwar erneut einen Obstsalat zubereitet, dieses Mal mit anderen Früchten. Klein geschnittene Äpfel, Ananas und Erdbeeren, dazu eine Banane. An Energie für den erfolgreichen Start wird es nicht mangeln, soviel steht fest.
Ich schiebe den Stuhl zurück und setze mich hin. Das Erste, was ich unternehme, ist, ein Schluck des warmen Kaffees zu mir zu nehmen, um erfrischter zu wirken.
„Die Eule hat es doch noch geschafft, aus dem Bett zu kommen", begrüßt die Blondine mich und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. Ich schiebe die Tasse von mir und erwidere ihren Blick ohne jeglichen Ausdruck. „Guten Morgen. Wow, siehst du gut gelaunt aus."
„Ich hasse Ironie", gebe ich resigniert zurück und führe die Gabel durch die Schüssel. „Jaja, du mich auch." Ich stütze den Kopf an der rechten Hand ab, während ich die einzelnen Obststücke zu meinem Mund bewege. Mehr ergänze ich nicht, konzentriere mich eher auf das Essen. Meine Schwester scheint etwas erwidert zu haben – ich habe nicht richtig hingehört. Sie dreht das Radio ein wenig lauter, dann setzt sie sich mir gegenüber. Sucht meinen Blick, den ich nicht begegne. Ich behalte meinen Blick zu der Schale gerichtet, kaue nebenbei auf den Stücken herum.
Ich habe nicht einmal Lust, das Gespräch von gestern aufzugreifen, um es fortzuführen, rede ich mit mir selbst, stochere in der Schale herum. Zoë bewegt sich leicht mit dem Takt der Musik, die aus dem Radio dudelt. Ich beobachte sie still, steche ab und zu ein Stück Obst auf die Gabel. Ich habe zu gar nichts Lust. Ich fühle mich ziemlich demotiviert. Ich wage zu behaupten, dass mir binnen weniger Augenblicke die Augenlider zufallen werden. Dank des Schlafs, der diese Nacht rar ausgefallen ist. Langsam kaue ich auf dem Apfelstück herum. Die Süße des Obstes hat sich in der Mundhöhle ausgebreitet. Ich muss mich aufraffen und mächtig zusammenreißen. Zoë singt nun das nächste Lied mit, ganz gleich, dass ich hier sitze und sie hören kann. Mein Dasein scheint sie nicht zu stören. Irgendwie werde ich das schon schaffen, und wenn nicht; ich habe noch Vincent. Er wird mich motivieren. Bisher hat er es immer geschafft.
Ich muss nur darauf Acht geben, während der Arbeit nicht einzuschlafen. Das wäre das Letzte, was ich gebrauchen könnte. Das bedeutet; ich muss mich einem bestimmten Zwang aussetzen.
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An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Dank aussprechen. Es freut mich sehr, dass euch diese Sätze gefallen. Vielen Dank fürs Lesen. ^^
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