C Z T E R D Z I E Ś C I D Z I E W I Ę Ć
Woher weiß er das? Von wem hat er es erfahren? Diese Frage pocht auf eine sofortige Antwort. Nur kann ich mir keine zusammenbasteln. Schließlich habe ich selbst keine Ahnung. Die Starre lässt sich nicht lösen – hält mich eisern fest. Ich habe die Arme vor der Brust verschränkt und bereite mir die Mühe, die gezügelte Fassade aufrechtzuerhalten. Erste Risse zieren die Oberfläche, und ich spüre erste kleine Steinchen auf mich herab prasseln. Dennoch bewahre ich Haltung. Vincent darf mich keineswegs darauf ansprechen; er würde dies als Angriffsfläche nutzen.
Ich drücke die Lippen aufeinander und nehme den Blick von ihm. Der Dreißigjährige hat eine verbitterte Miene gezogen. Es bedarf nicht mehr viel Zeit, und er würde ein aufbrausendes Argument beisteuern. Am liebsten will ich kehrtmachen und das Büro verlassen. Hauptsache, ich kann mich so weit wie möglich von Vincent entfernen. Und selbst wenn ich bei Jim aufkreuzen muss; bis jetzt ist er zusagender als mein ehemaliger Kollege. Doch ich bewege mich nicht von der Stelle, bleibe wie angewurzelt stehen. Starr, völlig überrumpelt und sprachlos.
Erst, als aus Vincents Kehle ein leises Knurren dringt, schaue ich ihn wieder an. Es kostet etwas Kraft, Blickkontakt aufzubauen. Und diesen zu halten. Mein Körper bebt schwach, ist aufgeheizt. Es ist, als würde in mir ein kleiner Vulkan brodeln.
„Sag' mir, warum du gestern im Red Roses warst", fordert er mich zum wiederholten Male auf und stemmt die Hände auf die Lehnen. Ich erkenne, wie die Adern sich unter der leicht gebräunten Haut abzeichnen. Sie treten stärker hervor, wenn der Blonde mehr Gewicht auf seine Arme verlagert.
Warum will er es wissen? Für eine Weile ziehe ich die Augenbrauen kraus und lasse die Arme sinken. Versenke die schweißfeuchten Hände in die Hosentaschen. Umsäume mit der linken das Handy, die andere habe ich halb zu einer Faust geballt. Währenddessen schlägt das Herz mir bis zum Hals. Ich schlucke leise. Ringe um eine Antwort. Es fällt mir schwer. Wieso? In meinem Kopf will keine Antwort erscheinen.
„Ich ..." Kneife kurz die Augen zusammen und betätige einen tiefen Atemzug. Führe den scheinbar sinnlosen Versuch aus, mir Ruhe zu verschaffen. Diese Wand zu schwächen, die sich in mir aufgebaut hat und mich verunsichert. „Ich ..." Schürfe die Lippen, als ich den Puls ein wenig verlangsamt habe. „Gegenfrage. Woher weißt du das? Hat Cessy dir das etwa erzählt?"
Das kann ich mir schlecht vorstellen. In meinen Ohren klingt es absurd. Was sollte schon der Antrieb für diese mögliche Entscheidung gewesen sein? Will sie einen Keil zwischen mir und Vincent treiben? Schnell schüttele ich diesen Gedanken ab und verbanne ihn. Das klingt noch absurder als meine gestrige Spekulation.
„Aha. Also warst du da." Täusche ich mich, oder hat sich tatsächlich die Kälte in seiner tiefen Stimme ausgebreitet? Unwohlsein überkommt mich. „Dann sehe ich mich ja bestätigt." Seine schlanken Finger schließen sich fester um die Seitenlehnen. Als der Blonde etwas ergänzt, stechen die Fingerknöchel weiß hervor. „Hat dir wahrscheinlich gefallen, was?" Er lässt mich nicht zu Wort kommen. „Ja, so siehst du nämlich aus."
Ich blinzele träge. Greife nach irgendwelchen Worten. Wichtig ist, dass ich meine Stimme wiedererlange. Ich habe das Gefühl, dass sich die ohnehin schon angespannte Lage sich verschärfen wird. Es fehlt nur noch dieser entscheidende Zünder, und dann wäre die große Bombe geplatzt.
„Selbst wenn ich dort gewesen wäre; dich hat es nicht zu interessieren, ob es mir nun gefallen hat oder nicht", erwidere ich und schaffe es nicht, den Gesichtsausdruck zu verändern. Ich sehe nicht nur genervt aus, ich klinge dementsprechend so. „Mein Gott. Weißt du überhaupt, wie du dich im Moment aufführst? Das ist selbst für deine Verhältnisse nicht normal."
Ich setze einen winzigen Schritt nach hinten, als der Dreißigjährige sich erhebt. Der Stuhl quietscht kaum hörbar und rollt ein wenig zur Seite. Vincent geht auf mich zu. Ich zucke mit keiner Wimper, auch wenn ich das stärker werdende Gefühl des Unwohlseins registriert habe. Ein Schweißfilm hat sich auf meiner Stirn gebildet. Ob es an der stickigen Luft oder an Vincent liegt, kann ich nicht exakt sagen.
„Das ist mir vollkommen egal", knurrt er und bleibt wenige Zentimeter vor mir stehen. Ich unterdrücke den Reflex, nach hinten zu weichen. Jetzt darf ich es keineswegs tun; das wäre ein Indiz für meine innere Unsicherheit. „Ich sage das ein für alle Mal." Die folgenden Worte spricht er aus, als würde er mir jedes Wort einzeln in den Kopf meißeln. „Halte dich ja von Cessy fern." Er ist meinem Gesicht ein wenig nähergekommen. Ich kann behaupten, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüre.
Ich verenge ein wenig die Augen und schaue in das Blau seiner Augen. Sie glitzern seltsam. Es ist, als würden Anzeichen der Wut in ihnen blitzen. Diese ansehnliche Farbe strahlt nicht, versprüht keine Fröhlichkeit. Nein. Das Blau wird von Kälte überschattet. Was ist nur in ihn gefahren?
„Was soll das?" Ich schiebe ihn von mir weg. „Warum führst du dich auf einmal so auf?" Richte mich vollends auf und unterbinde das Unwohlsein. „Stimmt mit dir etwas nicht? Ich glaube schon." Ungläubigkeit überfällt den Ton in der Stimme. Prägt sie. „Ich soll mich von Cessy fernhalten? Was soll dieser Schwachsinn? Ich lasse mir doch von dir nichts verbieten – mir würde etwas fehlen, wenn ich deiner bescheuerten Aufforderung nachginge." Ich lasse mir nicht das wacklige Selbstbewusstsein nehmen, als Vincent sein Gesicht verzieht. „Jetzt geh' und lass' mich in Ruhe."
Erst erklingen keine Worte. Vincent benötigt wohl einen Augenblick, um meine Sätze sacken zu lassen. Ich vergrabe die Fingernägel in die Handflächen. Nehme Notiz von dem leichten Schmerz. Meine Zähne bearbeiten ein wenig die Innenseiten der Wangen. Eine Angewohnheit, wenn ich mich mit der Frustration herumschlagen muss.
„Es wäre für dich besser." Der Blonde fährt ungehalten los. Es raubt mir beinahe die Sprache. Binnen kürzester Zeit. „Ich wiederhole mich wirklich ungern, Valary. Aber damit du mich verstehst, sage ich es noch einmal." Er setzt einen Schritt in meine Richtung. „Halte dich ja von Cessy fern. Hast du mich verstanden?"
Ich kann es nicht glauben.
„Aha. Und was ist, wenn ich es nicht tue, hm? Was willst du dann unternehmen?" Ich erwidere schwerfällig seinen lodernden Blick. „Mich Kraft deines Amtes in Gewahrsam nehmen?" Ein abfälliges Schnauben entfährt mir. „Das kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen, mein Lieber."
„Nein, nein. Das hätte ich so oder so nicht vor." Vincent zischt wütend: „Du wirst danach sehen, was du davon hast. An deiner Stelle würde ich es nicht herausfordern." Zum zweiten Mal ist er sehr dicht zu mir getreten. „Wenn du nämlich das Red Roses erneut aufsuchst, werde ich es rauskriegen. Darauf kannst du dich verlassen." Er unterbricht sich frustriert, indem er wütend knurrt, ehe er hinzufügt: „Bleib' von Cessy weg." Ein unsanfter Stoß, der mich aus dem Weg befördert, und Vincent geht zu der Tür. Ich taumele ein wenig, kann mich dennoch rechtzeitig auffangen.
Das Unwohlsein ist verschwunden. Hat Platz für eine andere Emotion gemacht. Tobende Verständnislosigkeit. Sie schäumt in mir auf, experimentiert mit dem Ton in meiner Stimme. Ich habe gar nicht realisiert, wie die Lautstärke nach oben getingelt ist. Eilig schraube ich sie herunter. Es stellt sich als seine Art Hürde heraus.
„Was stimmt denn mit dir nicht?", fahre ich ihn an und wirbele zu Vincent herum. „Hast du zu wenig geschlafen, oder was ist los? Verdammt, ich soll mich von Cessy fernhalten? Das wünscht du dir wohl, was?" Ich werde lauter. Zittere etwas vor Wut. „Ich werde schon sehen, was ich davon haben werde, pah! Du bist doch ein Idiot!" Ich deute zu der Tür. „Jetzt verschwinde endlich!"
Es ist für mich vollkommen irrelevant, ob die Tür offensteht oder nicht; Vincent reißt unachtsam an den Nerven, die Papiere ähneln. Einige hat er mit Erfolg zerrissen. Er und ich starren uns an. Erst schweigend. Sind ihm etwa die Worte ausgegangen? Scheint er vielleicht in Gedanken versunken zu sein? Reimt er sich eine nutzlose Gegenantwort zusammen? Ich mache mich auf alles gefasst.
Der Dreißigjährige klappt seinen Mund auf, bereit, etwas zu sagen. Möglicherweise eine beleidigende Bemerkung. Soweit kommt es nicht. Jim ist plötzlich aufgetaucht. Er hat etwas zu Vincent gesagt. Die Frage habe ich nicht deuten können. Ich erkenne, dass er überrascht ist. Ich vermute, dass er den Grund für unseren Streit wissen will. Oder was Vincent hier zu suchen hat.
„Ich bin hier so oder so fertig", brummt der Blonde und schubst Jim beiseite. Bevor er mein Büro verlässt, wendet er seinen Blick über die linke Schulter. Sieht mich unverwandt an. „Denk' an meine Worte, Valary." Mehr sagt er nicht. Schlägt hinter sich die Tür zu. Es lässt Jim zusammenfahren. Ich verdrehe die Augen, drehe mich um und gehe zu dem Schreibtischstuhl. Setze mich schweren Atems hin und stütze den Kopf an den Händen ab. Schließe die Augen und versuche sogleich, das gesamte Gespräch in die Vergessenheit zu schieben. Mein Kopf dröhnt, irgendetwas pocht unnachgiebig gegen den Schädel. Es fühlt sich an, als würde dieser binnen Momente zerbrechen.
„Was ... war das denn gerade? Da war jemand schlecht drauf." Jim nähert sich dem Tisch. Er klingt besorgt. „Ist alles gut?"
Vermittele ich den Eindruck, als sei alles in bester Ordnung? Sehe ich so aus? Ich bin drauf und dran, diese Fragen auszusprechen. Verdammter Mist. Natürlich ist nicht alles okay! Hebe den Kopf und ziehe die Luft tief ein. Fülle die Lungen vollständig mit Luft aus. Als wäre alles gut. Ich würde gerne lachen wollen – es hätte gepasst. Einfach lachen. Entweder schief, hysterisch oder was weiß ich; es hätte mich aufgelockert und die Atmosphäre entspannt. Ich spähe aus einem schmalen Blick zu Jim. Ich will ihn wegschicken. Er stört nicht, nein, nein. Aber ich will meine Ruhe haben. Alles verarbeiten. Ohne dass sich jemand bei mir aufhält. Ich brauche absolute Stille, um mich schnell mit Dingen abzufinden.
Die Hände ruhen auf den Seitenlehen. Ich kann meinen, dass ich die Wärme von Vincents Händen wahrnehme.
„Kannst du mich bitte für einen Moment in Ruhe lassen?", bete ich und schenke ihm ein gezwungenes Lächeln. „Ich weiß es zu schätzen, dass du dir Sorgen um mich machst, ehrlich. Aber ich brauche kurz meine Zeit, um diesen Scheiß sacken zu lassen." Der Blick gleitet an Jim vorbei. Fixiert einen Punkt an der Tür. „Ich muss das allein verarbeiten." Ich hoffe inständig, dass Jim mich versteht.
Sein Blick wird etwas weich. Allerdings geht er nicht auf mein Lächeln ein. Ein knappes Nicken folgt, und Jim schreitet zu der Tür.
„Ist okay", meint er und legt die rechte Hand um die Türklinke. „Falls es nicht mehr gehen sollte; linker Flur, vierte Tür rechts. Da bin ich; du kannst dann mit mir reden. Für dich habe ich immer ein offenes Ohr." Seine schmalen Lippen haben ein Lächeln angedeutet. Dann ist er aus meinem Büro getreten, hat hinter sich die Tür zugezogen.
Die Stille bricht über mich herein. Erdrückt mich beinahe. Ich lehne den Kopf an meine zusammengefalteten Hände und schließe zum zweiten Mal die Augen. Rede mir ein, dass ich zu Hause sei, dass ich vollkommen alleine sei, dass sich niemand in meiner Umgebung aufhält. Dass ich die einzige Person auf der Erde sei. Es ist mir eine mickrige Hilfe. Ich atme nicht mehr schwer, und die Hitze aus mir abgezogen. Mir ist nach wie vor warm, aber das ist wegen der stickigen Luft. Mit den Spitzen der Dauen berühre ich die Stirn. Die Schultern sind leicht angespannt. Dennoch schere ich mich nicht darum.
Irgendwie kann ich nicht das Gespräch mit Vincent aus meinen Kopf verbannen. Es will sich nicht wegtransportieren lassen. Wie ein Anker hat es sich verhakt. Ich bin viel zu schwach, kann das schwere Ding nicht entfernen. Es spielt sich wie ein schlechter Film ab. Zum zweiten Mal. Dann zum dritten, vierten. Beständig. Ich finde keinen Knopf zum Ausschalten.
Ein schlechter Film mit keinerlei Intentionen. Ich räuspere mich verächtlich. Was soll dieser Mist auch schon aussagen? Dass Vincent wütend auf mich ist? Das hat man von Anfang an gemerkt. Ich hebe den Kopf und rutsche mehr im Stuhl herunter. Behalte die Beine ausgestreckt. Fragen blühen in mir. Es sind verschiedene.
Woher weiß er, dass ich gestern im Red Roses gewesen bin? Warum fordert er mich auf, dieses Lokal nicht mehr aufzusuchen? Was hat ihn dazu veranlasst, mich so anzuherrschen? Ein leiser Seufzer rollt von den Lippen.
„So albern klingt meine zweite Theorie nun auch wieder nicht. Jetzt, wo ich intensiver darüber nachdenke." Ich verziehe den Mund. „Mensch, das ist doch alles Scheiße. Erst spinnt meine Schwester 'rum, und jetzt dreht Vincent total durch. Wie ein schlechter Film." Mit den Fingerkuppen streiche ich über die Tischkante. „Super, und ich habe immer noch keine Antwort auf meine Frage erhalten. Also, woher oder von wem er meinen Aufenthalt im Red Roses weiß." Der Blick haftet an dem Computer. „Das ist ein richtiger Scheißtag."
Ob ich jemals Antworten erhalten werde? Ich hege große Zweifel. So wie Vincents aktuelle Stimmung ist, werde ich keine zu Ohren bekommen. Der schwarze Bildschirm nimmt Farbe an, nachdem ich den Computer hochgefahren habe. Ich ziehe den Stapel mit den Dokumenten zu mir heran, begutachte das erste Blatt. Neue Meldungen sind eingetrudelt, die ich nun zu bearbeiten habe.
„Und was für ein Scheißtag", murmele ich etwas niedergeschlagen und nehme ein nicht beschriftetes Blatt und einen Stift zur Hand. Höre mir die verpassten Anrufe an. Eine von einer Kollegin. Zwei von meinem Vorgesetzten. Ich lasse den Kopf in den Nacken fallen und stehe auf. Lege den Stift wieder weg. Mister Sutherland sucht ein Gespräch mit mir.
„Ausgerechnet jetzt", brumme ich und stelle das Diensttelefon so um, sodass die Anrufe zu Jim geleitet werden. „Jetzt, wo ich die absolute Kacklaune habe." Die Lippen ähneln einem dünnen Strich, als ich aus dem Büro trete und den Weg zu meinem Arbeitgeber einschlage. „Kann dieser Tag nicht noch schlimmer werden?"
Eine gewagte Frage, die sich bald eine Form aneignen wird. Da bin ich mir sehr sicher. Erst das mit Vincent, und jetzt kommt Mister Sutherland an und will mit mir reden. Meine Laune hat den Nullpunkt erreicht. Nein, das hat sie längst getan. Die befindet sich schon weit unter diesen Scheißpunkten. Ich drücke die Tür zum Treppenhaus auf. Schritte hallen von irgendwo wider. Ich werde gleich eine Abmahnung kriegen, von wegen, es ist indiskutabel, dass ich zu spät gekommen bin. Ich schlurfe die einzelnen Stufen herunter. Der wird ausflippen. Zu fünfundneunzig Prozent.
Und wieder einmal habe ich recht behalten. Der Montag ist ein verdammter Tag, der einschließlich Ärger mit sich herumschleppt und darauf abzielt, diesen Groll weiterzuschicken.
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