Siebzehn
Eine ganze Weile herrschte betretenes Schweigen an Bord.
Bis Cem sich räusperte.
"Delilah, du willst doch nicht wirklich..."
Doch sie drehte sich bereits um und lockerte das einzige Rettungsboot, das die Silbertiefe zu bieten hatte. Leilani stellte sich ihr in den Weg.
"Das ist so nicht in Ordnung. Ich rede mit Sin und-"
"Lass sie!", unterbrach Malik die Ärztin. "Befehl ist Befehl."
Leilani lief rot an. "Du alter Seebär bist schon viel zu lange ein Steuermann. Sindbad ist unser Käpt'n, was aber noch nicht heißt, dass alle seine Entscheidungen richtig sind!"
"Doch, genau das heißt es.", erwiderte Malik ruhig. "Wir haben versprochen, ihm zu vertrauen. Wenn er sagt, dass St. Muerde mehr Opfer fordert, als es uns weiterbringt, dann müssen wir ihm auch hierbei vertrauen. Und ohne St. Muerde haben wir für Delilah keine Verwendung."
"Ist das deine oder Sins Meinung?", zischte Leilani.
Malik schien einen Moment tatsächlich aus der Fassung, fing sich jedoch schnell wieder.
"Entscheide dich, Ärztin. Beugst du dich dem Befehl des Käpt'ns oder willst du meutern? In dem Fall kannst du gleich zu Delilah ins Boot steigen."
Leilani sah ihn ungläubig an, bevor sie Delilah einen entschuldigenden Blick zuwarf und zur Seite trat.
"Es ist schon gut.", sagte Delilah heiser, sowohl an Leilani, als auch an den Rest der Crew gewandt, von denen einige ihr nachstarrten.
Langsam ließ sie das Boot ins dunkle Wasser und vermied es, die Crew anzusehen, die sich über die Reling beugte. Ohne ein Wort des Abschieds nahm sie die Ruder und fuhr einem unbekannten Schicksal entgegen.
*
"Ich will eine Antwort, Käpt'n."
Amir stand mit verschränkten Armen vor Sin und starrte ihn finster an.
"Warum hast du Delilah vertrieben?"
Sin stand schwankend von seinem Stuhl auf. Der Alkohol wirkte immer noch.
"Wenn du sie so sehr vermisst, dann schwimm ihr doch hinterher!"
Amir seufzte laut und lange. "Fang nicht so an. Irgendwas, das mit Delilah zu tun hat, macht dir Angst."
Sin fuhr so schnell herum, dass er den Stuhl hinter sich umkippte. "Culara hätte dich für diesen Satz am Mast aufgeknüpft!"
Bei der Erwähnung des alten Käpt'ns zuckte Amir zusammen, fing sich aber schnell wieder. "Du hast Culara gehasst und gefürchtet, wie wir alle. Aber du hast dich ihm gestellt und bist unser Käpt'n geworden. Da warst du auch nicht feige. Also warum Delilah?"
Sin schlug mit der Faust auf den Tisch und verzerrte das Gesicht. "Ich..." Er stieß resigniert die Luft aus. "Delilah hätte uns früher oder später in den Tod geführt. Und ich war derjenige, der diesen verdammten Deal überhaupt mit ihr gemacht hat! Dazu kommt, dass ich sie mehr als einmal bevorzugt habe!"
Amir schwieg und versuchte offensichtlich, aus seinem Gesicht ein paar Emotionen zu lesen. Das konnte er lange versuchen. Sin schob sich an ihm vorbei und wollte an Deck, als plötzlich ein gewaltiger Lärm die Stille zerriss.
"Käpt'n! Feuer unter Deck!", schrie Nev.
Sie hatten doch gerade erst mit dem Reparaturen der Schäden von dem Marineangriff begonnen! Wild fluchend stürmte Sin nach draußen und sah, dass tatsächlich Flammen aus dem Laderaum loderten und an dem Holz nagten.
"Wie konnte das passieren!?", schrie Sin, wütend auf so ziemlich alles und jeden.
"Der hier muss doch durch eins der Löchern hereingekommen sein.", knurrte Malik und hielt ein Netz hoch, in dem ein orange-roter Hai von der Länge eines Beines baumelte.
"Ein Flammenhai!", seufzte Yasin.
Noch eines dieser Meeresbiester! Sin hätte gerne auf etwas eingeschlagen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Flammen die Schießpulvervorräte und den Alkohol erreichen würde. Sein erster Gedanke war das Rettungsboot, aber das hatte ja Delilah. Nun verfluchte er nur noch sich selbst. Doch das Schicksal schien ihnen doch noch etwas gnädig. In einiger Entfernung konnte er eine kleine Insel ausmachen. Zu der konnten sie mit viel Glück schwimmen.
"Alle Mann von Deck!", rief er so laut er konnte.
Eine gehorchen, ohne nachzudenken und nur Leilani, Amir und Malik blieben wie angewurzelt stehen.
"Du willst die Silbertiefe aufgeben?", fragte Leilani tonlos.
Sin seufzte und schob sie zur Reling. "In höchstens zwei Minuten geht sie in die Luft. Es geht nicht anders."
Leilani sah in nochmal an, dann sprang sie ebenfalls ins Wasser. Amir nickte dem Schiff zu, bevor er ihr folgte. Nur Malik rührte sich nach wie vor nicht vom Fleck.
"Ich stehe seit so vielen Jahren auf diesen Planken. Ich werde sicher nicht springen.", erklärte er.
Sin warf einen Blick auf seine Crew, die von dem inzwischen lichterloh brennenden Schiff flüchtete. Nur Leilani sah erschrocken zu ihnen hoch, als sie ihnen nicht hinterher sprangen.
"Das wäre Verschwendung, Malik.", widersprach Sin. "Du hast noch so viel Zeit."
Malik schaffte es, in dieser Situation zu grinsen. "Sagt der junge Käpt'n, dem ich vierzig Jahre voraus bin."
Sin grinste zurück. Er blieb vollkommen ruhig, auch wenn der Anblick seines zerfallenden Schiffs ihm einen gewaltigen Schlag versetzte.
"Ein Käpt'n geht mit seinem Schiff unter."
"Ich bin der Erste Steuermann und Erster Maat. Ich gehe mit unter."
Sin konnte seinen Freund, der ihn schon so lange unterstützte nicht sterben lassen. Nicht so.
"Tut mir leid.", sagte er leise, bevor er seine Faust in Maliks Gesicht rammte und dieser dadurch über die Reling zurücktaumelte.
Leilani und Amir zogen ihn von der Silbertiefe weg und warteten offensichtlich noch auf Sin. Aber er würde nicht springen. Niemals.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro