Acht
"Gläser hab ich nicht. Ich hoffe, die Flasche ist der Lady edel genug.", brummte Sin.
Delilah warf ihm einen verächtlichen Blick zu und riss ihm die Flasche aus der Hand.
Sin imitierte ihren Blick und lehnte sich gegen seinen Schreibtisch, der auch wieder mal aufgeräumt werden müsste. Die Karten lagen zum Teil schon auf dem Boden.
"Also los, was war das zwischen dir und der Korallschlange?"
Delilah sah nicht ihn, sondern die Flasche an. "Ich hab ihr in die Augen gesehen und... Ich weiß auch nicht, es war, als hätte sie mit mir gesprochen. Ich habe eine Insel und eine Person gesehen und ich bekam ein Gefühl der Vertrautheit. Ich konnte nicht mehr zulassen, dass ihr sie tötet!"
Sin bemerkte, wie sehr mit dem Selbstvertrauen in ihrer Stimme rang.
"Du hast ja nicht mal an den Zauber geglaubt, der auf der Insel mit dem Obst lag. Warum sollte es jetzt also anders sein?"
Delilah sprang auf, also wollte sie ihn eher erwürgen als den wahren Grund zu nennen. Aber dann seufzte sie tief. "Hier wollen mich eh schon alle tot sehen, da ist es auch egal."
Bevor Sin fragen konnte, was sie meinte, ging sie ein paar Schritte auf ihn zu, legte den Kopf schief und schob ein paar Haarsträhnen zur Seite.
Ein kleiner geflochtener Zopf mit einer Rhaji-Perle kam zum Vorschein. Das kleine, aus Glas gefertigte Schmuckstück brach das Licht der Kerzen und warf tanzende blaue Schatten an die Decke. Ein wirklich schönes Stück, allerdings sehr selten und vor allem verboten. Aber was kümmerte das schon einen Piraten?
Die weißen Verzierungen sahen so zart aus, dass man dachte, sie würden zerfallen, wenn man sie nur zu lange ansah.
Wie von selbst hob der seine Hand und streckte sie der Perle entgegen, ließ aber schnell wieder sinken, als er Delilahs Ausdruck sah.
"Hier bringt dich niemand um, weil du eine Rhaji bist. Wir sind Piraten und somit selbst ein Verstoß gegen das Gesetz. Ich würde mir eher wegen der Sache mit der Schlange Sorgen machen."
"Du redest immer so, als ob das alles meine Schuld wäre! Dabei habt ihr mich doch entführt!", rief sie aufgebracht.
"Du bist uns beim Klauen der Segel in die Quere gekommen!", gab er zurück.
"Entschuldige, ich wusste ja nicht, dass sie für dreckige Piraten gedacht waren! Lasst sie doch nächstes Mal reservieren!"
"Tja und jetzt sind wir anscheinend auf eine nutzlose kleine Diebin angewiesen, die mehr Probleme macht als sie löst."
Diesmal ging sie wirklich auf ihn los, aber er bockte ihren Schlag ab. Stattdessen versuchte er, sie festzuhalten. Delilah versuchte einen Tritt, doch er wich rechtzeitig aus und packte sie an ihrem verletzten Arm.
Delilah schrie auf und er ließ sie sofort los. Dieser Moment der Ablenkung reichte. Sie rammte ihm ihren Ellbogen in die Seite und rannte nach draußen.
°*°
Gierig sog Delilah die inzwischen kalte Nachtluft ein. Einige der Crewmitglieder waren noch an Deck und starrten sie an. Sie rechnete jeden Moment mit einem Angriff, aber niemand rührte sich.
Sie erlaubte es sich, einmal tief durchzuatmen und eine Ecke des Schiffes zu laufen, von der sie sich sicher war, dass dort niemand war.
Erschöpft ließ sie sich auf den Boden sinken und starrte auf den Sternenhimmel.
Sie kam sich so unendlich dämlich vor.
Sin wollte sich sicher an ihr rächen und würde sie dem nächsten Offizier ausliefern, sobald sie St. Muerde wieder verlassen hatten. Sie musste dort verschwinden, sonst hatte sie keine Chance.
Mehrere laute Rufe rissen sie aus ihren Gedanken. Sie rannten zu den anderen, die sich über die Reling beugten. "Was ist passiert!?", schrie sie.
"Jamaal war betrunken und ist ins Wasser gefallen!", rief Cem panisch.
Ungläubig starrte Delilah in die schwarzen Fluten und da unten rang tatsächlich Jamaal darum, halbwegs an der Oberfläche zu bleiben.
"Kann er denn nicht schwimmen? Und wirf mal einer ein Tau zu ihm, verdammt!"
"Keiner von uns kann schwimmen.", murmelte Nev, während Cem eins der Taue zu Jamaal warf. Dieser kam nicht mal in die Nähe davon.
Delilah biss sich auf die Unterlippe. Jamaal hatte ihr mehr als nur einmal buchstäblich den Hals umdrehen wollen, aber wenn sie ihn jämmerlich ertrinken ließ, dann war sie nicht besser als er.
Eine Tür ging auf. "Was ist hier los?", hörte sie Sin rufen, eher sie ihren Mantel abstreifte und über die Reling sprang. Sie glaubte, dass mehrere Stimmen ihren Namen riefen, aber kaum kam sie im kalten Wasser auf, setzte ihr Gehirn einige Sekunden aus.
Sie spürte die Kälte wie Messerstiche auf ihrer Haut. Obwohl sie am liebsten reglos im Wasser getrieben wäre, zwang sie sich zur Bewegung und schwamm an die Oberfläche.
"Delilah!"
Sin und die Crew starrten erschrocken zu ihr hinunter. Sie blendete die anderen aus und versuchte, sich nur auf das Tau und Jamaal zu konzentrieren.
Das Tau war leichter zu fassen als Jamaal. Der strampelte wild wie ein kleines Kind. "Beruhige dich! Ich kann dir nicht helfen, wenn zu so rumzappelst!"
"Warum bist du überhaupt hinterher, du Irre!?", schrie er glucksend und war dabei, erneut unterzugehen.
Delilah schluckte seine Worte und band das Tau um sie beide. "Halt dich fest und sei still!", fauchte sie so laut, dass Jamaal gehorchte.
Sie gab der Crew ein Zeichen, damit sie sie hochziehen konnten. Keuchend, zitternd und hustend kamen beide auf dem hölzernen Deck auf und brachen zusammen.
"Sie ... sie hat ... mir das Leben gerettet...", keuchte Jamaal, während Leilani ihm eine Decke um die Schultern legte.
Auch Delilah spürte kurz darauf einen warmen Stoff auf ihren Schultern. Blinzelnd sah sie zu Sin hoch, der ihr sie mit einer Mischung aus Überraschung und Ungläubigkeit ansah.
Schweigend half er ihr auf die Beine und hielt sie fest, als sie zitternd wieder zusammenzubrechen drohte.
"In diesem Zustand schläfst du sicher nicht in der feuchten Kajüte bei den anderen.", murmelte Leilani und führte Delilah von den anderen weg.
Die Crew starrte den beiden Frauen ohne ein Wort zu sagen hinterher. Delilah sah nochmal zu Jamaal und wusste auch so, dass sich in seinem Blick Dankbarkeit spiegelte.
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