Kapitel 3
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Harry
Das erste, was ich mitbekomme, sind höllische Kopfschmerzen. Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendwann so starke Schmerzen gehabt zu haben. Mein Kopf dreht sich und ich habe das Gefühl, mir ist schlecht. Aber in meinem Magen kann nichts mehr sein. Ich habe vor dem Spiel dafür gesorgt, dass mein Magen leer ist.
Stöhnend lege ich mir eine Hand über die Augen und möchte mich auf die Seite drehen, werde jedoch von etwas zurückgehalten.
»Harry, hörst du mich? Bist du wach?« Wo bin ich? Ich wohne allein. Wenn ich morgens aufwache, ist niemand neben mir. Verängstigt öffne ich meine Augen und stelle fest, dass das hier nicht mein Schlafzimmer ist. Die Wände hier sind in einem viel zu grellen Weiß gestrichen. Meine sind in Misty Lilac gestrichen und meine Deckenlampe ist schwarz. Keine Neonröhre, die sich durch den halben Raum erstreckt.
»Du bist im Krankenhaus. Kannst du dich an etwas erinnern?« Ich brumme verneinend und schließe wieder meine Augen. Das hier ist mir alles zu hell. »Kann man das Li-Licht ausmachen?«, krächze ich und huste laut. Vielleicht schaffe ich es dann, die Augen zu öffnen. Und ich muss etwas trinken. Wie lange liege ich hier schon? Und wieso? Wir standen im Finale.
Abrupt setze ich mich auf und fasse mir stöhnend an meine Schulter. Aber zumindest ist das Licht jetzt aus und ich kann meine Augen langsam öffnen. »Das Spiel!« Ich will aus dem Bett raus, werde jedoch zurückgehalten, bevor man mir wieder hilft, mich vernünftig hinzulegen.
»Das Spiel ist beendet, Harry. Du hast den Puck aufgefangen. Ihr seid Gewinner des Stanley Cups.« Ich habe den Puck aufhalten können? Wow. Ich lächle leicht und fasse mir an die Stirn, als diese anfängt, wehzutun.
»Möchtest du etwas trinken?« Ich nicke und warte, bis der Mann aufsteht und mein Zimmer verlässt. Erst dann traue ich mich, aufzusehen und ihn zumindest von hinten zu mustern. Er trägt eine weinrote Jogginghose und ein weißes Shirt, was sich um seine Oberarme spannt. Seine Haare sind braun und werden an den Spitzen ein wenig heller. So, als hätte er viel Zeit in der Sonne verbracht.
Er gehört nicht zum Team und ein Arzt aus dem Krankenhaus kann er auch nicht sein. Ärzte tragen Kittel und keine Jogginghosen. Weiß man, dass er hier bei mir ist?
Weiter nachdenken kann ich nicht, da die Tür geöffnet wird und dieses Mal mein Coach in der Tür steht. Daneben mein Torwart-Trainer, mit dem ich extra fürs Tor trainiere.
»Geht es dir gut, Lucky?« Nick Dallaire kommt mit einem Lächeln auf mich zu und setzt sich auf die Bettkante, während Coach Harvey auf dem Stuhl neben dem Bett Platz nimmt.
»Ich habe Schmerzen«, flüstere ich und senke den Blick. Ich konnte noch nie gut Augenkontakt halten. Ich versuche es immer wieder, trotzdem schaffe ich es nicht. Ich fühle mich unwohl, wenn man mir so direkt in die Augen blickt und mich still dafür verurteilt, wer ich bin.
»Das war auch nicht ohne, was gestern auf dem Eis passiert ist. Aber die Operation verlief gut und mit Glück kannst du in der neuen Saison wieder mitmachen.« Ich nicke und schlucke ein paar Mal hintereinander, um das Kratzen in meinem Hals loszuwerden. Ich habe einen ganzen Tag geschlafen? Das kenne ich nicht von mir. Jeden Morgen um 6:37 Uhr klingelt mein Wecker. Wieso habe ich ihn heute nicht gehört? Mein ganzer Tagesablauf ist durcheinander und nichts passt mehr.
»Alles in Ordnung?« Eine Hand legt sich über der Decke auf meinen Oberschenkel, worauf ich mit dem Kopf schüttle und direkt aufstöhne. Wieso habe ich solche verdammten Kopfschmerzen?
»Matt, wo ist Louis? Wann kommt der verdammte Arzt, um ihm etwas gegen die Schmerzen zu geben? Er ist kalkweiß im Gesicht.« Mein Blick schnellt zu meinem Coach, der sich durch die Haare fährt und mich für einen Moment anschaut.
»L-Louis?«, stottere ich und wimmere auf, als sich die Tür erneut öffnet und der Mann in Jogginghose mit einem Glas Wasser auf mein Bett kommt. Vorsichtig hält er es mir entgegen, sodass nichts verschüttet wird, ehe ich einen großen Schluck trinke.
Erst dann wage ich einen Blick in sein Gesicht und brauche einen Moment, um alle Puzzleteile an den richtigen Platz zu legen. Die Sommersprossen auf blasser Haut und die blauen, fast grauen Augen. Dazu das kleine Muttermal rechts über seiner Lippe, welches aussieht wie ein Halbmond.
»Was machst du hi-hier?« Es ist Ewigkeiten her, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Wir standen vor knapp neun Jahren zuletzt miteinander auf dem Eis. Louis war einer der wenigen, die ich zu diesem Zeitpunkt mochte. Ich bin nie jemand gewesen, der viel gesprochen hat, aber es gab Tage, an denen er mich über meinen Redeschwall verflucht hat.
Er ist der Engel, der sich gestern über mich gebeugt hat. Ihn habe ich gesehen, bevor alles um mich herum schwarz wurde.
Hat er die ganze Zeit bei mir gesessen und gewartet, bis ich aufwache? Es muss sich um Stunden gehandelt haben.
»Du erinnerst dich an mich?« Jetzt ist er sprachlos. Mir fällt es schwer, mir Gesichter zu merken, aber das hier ist definitiv das von Louis Åberg. Von dem Mann, mit dem ich vier Jahre gemeinsam auf dem Eis stand. Für den ich mich geprügelt habe. Das war das erste und letzte Mal, dass meinerseits Handschuhe geflogen sind.
»Du warst plötzlich nicht mehr da. Ich wollte ins Krankenhaus zu-zu dir, aber mich hat nie-niemand durchgelassen. Und dann hieß es, wir bekommen einen n-neuen Goalie.« Seit diesem Tag im November vor acht Jahren habe ich Louis nie wieder gesehen. Es war, als wäre er plötzlich vom Erdboden verschwunden. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
»Warte, ihr beide habt damals zusammen auf dem Eis gestanden? Wieso hast du mir nie erzählt, dass du Harry kennst? Die ganzen Spiele und kein einziges Wort?« Er schaut zu Louis und sieht... wütend aus. Wieso sieht er wütend aus? Habe ich mich falsch verhalten?
»Coach?« Ich spiele mit dem Strohhalm des Glases herum und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. »Bist du sauer?« Direkt, nachdem ich die Worte ausgesprochen habe, verändert sich sein Gesichtsausdruck und er sieht entspannter aus. Nicht mehr so wütend.
»Nein, Lucky. Ich bin nur überrascht, dass Louis mir nie erzählt hat, dass er dich kennt. Wir haben in den letzten Wochen viel über das Team gesprochen, aber...« Louis unterbricht ihn und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich wusste nicht, dass wir bei Lucky Punch über Harry reden. Alle anderen haben einen Spitznamen, den man vom Nachnamen ableiten kann, nur Harry nicht. Ich habe dir gesagt, bevor ich den Job angenommen habe, dass ich mit den Leopards nichts am Hut habe. Nur, weil du mit meiner Schwester verheiratet bist, heißt es nicht, dass ich seit zwei Jahren jedes Spiel deines Teams anschaue.« Er wird lauter, reguliert seine Lautstärke jedoch sofort, als ich leise wimmere. Ich hasse es, wenn Leute sich meinetwegen streiten. Wie ich auf dem Eis stehen kann, wenn die Zuschauer nur schreien, weiß ich nicht. Da habe ich es gelernt, alles um mich herum auszublenden. Hier, in diesem Zimmer, funktioniert es nicht.
»Möchtest du dich ein wenig ausruhen?« Nick legt den Kopf etwas schief und lächelt. Er ist einer der wenigen, die mit meinem Asperger Syndrom klarkommen. Alle anderen wissen nicht, wie sie sich in meiner Gegenwart verhalten sollen, weshalb ich meine Zeit lieber allein verbringe. Ich bevorzuge die Stille der Lautstärke, die mir jedes Mal erneut in der Arena begegnet.
Ich nicke und lege mich wieder zurück auf die Matratze, bevor ich zu meiner Schulter schaue. Mein Arm liegt in einer Schlinge an meinen Oberkörper gepresst, sodass ich meine Schulter nicht mehr bewegen kann. Deshalb durfte ich mich nicht auf die Seite drehen. Ich wurde an meiner Schulter operiert und kann in den nächsten Wochen kein Sport machen. Im Oktober geht die neue Saison los. Also habe ich knapp vier Monate Zeit, um mich zu erholen und pünktlich wieder auf dem Eis stehen zu können.
»Ich bleibe in der Nähe, falls etwas ist. Deine Ärztin sollte in der nächsten Stunde kommen und alles weitere mit dir besprechen.« Für einen Moment halte ich Louis' Blick stand, drehe meinen Kopf jedoch schnell weg, als es unangenehm wird. Dankend brumme ich nur und schließe meine Augen. Vielleicht habe ich so ein wenig schneller meine Ruhe.
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Da kennen sich die beiden also von früher... ob sie es erneut schaffen, sich gerne in der Nähe des anderen aufzuhalten?
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