Kapitel 64
• V A L E N T I N •
"Schätzchen, du triffst seine Familie doch nicht zum ersten Mal. Sei nicht so nervös", versucht Mum mich zu beruhigen, während sie die letzten Vorbereitungen für das anstehende Abendessen trifft.
Ich zupfe währenddessen ständig an meinem Hemd herum, überlege zum dutzenden Mal, ob ich es womöglich nochmal wechseln sollte. So nervös war ich lange nicht mehr gewesen. Aber ich freue mich so sehr, Anton zu sehen. Und mit seinen Eltern zu Abend zu essen. Es wird ein schöner Abend, das kann ich spüren.
"Es macht mich glücklich, dich so zu sehen, Valentin", meint Mum auf einmal und gewinnt somit meine Aufmerksamkeit. "Was meinst du?" "Anton macht dich sehr glücklich. In seiner Gegenwart bist du wie ein anderer Mensch. Du lächelst ununterbrochen, deine Augen leuchten", sie lacht, "Es ist, als wäre er eine Droge für dich." "Um ehrlich zu sein, bin ich auch süchtig nach ihm. So blöd wie es klingt. Aber ich brauche ihn wirklich an meiner Seite, er macht aus mir den Menschen, der ich sein möchte", meine ich lächelnd und helfe ihr dabei, den Tisch zu dekorieren.
"Wie soll es denn mit euch beiden weitergehen? Habt ihr schon darüber geredet?" "Ich möchte einfach nur mit ihm zusammen sein. Alles andere ist mir egal. Mum, er bedeutet mir so viel." Ein wenig überrascht lasse ich es zu, dass sie mich umarmt. Einen Moment stehe ich wie angewurzelt da, bis ich ihre Geste erwidere. "Ich bin so stolz auf dich, Liebling. Dass du zu dir stehst und endlich zulässt, glücklich zu sein."
Wir verharren ein paar Minuten in dieser Position, ohne dass sich einer bewegt. Es tut gut, einen Rückhalt in der Familie zu haben.
Noch vor einem Jahr hätte ich mir niemals erträumt, einmal gerne in diesem Haus zu wohnen. Oder an diesem Tisch mit meiner Familie zu essen.
Zwar fehlt heute Abend Ava, aber sobald es ihr wieder besser geht, können wir es wiederholen. Sie würde sich sicherlich freuen, mit all ihren Liebsten zusammen zu sein.
Als es an der Tür klingelt, spüre ich, wie ich wieder nervös werde. Das merkt auch meine Mutter, die mir lachend über den Rücken streicht und mich dann bittet, die Gäste zu begrüßen.
Schnell eile ich über den Flur, werfe einen letzten Blick in den Spiegel, der neben der Garderobe hängt, und trete dann der Familie Collister entgegen. Sie strahlen mich erfreut an.
Zuerst umarmt mich Ida, die, wie mir auffällt, einen Blumenstrauß für die Hausherrin dabei hat. "Schön, dich zu sehen, Schätzchen." "Ich freue mich, dass ihr da seid", entgegne ich ehrlich und lächle sie an, als wir uns lösen. Dann trete ich zur Seite, um sie ins Haus zu bitten.
John hält eine Flasche Wein in der Hand, die andere legt er mir väterlich auf die Schulter, bevor er seiner Frau folgt.
Schließlich bleiben Anton und ich alleine. Wir schauen uns dümmlich grinsend an, keiner wagt es aber, den ersten Schritt zu machen.
"Lange nicht mehr gesehen, Fremder", meint er dann, als ich schließlich nach seiner Hand greife. Kleine Kreise male ich auf deren Handrücken, während ich meinen Freund verliebt mustere. "Ich bin froh, dass du hier bist." "Wirklich?", er kommt einen Schritt auf mich zu, lehnt sich zu mir vor, "auf einer Skala von 1 bis Kuss, wie erfreut bist du darüber?"
Schmunzelnd gehe ich seiner leisen Aufforderung nach und ziehe den dunkelhaarigen an mich.
Ich spüre seinen Atem an meinem Mund, den er zittrig ausstößt. Nur wenige Millimeter trennen uns voneinander. Und dann sind seine Lippen auf meinen, vorsichtig, ganz zart. Als wären sie Federn.
Und doch raubt dieser Kuss mir den Atem. Mein Herz schlägt so verdammt schnell, mir ist schwindelig.
Mit einen leisen Seufzer drücke ich ihn enger an mich, meine Hand legt sich in seinen Nacken und drückt uns näher aneinander. Der Kuss ist bestimmend und doch sanft. Wir sagen uns in diesem Moment so vieles, benutzen dafür aber keine Worte.
Es ist schön, dass du da bist.
Gut siehst du aus.
Du hast mir gefehlt.
Ich liebe dich.
Irgendwann lösen wir uns voneinander. Stirn an Stirn. Die Augen sind geschlossen. Wir sind uns noch so nahe, dass sich unser Atem trifft.
"Das war eine schlechte Idee", murmle ich irgendwann, ohne ihn loszulassen. "Was meinst du?" "Dieses Abendessen mit unseren Eltern. Ich wäre gerade viel lieber mit dir alleine." Draufhin lacht er, haucht mir noch einen Kuss auf den Mund, bevor er sich aus meinen Armen windet.
Augenblicklich fehlt mir etwas.
Er hält mir seine Hand hin, deutet mit einer Kopfbewegung Richtung Esszimmer. Schmollend nehme ich seine Hand, verschränke unsere Finger miteinander und führe ihn über den Flur zu unseren Eltern, die uns bereits mit einem breiten Grinsen erwarten.
"Wir dachten schon, euch gar nicht mehr zu sehen", sagt Ida, woraufhin Mum lachend zustimmt. Mit einem entschuldigenden Lächeln setzen wir uns zu ihnen an den Tisch gegenüber von dem Ehepaar Collister.
Bevor wir mit dem Essen beginnen, stoßen wir auf den heutigen Abend mit einem Glas Wein, den John mitgebracht hat, an.
"Auf einen schönen Abend!", erhebt die Gastgeberin das Wort, "Und auf unsere Söhne, die sich gefunden haben."
Das Abendessen verläuft gut. Wir unterhalten uns angeregt über die verschiedensten Dinge. Darüber, was Anton und ich nach der Schule mit unserem Leben anfangen wollen - er beichtet, nicht unbedingt Jura studieren zu wollen. Seine Eltern reagieren allerdings nicht allzu schlimm.
"Solange du glücklich bist, kannst du mit deinem Leben anfangen, was du möchtest, Levi", meint John und spießt den Fisch mit seiner Gabel auf, "Wir werden dich unterstützen. Das weißt du."
Antons Augen leuchten auf, als er mich daraufhin ansieht. "Da steht dem Stripclub ja nichts mehr im Weg!", ruft er begeistert aus. Alle Anwesenden lachen, außer ich. Kopfschüttelnd nippe ich an meinem Wein.
"Das hatten wir schon, Anton." "Du hast es gehört, ich bekomme meine Unterstützung. Warum also nicht?" "Du weißt, warum", zische ich ihm leise zu.
"Das ist ja süß, wie eifersüchtig mein Sohn werden kann", sagt Mum auf einmal und klatscht erfreut in die Hände. "Warum das denn bitteschön?" "Naja, das zeigt ja nur noch mehr, wie viel Levi dir bedeutet."
"Ich will lediglich nicht, dass dieser Idiot sich vor anderen auszieht", murmle ich beleidigt und weiche den belustigten Blicken der anderen aus. "Niedlich."
Warum stimmt mir denn niemand zu? Nicht mal seine Eltern sind auf meiner Seite. Das finde ich unfair.
Anton drückt mir einen Kuss auf die Wange. "Keine Sorge, Schatz. Nur vor dir würde ich mich gerne ausziehen."
"Levi!", rügt seine Mutter ihn, kann sich aber ein Lachen nicht verkneifen. Die anderen stimmen mit ein.
Dann ertönt aber ein Geräusch, das uns zusammenzucken lässt. Als wäre ein Glas zerbrochen. Ein dumpfes Gemurmel aus der Küche.
Mit geweiteten Augen sehen wir uns alle an. "Jemand ist im Haus", flüstert Mum, sie ist ganz blass um die Nase. Anton rückt mit seinem Stuhl näher an mich heran, während sein Blick auf der Tür liegt.
Ich sehe John an, der mir zunickt. Kurz drücke ich Antons Hand, bevor ich mit seinem Vater aufstehe. "Sollten wir nicht lieber die Polizei anrufen?" "Valentin und ich schauen erstmal nach. Bleibt ihr hier", beruhigt er seine Frau.
Leise verlassen wir das Esszimmer und gehen Richtung Küche, woher das Geräusch kam. Ein Stein liegt auf dem Boden, überall zerbrochenes Glas. Der Einbrecher kam definitiv durch die Terrassentür.
Als ich hinter mir Schritte höre, drehe ich mich um und schrecke auf, als ich meinen Vater vor mir stehen sehe.
Er stützt sich an der Wand ab, kann sich wohl kaum auf den Füßen halten. Seine Augen sind glasig.
"Wo is'n Jasm'n?", kommt über seine Lippen, während er sich umschaut.
Augenverdrehend schüttle ich den Kopf und wende mich Richtung Wohnzimmer. "John, komm mal her!" "Hast du ihn gefunden?", ruft dieser zurück und erscheint einen Moment später im Flur. Überrascht mustert er meinen Erzeuger.
"Was will'n der hier?", knurrt dieser verachtend und möchte anscheinend auf Antons Vater losgehen, gerät aber dabei ins Wanken.
Wie erbärmlich.
"Was ist los?", hören wir Anton aus dem Esszimmer. Stühle werden bewegt, Schritte nähern sich uns.
"Silvan?", überrascht sieht Mum ihren Ehemann an, "Was machst du hier? Und wie siehst du überhaupt aus?" "Er hat getrunken", brumme ich leicht angeekelt, "Und jetzt taucht er hier so auf. Warum auch imme-" "Ich hab' dich gesucht", fällt der Ältere mir ins Wort und starrt seine Frau an.
"Und deswegen brichst du hier ein?", fahre ich ihn genervt an. "Das ist mein Haus, verdammt! Und mein Schlüssel hat nicht mehr gepasst." "Stell dir vor, heutzutage kann man Schlüssellöcher austauschen", entgegne ich und stütze ihn im nächsten Moment ab, bevor er nach vorne fällt.
"Zeig ein bissch'n Respekt gegenüber dein' Vater", knallt er mir an den Kopf, dass ich nur auflachen kann.
"Du machst dich gerade so lächerlich, Silvan." Mum gibt mir ein Zeichen, zu ihr zu kommen. So lasse ich ihn an der Wand gelehnt alleine und stelle mich zwischen sie und Anton, der augenblicklich nach meiner Hand greift.
Mein Erzeuger mustert uns beide mit glasigen Blick. "Ich mach' mich lächerlich? Ich?! Die beid'n", er deutet auf uns, "wie krankhaft ist das?! Ich wollte n-nur das beste für meine Familie! V-valentin...er hat mir doch immer das Leben schwer...gemacht", er hickst, "Woher sollte ich denn wiss'n, dass sein Schwulsein keine weitere Provokation sein soll?"
Dass er nun die Schuld ausgerechnet auf mich schiebt, das sollte keinen wundern. Und doch bin ich schon ein wenig schockiert. Er ist nun mal mein Vater, wir hatten nie diese besondere Bindung zueinander, aber das?
Warum hasst er mich so sehr?
Nun sieht er mir direkt ins Gesicht. "Wegen dir ist unsere Familie kaputt gegangen. Die Ehe deiner Eltern hast du zerstört, junger Mann." "Du spinnst doch vollkommen", erwidere ich und lege meinen Arm um Anton, der sich gleich darauf an mich schmiegt.
"Valentin hat keine Schuld daran. Nur du selbst, Silvan! Wie betrunken du auch sein magst, diese Worte kommen sicherlich in deinem nicht existierenden Hirn an", Mum tritt auf ihn zu, "Unsere Ehe besteht nur noch auf dem Papier. Und das auch nicht mehr lange. Für uns gibt es keine Zukunft, verstehst du? Ich liebe dich nicht mehr, Silvan."
Seine Augen weiten sich. Fassungslos starrt er zwischen ihr und mir hin und her.
"D-das kannst du nicht ernst meinen!", sagt er nach einiger Zeit. Man sieht ihm an, wie betrübt er deswegen ist. In seinen Augen steht die pure Angst.
"So ernst habe ich noch nie etwas gemeint. Du solltest in den nächsten Tagen eigentlich von meinen Anwälten hören." Mum wirkt verändert. Sehr viel selbstbewusster. Als hätten sich die Ketten der letzten Jahre, die sie an alles gehindert haben, nun endlich gelöst.
Keiner der Anwesenden wagt es, etwas zu sagen. Ich gehe an ihm vorbei und stehe vor unserem letzten gemeinsamen Familienfoto, auf dem wir alle - auch ich - glücklich waren.
Entschlossen nehme ich es von der Wand und öffne dann die Haustür. "Du solltest jetzt gehen", wende ich mich dann wieder an meinen Vater. Dieser wirkt auf einmal nüchtern.
"E-es tut mir leid", murmelt er wie ein Häufchen Elend und setzt sich langsam in Bewegung. Ich halte ihm den Bilderrahmen entgegen, den er fragend mustert. "Siehe es als kleines Abschiedsgeschenk. Und damit du jeden Tag daran erinnert wirst, was du zerstört hast", erkläre ich und trete dann zurück, um ihm Platz zu machen.
Mit schweren Schritten geht er an mir vorbei, ich schließe die Tür hinter ihm. Hinter mir höre ich meine Mutter seufzen. Sie klingt erleichtert.
Als ich mich umdrehe, umarmen sie und Ida sich gerade. Auch John streicht ihr beruhigend über den Rücken.
Mein Blick fällt auf Anton, der mich zögerlich anlächelt. Auf einmal erschöpft laufe ich auf ihm zu, er kommt mir entgegen, und dann falle ich ihm in die Arme. Atme seinen vertrauten, schönen Geruch ein.
Ich bin zuhause.
Einige haben es ja schon geahnt, dass Valentins Vater nochmal auftauchen wird...
Nun aber ist das Ende entschieden, er hat seine Familie endgültig verloren.
Doch dafür wachsen die Collisters um drei neue Mitglieder in ihrem Bunde 😊
"Since I know You" neigt sich ebenfalls dem Ende zu 😥
Ich kann noch nicht genau sagen, wie viele Kapitel noch folgen. Allerdings werden es nicht mehr sehr viele sein.
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