Kapitel 60
• A N T O N •
"Wie war nun jetzt eigentlich dein Date mit Jesse? Davon hast du noch gar nichts erzählt."
Ich stochere in meinem Mittagessen herum, habe nicht wirklich Appetit. Um Sasha's fragenden Blick aufzuweichen, stehe ich auf, um uns etwas zu trinken zu holen.
Sie stand vor zwei Stunden überraschend vor meiner Tür, Einkaufstüten in der Hand, damit wir zusammen kochen können.
Natürlich nur ein Vorwand, um mich über gestern auszuquetschen.
"War es etwa so schlimm?"
"Nein, nein. Jesse ist wirklich toll! Wir sind ins Kino gegangen, dort hat er auch ein paar Male versucht, mir näherzukommen. Einmal hielt er sich für ein paar Minuten meine Hand."
Bis ich ihn für Valentin sitzen gelassen habe. Deswegen fühle ich mich immer noch schlecht ihm gegenüber.
"Wollt ihr euch denn nochmal treffen?", fragt sie. Aus dem Kühlschrank nehme ich eine Kanne Wasser mit Zitronenscheiben heraus, fülle damit zwei Gläser, die ich auf den Tisch stelle.
"Ich denke nicht, dass das eine so gute Idee ist", antworte ich ehrlich. Es wäre ihm gegenüber nicht fair, wenn er sich weiterhin falsche Hoffnungen auf etwas macht, was wohl niemals geschehen wird.
Meine beste Freundin schaut verwundert. "Aber wieso denn? Ich dachte, es lief gut? Du warst doch auch so scharf auf die Verabredung." Meine Antwort reduziert sich auf ein Achselzucken.
Sie seufzt. "Es liegt an Valentin, stimmt's?" Mein Körper spannt sich an. Nur mit Mühe lasse ich die Gabel nicht fallen. "Was meinst du?" "Ich habe dir doch gleich gesagt, dass es wahrscheinlich noch zu früh für eine neue Beziehung ist. Du bist noch immer nicht über ihn hinweg. Aber das ist auch in Ordnung. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um ihn endgültig zu vergessen."
Wenn das so einfach wäre. Gestern Abend pressten sich seine Lippen noch auf meine. Und wo seine Hände waren, davon will ich gar nicht erst anfangen.
"Ähm, Sasha. Ich glaube, da gibt es noch etwas, was ich dir beichten muss..."
Da ich zu feige bin, ihr ins Gesicht zu schauen, zähle ich die Erbsen auf meinem Teller.
Nudeln und Erbsen. Eine Kombination, mit der ich mich niemals anfreunden werde.
"Gestern, da habe ich, naja, ich habe Jesse sitzen lassen im Kinosaal." "Warum denn das? Der arme Kerl. Hat er denn irgendwas falsch gemacht? Dich bedrängt?" Schnell schüttle ich den Kopf. "Es lag nicht an ihm. I-ich, ähm...hatte nur die ganze Zeit über Valentin im Kopf gehabt. Das Date hatte sich so angefühlt, als würde ich ihn hintergehen. Und Jesse, ähm, er ist wirklich nett, womöglich hätte es sich entwickeln können, aber..."
Ich breche mitten im Satz ab, aus Angst, wie meine Freundin reagieren wird, wenn ich ihr sage, dass ich seit gestern irgendwie wieder mit meinem Exfreund zusammen bin.
Es ist kompliziert. So würde es definitiv auf meiner Facebookseite stehen, wenn ich eine hätte.
Dass wir uns gestern geküsst haben, war nicht unbedingt falsch. Aber eindeutig zu früh. Unsere Gefühle füreinander hatten die Überhand genommen. Es war ein komplettes Chaos in meinem Inneren.
Wir saßen noch etwa eine Stunde auf einer Bank am Wasser, hatten geredet, wie es weitergehen soll.
Die Antwort war für uns beide zerschmetternd.
Ich kann nicht einfach wieder da weitermachen, wo wir vor sechs Monaten aufgehört haben. Auch wenn ich es möchte.
Und trotz dass er mir nun endlich die Wahrheit hinter unserer Trennung gebeichtet hat, ist das Vertrauen ihm gegenüber dennoch noch nicht wieder da. Zumindest nicht so wie vorher.
Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, weiterhin Abstand zu halten. Nur bis zu einem gewissen Grad. Wir texten uns, wir reden miteinander. Aber mehr soll noch nicht geschehen.
"Du bist schon wieder so abwesend, Levi." Ihre besorgte Stimme bringt mich zurück in die Gegenwart, in der ich Sasha nun doch in die Augen schaue. "Irgendwas ist doch mit dir. Rede mit mir." Ermüdet atme ich aus. Die ganze Situation zieht an meinen Nerven.
"Du wirst wütend sein", murmle ich und sobald ich diesen Satz ausgesprochen habe, sehe ich, wie sich ihr Gesicht anspannt. "Warum sollte ich?", hinterfragt sie. "Oder zumindest enttäuscht. Und ich möchte nicht, dass du enttäuscht von mir bist."
Die Blondine legt ihr Besteck aus der Hand, um diese auf meine zu legen. "Du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst. Ich bin deine beste Freundin, Levi. Ich würde immer hinter dir stehen, egal, worum es geht", sie grinst, "Und außerdem hast du mich auch nicht in die nächste Mülltonne geworfen, nachdem ich dir erzählt habe, ich hätte etwas mit Elias."
Ohne, dass ich es will, lächle ich. Diese Affäre hat mich schon echt aus der Bahn geworfen. Aber andererseits passen die beiden schon gut zueinander.
"Also los, sprich!"
Ich nehme all meinen Mut zusammen, bevor ich anfange, zu reden: "Gestern habe ich Jesse im Saal sitzen lassen, weil...ich mich mit Valentin getroffen habe." Auf eine Reaktion ihrerseits warte ich vergebens, weshalb ich fortsetze.
"Er hat mitangehört, wie Jay und Ava vom Date gesprochen haben, und ist im Kino aufgetaucht. Anfangs war ich wirklich angepisst deswegen. Du hättest das sehen müssen, er saß beinahe hinter uns und hat uns die ganze Zeit beobachtet!", kopfschüttelnd nippe ich kurz an meinem Wasser, "Zumindest hat Jaden mich davor gewarnt, dass Valentin womöglich unsere Verabredung sprengen könnte. Das hat er ja dann auch irgendwie. Mit einer lausigen Ausrede habe ich Jesse für ihn sitzen lassen und bin mit ihm spazieren gegangen. Er war mir immerhin noch eine Erklärung schuldig."
"Und was hat Valentin gesagt?"
"Sein Vater hat ihn gedroht. Er würde meiner Familie schaden, wenn Valentin sich nicht von mir trennen würde. Das alles, die verdammte Zeit des Heulens und des kiloweise Eiscreme Essens, war darauf zurückzuführen, dass ein dämlicher Mistkerl es nicht ertragen kann, dass sein Sohn schwul ist. Ernsthaft, er soll seinen Arsch mal aus dem 18. Jahrhundert zehren", knurre ich zuletzt.
Mein Groll gegen diesen Mann ist sehr viel größer geworden, nachdem ich das gestern erfahren habe.
Wie Valentin es aushält, mit so einem unter einen Dach zu leben, ist für mich unverständlich.
Ich weiß, dass er seine Mutter und Schwester unheimlich liebt. Aber die beiden leiden sicherlich auch unter diesen Terror.
Dass sie nicht schon längst die Koffer gepackt haben...
Oder das Arschloch, eingerollt in einem Teppich, in den nächsten Fluss geworfen. Diese Idee schwirrt mir nicht zum ersten Mal im Kopf herum.
"Das ist krass", sagt Sasha nach einiger Zeit der Stille. Sie wagt es nicht, mir in die Augen zu schauen. Stattdessen mustert sie die mit Blumen verzierte Tischdecke meiner Großmutter und schüttelt konstant den Kopf. "Ich verstehe nur nicht, warum hat Lenny nichts davon gesagt? Hättet ihr nicht gemeinsam eine Lösung finden können?"
Ich zucke mit den Achseln. "Er dachte sich wohl, er müsse sich dem Ganzen alleine entgegenstellen. Das war vollkommen idiotisch, das habe ich ihm auch gesagt. Aber wahrscheinlich würde er es wieder so machen, um mich und meine Eltern vor seinen gestörten Vater zu schützen."
"Das ist gleichzeitig süß wie dämlich von ihm", entgegnet sie und seufzt theatralisch auf, "Gut, okay. Erster Schock ist überstanden. Jetzt aber weiter", verwirrt sehe ich sie an, "Schaue nicht wie eine Giraffe mit verdrehten Hals! Ich will wissen, ob gestern noch irgendwas passiert ist. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass ihr beide nach so einem Gefühlschaos nur miteinander geredet habt", sie lacht auf, "Dafür kenne ich Queen Levi zu gut."
Sie ist wirklich gerissen.
"Wir haben uns geküsst." Sasha klatscht in die Hände. "Natürlich habt ihr das. Gott ey, warum müsst ihr nur eine so komplizierte Beziehung haben? Durch dich ist sowieso immer alles ein wenig...speziell, wenn ich es so ausdrücken darf. Aber das hier erreicht wirklich ein ganz neues Level."
"W-wir sind kein Paar. Mein Vertrauen muss er erst wieder gewinnen, bevor-" "Aber du möchtest auf jeden Fall wieder mit ihm zusammen kommen?" "Meine Gefühle für ihn haben sich in der Zeit nicht geändert. Sie sind noch immer da. Ich liebe diesen Mistkerl, obgleich es mein Verderben bedeuten könnte."
Sasha öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, wird aber an ein klingelndes Handy gehindert. "Entschuldige", murmle ich beim Aufstehen und gehe zur Arbeitsplatte, auf welcher mein Smartphone liegt. Mum ruft an.
"Wer ist es?" "Meine Mutter", antworte ich und nehme ihren Anruf entgegen. "Hallo, Mummy. Was gibt's?"
Im Hintergrund höre ich eine Sirene. Ich werde hellhörig. "Mum?"
"Liebling, komm bitte schnell ins Krankenhaus." "W-was? Warum? Ist etwas mit Dad?" Sasha beobachtet mich mit einem besorgten Blick.
"Nein, nein. Ihm geht es gut, aber-" "Doktor Talbot in Operationssaal 4. Doktor Talbot bitte in Operationssaal 4", wird durch einen Lautsprecher ausgerufen.
Ich kann nicht erklären, warum, aber mein Herz zieht sich augenblicklich zusammen.
"Jaden und Ava hatten einen Autounfall, Levi."
Daaammm...daaammmm...daaaaammmmmm...
Wow, so langsam bin ich wirklich bösartig bezüglich Cuts 😅 Keine Ahnung, wann ich so geworden bin...
Aber nun: Als hätte Anton nicht schon genügend Probleme mit der Sache mit Valentin, hatten nun seine besten Freunde einen Unfall 😨
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