Kapitel 35
• A N T O N •
"Daddy, bitte! Du weißt, wenn es mir nicht so wichtig wäre, würde ich dich nicht darum bitten." "Levi, deine Mutter und ich haben gerade viel um die Ohren in der Kanzlei. Da können wir nich-" "Aber ich wäre doch sowieso ab nächster Woche für mein Praktikum bei euch! Da kann ich dich oder Mum dabei unterstützen."
Schmollend sehe ich meinen Vater an, der im Moment an seinem Schreibtisch über ein paar Akten sitzt.
Ich bin von der Schule aus gleich in die Kanzlei meiner Eltern gefahren, um einen der beiden zu bitten, falls es nötig ist, Valentin zu helfen.
Mum ist im Moment im Gericht, weshalb Daddy mein Gejammer ertragen muss.
Seufzend hebt er den Kopf und schaut mich mit müden Augen an. In letzter Zeit sind die beiden wahnsinnig beschäftigt. Und ich weiß, dass es deshalb unfair von mir ist, sie um diesen Gefallen zu bitten.
"Okay, also falls es zu irgendwelchen Konsequenzen kommen wird, und nach deiner Schilderung kann ich mir das durchaus vorstellen, dann schaue ich mal, was ich für ihn tun kann", ich möchte ihm glücklich um den Hals fallen, doch er hebt abwartend seine Hand, "Allerdings nur, wenn er es will. Und mit seinen Eltern müsste ich mich auch in Kontakt setzen, da er noch nicht volljährig ist."
Als ob es Mr. Bishop interessiert, was mit seinem Sohn passiert. Ihm ist nur wichtig, wie seine Familie im Rampenlicht stehen kann.
Wenn es nötig wäre, würde er den Jungen von heute Mittag eine Menge Geld bezahlen, damit die Angelegenheit vom Tisch ist.
"Und ich erwarte dich am Montag pünktlich nach der Schule in der Kanzlei, junger Mann", meint mein Vater mit aufgesetzter strengen Stimme. Grinsend umarme ich ihn. "Du bist der beste!" "Tue mir jetzt erstmal den Gefallen und suche nach Valentin. Nicht, dass er noch irgendeinen Blödsinn anstellt."
Ich verabschiede mich von ihm und winke dann, als ich aus dem Büro gehe, der Empfangsdame zu. Auf dem Weg zum Fahrstuhl nehme ich mein Handy aus der Hosentasche und überprüfe, ob sich mein Freund gemeldet hat. Fehlanzeige.
Auf keine meiner Nachrichten oder Anrufe hat er reagiert.
Wo steckt er denn bloß? Nach Hause ist er sicherlich nicht gegangen, das kann ich mir nicht vorstellen...
Aber er ist auch nicht jemand, der einfach so spazieren geht.
Die einzige Möglichkeit wäre, dass er boxen gegangen ist, um sich abzureagieren. Nur weiß ich nicht, in welchem Studio er ist.
Wow, über solche Dinge hätte man sich gut unterhalten können. Stattdessen haben wir aber lieber...Naja, knutschen geht vor.
Währenddessen ich mit dem Fahrstuhl nach unten fahre, versuche ich nochmals, Valentin zu erreichen. Sein Telefon scheint allerdings ausgeschaltet zu sein.
So viel dazu, dass man in einer Beziehung miteinander redet und den anderen unterstützt. Wie soll ich das bei so einem Dickkopf tun?
"Verdammt, Valentin!", rufe ich aus und überlege, wie ich nun weiter vorgehe.
Es würde verdächtig wirken, wenn ich Ava fragen würde.
Plötzlich bekomme ich eine Idee, die allerdings so dumm ist, dass sie eigentlich...
Oh okay. Ava hat tatsächlich ein Bild auf Instagram gepostet, wo beide im Boxclub waren.
Lady Bishop, meine Social Media Queen.
Und das Studio ist auch nicht so weit von der Kanzlei meiner Eltern entfernt!
Optimistisch trete ich aus dem Fahrstuhl und verlasse schnell das Gebäude. Ohne auf meine Umgebung zu achten, sprinte ich zu meinem Auto und fahre los.
Ich hoffe so sehr, Valentin dort anzutreffen. Und dass er mit mir reden will.
Wahrscheinlich denkt er wirklich, ich würde ihn nach diesem Vorfall nicht mehr haben wollen. Wenn er nur ans Handy gehen würde, könnte ich ihm die Last nehmen.
Nach etwa einer Viertelstunde parke ich vor einem Gebäude, das nicht wirklich so aussieht, als würde es für irgendwas benutzt werden. Da hätte ich ehrlich gesagt Angst, dass es irgendwann einstürzt.
Und hier geht Valentin regelmäßig boxen?
Ich steige aus meinem Auto aus, fühle mich augenblicklich weniger sicher. Als würde gleich jemand aus dem nächsten Busch hüpfen und mich überfallen wollen.
Erleichtert atme ich auf, als ich seinen Wagen etwas weiter entfernt sehe. Er ist also hier!
Noch immer wachsam, aber trotzdem entschlossen betrete ich das Studio. Und bereue es augenblicklich, als mich der Gestank von Schweiß empfängt.
Kennen die denn nicht sowas wie duschen?! Oder könnten sie wenigstens alle Fenster öffnen?
Mein Blick wandert durch die große Halle, ich kann meinen Freund aber nicht sehen. Dafür viele andere leicht bekleidete Männer.
Okay, der Anblick ist durchaus nicht schlecht.
"Kann ich dir irgendwie helfen?", ertönt hinter mir eine unheimlich raue Stimme. Vorsichtig drehe ich mich zu der Person um und bin überrascht, eine Frau vor mir zu sehen. "Ähm, ich suche einen Freund, der hier oft boxt. Valentin." "Kenne ich nicht." "Sind Sie sich da sicher? Vielleicht-" "Hör mal, du kleiner Welpe", sie geht auf mich zu und steht mir so nahe gegenüber, dass ich den Geruch von Zigaretten und Schweiß riechen kann, "Ich sollte wohl wissen, wer in meinem Studio trainiert. Und es gibt hier keinen Valentin, kapiert?"
Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden...
"Okay, dann...vielen Dank", meine ich und murmle ich 'Tschüss', bevor ich mich zum Gehen wende. Diese Frau ist extrem unheimlich. Ich mag ja selbstbewusste, starke Frauen, sie aber macht mir schon auf eine gewisse Art und Weise Angst.
"Ey, Bishop! Übertreibe es mal nicht. Sonst klappst du uns hier noch um." Ich horche auf. Valentin ist also doch da.
Was lügt mich diese...Dame denn bitteschön an? Das macht sie nicht weniger unsympathisch!
Ich folge der Stimme, die aus einem Nebenraum kommt. Auch jetzt befinde ich mich in einer Halle, die wie es scheint noch größer ist, als die am Eingang.
In einer hinteren Ecke entdecke ich schließlich meinen Freund. Bei seinem Anblick muss ich erstmal schlucken. Ich kann es mir nicht verkneifen, ihn von oben bis unten anzustarren, während ich auf ihn zugehe.
Für sein Alter hat er bereits einen wirklich guten Körper, was wohl darauf hinweist, dass er schon sehr lange trainiert.
Er ist vollkommen in seiner eigenen Welt gefangen, während er immer wieder auf einen Boxsack einprügelt. Ein Typ neben ihm, womöglich ein paar Jahre älter, redet auf ihn ein. Doch darauf achtet Valentin nicht.
Als ich schließlich vor ihnen stehe, schaut mich der Fremde verwundert an. "Kann ich dir helfen?"
Wenn du schon freundlicher bist, als das Biest, dann ist mir schon genug geholfen.
Ich deute auf Lenny. "Meine Suche ist gerade beendet. Dankeschön." Er nickt und lächelt mich dann an. "Versuche du dein Glück. Bishop hat wohl heute keinen guten Tag." Der Blondhaarige klopft mir beim Vorbeigehen auf die Schulter und lässt uns dann schließlich alleine.
Nun richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Freund, der allerdings keine Notiz von mir nimmt. Seufzend stelle ich mich neben ihn. "Valentin, können wir reden?" Keine Reaktion. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Warum hast du nicht auf meine Nachrichten geantwortet?" Wieder nichts. Er prügelt einfach nur weiter auf den Sandsack ein. "Würdest du vielleicht mal mit mir reden?"
Ist das sein Ernst? Will er mich jetzt ignorieren? Er hat doch noch nicht einmal einen wirklichen Grund, wütend auf mich zu sein!
Ich packe ihn an seinem Arm und versuche, ihn wegzuzerren. "Hörst du mir bitte einmal zu, Valentin?" Er windet sich allerdings aus meinen Griff. "Warum machst du das? Ist dir eigentlich klar, dass ich Angst um dich hatte? Wahrscheinlich interessiert es dich nicht einmal!", ich nähere mich ihm, "Wenn überhaupt sollte ich derjenige sein, der angepisst ist. Nicht du! Also hör auf, den Unnahbaren zu spielen!"
"Du bist ja immer noch hier, Welpe." Die Frau von gerade eben kommt mit genervten Gesichtsausdruck auf uns beide zu, ihren Blick würdigt sie allerdings nur mir. "Jetzt belästigst du also meine Jungs?" "Ich wollte nur mit Valentin reden", zische ich zurück. Dass dieser mich ignoriert, macht mich wahnsinnig.
Ein Anton Levi Collister wird nicht ignoriert! Von niemanden, auch nicht von ach so tollen Menschen wie Valentin.
"Hör mal, du kleiner-" "Lass es gut sein, Danny", ertönt nun doch die Stimme des Lockenkopfes, "Es geht schon in Ordnung. Er ist ein Freund von mir." Diese sogenannte Danny mustert mich abwertend, wirft dann dem Dunkelhaarigen einen fragenden Blick zu. "Bist du dir sicher? Ich kann ihn sonst auch rausschmeißen." "Nicht nötig." "Na gut, dann lasse ich euch beide mal alleine", sie deutet auf mich, "Und du machst mir hier keinen Ärger, Welpe. Verstanden? Ich werde sonst ungemütlich."
Ich beiße mir auf die Lippe, um ihr keinen dummen Kommentar an den Kopf zu werfen, und nicke lediglich. Schließlich lässt sie uns wieder alleine.
Bevor ich aber etwas zu meinen nun wieder gesprächigen Freund sagen kann, packt er mich am Arm und zieht mich hinter sich her. "Du tust mir weh, Valentin!" Das scheint ihn allerdings nicht zu kümmern.
Als er mich in einen weiteren Raum führt, finde ich mich in der Umkleide wieder. Und hier stinkt es noch mehr als da draußen.
Verwirrte Kerle starren uns an, die gerade dabei waren, sich umzuziehen. "Raus", meint Valentin an diese gerichtet, die daraufhin noch überraschter wirken. Als einer von ihnen den Mund aufmacht, tritt er einen Schritt vor und schreit: "Verpisst euch! Oder soll ich etwa nachhelfen?"
In Windeseile haben sie ihre Klamotten zusammengepackt und flüchten aus dem Raum. Lenny schließt die Tür und lehnt sich dann gegen sie an. Sein Blick ist auf mich gerichtet. "Was machst du hier?"
Ich schaue ihn verständnislos an.
Das ist nicht sein fucking Ernst. Will er mich eigentlich vollkommen verarschen?!
Kopfschüttelnd gehe ich auf ihn zu und versuche, ihn zur Seite zu schieben. "Lass mich hier raus." "Nein, wir reden je-" "Jetzt auf einmal willst du reden?!", rufe ich wütend aus, "Das habe ich in den letzten fünf Minuten gerade schon versucht. Da hat es dich auch nicht interessiert." "Jetzt aber schon."
Ich habe gerade so sehr das Bedürfnis, ihn zu schlagen.
"Fick dich, Valentin!", fahre ich ihn an und drehe mich von ihm weg. "Anton, ich-" "Ich will es überhaupt nicht hören! Dir scheint es ja auch vollkommen egal zu sein, wie ich mich fühle." "Das stimmt doch überhaupt nic-" "UND WARUM BIST DU DANN EINFACH ABGEHAUEN?!", schreie ich, während ich ihn nun doch wieder ansehe, "Verdammte Scheiße, ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Dass du irgendwas tust, was du später bereust! Dass dir womöglich irgendwas passiert, weil du vollkommen neben der Spur bist!"
Valentin legt seine Hände auf meine Wangen und streicht mit den Daumen meine Tränen weg. Ich habe nicht einmal gemerkt, dass ich weine.
"Es tut mir leid", flüstert er und wiederholt es nochmal. Und nochmal. Immer wieder sagt er es, während er seine Stirn an meine legt. "Du bist so ein verdammtes Arschloch", schluchzte ich, kralle meine Finger in seine Oberarme.
Und dann küsst er mich. Raubt mir damit den Atem. Es ist, als würde er all seine Emotionen in diesen einen Kuss legen. Er bittet um Vergebung, verkündet seine Liebe...übermittelt mir, dass ich der Eine für ihn bin.
"Verzeihe mir", haucht er an meinen Lippen, legt währenddessen seine Arme um mich. "Wir müssen darüber reden, Valentin." "Das tun wir, versprochen. Aber du musst mir verzeihen, Anton", er schaut mir tief in die Augen, "Ich kann es nicht ertragen, wenn die Person, die ich liebe, mich hasst."
Er...er hat gesagt, dass er mich liebt.
Lächelnd stelle ich mich auf Zehenspitzen und presse meinen Mund auf seinen, während mein Gefühlschaos von vorne beginnt.
Das war ja nicht wirklich einfach...
Levi muss wohl noch lernen, dass Valentin nun mal ein...harter Brocken ist 😬
Aber er scheint ihn immer mehr zu erreichen 😄
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro