Kapitel 1
• V A L E N T I N •
"Ach komm schon, Lenny, lächle doch mal. Wir haben die Chance, nochmal ganz von vorne anzufangen."
Ich verdrehe die Augen und schaue weiterhin aus dem Fenster.
"Du kannst mich nicht immer ignorieren, Bruderherz. Irgendwann wirst du wieder mit mir reden müssen."
Das sehe ich nicht so.
"Lenny!" "Hör verdammt nochmal auf, mich Lenny zu nennen! Du weißt, wie ich diesen Spitznamen hasse. Außerdem ergibt es nicht mal Sinn, dass du mich so nennst", brumme ich.
Das Taxi hält vor einem großen Haus. Das Haus unserer Kindheit.
Ich habe keine Ahnung, was meine Eltern dazu geritten hat, Ava und mich vom Internat zu nehmen. Dort hat es mir auf jeden Fall mehr gefallen.
Von mir aus, hätte ich die restliche Zeit bis zum Abschluss auch noch dort verbringen können.
Auf jeden Fall weiß ich, wenn die jetzt auf Familie machen wollen, dann ohne mich.
Denn das, was Ava als unser 'Zuhause' bezeichnet, wird es für mich nie sein.
"Ich finde es schön, dass wir wieder Zuhause bei Mum und Dad leben. Du nicht auch?" Ich gebe dem Taxifahrer sein Geld, steige dann genervt aus und hole unser Gepäck aus dem Kofferraum. "Weißt du, du solltest es mal mit anderen Augen sehen", meint meine Schwester und mustert mich. "Ach ja?" Sie nickt.
Wir gehen nebeneinader die Auffahrt hoch. Sie total aufgeregt, ich würde am liebsten einfach wieder ins Taxi steigen und zurückfahren.
Zurück ins Internat.
Dass ich lieber in einem Internat lebe anstatt Zuhause, sollte schon etwas die Situation erklären. Kurz gesagt, meine Eltern und ich verstehen uns nicht so gut.
Gut, das kommt in jeder Familie mal vor, dass man sich streitet. Aber mein Vater bringt mich einfach immer wieder zur Weißglut.
Er will unbedingt, dass ich seine blöde Firma eines Tages übernehme. Was ich eigentlich will, ist ihm dabei total egal. Meine Zukunft wurde schon vorgeplant, da waren Ava und ich noch im Bauch unserer Mutter.
Wir hatten kein Mitbestimmungsrecht.
Warum auch? Was unsere Eltern planten, sollte man nicht infrage stellen. Außer man will sich mit ihnen anlegen.
Was ich allzu gerne tue.
"Bereit?", fragt sie aufgeregt. Ich verdrehe die Augen. "Tue mal nicht so, als würde hinter dieser Tür das Paradies auf uns warten. Mach einfach diese blöde Tür auf, dein Koffer wird schwer und Mutter kann es nicht leiden, wenn man ihre schöne Auffahrt zerkratzt." "Kratzbürste", erwidert sie, schließt aber die Haustür auf.
"Mum? Dad? Seid ihr Zuhause?", ruft Ava und tritt ein.
Hoffentlich nicht.
Als ich mich an den Türrahmen lehne, dreht sie sich um. "Willst du jetzt die ganze Zeit dort stehen bleiben?" Ich nicke. "Hatte ich vor. Schließlich bin ich nicht ganz so scharf darauf, hier zu bleiben." "Ich glaube es echt nicht, wie kannst du nicht bei deiner Familie wohnen wollen?"
"So eine negative Einstellung hatte dein Bruder schon immer gegenüber uns, Prinzessin", ertönt die Stimme unseres Vaters. Er kommt lächelnd auf uns zu, in seinen Augen kann ich aber seine Wut gegenüber mir sehen. Meine Schwester rennt auf ihn zu und fällt ihm in die Arme.
Ich muss mich zusammenreißen, mich nicht gleich zu übergeben. Diese vorgegaulte Liebe in diesem Haus fand ich schon immer abartig.
"Es ist schön, dass ihr beide wieder Zuhause seid. Eure Mutter hat euch so sehr vermisst." Ava lächelt zu Vater hoch. "Wir haben euch auch total vermisst, Daddy!", ruft sie aus und küsst ihn auf die Wange.
Ich will nichts anderes, als dass Ava glücklich ist. Nur aus diesem Grund habe ich mehr als nur widerwillig eingewilligt, mit ihr hierherzukommen. In die Hölle höchstpersönlich.
"Sohn, begrüßt du deinen alten Herrn etwa nicht?", fragt er, da ich mich immer noch nicht von der Stelle gerührt habe. Nach längeren Zögern drücke ich mich vom Rahmen ab und gehe auf die beiden zu. Ava läuft freudestrahlend in die Küche, wo sie Mum erwartet. Und lässt mich mit dem Teufel alleine.
Vor ihm bleibe ich stehen, mache aber keine Anstalten, in seine Arme zu fallen.
"Hör mal, Valentin, du kannst so lange schmollen, wie du willst. Du wirst nicht zurück ins Internat gehen. Ab morgen wirst du, wie es sich gehört, in die Schule gehen, Bestnoten schreiben und in eine Sportmannschaft eintreten. Wie ein guterzogener Schüler, verstanden?"
Ach, da ist ja das Arschloch, das ich kenne. "Hör mal, Vater-", wiederhole ich seine Worte und bleibe vor ihm stehen, "ich bin bald volljährig, da kannst du mir den nackten Hintern ablecken!"
Mit meinem Koffer in der Hand, gehe ich an ihm vorbei und laufe die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Was für ein Mistkerl! Selbst wenn es nur noch wenige Monate sind, bis ich 18 bin, ob ich das bis dahin aushalte, weiß ich nicht...
Ich werfe mein Gepäck aufs Bett und fange an, auszupacken, als es an der Tür klopft. "Valentin, mein Schatz." Mum kommt freudestrahlend auf mich zu und umarmt mich. "Ich habe dich so vermisst." Schmunzelnd drücke ich ihr einen Kuss auf die Wange. "Ich dich auch, Mum."
"Es ist so schön, dass ihr beide wieder da seid! Als euer Vater davon erzählt hat, dass er euch vom Internat herunter nehmen will, war ich so glücklich!" Augenblicklich vergeht mir das Lächeln. "Es wundert mich nur, warum er plötzlich wollte, dass Ava und ich nach Hause kommen." "Er hat euch vermisst." "Natürlich hat er das", brumme ich.
Dafür sollte dieser Mann erstmal Gefühle haben. Dieser knallharte Mann kann nicht einmal richtig zeigen, dass er Mum liebt.
Zumindest kann ich mich in meinen letzten fast 18 Jahren nicht an sowas erinnern.
Na, wie ist euer erster Eindruck von Familie Bishop? 😂
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