
32. Wenn es Lichtreflexe gibt, hat Mireor seine Finger mit im Spiel
Je weiter wir kommen, desto sicherer bin ich mir, dass das hier eine dumme Idee war. Unsere Schritte hallen laut von den Wänden wider, aber es ist kein Mensch unterwegs. Und auch sonst keine Wesenheit. Ich muss mich sowas von noch daran gewöhnen, das dazu zu sagen.
Nach einigen Biegungen läuft der Gang in einem Keller aus, der mich an die Gelegenheit erinnert, als uns in Geschichte Bilder von alten Burgen gezeigt wurden. Das war einer der wenigen Momente, in denen ich in diesem Fach einmal aufgepasst habe. Einmal Lob und Anerkennung bitte.
Das Problem nur: Es gibt keine Burgen in Nordamerika. Glaube ich? Aber auf jeden Fall nicht mitten in New York.
„Für Mireors Innenarchitekten ist das hier sicher eine willkommene Abwechslung", stellt Jessie fest.
„Weitergehen", drängt Alice. Ihre Augen huschen unruhig hin und her und das, obwohl sie hier wahrscheinlich besser sehen kann als Jessie und ich. „Einfach weitergehen."
„Das könntest du bereuen, wenn direkt hinter der Tür –", beginnt das Djinnkind, wird aber von einem tödlichen Blick zum Schweigen gebracht.
Ich hatte gerade die Hand in Richtung der Tür ausgestreckt, die uns hier rausführt. Auf einmal habe ich keine so große Motivation mehr dazu. Mein neu gefundener Tatendrang klammert sich weinend an den Tisch, unter dem er sich verkrochen hat.
„Geh schon", murmelt Jessie.
Nichts springt uns entgegen, als ich die Tür dann tatsächlich öffne. Immerhin etwas. Wir sind in einem Gang, der ebenfalls aus einer Burg entsprungen sein könnte. Er führt nur in eine Richtung, also folgen wir ihm gezwungenermaßen.
Lange.
Bald bin ich überzeugt, im Kreis zu laufen.
„Findet ihr nicht, dass das ein bisschen zu einf- oh." Alice bricht mitten in dem Satz ab, von dem ich vermute, dass ich dessen Ende sowieso nicht hätte hören wollen. Selbstschutz und so.
„Oh?", frage ich.
Alice hat das Schlusslicht gebildet und starrt nun auf die Steinwand neben uns.
„Oh?", fragt Jessie und dreht sich zu ihr um. „Oh", wiederholt ser dann und starrt nun ebenfalls auf die Wand.
Und ich frage mich, ob die beiden vollkommen verrückt geworden sind.
„Die Wand ist eine Illusion", sagt Alice schließlich.
Von den Dingern habe ich sowas von die Nase voll, aber ich bringe es nicht über mich, das zu sagen. Schon gar nicht, wenn meine zwei Begleiter augenscheinlich verrückt geworden sind.
„Das ist eine Wand", sage ich langsam. „Hannah ist viel zu gut, als dass sie euch eine Illusion erkennen lassen würde."
Ich möchte wirklich gerne weitergehen, dieser ganze Raum ist mir unheimlich und ich bereue schon fast, dass ich mich durchgesetzt habe.
„Ihr habt die Falle im Kerker auch nicht erkannt, erinnert ihr euch?", versuche ich die beiden, zum Gehen zu überzeugen.
Stattdessen streckt Jessie die Hand aus und zieht mich zu sich herüber. Dann deutet ser auf die Wand. Einen Augenblick blinzele ich den Stein irritiert an und komme mir sehr bescheuert vor. Bis mir auffällt, dass die Steine nicht zueinander passen. Sie sind um eine Fingernagelbreite (hat vielleicht jemand ein besseres Bild für diesen Größenvergleich? Und kommt mir nicht mit: Eliza, das ist dein Job) gegeneinander verschoben.
Jessie streckt die Hand aus. Und sire Hand verschwindet in der Wand.
„Gruselig", murmele ich.
„Fantastisch!", freut Jessie sich, macht einen Satz nach vorne und zieht mich umstandslos mit sich. War. Ja. Klar.
Wir stehen in einem neuen Raum. Und hier erinnert tatsächlich beinahe nichts mehr an eine Burg. Stattdessen sind wir augenscheinlich in einem Museum gelandet.
Um uns herum führen in verwinkelten Gängen Glasvitrinen vom Eingang weg. Sie glitzern sanft und senden irritierende Lichtreflexe durch den Raum. Wahrscheinlich hat Mireor es genau darauf angelegt.
Alice hat nun ebenfalls den Raum betreten und sieht sich mit gerunzelter Stirn um, während Jessie aussieht, als hätte man Weihnachten vorverlegt.
„Ooooohhh lass uns schauen, was Mireor hier aufbewahrt!"
Und weg ist ser.
Alice und ich wechseln einen Blick. Offenbar sind wir uns einig, dass wir beide nicht unbedingt herausfinden wollen, was Mireor hier aufbewahrt, solange es nicht meine beste Freundin ist. Andererseits ... ich schaudere. Wer kann schon so genau sagen, wie Mireor Kat gefangen hält? Dass es möglich ist, Wesen in Wunderlampen zu sperren, weiß ich ja immerhin schon.
Also folge ich Jessie.
Ich kann mit den Gegenständen in den Vitrinen absolut nichts anfangen. Eine riesige Holzmaske, deren Augen mich zu verfolgen scheinen, während ich an ihr vorbeigehe. Eine Kugel, in der ein weinroter Nebel umherwirbelt, den ich unglaublich gruselig finde und den ich nicht näher betrachten möchte. Ein grüner ... Schleimklecks (?), der am Boden seiner Vitrine liegt. Goldene Handschellen, die an der Decke ihrer Vitrine kleben.
Ich schaudere und werfe eher beiläufige Blicke in die Vitrinen. Wenn Kat in einem Schleimklecks gefangen wurde, dann würde ich es wahrscheinlich sowieso nicht erkennen.
Dann ertönt in einer anderen Ecke des Raumes ein Keuchen und ein gewispertes „Alice!"
Auch wenn ich offensichtlich eigentlich nicht angesprochen wurde, eile ich trotzdem zu Jessie. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Djinnkind hätte mit beiden Händen an einer Vitrine geklebt, so fasziniert starrt es in dessen Inneres.
„Hast du Kat gefunden?", fährt es aus mir heraus, auch wenn ich schon vermute, dass es hier um etwas ganz Anderes geht.
„Viel besser", haucht Jessie und ich will sir gerade beleidigt darauf hinweisen, dass es wohl kaum etwas Wichtigeres gibt, als meine beste Freundin zu finden, da kann ich einen Blick in die Vitrine werfen.
Und verstehe noch weniger.
Darin liegt eine einfache Kette. Sie ist dünn und golden und hat einen etwa daumennagelgroßen (ich weiß auch nicht, was ich gerade mit Fingernägelvergleichen habe) Anhänger, in dem es sanft bräunlich schimmert. Vielleicht ist es Bernstein?
Alice hat nun ebenfalls zu uns aufgeschlossen und blickt ebenfalls in die Vitrine. Ihre Reaktion passt aber eher zu der von Jessie. Ihr Kopf schießt nach oben.
„Glaubst du ...?"
„Wollt ihr zwei hier dauerhaft in Codes sprechen?", versuche ich, dazwischenzukommen, werde aber grandios ignoriert.
„Warum sonst sollte Mireor sie hier aufbewahren." Jessies Augen glänzen. „Natürlich habe ich auf der Nachtmesse niemanden gefunden, der mir weiterhelfen konnte. Sie war die ganze Zeit hier."
Alice nickt langsam. „Die Bernsteinkette."
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