Kapitel 3
Als Silver das nächste Mal aufwachte, lag sie wieder alleine in ihrem Bett, geweckt von der Dienstglocke am Eingang des Hauses. Diese wurde jeden Morgen um Punkt sechs geläutet, um die Gardisten der Tagesschicht zu wecken, zu denen auch Silver gehörte. Die anderen, die mit ihrer Truppführerin den Flur teilten, standen den Geräuschen nach bereits aus ihren Betten auf, und Silver erinnerte sich dunkel daran, dass sie nachts geweckt worden war. Schon klopfte es an der Tür, und eine Stimme rief nach ihr: "Kommst du endlich raus, oder sollen wir schon ohne dich frühstücken?"
"Sinara, bitte, so lange brauche ich auch wieder nicht. Gib mir noch zwei Minuten, dann bin ich auch so weit." Schnell spritzte sie sich ein paar Tropfen Wasser aus einem alten Holzeimer ins Gesicht, und zog sich eine rote Robe über. So vorbereitet trat sie bereits aus der Tür und wurde von einer lächelnden Sinara begrüßt. Silver freute sich jedes Mal, wenn sie von der viel zu kleinen, brünetten, und vor allem immer gut gelaunten jungen Frau begrüßt wurde. Jeden Tag wieder konnte sie zumindest bei der Begrüßung vergessen, dass sie einst auch zu der 'normalen Truppe' gehörte, ja, in diesen Momenten konnte sie sich immer wieder vormachen, dass alles noch wie früher war.
"Warst du etwa schon wieder vor der Glocke wach, Sinara?", fragte Silver.
"Aber natürlich. Ich hab noch ein bisschen mit dem großen Tom geübt, bevor es wieder in den Einsatz geht."
Der große Tom mochte Sinara, seid er sie zum ersten Mal erblickt hatte, und gehörte auch zu den Gardisten, die Silver unterstanden. Sinara wiederum war zwar nicht an dem großen Tom interessiert, mochte seine Zuwendung aber genug, um ihm keinen Korb zu geben. So bekam sie auch die Möglichkeit, bei einem der besten Bogenschützen der gesamten Garde Privatunterricht nehmen zu können, allerdings nur morgens, da die Schießanlage den Rest des Tages für inaktive Einheiten reserviert war.
Silver versuchte sich gerade vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn sie jemandem Privatunterricht geben würde, noch bevor der Tag wirklich begann, aber schon riss Sinara sie wieder aus ihren Gedanken und versuchte, sie zum Frühstück zu bewegen.
"Silver, komm schon, ich habe Hunger und wir müssen gleich ausrücken, lass uns schnell in die Speisehalle gehen."
Ausschlaggebend war für Silver mehr der Punkt, dass sie im Einsatz keinen Hunger haben wollte, aber sie musste Sinara recht geben, dass es Zeit wurde, sich zu beeilen, falls sie überhaupt etwas essen wollte, also gingen beide Frauen schnellen Schrittes den Gang entlang, bis sie die Speisehalle erreichten.
Plötzlich ging alles rasend schnell. Eine sehr helle, schnell klirrende Glocke ertönte, und Silver erkannte in den ersten Sekunden bereits, das die Alarmglocke geschlagen wurde.
Ihre Einheit ließ sofort alles stehen und liegen, und für einen kurzen Moment, nur eine knappe Sekunde in der die Glocke pausierte, war es totenstill. Einundzwanzig Menschen drehten sich zur Tür und rannten in voller Geschwindigkeit auf den Flur, geradeaus in die nächste Tür hinein und griffen sich ihre dort gelagerte Ausrüstung.
Silver griff sich einen Lederwams, den sie unter ihre Robe zog, einen Schild, den sie zuletzt nehmen würde, ein Schwert, ungefähr eine Armlänge lang, und einen Köcher voller Pfeile mitsamt Bogen, den sie quer über ihren Rücken warf, sodass er sie fürs Erste nicht behindern würde. Zwar wurden Gardisten nicht oft in einen Fernkampf verwickelt, aber bei vielen Einsätzen hatte es sich bezahlt gemacht, wenigstens ein paar Pfeile zum Einschüchtern ihrer Feinde abschießen zu können. Schnell befestigte sie ihre Ausrüstung an den vorgesehen Stellen und blickte sich dann um, wie weit ihre Leute mit dem Ausrüsten waren.
Wenige Sekunden später war auch der große Tom ausgestattet, der immer am Längsten benötigte, weil er es immer schaffte, seinen Wams zuerst über seine Robe anzuziehen, und ihn dann wieder ausziehen musste.
"Los!", befahl Silver nur knapp, ehe sie als Erste aus dem Raum rannte und sich den kürzesten Weg zum Versammlungsplatz suchte.
Dort angekommen, wartete bereits ein Wachposten der Garde auf sie, den sie zwar schon ab und zu auf dem Weg zu Einsätzen gesehen hatte, aber noch nicht näher kennengelernt hatte.
"Elite-Gardistin Silver, ich habe die Alarmglocke schlagen lassen. Eine gesamte Einheit von einundzwanzig Köpfen hatte den Auftrag, einen Bericht an den Kardinal zu liefern. Seit zwei Tagen haben wir ihre Rückkehr erwartet, aber nichts von ihnen gehört. Dafür jedoch hörten wir Berichte darüber, dass Barbaren auf dem Weg zu uns sind."
"Ich verstehe, Ihr wollt, dass wir diese Gerüchte überprüfen?"
"Nein, ich schlug den Alarm, weil ein Bote der Gardisten uns gemeldet hat, dass sich die Barbaren bereits zwei Orte weit weg von hier befinden. Eure Einheit muss sofort ausrücken!"
Und das natürlich ohne frühstücken zu dürfen...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro