20. Kapitel
Hermines Sicht:
Als ich von der Schlägerei hörte, saß ich in der Bibliothek am Fenster und las ein Buch über außergewöhnliche Schutzzauber. Ich war erst auf der dritten Seite angelangt, als Parvati in den Saal gestürmt kam, den Einwurf von Madame Pince, die Bibliothek sei doch kein Joggingcenter, ignorierte und direkt auf mich zu steuerte. Ich hatte mich ja doch nicht aufs Lesen konzentrieren können. Ich. Hatte. Draco. Geküsst. Vor versammelter Mannschaft. Verdammt. Ich konnte von Glück sprechen, dass Ron nicht dabei gewesen war, wer wusste, was dann geschen würde, aber es wr nichtsdestotrotz nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Ron und Harry davon erfuhren. Wieso hatte ich das getan? Wieso machte mich Dracos Nähe derart verrückt, dass ich nicht mehr klar denken konnte? Und noch eine zweite Frage tat sich in meinem Kopf auf: Was zur Hölle hatte Blaise nach diesem Kuss gedacht, zu klatschen? Das war doch kein Theaerstück!
Ich verstand kaum ein Wort, so sehr japste Parvati von der Rennerrei als sie nun in der Bibliothek vor mir stand, aber das, was ich verstand, nahm mir den Atem. Verdammt. Es war nicht schwer zu erraten, warum Ron, mein Ron, eine Prügelei mit Draco Malfoy angezettelt hatte. Ich meine ja, es war mir vollkommen egal, was die Leute von mir hielten, was irgendein Hufflepuff oder irgendein Ravenclaw über mich dachte. Wenn die Leute tratschten, dann tratschten sie eben, wenn sie kicherten, dann kicherten sie eben. Und auch die Blicke, die die anderen Schüler mir zuwarfen, als ich, gefolgt von Parvati, die Treppen in den Krankenflügel hinunter hetzte, hätten mir egaler nicht sein können. Ich hatte Scheiße gebaut, das wusste ich. In Malfoy verliebt zu sein war eine Sache, ihn vor über zwanzig Leuten, in der Abwesenheit des eigenen Freundes, mit dem man noch nicht Schluss gemacht hatte, eine ganz andere. Denn wenn mir eine Meinung wichtig war, dann die von Harry und Ron über mich. Wenn die beiden mich abschrieben, dann... Das wollte ich mir lieber gar nicht ausmalen. Ich würde es abstreiten, jawohl, das würde ich. Die beiden waren nicht dabei gewesen, hatten nur über Ecken von dem... Vorfall gehört. Es war also nur eine Frage des Vertrauens. Wem waren sie mehr gewillt zu glauben, dem Getratsche oder Hermine Granger, die sie als eine treue loyale Freundin kannten. Und es war eine Frage, danach, ob ich dieses Vertrauen missbrauchen wollte.
Doch als ich den Krankenflügel erreichte, waren all diese Gedanken wie weggeblasen. Ich sah Draco zuerst, schlafend, auf der Wange ein lila Bluterguss und die Stirn verschrammt, und mein erster Impuls war zu ihm zu laufen und mich neben sein Bett zu knien, doch dann sah ich Harry und Ginny am anderen Ende des Krankenflügels neben einem Rotschopf sitzen und ich seufzte und ging dann langsam auf sie zu.
Als sie meine Schritte hinter sich vernahmen, fuhren sie herum und gaben mir so den Blick auf einen ebenfalls schlafenden Ron frei. Im Gegensatz zu ihm waren Dracos Wunden nur ein paar kleine Kratzer und blaue Flecken. Rons Nase war unverkennbar gebrochen und ehrlich gesagt nicht mehr als solche zu erkennen. Da wo sonst Sommersprossen sein Gesicht zierten, klebte ein einziger großer Klumpen aus offenem Fleisch und geronnenem Blut. Ich musste mir große Mühe geben das Gesicht nicht angewidert zu verziehen.
Doch dann blickte in die Gesichter von Harry und Ginny und sofort wurde mir eiskalt. "Hi", brachte ich gerade noch so raus. Harry stand auf und trat auf mich zu. "Hermine, was ist passiert?" Er blickte traurig und auch ein bisschen ungläubig. Ich knetete meine Finger und stammelte: "Ich... ich weiß nicht. Draco... und Ron. Die haben sich geprügelt und..."
"Den Teil kennen wir, was ist davor passiert?", unterbrach mich Ginny just in diesem Moment. "Was ist dran an... den Gerüchten?" Ich merkte, wie schwer es ihr fiel, die letzten Worte auszusprechen und ich entschied mich dumm zu stellen, um Zeit zu schinden, mir eine plausible Ausrede einfallen zu lassen. Harry verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen zusammen "Dass du und Malfoy... dass ihr euch geküsst habt."
Ich stöhnte innerlich, verdammt! Ich war die schlauste Hexe meines Jahrgangs, aber wenn es drauf ankam, fiel mir nicht mal mehr eine mickrige Ausrede ein. "Das... das ist nicht so, wie ihr denkt." Verdammt, verdammt, verdammt. "Ich... ähm... Das sah nur so aus, weil..." Ginny zog misstrauisch die Stirn kraus. "Hermine, Seamus meinte, dass du vor dem ganzen Kurs Malfoy geknutscht hast. Wie kann das, denn bitte nur so aussehen?" Ihre letzten Worte umrahmte sie mit Gänsefüßchen in der Luft.
"Malfoy ist der Feind, Hermine, sein Vater ist...", erklärte Harry eindringlich, doch diesmal war es an mir zu unterbrechen. "Also erstens, Harry, solltest du mal aufhören, immer nur in schwarz und weiß zu denken, Malfoy ist nämlich nicht sein Vater und zweitens..." Ja, zweitens. Ausrede, wo bleibst du? "... zweitens ist da ein Trank explodiert und meine Robe hat Feuer gefangen und Malfoy war so freundlich, mir beim Löschen zu helfen und ist deshalb nah an mich ran gegangen. Er stand mit dem Rücken zur Klasse und hat mich verdeckt, deshalb sah es so aus, als..." Ich räusperte mich. "... würden wir uns küssen." Ging ja doch mit dem Lügen.
Ein Lächeln breitete sich auf Ginnys Lippen aus und sie trat vor und umarmte mich mit einem "Mann, bin froh!", während Harry noch immer skeptisch guckte. "Wo hat deine Robe denn gebrannt, ich seh' gar keine Brandlöcher." Sofort wurde ich rot, doch Ginny klopfte mir auf die Schulter und erwiderte: "Jetzt lass mal gut sein Harry, sie hat sich halt schon umgezogen, nicht wahr, Hermine?" Erleichtert nickte ich, doch das verging mir auch sogleich, als sich Ginny zu mir wieder umdrehte, mich eindringlich ansah und mir dann zu wisperte: "Glaub ja nicht, dass ich dir auch nur ein Wort glaube. Wir reden später!" Dann warf sie Harry ein süffisantes Lächeln zu, der noch was erwidern wollte, doch da erklang eine kraftlose Stimme: "Also bist du nicht in dieses Arschloch verliebt?"
Ron war aufgewacht und blickte uns mit müden Augen entgegen. Sofort kniete ich mich neben sein Bett und grinste dankbar in mich hinein, als Ginny Harry bestimmt bei der Hand fasste und verkündete: "Wir lassen euch dann mal allein!"
Kaum war die Flügeltür hinter den beiden ins Schloss gefallen, versuchte Ron sich aufzusetzen, doch fiel keine Sekunde später zurück ins Kissen. "Boah, keine Ahnung, was die Pomfrey mir vorhin für Pillen gegeben hat, aber ich kann nicht mal richtig sitzen. Seh' ich sehr schlimm aus?" Ich musterte den blutigen Fleischklumpen in der Mitte seines Gesicht, kicherte und nickte belustigt. Ron musste auch lachen, verzog aber dann schmerzerfüllt das Gesicht und wurde wieder ernst. "Malfoy meinte, du wärst in ihn verliebt? Stimmt, das?" Und auf einmal fiel es mir ganz leicht zu lügen. Ich schüttelte bloß den Kopf und strich im liebevoll über das rote Haar. "Nein, stimmt nicht. Schlaf jetzt Ron, du musst dich ausruhen. Hörst, du?" Doch er hatte schon die Augen geschlossen und als ich ihm einen Kuss auf die Stirn gab, rührte er sich nicht mehr.
Ich stand auf und ging hinüber zur Flügeltür, doch als ich nach der Klinke greifen wollte, ertönte hinter mir eine mir nur allzu bekannte Stimme. "Du hättest nach Slytherin kommen sollen, Granger, so wie die lügen kannst."
"Draco!" Freudig drehte ich mich zum Krankenbett des Slytherins um. "Wie geht's dir, tut's doll weh? Es tut mir so leid, dass Ron dich geschlagen hat, er sollte eigentlich gar nicht... Moment mal." Ich stockte, als mir mit einem Mal, was einfiel. "Warum hast du ihm gesagt, dass ich in dich verliebt bin?"
Auf Dracos Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus. "Sieh an, sieh an... Doch nicht so dumm, wie ich dachte..." sprach er spöttisch und verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Was sollte das denn jetzt heißen? "Draco, warum hast du Ron erzählt, dass ich..?" Doch ich konnte meinen Satz nicht vollenden, denn er grinste höhnisch und spottete: "Stimmt es denn nicht, Granger? Bist du denn nicht in mich verliebt?"
Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr. Warum war er auf einmal wieder so gemein zu mir? "Das tut, doch jetzt nichts zur Sache, warum hast du...?", stammelte ich verwirrt. Doch abermals wurde ich von ihm unterbrochen: "Du irrst dich, das tut zur Sache, es ist die Sache!"
"Wie? Wie meinst du das?" Ich zog die Stirn zusammen und öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch mir fiel nichts ein, deshalb schloss ich ihn wieder. "Komm schon, Granger, so dumm bist selbst du nicht." Dracos Mundwinkel waren zu einem hässlichen Grinsen verzogen und er hatte gar nichts mehr von dem verletzlichen Jungen, den ich im Raum der Wünsche kennengelernt hatte. Sein Gesicht war eiskalt, die Zähne fest aufeinander gebissen und mit einem Lächeln, das mich unangenehm an Lucius Malfoy erinnerte.
Ich verstand nur noch Bahnhof. Was, bei Merlin und Morgana, ging hier gerade ab? Ja, ich war in ihn verliebt. Ja, ich hatte gerade meinen Freund belogen. Und nein, ich verstand nicht, was Draco mir gerade sagen wollte. Wo war der Draco hin, mit dem ich in der Bibliothek so herzlich gelacht hatte? Wo war der Draco hin, der mich im Raum der Wünsche getröstet hatte, als es mir wegen Ron schlecht ging? Wo war der Draco hin, der mir in der Kälte auf dem Weihnachtsball seinen Mantel geliehen hatte? Wo war der Draco hin, der auf dem gefrorenen See so schön getanzt hatte? Der Draco, der vorhin noch fast ein Klassenzimmer in die Luft gejagt hätte, damit ich keine schlechtere Note als er bekam? Der Draco in den ich mich verliebt hatte?
"Draco, was...?" wisperte ich verzweifelt und rang die Hände, doch seine Miene blieb eiskalt. "Dann geb ich dir mal einen Tipp, Granger. Es war ne Wette, ich hab mit Blaise um nen Schockofrosch gewettet, dass ich es schaffe, dass du dich in mich verliebst."
Es war als hätte jemand das Licht ausgeknipst. Völlige Dunkelheit. Einsamkeit. Kälte. Ich wollte etwas sagen, doch kein einz'ger Ton kam über meine Lippen. Ich schluckte schwer und biss mir auf die Lippe. Eine Wette? Eine verdammte Wette? Um einen Schokofrosch? Das war ich ihm wert? Einen verdammten Schokofrosch?
Meine Knie gaben nach und ich sank auf das leere gegenüberliegende Bett. Tränen traten in meine Augen, aber ich wischte sie mit dem Blusenärmel fort damit Dra... Malfoy sie nicht sah.
Eine Wette. Das Alles war eine Wette gewesen. Mit Blaise. Dass ich mich in Draco Malfoy verliebte. Auf ein mal wurde mir eiskalt ums Herz. Ich hatte mich in einen Schwindler verliebt, einen Spieler, einen Lügner. Zur Närrin hatte er mich gehalten. Mich getäuscht, getan, als würde er etwas von mir wollen. Er hatte mich geküsst, getröstet, beschützt. Für einen Schokofrosch.
Dann endlich war ich wieder fähig zu sprechen. Ich sprang auf, stürzte auf ihn zu und wollte ihn backpfeifen, doch Malfoy griff nach meinem erhobenen Arm und hielt ihn fest. "Na, na, na, Granger. Einen Verletzten schlagen, ts ts ts..." Tadelnd schüttelte er den Kopf, was meine Wut nur noch steigen ließ. Ich musste die Zähne aufeinander beißen, um nicht vor Verzweiflung laut aufzuschreien.
Und dann kamen die Tränen. Und ich konnte sie nicht mehr bloß mit dem Ärmel fort wischen, denn sie rannen mir in Bächen über die Wangen, unaufhaltsam und voll.
"Wie kannst du, nur?!" Ich schrie beinahe und konnte mich nur schwerlich und mit dem Gedanken in Schach halten, dass alles nur noch schlimmer werden würde, wenn ich jetzt noch Ron wecken würde. Schlimmer, pah. Wenn das überhaupt ging.
"Du Arschloch! Ich hab wirklich geglaubt, dass du... dass du..." Meine Stimme versagte und bevor ich etwas hinzufügte, hatte Malfoy den Satz schon für mich beendet. "... dass ich in dich verliebt bin?" Er lachte abermals auf und ich hasste in diesem Moment nicht nur ihn, sondern auch mich selbst dafür, diesen Satz überhaupt begonnen zu haben. So eumm gewesen zu sein, ihm geglaubt zu haben.
"Granger, ich weiß man sagt, du seist die schlauste Hexe unseres Jahrgangs, aber ich hab irgendwie das Gefühl, als hättest du gerade das genaue Gegenteil bewiesen... Hast du wirklich geglaubt, ich wäre in dich verliebt? In dich? Hast du wirklich geglaubt, meine Tränen im Da und Fort Raum wären echt gewesen? Hast du wirklich geglaubt, ich wäre freiwillig mit dir zu diesem Weihnachtsball gegangen? Wie gutgläubig, töricht und naiv kann man eigentlich sein, Granger?"
Das war zu viel. Das Schluchzen überkam mich.
"Du bist ein gefühlskaltes Arschloch, Draco Malfoy!"
Und mit diesen Worten stürmte ich auf die Flügeltür zu, griff nach der Klinke und rannte hinaus ins Treppenhaus. Tränen rannen meine vor Wut erhitzten Wangen hinab und ich lief hinab in die Eingangshalle und hinaus in die eisigklare Luft des nahenden Frühling. Hier draußen bei Eis und Schnee hatte Malfoy mich zum ersten Mal geküsst. An Weihnachten, unter dem Mistelzweig.
Aber all dies war jetzt Geschichte. All dies und die silbersturmgrauen Augen, die ich so geliebt hatte.
oO Ende Oo
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