6. Ezras schwimmende Festung
Den Navigator und die Alchemistin verschlug es zum Hafen, wo die Winde das Meer aufwühlten und der einzige Schutz eine nur noch halb befestige Plane bot, die die darunter befindenden Fässer halbwegs vor der Asche schützten.
Die Alchemistin kauerte neben den Fässern nieder und schlang die Arme um die Knie. Ghozzies' Kontakt war ein Mann namens Dotch, um den sich die ein oder andere finstere Geschichte rankte. Für genügend Scheibchen würde er nahezu alles transportieren - ob lebendig oder nicht. Und dabei scherte es ihn wenig, woher jemand stammte oder ob er gerade Beihilfe zu einem schrecklichen Verbrechen leistete. Normalerweise bevorzugte Jelly die Zusammenarbeit mit solchen Pragmatikern sogar, aber im Moment wäre ihr ein leidenschaftlicher Freiheitskämpfer lieber - jemand, der aus Überzeugung für ihre Sache einstand. Sie sah prüfend zu Ghozzie hinüber, der ein Stück weiter an einem der Fässer lehnte und mürrisch die Straße beäugte, während die Ohrenklappen seiner Mütze heftig schlackerten. Der einzige Grund, warum er hier war, war, weil er Cierian kannte. Niemand würde so viel für einen vollkommen Fremden riskieren. Niemand außer du.
Die Minuten verstrichen und die Alchemisten begann ungeduldig zu werden. Wenn sie die Augen eng zusammenkniff, konnte sie das Monstrum am Ende des Piers ausmachen, der wie ein schwarzer Eisberg aus dem Wasser brach. Sie könnte einfach aufstehen und es näher untersuchen. Besser, als hier ewig herumsitzen und zum Nichtstun verdammt zu sein ...
„Wag es ja nicht", hielt Ghozzie sie zurück, als die Alchemisten ihr Vorhaben in die Tat umsetzen wollte. Er stand immer noch mit dem Rücken zu ihr da.
„Warum nicht? Wir sollten so viel wie irgend möglich über dieses Schiff in Erfahrung bringen."
„Ach, und du glaubst, du kannst da einfach hinspazieren und es dir angucken? So dämlich bist du nicht, Jelena."
„Nenn mich nicht so."
„Bei deinem Namen?", fragte er lachend. „Zumindest stand der auf deinen Reisepapieren. Aber was heißt das schon? Benutzt dieser Tage überhaupt noch irgendwer unverfälschte Dokumente?"
Sie antwortete nicht und sank zurück auf den Boden. Jelena Aileen Jeckles. Für den Namen hatte sie sich immer ein wenig geschämt - er passte mehr zu einer grazilen Adelsfrau und nicht zu einem schmutzigen Grubenmädchen mit hervorstehenden Zähnen und schwarzen Fingernägeln.
In diesem Moment begannen die Glocken an sämtlichen Wachtürmen zu schellen. Ein melodischer Klang, der von den Winden nur noch mehr befeuert wurde.
Ghozzie löste sich von seinem Aussichtsposten und bot ihr eine helfende Hand an. „Du weißt, was das bedeutet?"
„Ein Vollstrecker ist in der Stadt", antwortete sie und ließ sich von ihm aufhelfen. „Die Zeit läuft gegen uns."
„Wer weiß? Dahinten kommt unser Mann."
Das Mädchen drehte den Kopf und versuchte durch die wehenden Ascheflocken zu sehen. Tatsächlich, im Wasser trieb ein schwarzer Schemen nah an der Küste umher.
„Komm mit", orderte ihr Begleiter knapp und sprintete eine kleine Steintreppe hinunter, über die sie zum Strand gelangten. Er lief das Ufer entlang und Jelly hatte Mühe Schritt zu halten. Fast sekündlich blieb einer ihrer Stiefel im feuchten Sand stecken.
Aus dem Schemen manifestierte sich nach und nach ein kleines Segelboot. Die Besatzung bestand nur aus fünf Mann, die an Seilen festgebunden der stürmischen See trotzten. Am Ruder festgezurrt stand Dotch, der es irgendwie schaffte seine gewünschte Route beizubehalten und sich mehr und mehr an den Strand schmiegte, bis das Schiff schließlich knarrend anlegte.
„Du bist spät dran", rief Ghozzie ihm zu und packte eins der Seile, um dabei zu helfen das Schiff gänzlich aus dem Wasser zu hieven.
„Wir mussten einen Umweg fahren", spuckte der alte Seeigel, wie er in seinen Kreisen genannt wurde, aus und schnappte sich ebenfalls eins der Seile. „Le-Zith' Bluthunde lauern inzwischen einfach überall!"
Schwer atmend standen die beiden Männer sich gegenüber, während die Besatzung begann zügig auszuladen.
„Aber du bist kaum hier, um dir mein Gemecker anzuhören. Was willst du, Junge?"
„Ich brauche ein Boot."
„Du kannst im Frühjahr gerne anheuern, falls du die Scheibchen nötig hast. Aber jetzt will ich erstmal ein Bier und meine nassen Eier am Feuer wärmen."
„Ich brauche dieses Boot. Jetzt."
Dotch musterte ihn beinahe belustigt. „Du bist ein fähiger Navigator, Ghoz. Also erspare ich mir die Mühe dir einen Vortrag darüber zu halten, wie unfassbar dumm es wäre, jetzt noch einmal auszulaufen."
„Leider haben wir keine andere Wahl."
Der alte Seeigel legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Aber ich habe sie. Und die Antwort lautet Nein."
„Mit dieser Antwort unterzeichnest du Cierians Todesurteil."
Die Hand auf der Schulter verkrampfte. „Der kleine Hosenscheißer ist noch am Leben?"
„Noch. Hörst du die Glocken?"
„Vollstrecker", spukte der alte Seeigel aus und seine grünen Seelenspiegeln loderten hasserfüllt auf.
„Vollstrecker", bestätigte Ghozzie und legte ihm seinerseits eine Hand auf die Schulter. „Niemand hat härter gegen Astrias Untergang angekämpft. Wir sind ihm diesen Versuch schuldig."
„Du willst den Kraken haben?" Dotch drückte seine flache Hand gegen das braun feuchte Holz, dessen Bauch mit unzähligen Muscheltrauben überzogen war und seufzte. „Altes Mädchen, außer dir könnte es niemand dadurch schaffen."
Die Glocken hallten immer noch als der gestandene Seefahrer seiner Mannschaft nach in eine der umliegenden Schänken folgte und nicht wagte zurückzublicken. Cierian Vale lebte - es hatte nie einen besseren Grund gegeben, um sich hemmungslos zu betrinken!
***
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