3. Unter der Erde
Oz schlug schmerzhaft mit dem Steißbein auf und hustete Sandasche hervor. Verwirrt ließ er seinen Blick wandern; er befand sich in einem langen sandsteinernen Tunnel, der spärlich von Kugellampen erhellt wurde, die ihn unregelmäßigen Abständen an den Wänden angebracht waren. Ein ausgeleuchteter Schmugglerpfad?
„Du siehst aus wie ausgekotzt, Kleiner", bemerkte eine ölige Stimme neben ihm belustigt und Oz' Pupillen weiteten sich vor Entsetzen. „Ich sagte doch, du sollst die Luft anhalten. Was ist los mit dir? Bist du schwachsinnig?"
„Du...?"
Oz kannte diese zwielichtige Gestalt, er hatte sie ungesehen nach Petyr eingeschleust und sich später als Vollstrecker entpuppt: der Schmuggler Etzgi.
Aber wieso? Was wollte er noch hier? Er hatte Cierian bereits in seiner Gewalt, warum sollte er sich die Mühe machen und nochmal zurückkehren? Außer... Ein unheimlicher Gedanke überwältigte den jungen Magiebegabten und verdunkelte einen Moment völlig seine Gedanken. „Bist du etwa im Auftrag meines Vaters gekommen?", hauchte Oz zaghaft und alles in ihm, jede Faser und jeder Muskel, spannte sich an.
Der Schmuggler bohrte nachdenklich mit einem Finger in seinem Ohr herum. „Dein Vater? Wer soll das sein?"
Oz schüttelte den Kopf über seine eigene Naivität, dann fiel ihm wieder ein, wie er hierhergekommen war, blickte hoch und sah die beiden Seile über sich aus der Sanddecke ragen. Eine Decke aus Sand, dessen körnige Substanz in stetiger Bewegung war.
Shae!
In diesem Moment landete die Attentäterin in gekauerter Haltung neben Oz und rollte sich sofort geschickt auf die Beine. „Gut, dass du hier bist", sagte sie an Etzgi gewandt. „Deine Schmugglerkenntnisse könnten nützlich sein."
„Könnten? Ich habe euch gerade eure süßen Arsche gerettet, verehrter klingender Tod. Ein bisschen mehr Dankbarkeit wäre schon angebracht", bemerkte der Schmuggler abfällig.
„Kyrie, Vorsicht! Dieser Körper ist nur eine Täuschung! In Wahrheit ist er...", versuchte der junge Magiebegate sie zu warnen, doch die Attentäterin vollführte einen ungeduldigen Handgelenkschlenker und ließ den Jungen überrascht verstummen.
„Bei den Sieben", zischte die valerische Frau dann kaltherzig. „Ich hatte gehofft, du würdest mit deiner Talentlosigkeit stark übertreiben... Denkst du ernsthaft, ich könnte keinen simplen Tarnzauber durchschauen? Was glaubst du wie viele Aufträge ich bekäme, wenn ich nicht einmal imstande wäre meine Opfer auseinanderzuhalten?"
Kopfschüttelnd blickte sie nach oben. „Und was ist überhaupt mit diesem Drachenmädchen los? Ich hatte ihr doch befohlen zu springen!"
„Shae", murmelte der junge Magiebegabte betroffen und sah erneut zu der Attentäterin. „Wir müssen doch irgendetwas tun können, um ihr zu helfen?"
„Sie könnte endlich ihren Starrsinn ablegen", schlug die Meuchelmörderin spöttisch vor und packte das Seil fest mit beiden Händen. „Auf Erwachsene hören, die mehr Erfahrung haben und wissen, wie man auf diesem ascheverseuchten Kontinent überlebt! Komm schon Junge, häng alles an Kraft rein, was du hast!"
Oz tat wie geheißen, schlang das herab baumelnde Seil stramm um seine Unterarme und legte sein komplettes Körpergewicht hinein. Minuten verstrichen und Oz' Angst wuchs. Was, wenn Shae erstickte?
„Was für ein zähes Mädchen", murmelte der Schmuggler derweil anerkennend. Er saß mit heraufgeschobener Schutzbrille auf einem Stein und stopfte sich seelenruhig die Pfeife. „Dieses Öl von mir, verstärkt den Treibsandeffekt nochmal um ein zehnfaches."
„Halt den Mund, Etz!", fauchte Kyrie zornig. „Ah, bei den Sieben! Komm da jetzt sofort raus!"
Der Attentäterin riss endgültig der Geduldsfaden. Sie kletterte kurzerhand ein Stück das Seil hinauf und steckte suchend ihren Arm in die sich bewegende Sanddecke. „Wo steckst du?!"
„Komm schon!", murmelte Oz, dessen Arme vom einschneidenden Seil langsam taub wurden. „Bitte!"
Und endlich - endlich - sah er einen weißen Schimmer aufblitzen. Kyrie packte sie an den Haaren und riss sie mit einem einzigen Ruck heraus. Ächzend schlug das Drachenmädchen auf den harten Sandsteinboden und schnappte gierig nach Luft.
„Shae! Zum Glück geht es dir gut!"
Erleichtert stolperte Oz ihr entgegen, doch Shae war bereits wieder aufgesprungen und fixierte feindselig den Schmuggler, der das ganze Spektakel interessiert verfolgte und an seinem Pfeifenstil paffte.
„Endlich!", brachte Shae vor Wut zitternd. „Endlich habe ich dich..." Doch auch sie konnte ihren Satz diesmal nicht beenden, die Attentäterin war auf sie gesprungen und presste das Drachenmädchen zu Boden. „Beruhige dich, kleiner Drache. Dieser Mann dort ist kein Vollstrecker, sondern ein Verbündeter. Und wir brauchen ihn, um uns in diesem Höhlenlabyrinth zurechtzufinden. Hast du das verstanden?"
„Geh runter von mir!"
Shae versuchte ihren Ellbogen hochzureißen, doch da war die Attentäterin bereits über sie hinweg gerollt und spottete: „Willst du das wirklich versuchen?"
Shaes Antwort bestand aus einem Tritt, der allerdings sein Ziel weit verfehlte. Doch so leicht gab sich der Drache natürlich nicht geschlagen.
Kyrie schaffte es spielend jeden ihrer Angriffe abzuwehren oder umzulenken. Oz hatte noch nie jemanden so kämpfen sehen, es erinnerte ihn fast an einen Tanz. Einen tödlichen Tanz, den Shae gerade deutlich überstrapazierte. Er musste etwas tun. Er hatte sich selbst geschworen, Shae zu beschützen, wenn Cierian es nicht länger konnte. Selbst wenn ihn sein Mentor für diesen Schwur vermutlich ausgelacht hätte...
„Kommt schon", sagte Oz deshalb und hob beschwichtigend beide Hände. „Wie können das doch auch auf andere weise klären..."
„Bleib weg", sagten die beiden Frauen wie aus einem Munde und nahmen jeweils ihre Kampfpositionen ein. Die Attentäterin beugte leicht das Knie und führte dann die Arme in einem leichten Kreis vor dem Bauch nach vorne, als würde sie einen unsichtbaren Ball zwischen den Fingerspitzen halten. „Das wird lustig", prophezeite Kyrie neckisch. „Ich wollte dir schon lange eine kleine Lektion in Sachen Kampfkunst erteilen."
Shae schnaubte bloß und ballte beide Hände zu Fäusten. „Du bist ein verrückter kleiner Wüstenskorpion, wenn du wahrlich glaubst, du könntest es mit einem Drachen aufnehmen..."
Das Drachenmädchen ging augenblicklich in den Angriff über, aber wieder schaffte die Attentäterin es mit einer einzigen fließenden Bewegung, diesen umzulenken und Shaes Faustschlag im Nichts münden zu lassen.
„So ungestüm", tadelte die Meuchelmörderin mit hochgezogener Braue. „So viel Kraft und so wenig Kontrolle darüber. Kein Wunder, dass Vale dich vom Kampfgeschehen fortgeschickt hat. Du wärst nichts weiter als eine Last für ihn gewesen."
„Sei endlich still!"
Ein weiterer Versuch, doch Kyrie spielte nur mit ihr, lockte den Drachen immer weiter in die blinde Rage hinein, während Oz hilflos danebenstand und einfach zusah. Er schämte sich für sein Verhalten, aber was sollte er anderes tun? Er besaß nicht die Fähigkeiten, um auch nur eine von ihnen zu stoppen.
Und dann ging es plötzlich sehr schnell - Kyrie wechselte blitzschnell in die Offensive und ließ eine schnelle Abfolge von Schlägen und Tritten auf ihre viel unerfahrene Gegnerin niederregnen. Jeder Angriff war ein Treffer und zwang Shae keuchend in die Knie.
„Tja, und so triumphierte der kleine Skorpion über den furchterregenden Drachen", flötete die Attentäterin zufrieden und wandte sich ab. „Genug gespielt. Wir müssen weiter."
Doch Shaes Rage war noch nicht erloschen und sie attackierte Kyrie rücklings - diese reagierte instinktiv und rammte dem Drachenmädchen mit voller Wucht ihre Ferse gegen das Kinn. Shaes Kopf knallte zurück und diesmal blieb sie liegen.
„Shae!"
Oz eilte zu ihr und berührte das am Boden liegende Mädchen sanft an der Schulter. „Shailiha, wach auf..."
Sie blinzelte ihn an und bewegte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kiefer. „Skorpionstachel tun ziemlich weh."
„Was hast du dir nur dabei gedacht?! Sie ist eine ausgebildete Attentäterin, ein Kind der Sünde! Selbst Vollstrecker meiden die direkte Konfrontation mit ihresgleichen!"
„Tse, nächstes Mal mach' ich sie platt."
„Nächstes Mal?", echote Oz geschockt. „Sie hat ja noch nicht einmal ihre Waffen gezogen..."
„Und ich habe weder Klauen noch Zähne eingesetzt. Es war ein fairer Kampf und ich akzeptiere meine Niederlage. Trotzdem werde ich es weiter versuchen."
„Kampfgeist hat die Kleine ja", grinste der Schmuggler zufrieden. „Also, wohin soll die Reise überhaupt gehen?"
„Wir müssen nach Osten", erwiderte Kyrie und fuhr sich beilläufig mit einer Hand durch ihre dunklen Locken, die mit feuchten Sandkörnern verunreinigt waren. „Nach Martym und einen Lichtbringer namens Ilja Eskil ausfindig machen."
„Ein Grenzdorf zu Le-Zith?", forschte Etzgi missmutig nach und blies kleine Rauchringe aus. „Ein riskantes Unterfangen."
„Führ uns nur aus diesen Tunneln, möglichst nah heran. Mehr verlange ich nicht."
„Wie du willst. Cierian Vale gilt erst seit einigen Tagen wieder als lebendig und schon bricht das totale Chaos aus. Aber was anderes konnte man wohl auch nicht erwarten", seufzte der Schmuggler und stemmte sich vom Stein hoch. „Na los. Bringen wir euch nach Martym, bevor Seine Exzellenz beschließt, dank der Dummheit eines einzigen Bändigers, ganz Valeria abzufackeln."
Und so setzten sie ihre Reise fort, wieder einmal verschollen im Labyrinth unterhalb Nemerits.
*
„Bist du Kyries Gesellschaft überdrüssig geworden?"
Vor ihnen in der Dunkelheit lehnten die Umrisse einer schattenhaften Gestalt am nackten Stein. Die Alchemisten hob die Laterne etwas und in dessen Schein erkannte sie ein feuriges Sünderrot, das unverwechselbare Erkennungsmerkmal von Petyrs Attentätersyndikat.
„Übermittle Vine Toivo eine Nachricht von mir", ging Kat gleich zum geschäftlichen Teil über. „Er soll mich in fünf Tagen in Je-Meran treffen."
„Das ist alles?"
Der Attentäter ließ die Scheibe springen, die Kat vor nicht einmal einem vollen Glockenschlag ins Sünderbecken geworfen hatte, die der Dieb problemlos auffing und zurück in seine Manteltasche schob. „Ganz wie du willst."
„Nein, warte", entfuhr es Jelly plötzlich und die junge Frau trat entschlossen einen Schritt vor. „Sag ihm noch etwas. Sag ihm, Cierians Leben hänge davon ab."
Das Kind der Sünde sah fragend zu seinem Auftraggeber und dieser deutete ein zustimmendes Nicken an. Anschließend stieß der fremde Attentäter sich von der Wand ab und machte sich an die Erfüllung seines Auftrags.
„Mir gefällt es nicht, wenn man sich ungefragt in meine Geschäfte einmischt", stellte der Dieb klar, als sie ihren Weg wiederaufnahmen.
„Dann hättest du unser Anliegen präziser herüberbringen müssen", entgegnete die Alchemisten nüchtern. „Du hast selbst gesagt, dass er dich nicht leiden kann. Warum sollte er sich dann die Mühe machen aufzutauchen, nur, weil du ihn darum bittest?" Sie schüttelte den Kopf. „Dieser Plan grenzt auch so schon an Wahnsinn, ohne einen fähigen Protektor, haben wir nicht die geringste Chance."
„Oh, er wird kommen", prophezeite Kat ihr düster, mit einer Gewissheit, die sie ehrlich überraschte.
„Wie kannst du dir da so sicher sein?", forschte Jelly deshalb verwundert nach und kräuselte skeptisch die Haut auf ihrem Nasenrücken.
„Weil ich derjenige bin, der um dieses Treffen bittet. Toivo weiß ganz genau, dass ich es jederzeit vorziehen würde in flüssiger Lava zu baden, anstatt ausgerechnet ihm einen Gefallen schuldig zu sein. Da ich es dennoch tue, lässt ihn wissen, wie wichtig die Angelegenheit ist. Deshalb wird er kommen."
Die Alchemisten ließ diese Worte auf sich wirken. Wieder einmal hatte sie Vorschnell gehandelt. Ganz egal wie wahnwitzig dieses Vorhaben war, dieser Dieb würde es nicht durchziehen, wenn er glauben würde es bestehe keine Chance auf Erfolg. Er hatte in Sekundenschnelle ihre missliche Lage analysiert und das Beste herausgeholt. Welches Recht hatte sie also, seine Vorgehensweise anzuzweifeln?
Das Recht eines gesunden Menschenverstandes, schoss es ihr durch den Kopf. Er ist ja nicht der erste Mann, dessen Schläue dich aus dem Konzept gebracht und dich unvorsichtig werden ließ. Genauso war es mit Emerald, oder? Und was hat es dir eingebrockt? Mit Steinwürfen haben sie dich aus deiner Heimat vertrieben, nachdem er dir die Schuld am Einsturz untergeschoben hat. „Lass niemals jemanden anderen für dich denken, Jelly", hatte Wonder ihr immer mit einem verschmitzten, bärtigen Lächeln gesagt. Bei dem gutmütigen Grubengräber handelte es sich nur um eines der Opfer, der ihr schandhaftes Versagen gefordert hatte. Sie hätte die Mischung selbst vornehmen müssen, hätte die Stangen selbst platzieren und anzünden sollen. Niemals hätte sie einem Grafen aus Le-Zith' ihr Vertrauen schenken dürfen. Das war dumm und so ein gravierender Fehler durfte sich niemals mehr wiederholen. Sie hatte jedes Recht, an ihren Mitmenschen zu zweifeln. Auf diesem ascheverseuchten Kontinent, war Verrat ein allgegenwärtiger Verbündeter.
„Wohin jetzt?", fragte der Dieb, nachdem sie eine Verzweigung mit zwei neuen Höhlenöffnungen erreicht hatten. Das Mädchen schloss die Augen und roch.
„Nach links", entschied sie und streckte die Laterne in Richtung der Öffnung. Er war viel schmaler als sein Vorgänger und sie würden wohl gezwungen sein, ein Teilstück gebückt zurückzulegen.
„Erschnüffelst du etwa den Weg?"
„Ich erschnüffle chemische Zusammensetzungen", antwortete sie. „Je näher wir dem unterirdischen Hafen kommen, desto klarer wird die Luft."
„Klarer? Ich rieche keinen Unterschied", gestand der Dieb ein.
Jelly zuckte die Schultern. „Ich schon."
Insgeheim erwartete sie sofort eine instinktive Abneigung ihr gegenüber. Alles, was anders war, war schlecht, diese Erkenntnis hatte sie schon früh erlangt. Es war immer ratsamer, sich der Masse anzupassen. Das schuf weniger Probleme.
„Faszinierend."
„Was?"
„Das ist sehr faszinierend", wiederholte Kat und warf ihr über die Schulter einen flüchtigen Blick zu. „Ein menschlicher Spürhund - vielleicht solltest du dich als Kopfgeldjägerin versuchen. Wäre bestimmt ein gewaltiger Vorteil in diesem Milieu."
„So etwas bekomme ich nicht oft zu hören."
Sie lief geduckt, um sich nicht den Kopf zu stoßen - was mit dem frisch geschienten Arm kein Zuckerstückchen war. Sie wünschte, sie hätte eine härtere Kopfbedeckung, als die abgetragene Lederkappe und richtige Arbeiterhandschuhe, anstatt den durchlöcherten Wollhalblingen. Mehr als einmal strich sie unsanft gegen eine Steinkante - vermutlich würde sie später mit blauen Flecken und pochenden Beulen übersät sein.
„Was hörst du dann?", fragte der Dieb leichthin.
„Meistens sowas wie: Behalt deine götterlosen Fähigkeiten gefälligst für dich und verpiss dich."
Der Dieb lachte kratzig auf. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen."
Allmählich begann den Weg abzufallen und sie drangen immer tiefer unter die Erdoberfläche. Hier unten, wo Landesgrenzen keine Rolle mehr spielten und die unterirdischen Seenlandschaften alles miteinander verbanden, wie das letzte Aufbegehren der Natur, dass sie daran erinnern wollte, dass sie nur einen gemeinsamen Kontinent besaßen. Was sie gleichermaßen mit Trauer und Zuversicht erfüllte. Menschen, Drachen, Magier - so sehr unterschieden sich die einzelnen Spezien doch gar nicht voneinander. Fein, die einen konnten Feuerspucken und Fliegen und wieder andere waren dazu in der Lage, mit der Verbindung aus Wissenschaft und Magie Erstaunliches zu kreieren - aber war es wirklich das, was am Ende zählte? Wenn die Sieben es ihr vergönnten und sie zur Greisin heranreifte, worauf würde sie zurückblicken wollen? Auf ein Leben voller Erfindungen und Wunder, die allerdings nichts als weitere Zerstörung und Leid hervorgebracht hatten? Würde sie allein in ihrem Labor auf die Gnade des Todes warten, während vor dem Fenster weiter unaufhörlich die Asche fiel?
Nein. Lieber verfolgte sie den Plan eines möglicherweise größenwahnsinnigen Diebes, um einen ohne Frage sehr speziellen Bändiger aus dem eisigen Griff Le-Zith' zu befreien.
Nach der nächsten Biegung sahen sie endlich Licht. Jelly atmete erleichtert auf. Ihre Nase hatte sie nicht enttäuscht. Nur noch ein paar Schritte und sie gelangten in eine Höhlensteinhalle vom Ausmaße von 80 Metern Länge, 40 Metern Breite und über 90 Metern Höhe, dessen Grund von glasklarem Wasser bedeckt wurde. Ein behelfsmäßig gezimmerter Steg ragte ins Wasser und verwitterte Holzdielen umringten den See. An den Wänden waren entflammte Glaslaternen befestigt und warfen gespenstische Reflektionen auf die spiegelglatte Wasseroberfläche.
„Eine Überfahrt nach Süden kostet sechs Silberscheiben pro Kopf, nach Norden acht", verkündigte ihnen eine große, schlaksige Gestalt, die gerade dabei war eine Ladung Holzfässer aus einem länglichen Boot zu wuchten und anschließend über den Steg in eine der Nebenhöllen rollte, die wohl als eine Art Lagerhalle zweckdienlich umgewandelt wurde.
„Halblinge sieht man dieser Tage selten", bemerkte Kat, der ihn schweigend bei seiner schweißtreibenden Arbeit beobachtete. Der halb Shinji, halb Rejkya zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Ihr könnt auch auf einen anderen Fährmann warten, nur könnte das eine Weile dauern."
„Zeit ist ein Luxus, den wir momentan nicht haben", antwortete der Dieb bestimmt und schritt ihm gemächlich entgegen. „Und die Herkunft meines Kapitäns ist mir gleichgültig, solange er uns in die Toten Winkel eines Sturms navigieren kann."
„Bitte was soll ich machen?", fragte der Fährmann und musterte Kat wie einen Geistesgestörten.
„Hallo Ghoz", mischte Jelly sich in die Unterhaltung ein und trat ins Licht der ihr nächstgelegenen Kugellampe. „Tut mir leid, das ist auf meinen Mist gewachsen. Aber mir blieb keine andere Wahl. Wir benötigen deine... besonderen Talente."
„Ach ja?", fragte dieser nur und gab dem letzten Fass einen heftigen Tritt mit, sodass es das letzte Teilstück von selbst rollte und mit deinem dumpfen Poltern gegen ein von Jellys Standort nicht sehendes Hindernis schlug. „Und warum genau sollte ich das tun, Fräulein Jeckles?"
„Weil...", die Alchemisten blickte zögernd zu Kat und fuhr dann unschlüssig mit der Zungenspitze über ihre hervorstehenden Schneidezähne. Wie viel von ihrem Plan sollten sie so ohne weiteres preisgeben?
„Du lernst schnell", sagte der Dieb anerkennend und schob gleichzeitig seine Schutzbrille hoch. „Aber ich denke, bei dieser Mission müssen wir mit offenen Karten spielen."
„Du bist Kat Laer", entfuhr es dem Fährmann beinahe ehrfürchtig. Kats verschiedenfarbigen Iriden waren fast in jedem Winkel des Kontinents bekannt. Zumindest in den Winkeln, die ihm Schatten lagen und wo illegale Geschäfte getätigt wurden. „Der Meisterdieb?"
„So wie ich hier stehe", antwortete Kat trocken.
„Tja, wen immer du auszurauben gedenkst, hör auf den Rat eines fähigen Navigators und zieh es erst nach der Sturmzeit durch", betonte Ghozzie genervt und wandte sich ab. Das Licht der Gaslaternen warfen lange Schatten auf seine schmuddelige Kleidung und dunkle Haut.
„Das ist leider unmöglich", seufzte Kat.
„Dann viel Glück auf dieser Selbstmordmission. Wollt ihr jetzt einen Transport zur nächsten Stadt oder nicht?"
„Du weißt nicht, was auf dem Spiel steht", wand Jelly ein. „Hier geht es um keinen gewöhnlichen Raubzug, nicht um Profit oder Ansehen. Diese Sache ist bedeutend."
„Ach ja?", fragte Ghozzie wieder vollkommen unbeeindruckt. „Was ist denn daran so verdammt bedeutend? Wen wollt ihr beklauen, hm?"
„Ezra Harlyn", antwortete Kat ernst.
„Was? Wer ist denn so bescheuert und überfällt einen Vollstrecker?"
„Wir", bestätigte der Dieb, dem weiterhin ungläubig dreinblickenden Fährmann, worauf dieser scharf die Luft einzog.
„Aber warum verdammt? Was genau wollt ihr ihm abnehmen, was ihr dermaßen verzweifelt braucht?"
Schweigen.
„Bevor ihr einen Krieg beginnt, solltet ihr wissen, wofür ihr kämpft, oder?", knurrte Ghozzie und schritt angespannt den verwitterten Steg entlang zu einer pechschwarzen, im Wasser ruhenden Gondel.
„Hoffnung", erwiderte Jelly ruhig. „Das bisschen, was wir noch herauskratzen können aus dieser aschebesudelten Erde."
Ghozzie verdrehte die Augen. „Hoffnung? Die einzige Hoffnung, die wir hatten, liegt irgendwo in den Trümmern von Astria begraben."
Vielleicht war es Einbildung, aber Jelly glaubte bei diesen Worten echten Schmerz aus seiner Stimme herauszuhören. Ein Schmerz, den nur jemanden empfinden konnte, der vor langer Zeit gewagt hatte zu hoffen und bitterlich enttäuscht wurde.
„Schätze dann müssen wir einen anderen Navigator für diese Mission auftreiben", überlegte Kat und warf dem Fährmann einige glänzende Scheibchen zu. „Nach Je-Meran."
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