17. Seelenspaltung
Fassungslos starrte Toivo dem Jungspund nach, der gerade bereitwillig in diese Höllenflut gesprungen war, um ... ehrlich gesagt hatte er keine Ahnung, was Ghozzie überhaupt damit bezwecken wollte. Nun gut, er hatte anderes worüber er sich Gedanken machen musste.
Der Schleuderer dieser Harpune hatte nämlich begonnen, seinen Fang einzuholen. Das Seil spannte und ließ das Deck splittern. Viele Angriffe dieser Art würde der Kraken, wie Ghozzie diese Nussschale liebevoll nannte, nicht standhalten. Ihm blieb keine andere Wahl als seine Reserven anzuzapfen, die er sich eigentlich für die Rückkehr seines ehemaligen Schülers und des Diebes aufsparen hatte wollen. Nun, zumindest bei Kats Anteil hatte er keine wirklichen Gewissensbisse. Dieser Dieb sabotierte ihn nämlich schon seit dem Moment ihrer ersten Begegnung.
Er schloss die Augen und formte einen Zauber, ein blauleuchtendes Schild erstrahlte und wölbte sich über das komplette Schiff, durchtrennte außerdem das Seil der Harpune und bot Schutz vor weiteren Angriffen. Zumindest für eine kleine Weile.
Komm schon, Vale. Ich weiß, dass du genug Schläue besitzt, um Ezra auszutricksen. Du musst nur aufhören vor deiner eigenen Machtquelle Angst zu haben und ihr volles Potenzial ausschöpfen, überlegte Toivo frustriert.
Weitere Wurfgeschosse regneten vom Himmel herab und prallten gegen den von ihm errichteten Schutzwall. Er musste den Zauber immer wieder erneuern und stabilisieren - denn jeder gewirkte Zauber hielt nur einer einzelnen Attacke stand und zerbrach anschließend. Eine beginnende Schwärze schlich sich in sein Blickfeld, seine Machtquelle pulsierte freudig. Einzig sein eiserner Wille hielt ihn noch aufrecht, während sein Körper immer schwächer wurde. Und dann spürte er ihn wieder - der sich um Jelly befindende Zauber flackerte sanft in seinem Bewusstsein auf. Sie kam näher. Wieder krachte ein Geschoss in seinen Zauber und zerbarst in Hunderte kleine Metallsplitter, gleichwohl auch der Zauber in seine Einzelteile verfiel. Der alte Magier sank auf die Knie, er fühlte sich wie ein benutzter Lappen, aus dem man selbst noch das letzte Tröpfchen Magie gewunden hatte. Keuchend stützte er sich mit den Händen auf, während weitere Harpunen ihre Widerhaken ungehindert im Schiff versenkten. Wieder spürte er den Schildzauber des Mädchens, der sie mit seiner Machtquelle verband.
Steh sofort auf, alter Mann, befahl er sich stumm. Du kannst nicht von deinem ehemaligen Schüler erwarten sich mit einem ganzen Kontinent anzulegen, wenn du selbst es nicht einmal mit diesem Schrotthaufen aufnehmen kannst!
Also stand Toivo mühsam auf und nach zwei vergeblichen Versuchen, konstruierte er ein neues Abwehrschild, gleichzeitig tastete er nach Jellys Schildzauber und zog daran, spürte wie der Abstand zwischen ihm und dem Zauber zusammenschrumpfte und lächelte verschmitzt.
»Toivo!«
Der Magier eilte zur Reling und spähte hinunter. Ghozzie und Jelly trieben dort im Wasser.
»Halt dich gut an ihr fest!«, schrie der Protektor und ließ das Schild über sich zerbrechen. Höchstkonzentriert riss er an seinem Zauber und versuchte sie zu sich an Deck zu hieven. Doch seine einstmals unerschöpfbaren Energiereserven waren zu einem kümmerlichen Schatten verblasst.
Hierfür würde er all seine gebündelte Kraft benötigen. Wenn er sie retten wollte, musste er jenes Schild zerstören, dass sie an das feindliche Schiff band, doch dann war diese Rettungsmission gescheitert und Cierian verloren. Was sollte er tun?
»Tu doch etwas!«, hörte er Ghozzie voller Verzweiflung brüllen. »Schnell, Jelly stirbt sonst! Sie ist schwer verletzt!«
Der Magier schloss die Augen. Es gab nur eine richtige Entscheidung.
Verdammt richtig, du alter Narr!
Hinter seinen geschlossenen Lidern konnte er ihn ganz deutlich erkennen - so als würde er direkt vor ihm stehen. Die beiden brauchen deine Hilfe, worauf wartest du noch?
»Wenn ich sie aus dem Wasser ziehe, besiegle ich deinen Tod«, flüsterte er leise in seinen Bart.
Du behauptest doch immer mein Schicksal sei unausweichlich. Ganz egal welche Irrwege ich noch einschlage, am Ende werde ich seiner Exzellenz in der letzten Schlacht gegenüberstehen. Wenn das wirklich mein Schicksal ist, wird mich ein kleiner Vollstrecker wohl kaum aufhalten können ...
»Toivo!«
»Ich hasse es, wenn er sich in mein Unterbewusstsein schleicht ... und dann auch noch meine eigenen Worte auf hinterlistigste Weise gegen mich verwendet.«
Toivo löste den Zauber und der Sturm brach herein. Das Boot wurde sofort fortgerissen, weg von dem feindlichen Schiff und den Harpune-schleudernden Angreifen, weg von ihren Verbündeten.
Nun, da er sich allein auf einen Zauber fokussierte, hatte er genug Macht, um die beiden Körper bis über die Reling zu wuchten. Beide schlugen kraftlos auf. Aber während das Mädchen reglos liegenblieb, rappelte der Navigator sich auf und rannte wie von Sinnen zum Steuerrad, um sie zurück auf Kurs zu bringen. Doch es würde nichts nützen, sie konnten nicht mehr umkehren.
Der Magier eilte zu dem Mädchen hin und schnallte sie beide fest, bevor eine der nächsten auf sie niederfahrenden Wellen die Gelegenheit bekam, sie von Bord zu wischen. Als er nach Jellys Puls tastete, spürte er kaum noch Leben in ihr. Ihr rechter Arm war in einem schrecklichen Zustand, die Harpune war ihr glatt durch Fleisch und Sehnen gedrungen. Für einen Protektor war er ganz gut in Heilmagie, aber bei diesem schweren Blutverlust ... würde es reichen?
Toivo schloss die Augen und begann zu tasten.
Dank Kats in Kopf angelegter Karte, kamen sie relativ zügig voran. Das Problem war Morias bewusstloser Körper, der jederzeit aufwachen und Alarm schlagen konnte ... Oder eine Wache stolperte über ihn oder hundert andere ungünstige Varianten traten ein! Es war zum Verzweifeln ...
Wenigstens kooperierte der Bändiger endlich - mit allem möglichen Komplikationen hatte Kat gerechnet, aber nicht damit, dass sogar seine eigene Existenz angezweifelt wurde! Wie konnte er Vale von seiner Echtheit überzeugen, wenn Ezra dazu in der Lage war, jeden seiner Gedanken zu manipulieren? Wer weiß wie viele Trugbilder er seit seiner Gefangenschaft bereits durchleiden hatte müssen? Ein niemals endender Strom aus brutaler Hoffnungslosigkeit und kalter Realität. Dem hatte er nichts entgegenzusetzen, er musste einfach hoffen, dass Vale dem Plan weiterfolgte, selbst wenn er dachte, alles geschehe bloß in seinem Kopf.
Endlich erreichten sie den Durchgang, in dem sich Juseppos Küche befand. Nur noch knapp zehn Minuten bis zur Detonation.
Er riss die Tür mit dem Durchblick auf und sah ... einen Anblick des Grauens. Ein Massaker.
Überall klebte verschmiertes Blut, an der Kochstelle, den Wänden, es tropfte sogar von der Decke. Und auf dem Tisch, von duzenden seiner eigenen Kochutensilien aufgespießt, lag Juseppo. Die Gliedmaßen grotesk verdreht und die Augenhöhlen leer - ausgekratzt mit einem Löffel, in dem noch ein Rest des Augapfels schwamm.
»Ihr habt euch ja endlos Zeit gelassen«, tadelte eine Stimme vom anderen Ende des Raums aus. Ezra saß dort mit zusammengefalteten Händen auf einem Stuhl und musterte die Neuankömmlinge interessiert.
Doch der Dieb konnte den Blick kaum von der Leiche des Kochs abwenden. Das war allein seine Schuld ... er hatte ihm dieses schreckliche Ende angetan!
»Kat«, sagte Vale mahnend. Aber nichts drang mehr zu dem Dieb durch - um diesen Kontinent vor Le-Zith' Schreckensherrschaft zu befreien, war er bereit gewesen all seine Menschlichkeit aufzugeben und ein Monster zu werden. Ein Monster, welches diese unschuldige Seele verschlungen hatte.
»Kat! Kat!«
Jemand schüttelte ihn heftig. Der Dieb blinzelte und sah sich irritiert um. Er und Vale waren nicht mehr in der Küche ...
Er lehnte an der Stahlwand eines Korridors und zu seiner rechten sah er die Treppe, die hinauf an Deck führte.
»Wie ...?«
Er verstand nicht. Wie waren sie hierhergekommen, was war mit Ezra geschehen?
»Kat, sieh mich an!«, verlangte der Magier fordernd und drückte seine Hände fest auf seine Schultern. »Du warst in Ezras Bändigung gefangen, aber Hier und Jetzt ist die Realität!«
»Was? Unmöglich ...«
»Doch, glaub mir ... Alles, was du glaubst erlebt zu haben, seit du dieses Schiff betreten hast, geschah nur in deinem Kopf. Du bist niemals weiter vorgedrungen wie bis zu dieser Stufe hier.«
Kat hörte die Worte, aber verstand immer noch nicht. Also war Vale nicht derjenige, der die Realität verkannt hatte, sondern er selbst wurde von Anfang an manipuliert? War das überhaupt möglich?
»Ich weiß, dass das sehr viel für dich ist - und wenn wir es hier lebend rausschaffen, werde ich es dir erklären, aber du musst mir jetzt vertrauen, in Ordnung?«
»Woher weiß ich, dass du nicht Ezra bist, der gerade mit meinen Gedanken spielt?«
Das würde viel mehr Sinn ergeben. Jemand hatte Moria entdeckt und Ezra über Vales Verschwinden informiert und jetzt war er gekommen, um sie aufzuhalten. Er stand ihm in der Kochkabine direkt gegenüber und hatte keine Chance sich gegen den mentalen Angriff zu verteidigen. Viel wahrscheinlicher als ... das. Oder? Ist das hier wirklich oder bilde ich es mir ein? Verdammt!
»Du weißt es nicht«, gab der Bändiger zu. »Du musst mir vertrauen.«
Jetzt verstand Kat, warum Vale seine Existenz dermaßen angezweifelt hatte. Es gab keine Möglichkeit die Wahrheit von der Lüge zu trennen ...
»Wenn du der bist, der du behauptest zu sein und ich nicht bis zu dir durchdringen konnte, wie konntest du dann fliehen?«
»Ich bin Cierian Vale, ich mach ständig Dinge, die für andere unmöglich sind.«
»Nicht überzeugend genug ...«, befand der Dieb und riss ruckartig den Obsidandolch aus seiner Halterung und drückte dem Magier anschließend die Klingenseite an die Kehle.
»Wirklich?«, fragte Vale müde. »Das hatten wir doch schon ... Davon abgesehen, wenn du wirklich in einer von Ezras Bändigungen gefangen wärst, existiert dieser Dolch in deiner Hand genauso wenig wie ich. Kat denk nach, dachtest du wirklich, du könntest dermaßen unbehelligt auf ein Schiff gelangen, dessen Besitzer eines der mächtigsten Wesen unter dem ewig grauen Himmel ist? So naiv bist du nicht!«
»Wie bist du entkommen?«, wiederholte Kat seine Frage. »Du musst dich schon etwas mehr anstrengen, um mich zu überzeugen!«
»Dafür fehlt uns die Zeit! Ich kann Ezra nicht ewig in die Irre führen!«
»Lass die Ausreden und beantworte meine Frage! Wie bist du entkommen?!«
»Seelenspaltung!«, spie der Bändiger regelrecht aus. »Ich habe meinen Geist in zwei Hälften gerissen - so konnte er immer nur einen Teil von mir in die Irre führen, während mein zweites Ich von dem Zauber unbehelligt blieb - so war ich in der Lage einen halbwegs klaren Kopf zu behalten und mir einen Fluchtplan zu überlegen. Da meine Wärter mich für ein willenloses Frack gehalten haben, war es auch nicht besonders schwer sie zu überlisten; ich schaffte es, einen Gedanken im Kopf eines Wärters einzupflanzen und wartete geduldig, bis dieser heranreifte. Doch dann registrierte ich plötzlich deine Anwesenheit auf dem Schiff und wenn ich dich bemerkt hatte, wusste Ezra es ebenfalls. Mir blieb keine Wahl - ich musste sofort fliehen und Ezra ungehindert in deine Gedanken eindringen lassen, damit er keinen Verdacht schöpft ... Um ehrlich zu sein, war dein überraschendes Auftauchen sogar entscheidend für meinen Fluchtversuch - du hast Ezras Aufmerksamkeit erfolgreich von mir weggelenkt. Aber lange wird das nicht mehr funktionieren.«
»Du hast ... deine Seele zerrissen?«
»Ja, unangenehme Sache ... Aber mir blieb keine andere Wahl. Anders hätte ich mich nicht schützen können.«
Kats Gedanken wirbelten durcheinander. War das wirklich die Wahrheit? Zugegeben, jetzt klang es nicht mehr ganz so abwegig ... dennoch ... Die eigene Seele zerreißen ... Von so einem abartigen Zauber, hatte er noch nie gehört. Andererseits hatte Vale nicht unrecht, er war wirklich dafür bekannt, selbst das Unmögliche zu schaffen. Er hatte es ganz allein gegen mehrere Drachen und Vollstrecker aufgenommen und dennoch überlebt. Niemand sonst konnte das von sich behaupten. Sollte er ihm also blind vertrauen?
»Er war so überzeugend«, entglitt es ihm plötzlich. »Diese andere Version von dir – die, die ich gerettet habe. Er sagte Dinge, Dinge die sich Ezra niemals hätte selbst ausdenken können ...« Dinge die sich tief in die eigene Seele fraßen und dort einen Funken Hoffnung entfachten.
»Weil er in meinem Kopf war, Kat. Er hat jeden Winkel meiner Seele durchforstet, kennt jeden Gedanken, den ich jemals gedacht habe. Er will dich manipulieren und verunsichern, lass es nicht zu!«
In diesem Moment kippte die Realität erneut - der Vale direkt vor ihm war wieder verschwunden und er blickte erneut auf den Leichnam des verunstalteten Kochs hinab.
»Ich sollte dir danken, Kat Laer«, sagte der Vollstrecker an ihn gewandt, beugte sich auf seinem Stuhl ein Stückchen vor und legte bedachtsam die Fingerkuppen aneinander. »Jetzt kann ich meinem Meister nicht nur den wohl lästigsten Rebellen aller Zeiten aushändigen, sondern auch zwei der Einflussreichsten - wie umsichtig von dir persönlich herzukommen und sogar noch Vine Toivo mitzubringen. Umsichtig und unfassbar dumm. Dachtest du wirklich, du hättet auch nur die geringste Chance gehabt, dich hier unbemerkt einzuschleusen?«
Er lachte amüsiert auf.
Was soll das?!, dachte Kat verzweifelt. Hatte Vales Bändigung seine kurzzeitige Abwesenheit geschickt überspielt oder wollte Ezra ihn nur verwirren, in dem er so tat als wäre nichts gewesen? Was sollte er jetzt tun?
Kat suchte den Blick des anderen Bändigers. Des Bändigers, der seine Existenz so entschieden anzweifelte.
»Bist du langsam mal fertig?«, wandte dieser sich nun an den feindlichen Vollstrecker. »Komm schon, Harlyn - wir wissen beide, was hier gerade gespielt wird. Tu mir den Gefallen und beende dieses Schmierentheater doch endlich, dessen Lächerlichkeit diesmal wirklich alle Grenzen überschritten hat!«
Der Vollstrecker musterte ihn aufmerksam. Kat konnte es zwar durch den hochgeschlagenen Kragen, der seine untere Gesichtshälfte vollkommen verdeckt hielt, nicht sehen, aber er würde auf alle Sieben Sünden schwören, dass sich in diesem Moment ein diabolisches Lächeln formte. »Du weißt es nicht«, murmelte Ezra fasziniert.
»Was weiß ich nicht?!«, fauchte Vale übellaunig zurück.
»Das dies gerade wirklich geschieht ... Sieh an, der begabteste Bändiger unter dem ewigen Aschehimmel ist nicht mehr dazu imstande Wirklichkeit und Illusion voneinander zu unterscheiden.«
»Hör auf mit dem Blödsinn! Als würde ich glauben, dass ausgerechnet Kat ...« Er brach ab und starrte den Dieb entsetzt an. »So ist es doch, oder? Du kannst es unmöglich wirklich sein!«
»Natürlich bin ich es wirklich, dass versuche ich dir doch die ganze Zeit zu sagen«, entgegnete Kat gereizt. Vielleicht war es besser das Spiel eine Weile mitzuspielen, irgendwo musste es einfach einen Anhaltspunkt geben, wie er diesen Bann durchschauen konnte. Eine kleine Unaufmerksamkeit, ein winziger Hinweis, der die Lüge enttarnte ...
»Aber ... wieso? Wieso solltest du so viel riskieren, um mich zu retten?«
»Weil wir dich noch brauchen«, antwortete Kat bestimmt und ließ bei diesen Worten erneut seinen Obsidandolch in seine linke Hand rutschen. »Und jetzt zu dir, Harlyn Ezra. Selbst wenn du diesen Fluchtversuch verhindern konntest, wird dir das rein gar nichts nutzen! Du warst in meinem Kopf, richtig? Dann weißt du ja bereits was meine Verbündeten planen und dir bleibt keine Zeit mehr, um sie davon abzuhalten! Die Bomben sind platziert und werden in wenigen Minuten detonieren - dieses Schiff und seine Besatzung ist dem Untergang geweiht!«
»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher. Meine Untergebenen werden mir Toivo bringen, und den Rest der Mannschaft auf den Grund des Meeres befördern.«
War das wirklich so? Bei den Sieben, zwischen den Kampf zweier Bändiger zu geraten, war wirklich das Verworrenste, was ihm je widerfahren war. Schon sehr lange hatte Kat sich nicht mehr so hilflos gefühlt.
»Langsam wird es Zeit dich zurück in deine Kabine zu geleiten, Cierian Vale. Und da du dies ohnehin für ein Trugbild hältst, kann ich doch auf deine Kooperation vertrauen? Denn wenn nicht, muss dieser Dieb wohl das gleiche bedauernswerte Schicksal wie der Koch dort drüben erleiden. Willst du wirklich mitansehen müssen, wie ich einen deiner Verbündeten vor deinen Augen in Stücke reiße?«
Vale stand einfach nur da und sagte nichts.
»Sehr schön.«
Der Vollstrecker erhob sich und strich beiläufig seinen hochgeschlossenen Mantel glatt. »Ich weiß, dass du mich im Moment noch als deinen Feind ansiehst, aber nach deinem Fall wirst du Dinge verstehen, die du davor nie für möglich gehalten hast ... Alles wird dann einen Sinn ergeben.«
»Nur wird er nicht fallen«, behauptete Kat und stellte sich zwischen den Vollstrecker und den Magier. »Nicht bevor er seine Schuld bei mir beglichen hat.«
»Du machst dich lächerlich, Laer. Normale Sterbliche können sich nicht mit Kräften wie den unsrigen messen. Dein kleines Messerlein wird dir nichts nützen.«
»Vielleicht. Aber es wird dich lange genug aufhalten, bis wir entkommen sind.«
Der Vollstrecker lehnte den Kopf schief und betrachtete den Dieb voller Verwunderung. »Entkommen? Wie enttäuschend, den Gerüchten nach zu schließen, die über dich kursieren, hätte ich dich für klüger gehalten ... Aber meinetwegen, wenn du darauf bestehst, versuch es ruhig und greif mich an.«
»Warum sollte ich mir die Mühe machen und ein Trugbild attackieren?«, entgegnete Kat verächtlich. Ihm blieb keine andere Wahl mehr, er musste alles auf eine Karte setzen.
»Was?«
»Du denkst vielleicht Vale und ich stehen unter deinem Bann, aber es ist genau andersherum - du bist derjenige, der Wirklichkeit und Illusion nicht mehr unterscheiden kann!«
»Kat Laer - hast du etwa bereits den Verstand verloren?«
In diesem Augenblick detonierte die Bombe.
Von der Druckwelle erfasst, wurden sie alle drei ruckartig von den Füßen gerissen und schlugen unsanft gegen die Metalllegierung des Schiffs. Ihre Zeit war abgelaufen, die Mission gescheitert, doch zumindest würden sie nicht allein in den Tiefen des Meeres verschwinden. Ezras Tod war teuer erkauft, aber vielleicht hatte Vale ja recht, solange es noch reine Seelen gab die überlebten, hatte dieser Kontinent noch eine Chance auf Erneuerung. Der Dieb sah erneut zu dem leblosen Körper des Kochs hinüber, den die Wucht ebenfalls vom Tisch geschleudert und der nun mit grotesk abstehenden Gliedmaßen an der gegenüberliegenden Wand hinabrutschte, eine Spur scharlachroten Bluts hinter sich herziehend.
»Wie hast du das eben gemeint?!«
Der Bändiger kroch neben ihn und sah ihn beunruhigt an.
»Sag du es mir, du hast doch bereitwillig deine Seele zerrissen, um Ezra zu täuschen.«
»Meine Seele zerrissen ... wovon redest du da bloß? Ich meine, theoretisch wäre es möglich, aber ...« Vale stockte und sein Blick entrückte. Kat war es inzwischen egal, er sah weiter auf die klebrige Blutspur an der Wand. So viel Blut klebte bereits an seinen schmutzigen Händen. Ein Teil von ihm war fast erleichtert, dass es so endete. Dass es überhaupt endlich endete.
»Wie kann dieses Stück Scheiße es wagen ...«, murmelte der Vollstrecker derweil und tastete nach der Platzwunde an seinem Kopf. Blut rann ihm zwischen den behandschuhten Fingern hindurch und tropfte zähflüssig zu Boden. »Dafür lasse ich dich durch alle Sieben Höllen fahren, Kat Laer!«
»Dort werden wir ohnehin gleich landen«, erwiderte der Dieb ungerührt. »Wir alle drei zusammen.«
»Meine Seele zerrissen ...«, murmelte Vale vor sich her und schaute weiter ins Leere. »Wirklich genial ... Wenn ich das wirklich getan habe, habe ich es vor diesem Teil meiner Seele natürlich verheimlicht, damit Ezra, während er mit diesem Teil meiner Seele spielt und wir fliehen können, keinen Verdacht schöpft.«
»Trotzdem haben wir es nicht in der vorgegebenen Zeit geschafft«, erinnerte Kat ihn finster. Ganz langsam neigte sich das Schiff etwas ab, Besteck und andere Utensilien folgten der Schwerkraft und klirrten über den Boden.
»Aber das bedeutet auch, dass wir gerade nicht hier sind, Kat! Nichts davon passiert wirklich!«
»Ach ja?«
Plötzlich war es ihm gleichgültig. Er war es so leid, selbst wenn er überlebte, würde der zermürbende Krieg gegen den herrschenden Wahnsinn einfach weitergehen, mit jedem Tag fielen mehr Magier und schlossen sich Le-Zith an, während die Rebellion ihr inneres Zerwürfnis nicht überwinden konnte, sich nach und nach selbst in Stücke riss. Weil es niemanden gab, der sie von innen heraus einte, keine Lichtgestalt, die sie durch die Dunkelheit lenkte.
Wieder riss etwas in ihm und seine Realität veränderte sich erneut. Ascheregen klatschte ihm schmerzhaft ins Gesicht, hinter ihm befand sich die geöffnete Tür, die ins Schiffsinnere hinabführte und die heftig umher schlackerte und beinahe aus der Verankerung sprang. Gleich neben ihm stand Vale, mit geschlossenen Augen hatte er ihm zwei Finger auf die Stirn gelegt und schien irgendeinen Zauber auf ihn auszuüben. »Gut, du bist zurück«, sagte er sichtlich erleichtert und ließ die Hand sinken. »Dummerweise weiß meine andere Seelenhälfte jetzt von der Abspaltung, also weiß es Harlyn ebenfalls.«
»Selbst wenn, die anderen sind bereits weg - wir sitzen in der Falle.«
»Wie inspirierend dein Optimismus auch sein mag, Kat. Kampflos gebe ich mich nicht geschlagen! Ich habe meine Seele nicht gespaltet, um mich selbst zu retten, ich brauchte Zeit, um mich zu regenerieren, um es mit Harlyn aufnehmen zu können. Letztes Mal hatte ich kaum noch Kraft übrig, aber diesmal bin ich besser vorbereitet.«
»Dort vorne sind sie!«
»Und wie ich sehe, hat er seine Bluthunde bereits von der Leine gelassen.«
Am Bug des Schiffes erwarteten sie zwei von Ezras Untergebenen, jeder von ihnen hielt eine Stahlharpune umklammert: Schlächter. Magier, dessen Spezialisierung es war, ihre physischen Kräfte für einen gewissen Zeitraum um ein Vielfaches zu erhöhen.
»Bleib dicht hinter mir«, meinte der Bändiger an den Dieb gewandt. Die Höhe des Schiffs schützte sie zwar weitgehend vor der Zerstörungskraft des Wassers, aber der immer weiter wütende Stürm schränkte sowohl seine Beweglichkeit als auch sein Sichtfeld drastisch ein. Die Sieben hätten ihnen keine schwereren Gegner auferlegen können, mit ihrer physischen Steigerung waren sie hier eindeutig im Vorteil. Die erste Harpune jagte auf sie zu, ähnlich wie Kyries Sichelklingen, blieben diese speziellen Wurfgeschosse durch ein schlankes Tau mit ihren Besitzern verbunden - sobald sich die Widerhaken in ihren Opfern verkeilt hatten, war man gefangen.
Dieb und Magier reagierten instinktiv und rollten sich jeweils zur anderen Seite ab, schlitterten über die nasse Asche.
Die Harpune hatte es nicht geschafft sich in den Boden des Schiffs zu bohren, hinterließ dafür allerdings eine ziemlich tiefe Kratzspur darauf. Kat ließ den Obsidandolch in seine Hand rutschten und schleuderte ihn in Richtung des gespannten Seils. Die Klinge streifte haarscharf die Fasern und verschwand dann in der Dunkelheit.
Kat verfehlte eigentlich nie sein Ziel - doch sein Kopf schwindelte noch von der Bändigung. Das Schiff senkte sich weiter ab. Vielleicht hatte Vale ja recht, wenn sie ohnehin versanken, konnten sie genauso gut kämpfend untergehen.
࿇࿇࿇
Soo ... dieses Kapitel war vielleicht next Level verwirrend😂🙈😵💫
Was meint ihr, sind wir jetzt in der Realität angelangt oder ist auch dieser Kampf nur Illusion? War ein bisschen fies, dass ich diese Konfrontation aus Kats Sicht geschrieben habe, da er ohne Magie keine Chance hatte durch dieses Chaos zu blicken, aber ich wollte euch Lesern mal einen kleinen Einblick geben wie es ist, als Nicht-Magier in einen Kampf zwischen Bändigern zu geraten und wir wollen ihnen die Flucht ja nicht zu einfach machen😵💫🤝😆
Danke, dass ihr auch weiterhin dabei seid und bis hoffentlich ganz bald🖤
Cat~
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