12. Aufklärender Himmel
Direkt unterhalb des Dorfes begann eine felsige Graslandschaft. In Shae brodelte eine solche Wut, dass sie nicht einmal darüber nachdachte, wohin es sie verschlug.
Ascheregen peitschte ihr unentwegt ins Gesicht und der Wind trieb sie ziellos umher.
Wenn ich nur stärker wäre, dachte sie verzweifelt, wenn ich nur etwas härter gegen Cierians Bändigung angekämpft hätte ... ich hätte ... ich hätte bei ihm sein müssen. Ich sollte jetzt bei ihm sein ...
Irgendwann hatte sie vollkommen die Orientierung verloren. Ständig blieben ihre mit Wasser vollgesaugten Stiefel zwischen den Felserhebungen stecken oder versanken im aufgeweichten Gras.
Schließlich gab sie den Kampf auf, sank in die Hocke, umarmte sich selbst und schluchzte hemmungslos, teils aus Wut und Frustration über ihre eigene Schwäche, teils aus purerer Verzweiflung heraus. So saß sie einige Minuten still und wiegte sich selbst. Doch dann hörte der Regen einfach auf. Etwas hatte sich schützend über sie gespannt, ein sehniger, sich krümmender Flügel.
Erschrocken blickte sie auf und starrte den Drachen an. Er war der Gewaltigste, der ihr bisher begegnet war und besaß ein schwarzblau glänzendes Schuppenkleid.
„Guten Abend", grüßte er freundlich.
Shae schwieg. Sie war eindeutig im Nachteil, also was sollte diese hohle Geplänkel? Wollte er sich zunächst genüsslich an ihrer Angst ergötzen oder einfach mit seinem Opfer spielen?
„Was willst du?", fragte sie deshalb äußerst herausfordernd.
„Nun, dein Schluchzen war so herzzerreißend, dass ich nicht anders konnte, als mal nach dem Rechten zu sehen."
„Ja, natürlich", knurrte Shae angewidert, „weil Drachen sich auch so um das Wohlergehen von Menschen scheren."
„Dieser schon."
Shae kniff die Augen zusammen und versuchte eine böse Absicht in den seinen zu erkennen; aber diese leuchteten in einen warmen Orange.
Er meinte es ernst. Nichts an ihm ließ irgendetwas anderes als echte Besorgnis erkennen. Und aus irgendeinem Grund, machte sie das unfassbar traurig.
„Warum weinst du?"
„Ich weiß nicht", murmelte Shae, selbst erschrocken und wischte sich mit dem Ärmel über die nassen Augen. „Ich hatte nur aufgehört zu hoffen, dass es noch andere gibt wie mich."
„Noch andere?"
„Drachen, die nichts außer Hass für die Menschen im Herzen übrighaben. Denen es nicht egal ist, wenn Unschuldige, egal welcher Spezies, leiden."
„Oh meine Liebe, es gibt sogar einige Drachen, die nicht mit Shikas und Le-Zith' Ansichten übereinstimmen." Seine Stimme knisterte wie fast erloschene Glut. „Die meisten ziehen es nur vor, sich nicht in die herrschende Politik einzumischen. Wir Drachen haben einiges mitgemacht in den letzten Jahrzehnten. Viele wollen einfach nur in Frieden ihren Lebensabend verbringen und unser Nachwuchs ... na ja, jeder junge Drache will sich im Kampf beweisen. Der Mensch als Feindbild kommt da ganz gelegen."
„Aber das ist falsch!", entschied Shae energisch. „Schlimmer noch, die Verleugnung der eigenen Überzeugungen, richtet einen irgendwann zur Grunde. Es ist ein Verrat an der eigenen Seele!"
„Wohl wahr. Trotzdem kann ich die Entscheidung meiner Artgenossen verstehen, nicht jeder möchte wie ein Ausgestoßener am Rande seiner Heimat leben müssen."
„Das passiert, wenn man im Reservat seine eigene Meinung äußerst?"
„Und schlimmeres", bestätigte der fremde Drache seufzend. „Aber genug von meinem erbärmlichen Schicksal, du hast vorhin etwas Interessantes erwähnt, wie genau hast du das gemeint: Noch andere wie mich?"
Shae zögerte und musterte ihn misstrauisch. Der Drache wartete geduldig ab. Und schließlich, als würde ein innerer Damm in ihr brechen, erzählte sie ihm ihre Geschichte. Sie berichtete ihm von ihren ersten Erinnerungen aus der Steingrotte und von Cierians plötzlichen Erscheinen dort. Wie sie ein Hütedrache wurde und wie glücklich sie in dieser Zeit gewesen war. Dann wurde es schwerer die richtigen Worte zu finden; Pockets Tod und der Angriff auf Regis. Von den Sturmbrechern, die alles niederbrannten. Dem Begräbnis ihrer Schafe und den Aufbruch ins Unbekannte. Von der Reise, von Oz und Toivo. Von den weiteren Drachenangriffen und schließlich von der Verwandlung.
„Deshalb bin ich hier", murmelte sie geknickt. „Um eine Möglichkeit zu finden meine alte Gestalt wiederzuerlangen, um Cierian aus den Fängen eines Vollstreckers zu befreien. Aber der Lichtbringer, der den Zauber wirken sollte, braucht womöglich noch Wochen um den Zauber auszuarbeiten. So viel Zeit habe ich aber nicht, verstehst du? Deshalb bin ich so verzweifelt ..."
Der Drache hatte schweigend zugehört, nur als sie von den Sturmbrechern erzählte, hatte er sie unterbrochen, um einige Nachforschungen anzustellen. Jetzt sah er sie einfach nur an.
„Du bist ein Drache", sagte er schließlich.
Sie nickte abwesend.
„Nein, du verstehst nicht, du bist ein Drache. Unserer Art ist nicht auf die Magie anderer angewiesen. Sie her!"
Er zog seinen Flügel zurück und stieß sich kräftig vom Boden ab. Innerhalb von Sekunden hatte ihn die Asche verschlungen und Shae suchte verwirrt nach einem Zeichen von ihm den Himmel ab. Was hatte er vor?
Plötzlich wurde der Wind immer heftiger, ein Tornado zog auf und umwirbelte sie. Sie war gefangen, mitten im Zentrum. Bei genauerem Hinsehen, erkannte sie den Drachen, der innerhalb des Luftstromes seine Kreise zog, sich perfekt einfügte, als wäre er ein Teil davon.
Dann schoss er aufwärts und breitete die Flügel aus. Eine gigantische Aschewolke stob auf und beraubte dem Drachenmädchen einen Moment ihrer Sehkraft. Heftig blinzelnd blickte sie dennoch empor und als die Asche schließlich zurückwich sah sie ... einen vollkommen aufgeklartes, hellblaues Stück Himmel.
Der Drache landete zufrieden vor ihr und atmete tief und entspannt. „Ist es nicht wunderbar? Wenigstens ein paar Atemzüge ohne Asche in dieser grässlichen Sturmzeit."
„Ich finde unsere Art hat nicht unbedingt das Recht sich über die Asche zu beschweren", murmelte Shae weiterhin verstimmt, wenn auch beeindruckt. „Immerhin sind wir der Grund für dieses Phänomen."
„Du redest vom Großen Feuer? Zugegebenermaßen, keine Glanzleistung unserer Art, keine Frage. Aber du musst auch unsere Vorfahren verstehen, wir Drachen standen kurz vor der Ausrottung und ein Bündnis mit Le-Zith und der damit verbundene Nationenkrieg war unser einziger Ausweg aus dieser Misere. Es war unsere Rettung."
„Unsere Rettung?", wiederholte Shae ungläubig und schüttelte den Kopf. „Was für eine Rettung soll das sein, die uns in eine ewige Knechtschaft zwingt, an einen Wahnsinnigen kettet, der uns nötigt ganze Städte abzufackeln und unsere Herzen mit Lügen vergiftet?"
„Du bist noch sehr jung", argumentierte der Drache und blickte hinauf zu dem Stückchen blau, „und Verurteilungen gehen die noch so leicht von der Zunge." Die ersten grauen Schleier hatten sich bereits wieder darübergelegt. Lange würde es nicht mehr dauern, bis der Aschesturm erneut einsetzte. Bis die Welt um sie herum erneut im Dunkeln versank.
„Vielleicht hast du recht. Vielleicht haben wir unser Vertrauen in den falschen Magier gesetzt. Genau deshalb solltest du nicht denselben Fehler begehen, wie ich dir bereits sagte, du bist nicht auf die Magie anderer angewiesen. Du bist Magie."
„Wie meinst du das?"
„Weißt du wie ich den Sturm auflösen konnte?"
„Nein, wie?", fragte Shae wissbegierig.
„Ich habe daran geglaubt und es geschehen lassen. Mehr war nicht nötig."
Shae musterte ihn mit gerunzelter Stirn. Erste Ascheflocken glitten sanft auf sie herab. „Ich soll einfach daran glauben, dass ich meine alte Gestalt wiedererlange und dann passiert es? Einfach so?!"
„Einfach so", bestätigte der Drache leicht amüsiert.
„Unsinn! Ich wünsche mir bereits seit Wochen nichts sehnlicher und trotzdem ist nichts dergleichen passiert!"
„Aber du hast dich vollkommen auf die Hilfe eines anderen verlassen, anstatt an dich selbst zu glauben. Darf ich dich etwas fragen?"
Das Mädchen gab ein zustimmendes Knurren von sich.
„Erinnerst du dich noch an deinen ersten Flug?"
„Natürlich", erwiderte Shae erstaunt über diesen vollkommen überraschenden Themenwechsel. „Es war ... befreiend. Endlich hat sich etwas richtig angefühlt."
„Aber warum hast du es überhaupt getan, woher wusstest du denn, dass du fliegen kannst? Niemand hat es dir gesagt und du hast keinen anderen deiner Art je fliegen sehen. Warum also hast du eines Tages einfach deine Flügel ausgebreitet und bist aufgestiegen?"
„Weil ich es einfach wusste, tief in mir drin."
„Du wusstest gar nichts. Aber du hast daran geglaubt. Genauso verhält es sich mit der Magie. Wenn du nicht daran glaubst, wird es nicht funktionieren. Wenn du es tust, wirst du zu erstaunlichem fähig sein."
Shae dachte eine Weile darüber nach. Warum war sie sich damals eigentlich so sicher gewesen, sie könnte fliegen, als sie vollkommen angstfrei von dieser Klippe gestürzt war? Jetzt, wo sie so darüber nachsann, kam ihr das seltsam vor.
„Du denkst zu sehr darüber nach, was sich in dir verändert hat", riss sie der Drache aus diesem Gedankenfluss und das Mädchen blickte zu ihm auf. „Doch diese veränderte Form ist nur äußerlich. In dir glüht immer noch das Feuer, du musst es nur etwas anheizen. Glaube an dich."
Als wäre das so einfach, dachte sie mürrisch. In diesem Moment setzte der Ascheregen wieder in voller Stärke ein und der kleine blaue Fleck am Himmel war erloschen.
„Ich muss gehen", sagte der Drache, der ebenfalls zu den dunklen Wolken emporblickte, trübsinnig. „Es war mir eine Freude dich kennenzulernen ..."
„Shae", half sie ihm nach kurzer Pause weiter und er beugte sich ein Stück zu ihr herunter. „Es war mir eine Freude dich kennenzulernen, Shae. Mein Name ist Benji. Ich hoffe du findest einen Weg, um deinen Freund zu helfen. Eines Tages sehen wir uns vielleicht wieder und können unsere Unterhaltung unter angenehmeren Bedingungen fortsetzen."
Schweigend beobachtete sie, wie er die kräftigen Flügel ausbreitete, um erneut in der Asche zu verschwinden. Nur das er diesmal nicht zurückkehren würde. Sie war allein.
Nun ... fast.
„Hier steckst du also."
Die Attentäterin manifestierte sich aus dem Sturm. Im Gegensatz zu Shae, trug sie festsitzende Schutzkleidung. „Mit wem hast du da geredet?", erkundigte sie sich argwöhnisch und ging vor ihr in die Hocke. Sie verströmte den ihr typisch anhaftenden Geruch nach Eisen, Wüstensand und bitteren Kräutern.
„Niemandem", antwortete Shae ausweichend. Die Begegnung mit Benji behielt sie lieber für sich - Kyries Abneigung gegenüber ihren Artgenossen hatte sie keineswegs vergessen.
Die Attentäterin zögerte zunächst, vermutlich war ihre Unaufrichtigkeit mehr als offensichtlich, aber dann schüttelte sie nur den Kopf und meinte: „Komm, lass uns zurückkehren. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, Oz in der Gesellschaft dieses Lichtbringers alleinzulassen. Hier."
Sie hielt dem Drachenmädchen deren zurückgelassene Schutzbrille entgegen. Shae betrachtete sie einen Augenblick. „Die brauch ich nicht länger", entschied sie und stand auf. Wie sollte sie jemals ihre Kräfte erwecken, wenn sie sich weiterhin wie ein Mensch verhielt? Drachenaugen konnten durch diesen Sturm sehen, Benji konnte es. Und sie musste es auch lernen.
„Ele berte ji-nawi", seufzte sie in einer fremden Sprache und schob die Brille zurück in ihre Tasche.
„Beeilen wir uns."
„Sind die Schnallen wirklich notwendig?", fragte Oz schüchtern. Der Lichtbringer antwortete nicht und fuhr mit seinem Vorhaben fort, den Jungen an den Stuhl zu schnallen und ihm dadurch jegliche Bewegungsfreiheit zu rauben.
Oz Hände zitterten heftig und sein Herz galoppierte in der Brust. Er wünschte, Cierian wäre hier. Ein absolut egoistischer Wunsch, wie ihm vollkommen bewusst war. Der Bändiger hatte wahrscheinlich gerade weitaus Schlimmeres auszustehen und würde sich vermutlich seiner Erbärmlichkeit wegen sogar schämen. Komm schon, Oz, versuchte er sich deshalb selbst Mut zuzusprechen. Du bist Cierian Vales Schüler. Mach deinem Meister keine Schande und beherrsche dich!
„In Ordnung", sagte Eskil und trat einen Schritt zurück, um sein Werk zu betrachten. Oz saß auf einem einfachen Lehnstuhl, den der Lichtbringer allerdings etwas modifiziert hatte; schwere Lederschnallen spannten sich um seine Arme, Beine und Brust. Nur seinen Kopf sowie die Spitzen von Zehen und Fingern konnte er noch nach seinem Willen bewegen.
„Wie fühlst du dich?"
„Beengt", antwortete Oz und versuchte die immer weiter aufsteigende Panik in seiner Brust unter Kontrolle zu halten.
„Witzig, wenn da nicht der Einfluss deines Meisters aus dir spricht", bemerkte der Lichtbringer mit angezogener Braue zynisch. „Ich werde dir jetzt die weiteren Schritte erklären; diese Flüssigkeit ..."
Er zog eine gläserne Phiole aus seiner vorderen Schürzentasche, dessen Inhalt im flackernden Kerzenlicht dunkelviolett glänzte. „... wird dich in einen tranceähnlichen Schlaf versetzen. Du wirst gewaltsam in den tiefsten und dunkelsten Winkel deiner Seele gezogen, direkt hinein in deine Machtquelle. Von da an bist du auf dich allein gestellt. Kein Zauber oder Trank kann dich von dort zurückholen, du musst es aus eigener Willenskraft schaffen. Du musst dich gegen deine Verdorbenheit behaupten und sie kontrollieren lernen. Bereit?"
Nein, dachte Oz furchtsam und nickte. Der Lichtbringer entfernte den Korken mit einem leisen Plop und setzte ihm das Fläschchen an die Lippen. Der Junge trank. Es schmeckte nicht so widerwärtig wie er erwartet hatte, etwas bitter womöglich und leicht abgestanden.
Er leerte die Phiole bis zum letzten Schluck und wartete gebannt. Nichts geschah.
Ob der Trank bei ihm keine Wirkung zeigte? Kurz flackerte so etwas wie Erleichterung in ihm auf, doch dann kam die Dunkelheit.
Er befand sich in einer absolut schwarzen Leere, immer noch an den Stuhl gefesselt und atmete schwer.
Von überall und nirgends hörte er plötzlich eine Stimme. Jemand sang ein ihm vertrautes Kinderlied. Vor sich in der Leere tauchte ein weißes Himmelbett auf, an dessen Kante eine Frau mit langen dunkelroten Haaren saß und ihrem Kind vorsang. Die Unschuld dieser Erinnerung trieb ihm die Tränen hoch und sein Hals schurrte sich zu. Er hatte diese Erinnerung schon lange weggesperrt. Demnach musste er dem Abgrund seiner Seele sehr nah sein.
Auf einmal regnete es Funken. Glühende Feuerfunken, die, sobald sie mit dem Stoff in Berührung kamen, entflammten. Zunächst waren es noch kleine friedliche Feuerblüten, doch schon bald schlugen die Flammen wütend um sich und fraßen sich hungrig durch die Laken.
Er wusste was als nächstes passieren würde. Diese Erinnerung hatte er noch tiefer als die vorherige vergraben, im hintersten Winkel seiner Seele versteckt.
Der Gesang der Frau verstummte und wurde von einem markerschütternden Schrei abgelöst. Ein Schrei so entsetzlich, verursacht durch reinen Schmerz, der entsteht, wenn Hitze einen menschlichen Körper malträtiert und nichts als einen unförmigen glühenden Klumpen aus geschmolzenen Fleisch und verbrannten Knochen zurücklässt.
Das Bett hatte sich aufgelöst, nur die dampfende Feuergestalt war geblieben und kroch ihm mühsam entgegen. Haut- und Fleischfetzen hingen an ihr herunter wie geschmolzenes Wachs. Ihr Haar war zum Großteil verbrannt und die Hälfte ihres ehemals so schönen Gesichts zeigte nun blanken Knochen. Nur die smaragdgrünen Augen erinnerten noch an ihr altes Antlitz.
Er konnte nicht fliehen, saß immer noch gefesselt da und starrte sie mit weitgeöffneten, entsetzen Augen an. Er zitterte am ganzen Leib und Tränen liefen ihm warm über die Wangen.
Kurz bevor die Gestalt ihn erreichte, eine weiße Skeletthand tastete suchend nach ihm in der Dunkelheit, erstarrte sie plötzlich. Ein unangenehmer Wind kam auf und fuhr ihm kalt unter die Kleider, zerzauste ihm das Haar.
Die Gestalt löste sich in Asche auf und verflog. Fast im selben Moment sprangen die Schnallen auf und er war frei. Unsicher erhob er sich von dem Stuhl und wagte ein paar Schritte ins Dunkle. Sollte hier nicht seine Machtquelle auf ihn warten, begierig darauf, ihn endgültig zu verschlingen?
Stattdessen stand er vor dem absoluten Nichts.
Was hatte das zu bedeuten? Hatten sein Bruder, Kaena, Toivo und selbst Cierian sich grauenhaft vertan und er war am Ende gar kein Magiebegabter? Natürlich würde das einiges erklären - wie sollte er eine Verbindung zu etwas aufbauen, was gar nicht existierte?
In der Vergangenheit hätte er alles für diesen Irrtum gegeben, für ein normales Leben, aber jetzt? Wenn er kein Magiebegabter war, konnte er nicht länger Cierians Schüler bleiben - und welchen Nützen hätte er dann für die Gruppe? Er konnte das nicht kompensieren wie Kat mit seiner Gerissenheit, Jellys Schläue oder Kyries Kampferfahrung. Er würde einfach das bleiben was er schon in den letzten gemeinsamen Wochen gewesen war: Ballast.
Er schluckte schwer und sah sich um.
Davon abgesehen ... wie sollte er es je wieder hier herausschaffen, wenn hier doch nichts außer absoluter Finsternis herrschte? Wohin sollte er gehen?
Unschlüssig stand er da als auf einmal violetter Schleim aus mehreren Stellen des Bodens emporquoll.
War sie das etwa? Die wahre Form seiner Machtquelle?
Die Schleimpfützen schwappten erschreckend schnell auf ihn zu und verbanden sich auf ihren Weg zu einer einzigen wabbelnden Masse. Er hatte nicht einmal die Zeit um zurückzuweichen, so rasch wurde er eingekreist. Er stand still da und beobachtete den Schleim mit angehaltenem Atem. Was sollte er jetzt tun? Er wünschte wirklich, Eskil hätte ihm ein paar präzisere Anweisungen gegeben ...
Vielleicht ist es ratsamer ihm nicht gleich beizubringen den gesamten Kopf in seine Verdorbenheit einzutauchen, erinnerte er sich plötzlich an Cierians allererste Lektion zurück. Er könnte ja nur mal einen blanken Zeh in die Asche stecken ...
Einen blanken Zeh. Na gut.
Vorsichtig zog er Stiefel und Socke aus, hob sein Bein und schwebte einen Augenblick mit nackter Sohle über dem Schleim.
Es kostete ihn einiges an Überwindung den Fuß sinken zu lassen und die Zehen einzutauchen.
Nichts passierte.
Natürlich nicht, schalt er sich für seine eigene Dummheit. Er hat es nicht wortwörtlich gemeint ...
Er wollte den Fuß schon zurückziehen, als ein Schleimfaden plötzlich emporschoss und sein Handgelenk umklammert hielt. Erschrocken taumelte er, immer noch auf einem Bein stehend, um sein Gleichgewicht zu halten. Weitere Fäden schossen hoch und klammerten sich an ihm fest. Er wollte sie abschütteln, aber es gelang ihm nicht; immer mehr Fäden umwickelten ihn und schlossen ihn in einen Kokon, der langsam aber stetig abwärts sackte ...
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