5. 𝓜𝓮𝓲𝓼𝓽𝓮𝓻 𝓾𝓷𝓭 𝓢𝓬𝓱ü𝓵𝓮𝓻
Ungläubig blieb Cierian stehen, da sich plötzlich etwas in sein Blickfeld stahl, was dort absolut nichts zu suchen hatte. Ein Wagen, mit einer dunkelblauen Plane überspannt, stand verlassen mitten auf der Wiese vor seiner Hütte. Ein dickes geschecktes Pony graste unweit davon in der Asche.
Und plötzlich machte sich ein furchtbar übles Gefühl in seiner Magengegend bemerkbar. Irgendwas an dieser Situation kam ihm verstörend vertraut vor ... und schließlich hörte er auch, warum.
»Ihre lieblichen Glöckchen läuteten fröhlich!
Betörend wie, ähm, Röschen an einem taufrischen Taaag.
Oh könnte ich nur bei meinem Blümchen verweilen,
doch die Musik treibt mich fort, fort, fort ... so weit!«
Kein anderes irdisches Wesen würde jemals so verletzend schiefe Töne von sich geben ... Keines.
Cierian ging ums Haus und erblickte einen leuchtend weißen, beschuppten Hügel, der sich gemeinsam mit weiteren hellen Wollflecken im Gras niedergelassen hatte und andächtig einem alten, abgemagerten Mann lauschten, der voller Inbrunst an seinem Folterinstrument zupfte.
Sein Haar war ergraut und strubbelig, genau wie sein Bart. Über den knochigen Schultern hing ein mit unzählig bunten Flicken bestickter Mantel, der ihn augenscheinlich als Schausteller und Scharlatan zu erkennen gab. Doch vor diesem recht fragwürdigen Berufswechsel war dieser Mann der wohl hochangesehenste und zugleich gefürchtetste Magiekundige dieses Kontinents gewesen. Natürlich, wenn man von Ihrer Schattenexzellenz selbst einmal absah.
Der Name des Mannes lautete Vine Toivo. Und er hatte Cierian alles gelehrt, was es über die Verdorbenheit der Magie zu wissen gab, und welche Teile davon man besser bewusst ignorierte.
Ein letzter, langgezogener schiefer Ton schallte durch die Luft und die Folter verstummte.
»Cierian Vale!«, rief er begeistert seinen vollen Namen aus. »Junge, da bist du ja endlich!«
Toivo legte die Langhalslaute beiseite und stapfte freudestrahlend zu ihm hinüber. »Ich dachte bisher immer, du könntest Drachen nicht leiden. Und nun das! So eine reizende junge Dame.«
Wum.
Cierian legte extra einen Tropfen Verdorbenheit in den Schlag, damit er seinem ehemaligen Mentor trotz möglicher Schutzzauber auf jeden Fall das Nasenbein zertrümmerte. Und dies gelang ihm auch vorzüglich - ein hässliches Knacken erfüllte sein Herz mit der so dringend benötigten Genugtuung. Leuchtend rotes Blut spritzte in die Asche.
»Ah«, sagte der Straßenmusiker gelassen und drückte sich mit zwei Fingern die blutende Nase ab. »Das habe ich wohl verdient, huh?«
»Du bist einfach abgehauen!«, knurrte Cierian erzürnt und ballte die Hände.
»Natürlich. Die Schlacht war verloren. Nur ein Irrer wäre geblieben. Was gut ist, weil es ihm Umkehrschluss bedeutet, dass mich der Wahnsinn trotz meines hohen Alters immer noch nicht erwischt hat«, behauptete der Ältere kichernd in seine blutüberströmte Kinnbehaarung hinein.
»Ein offensichtlicher Irrtum. Sonst wärst du kaum hier«, betonte Cierian überzeugt und versuchte seine hochgekochte Wut wieder unter Kontrolle zu bringen. Er durfte nicht ständig die Beherrschung verlieren; das war gefährlich. Nicht nur für seinen Verstand, sondern auch für alle anderen atmenden Wesen in seiner unmittelbaren Umgebung.
»Wir müssen reden«, behauptete Toivo und der Schalk verschwand aus seiner Stimme.
»Wir haben nichts zu besprechen.«
»Die Welt braucht dich.«
»Die Welt kann mich getrost an den Eiern lecken«, erwiderte Cierian unbeeindruckt und verschränkte stur die Arme vor der Brust.
Toivo stieß einen langgezogenen Seufzer aus und ließ von seiner augenscheinlich nicht mehr gebrochenen Nase ab. »Na schön, vielleicht haben wir uns geirrt, und du bist es nie gewesen. Aber die Anzeichen waren da, du hättest unser aller Erlöser sein können. Nun, Fehler passieren. Prophezeiungen sind schwer zu deuten. Aber diesmal bin ich mir sehr sicher, den Einen gefunden zu haben. Apropos, dir macht es doch sicher nichts aus, wenn ich hier auf deinen ›Ersatz‹ warte?«
»Meinen was?«, forschte Cierian daraufhin misstrauisch nach. Sicher hatte sein ehemaliger Mentor wieder einmal irgendeinen hirnrissigen Plan ausgeheckt. Und irgendwie hatte er schon jetzt das miese Gefühl, einen unfreiwilligen Part darin spielen zu müssen.
»Er müsste jeden Moment hier aufschlagen«, überlegte Toivo laut und fummelte eine kleine Taschenuhr aus seiner schmuddeligen Westentasche hervor. Das Gehäuse erinnerte an schweres valerisches Silber und auf dem Zifferblatt waren kleine quadratische Bergkristalle eingelassen. Toivo behauptete gerne, dass es sich um ein Geschenk einer valerischen Priesterin handle, deren Liebhaber er einmal vor Jahrzehnten gewesen sein wollen war - doch zufällig wusste Cierian, dass diese billige Imitation einem an jeder heruntergekommenen Straßenbude entlang der südlichen Grenze zu einem Spottpreis nachgeschleudert wurde.
»Es gibt Gaststätten in Regis«, klärte Cierian seinen ehemaligen Mentor mürrisch auf. Das Letzte, was er nach diesem Tag gebrauchen konnte, war ein unliebsamer Gast unter seinem Dach. Er bevorzugte eine Flasche Bourbon und ein heißes Bad für sein Seelenheil. Davon abgesehen hatte er mit diesem ganzen Prophezeiungsschwachsinn längst abgeschlossen. Als würden ausgerechnet ihre grausamen Götter den Bewohnern Nemerits einen unbesiegbaren Retter schenken. Unfassbar, dass er in seiner jugendlichen Naivität überhaupt jemals daran glauben hatte können, dieser eine Retter zu sein. Aber zu seiner Verteidigung, bei seinem ehemaligen Mentor handelte er sich um ein manipulatives Schwein, der es weder als problematisch angesehen hatte ein halbes Kind zur Gallionsfigur einer Rebellion zu machen, noch ihn dann in der alles entscheidenden Schlacht allein im Flammenmeer zurückzulassen, um seinen eigenen faltigen Hintern zu retten.
»Sehe ich so aus, als hätte ich nur ein müdes Scheibchen bei mir?«, fragte Toivo nur augenzwinkernd.
»Sehe ich so aus, als würde ich eine Wohlfahrt betreiben?«
»Großartig! Ein bisschen Tee würde die Wartezeit natürlich versüßen.«
Cierian öffnete den Mund, doch kein Laut wich aus seiner Kehle hervor. Ein inneres Beben ließ all seine anderen Sinne schlagartig erliegen.
»Ist das die Person, die du zu treffen beabsichtigst?«, fragte Cierian angespannt. Es gab zwei Optionen. Manchmal, wenn Magiebegabte kurz vor dem Erwachen standen, schickten sie unbewusst kleine Energiewellen aus, damit andere Magiekundige sie leichter aufspüren und vor sich selbst erretten konnten. Vorerst. Doch diese Welle war nicht klein.
»Nein«, erwiderte Toivo scharf.
Also handelte es sich wahrscheinlicher um die zweite Option. Drachen. Magiewesen, deren Magiestrom so stark war, dass er aus jeder Schuppe ihres Körpers quoll.
»Shae«, rief Cierian alarmiert, »versteck dich!«
Das hatten sie in den vergangenen Wochen mehrmals für den Ernstfall geprobt, jedoch reagierte sie diesmal kein bisschen wie im Training. Statt in den angrenzenden Wäldern Schutz zu suchen, sprang sie geradewegs über die Hütte hinweg und riss einige gelockerte Holzbretter herunter, die sich ungeschickt in ihren Krallen verfingen.
Cierian tauschte einen besorgten Blick mit Toivo aus und stürzte los. Er hatte es noch nicht einmal ganz um die Ecke geschafft, da realisierte er das Ausmaß der Scheiße schon, in der sie sich befanden.
Drei Sturmbrecher, mit jeweils einer Spannweite von über sechs Metern, verdunkelten den südwestlichen Horizont.
»Da sind Drachen!«, japste Shae und schlug erregt mit den Flügeln, wodurch sie einen Schwall Asche aufwirbelte. »Die ersten anderen, denen ich jemals begegnet bin!«
»Das ist gar nicht gut«, murmelte Toivo dicht hinter ihm. In seinen eisblauen Seelenspiegeln zeigte sich kurz ein Anflug von echter Besorgnis. »Ich dachte, wir hätten noch etwas mehr Zeit ...«
»Du wusstest davon?«, fragte Cierian ihn vorwurfsvoll und kräuselte die Stirn.
»Ich habe Asche in meinen Träumen gesehen«, entgegnete Toivo. Eine kleine Pause entstand. »Jedoch ... sehe ich auch jedes Mal Asche, wenn ich morgens die Augen aufschlage, deshalb ...« Er kratzte sich ungelenk am Kinn.
Toivos Prophezeiungen waren stets wie eine zweischneidige Klinge. Anders als ausgebildete Seherinnen, konnte er nur einen Bruchteil einer möglichen Zukunft in seinen Träumen erkennen – und schon öfter hatte sich in Cierian der Verdacht geregt, dass sein Mentor bei diesen Einblicken gerne genau das sah, was er zu sehen beabsichtigte.
»Sind die unseretwegen hier?«
»Ja und nein.«
»Präzise wie immer?«, spottete Cierian. Die Schatten schwebten mühelos über die höchsten Gipfel Menelflors, über den Gebirgspass, für den fahrende Händler mehrere Wochen benötigten.
»Es ist kein Geheimnis, dass es in diesen Landstrich allerhand Gesindel verschlagen hat. Gesindel wie dich und mich. Schätze Ihre Exzellenz hat nun entschieden diesen Schandfleck endgültig von seiner Landkarte zu tilgen.«
»Dort unten leben gute Leute.« Cierian dachte an die korrupte und sauffreudige Stadtwache, die geldliebenden Huren und Spieler, Händler mit den kuriosesten Schwarzmarktwaren und die wahrscheinlich peinlichste Untergrundorganisation, die die Geschichte eines Landes jemals hervorgebracht hatte. »Irgendwo.«
»Glaubt ihr, sie fliegen hierher?«, fragte Shae hoffnungsvoll und regte neugierig den Hals.
»Meine Liebe, darauf wird es wohl hinauslaufen«, seufzte Toivo, den Blick starr auf den Horizont gerichtet.
»Schutzmaßnahmen?«, fragte Cierian angespannt.
»Ich bin nicht hier, um einen Krieg zu beginnen«, wehrte der alte Magier ab und ein nur allzu vertrautes Gefühl überkam den Jüngeren; Misstrauen.
»Warum dann?«, erkundigte er sich argwöhnisch.
»Um einen vorzubereiten«, behauptete Toivo ohne jedes Zögern.
Cierian schloss die Augen. Bilder von einer lachenden Stadtwache, die Strohballen zu einem provisorischen Kartentisch umfunktioniert hatten und ihn mit einem Blatt lausiger Karten durchwinkte, schossen ihm durch den Kopf. Der alte Glatzkopf Gerald, der griesgrämig mit ihm über einen angemessenen Preis für seine Wolle feilschte. Delilah, die ihn jedes verdammte Mal unter den Tisch trank und anschließend mit sich auf ihr überteuertes Zimmer nahm. Sogar ein Taschendieb mit beängstigend flinken Fingern, der über den Wochenmarkt schlendert, schlich sich einen unaufmerksamen Moment in seine Gedanken ein sowie eine lausige Truppe von Halunken, in einem noch lausigeren Kellerversteck.
Ein donnerndes, ohrenbetäubendes Brüllen ertönte, und dann glühte gleißend helles Licht hinter Cierians Lidern auf. Als würde sich die Sonne nach Jahren der Abwesenheit endlich wieder zeigen.
Er hörte noch ein anderes Brüllen, erschrocken und beinahe flehend. Shaes. Er hielt die Augen geschlossen, wollte nicht sehen, was der übelerregende Geruch von Verbrannten versprach. Nicht noch eine Stadt, die in Flammen aufging.
»Findest du immer noch, dass diese Welt dich an den Eiern lecken kann?«, fragte Toivo leise neben ihm. Er wusste, dass sein ehemaliger Mentor den Blick niemals abwandte, nicht einmal blinzelte.
»Es ist nur eine weitere brennende Stadt. Damit muss man rechnen, wenn ein ganzer Kontinent von einem Wahnsinnigen unterjocht wird«, antwortete Cierian und ein bitterer Geschmack breitete sich in seiner Mundhöhle aus; der Nachgeschmack einer hässlichen Wahrheit.
»Regis war eine freie Stadt. Eine der letzten Freien Städte.«
»Es gibt keine freien Städte unter Le-Zith«, wehrte Cierian finster ab.
»Le-Zith liegt sehr weit im Osten.«
»Le-Zith' Einfluss ist grenzübergreifend. Dieser Kontinent leckt wie ein von rattenzerfressener Eimer voll Ziegenmilch. Überall, selbst hier.« Cierian öffnete die Augen und sah in das Flammenmeer. Sah wie eine ganze Stadt in sich zusammenfiel.
»Das darf nicht sein ...«, flüsterte Shae zittrig. »Das ... nein, so etwas darf einfach nicht sein! Warum? Warum haben sie diese Stadt angegriffen? Warum verbrennen sie alles? Das ergibt keinen Sinn ... sie ... sie jagen gar nicht! Man tötet doch nicht einfach ... so!«
Toivo tätschelte sie tröstend. »Tut mir leid, meine Hübsche. Aber so ist die Welt, in der wir leben nun mal.«
»Aber ... aber das ist falsch! In so vielerlei Hinsicht - falsch!«
Einer der Drachen landete auf einem schrägstehenden Dach und spie sein Feuer blindlings durch die engen Gassen unter sich. Ein Zweiter wütete entlang der Gewächshäuser. Glas schmolz in der Hitze wie Kerzenwachs und die Beete darunter fielen den hungrigen Flammen zum Opfer. Durch nur einen einzigen gezielten Hieb des mit Stacheln überzogenen Schwanzes, brach ein weiteres der Gewächshäuser.
»Wir müssen doch irgendetwas tun!«, verlangte Shae. »Diesen Menschen helfen!«
Cierian sah aus dem Augenwinkel, wie sich ihre Klauen wütend durch die Erde fraßen. Ihr Geist war in Aufruhr.
»Beruhige dich«, verlangte er deshalb. »Du hättest nicht die geringste Chance. Du bist ein Jungtier, was noch nicht einmal richtig Feuer spucken kann. Was willst du gegen drei erwachsene Drachen ausrichten?«
»Ich könnte sie beißen«, schlug sie energisch vor. »Oder besser noch, die Augen auskratzen!«
»Du würdest nicht einmal in der Nähe ihres fauligen Atems gelangen«, prophezeite Cierian ihr düster und nutzte gleichzeitig einen Tropfen Verdorbenheit, um ihren Blutdurst abzukühlen. Das Letzte, was er im Moment gebrauchen konnte, war ein rachsüchtiger Jungdrache, der sich kopflos ins Chaos stürzte. Sie hatten auch schon so genug Probleme. Wenn einer der Drachen erst ihre Anwesenheit bemerkte ...
»Wo ist eigentlich der Dritte im Bunde?«
»Was?«, fragte Cierian genervt, der immer noch Mühe hatte, Shae unter Kontrolle zu halten.
»Es waren drei Drachen, Vale. Aber dort unten sehe ich nur Zwei von ihnen wüten.«
»Vermutlich ...«
Ein Flammenstrahl teilte den Himmel. Glühend heiß und erbarmungslos brannte er alles nieder.
»Nein!«, schrie Shae und Cierian konnte spüren, wie sie sich gewaltsam aus seinem geistigen Griff wandte.
»Shae!«
Doch da war sie schon auf und davon und Toivo und ihn selbst erwischte die Feuerwand zuerst. Natürlich griffen beide Magier schlagartig unbewusst nach ihrer jeweiligen Verdorbenheit, bevor die Hitze sie erwischte. Cierian fühlte ein warmes Prickeln auf der Haut, aber ansonsten blieb er unverletzt.
Kaum waren die Flammen vorübergezogen, wirbelte er herum und sah gerade noch wie sein Heim zu Asche zerfiel. Der Boden unter ihm war schwarzgebrannt, genau wie die umliegenden Bäume, die bei dem Angriff nicht vollkommen pulverisiert worden waren. Der Gestank von verbranntem Fleisch lag ekelerregend schwer in der Luft.
»Shae!«, brüllte er erneut. Normalerweise durften ihr die Flammen nichts anhaben, aber wenn sie sich auf einen direkten Kampf eingelassen hatte ...
Blinzelnd kämpfte er sich durch den Qualm, stieg über die Überreste seines verkohlten Besitzes.
Und dann erblickte er sie endlich. Ein beinah lächerlicher weißer Schimmer auf verbranntem Untergrund.
»Shae«, sagte Cierian ernst und suchte mit den Augen den verqualmten Himmel ab. »Wo ist er? Shae? Verdammt, was tust du denn da?« Er machte noch einen Schritt auf sie zu und trat auf einen knackenden Ast, nur, dass es sich um keinen Ast handelte. Knochen. Überall um sie herum lagen kohlrabenschwarze Schafknochen verstreut.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie zittrig. »So unfassbar leid. Ich bin der schlechteste Hütedrache, der jemals gelebt hat ... Ich konnte nicht einmal einen einzigen von ihnen beschützen. Nicht einen!«
»Shae ... dafür haben wir keine Zeit.«
»Keine Zeit? Er hat sie getötet, Cierian! Er hat ohne jeglichen Grund meine Schützlinge abgeschlachtet! Und ich stand daneben und konnte nichts dagegen tun!«, knurrte die Perlmuttschuppe aufgewühlt.
»Hör mir zu ...«
»Nein! Nein! Ich werde dieses ›Ding‹ finden und ihm mit meinen Zähnen die Kehle aufreißen. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«
Sie spannte die Flügel, doch Cierian schöpfte aus seiner Magiequelle und hielt sie gewaltsam am Boden, in dem er in ihren Verstand eindrang und es ihr ›befahl‹.
Wütend wand sie sich und versuchte verzweifelt ihn aus ihrem Kopf zu bekommen. Sein Vorteil war, dass er ihren Verstand bereits kannte und sie noch nicht gelernt hatte, fremde Magie auszuschließen.
»Wir sollten von hier verschwinden«, rief Toivo, der plötzlich neben ihnen auftauchte, grimmig. »Sofort.«
Doch noch bevor irgendeiner von ihnen auch nur einen Finger rühren konnte, manifestierte sich ein gewaltiger, muskulöser Drachenkörper aus dem Qualm seines niedergebrannten Hauses.
»Du ...!«, knurrte Shae und fletschte die Zähne.
Der Sturmbrecher blickte auf sie hinab. Er bewegte sich ganz anders als Shae, kein bisschen ungelenk oder sprunghaft, sondern mit der bedrohlichen Bestimmtheit einer Raubkatze auf der Jagd.
»Sag mir warum!«, verlangte Shae, die sich weiterhin mit aller Macht gegen Cierians Kontrolle auflehnte. Leichte Schwärze begann sich in Cierians Blickfeld zu schleichen. Er war nicht mehr daran gewohnt seine Machtquelle so lange anzuzapfen. Die Menge an Gift, die sich in seinem Blutkreislauf bewegte, überforderte ihn. Die letzten Jahre hatte er sich nur auf das absolut Nötigste beschränkt.
»Erklär mir, wieso du sie angegriffen hast! Sag schon!«, verlangte Shae mit vor Wut bebender Stimme.
»Sei still, Mädchen«, knurrte der fremde Drache bedrohlich und umkreiste sie. »Du bist eine Perlmuttschuppe.«
»Ich bin dein sicherer Tod«, blaffte Shae angriffslustig zurück. »Lass mich los, Cierian. Bitte.«
Die orange-leuchtenden Augen zuckten hinüber zu Cierian und Toivo. »Magier«, stellte der feindliche Drache überrascht fest. »Was habt ihr mit ihr vor? Wollt ihr sie versklaven und für eure Sache kämpfen lassen?« Sein blauschwarz beschuppter Schwanz zuckte wie eine angriffsbereite Schlange über den Boden. »Feiglinge!«
»Das genügt.«
Der Drache schüttelte den Kopf, als versuche er eine lästige Fliege zu vertreiben. »Versuchst du etwa, in meine Gedanken zu gelangen?«
»Das liegt in der Natur eines Magiers«, rechtfertigte sich Toivo gelassen. »Verschwinde von hier. Geh und sag seiner Exzellenz, dass wir Rebellen nach wie vor in seine Vorgärten scheißen. Und wenn ihm das nicht passt, soll er selbst kommen und sich stellen, anstatt seine kleinen Schoßhündchen vorzuschicken.«
Der Drache fletschte drohend die Zähne, doch gegen Toivos Macht kam er nicht an.
»Dummes Ding«, zischte er an Shae gewandt. »Ihretwegen wirst du sterben.«
»Nein, du wirst sterben. Ihretwegen.« Eine Klaue fegte über den Boden und wirbelte einen Haufen Knochen durch die Luft. »Weil du sie getötet hast. Grundlos.«
Der Sturmbrecher zögerte noch einen weiteren Augenblick, doch dann musste er einsehen, dass Toivos Magie mächtiger war, als der ihm angeborene Schutz seiner Vorfahren. Frustriert spannte er die Flügel, und mit einem letzten grimmigen Blick auf die Perlmuttschuppe, jagte er steil wie ein nach oben gerichteter Pfeil in den grauen Himmel.
Shae brüllte ihm wütend hinterher.
»Das reicht!«, blaffte Cierian sie an. »Du hast schon genug getan.« Erschöpft sackte er zusammen. Seine Grenze war erreicht. Er legte sich auf den Rücken und verbarg das Gesicht in den Händen. Verflucht. Er hatte gehofft, so etwas nie wieder durchmachen zu müssen.
»Sie ziehen ab«, hörte er Toivo murmeln. »Gut, dass verschafft uns zumindest ein bisschen Zeit.«
Er hatte keine Ahnung, was Toivo damit meinte. Und eigentlich wollte er es auch gar nicht wissen. Nach einer Weile nahm er die Hände vom Gesicht und starrte in den verqualmten Himmel. Noch mehr Asche. Wie viel mehr davon konnte diese Welt vertragen? Wie viel kaputter noch werden?
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