Ten
Harry
„Denkst du, wir sollten die Wohnung nehmen, Harry?"
Maggie schaute mich fragend an, während sie sich einmal um die eigene Achse drehte.
Wir nahmen gerade das Apartment in Augenschein, welches Alistairs gutem Freund gehörte. Ab nächsten Monat würden wir es schon beziehen können, die Frage war nur, ob der Platz für die Zukunft ausreichte.
Da Maggie noch keinen Schwangerschaftstest machen konnte, denn dafür war es noch viel zu früh, standen wir vor einer schweren Entscheidung. Wenn ein Baby unterwegs war, dann würde die Wohnung definitiv bald zu klein werden.
Da war guter Rat echt teuer und mit dem Satz „wir überlegen es uns" kamen wir auch nicht weiter, denn hinter uns standen quasi schon zwanzig andere Leute, welche Interesse an der Wohnung hatten. Nur wir bekamen sozusagen den Vorrang, da der Besitzer Maggies Dad wirklich gut kannte. Außerdem fand der Mann es wohl super, dass ich im Polizeidienst arbeitete.
„Da kommt ja regelmäßig Geld in die Kasse", meinte er erfreut. „Heutzutage muss man ja so aufpassen. Ich hatte mal einen Mieter, der bezahlte nur jeden zweiten Monat. Es war irre schwer, den heraus zu klagen."
„Das kann ich mir vorstellen", sagte ich und seufzte innerlich.
Die Wohnung war wirklich toll und der Preis für Londoner Verhältnisse ein echtes Schnäppchen. Somit stand außer Frage, dass wir in naher Zeit ein ähnlich gutes Angebot bekommen würden.
„Weißt du was?", flüsterte ich Maggie ins Ohr. „Wir nehmen die Wohnung. Wenn du tatsächlich schwanger sein solltest, wird es für die erste Zeit kein Problem sein auch mit Kind hier zu wohnen. Und wenn dein Dad erstmal Großvater ist, wird er bestimmt so begeistert sein und uns dabei helfen, eine größere Bleibe zu finden."
Zweifelsohne besaß Alistair ein gutes Herz.
„Also gut", stimmte Maggie schließlich zu. „Wir nehmen die Wohnung."
Sogleich wurde der Mietvertrag hervorgeholt, den wir noch an Ort und Stelle unterschrieben. Einkommensnachweise wollte der gute Mann nicht sehen. Alistair reichte wohl als Leumund vollkommen aus.
Mit dem wichtigen Papier in der Hand traten wir den Weg zu meinen Schwiegereltern in Spe an.
„Kommt rein", begrüßte uns Rosie herzlich. „Alistair ist bereits im Wohnzimmer."
Nachdem ich meinen Mantel an der Garderobe aufgehängt hatte, folgte ich den beiden Frauen in die warme Stube, wo mein Boss auf dem Sofa saß und Tee trank.
„Und, wie ist es gelaufen?", wollte er wissen.
„Wir haben die Wohnung", antwortete Maggie enthusiastisch.
„Das freut mich. Ich dachte mir schon, dass das etwas für euch ist."
Damit hatte er nicht ganz Unrecht, zudem lag unser zukünftiges Apartment nicht allzu weit von Maggies Elternhaus entfernt. Sollte also tatsächlich Nachwuchs kommen, konnten wir die beiden locker als Babysitter einsetzen. Wie immer dachte ich praktisch.
Als Rosie mir eine Tasse Pfefferminztee reichte, bedankte ich mich höflich und trank die heiße Flüssigkeit in kleinen Schlucken. Eigentlich würde es gar nicht so schlimm sein, wenn Nachwuchs kam, denn Alistair ging nächste Woche in Rente. Er würde Zeit im Überfluss haben, sich um sein Enkelkind zu kümmern.
„Wann ist jetzt eigentlich deine Verabschiedung?", erkundigte ich mich, denn ich konnte mir einfach keine Termine merken.
„Am Dienstag, um elf Uhr. Dann wird Louis auch offiziell zu meinem Nachfolger ernannt. Also mach dich auf das volle Programm gefasst."
Das volle Programm bedeutete, dass unser oberster Boss des Präsidiums anwesend sein würde, um eine Rede zu halten. Außerdem gab es einen Umtrunk und kleine Häppchen zu essen.
Einerseits freute ich mich sehr auf diese Veranstaltung, andererseits fiel es mir schwer, Abschied von Alistair zu nehmen. Er war ein super Boss, doch Louis würde ihm in nichts nachstehen, selbst wenn er manche Dinge anders anpackte. Aber die Zeit brachte Veränderungen und Louis passte sich den neuen Gegebenheiten an. Wir alle mussten dies tun.
An diesem Abend begannen Maggie und ich zum ersten Mal Dinge auszumisten, die dem Umzug zum Opfer fallen sollten. Da wir uns in meiner Wohnung aufhielten, würde uns das Gleiche noch in ihrer bevorstehen.
„Ich habe so viel Krimskrams in meiner Bude", jammerte sie, worauf ich entgegnete: „Dann musst du dich eben von einigen Dingen trennen, Liebes. So schwer kann das nicht sein."
Es wurde schlimmer als gedacht. Maggie wollte sich keinesfalls von ihrer Sammlung der uralten VHS-Kassetten trennen und war auch nicht bereit dazu, die ebenfalls in die Jahre gekommenen Musik-Kassetten abzustoßen.
„Liebes, diese Musik gibt es heutzutage auf CD oder im MP4 Format", versuchte ich auf sie einzuwirken. „Und die Filme auf Blu-Ray."
„Nein, Harry, du verstehst das nicht", empörte sich Maggie. „Da sind meine Kinderfilme drauf und die schaue ich nun mal gerne auf den Originalmedien an."
„Ok, und wie sieht es mit den Büchern aus?"
Binnen Sekunden spürte ich, dass ich wohl in ein Wespennest gestochen hatte. Maggie funkelte mich an, als wolle sie mich mit ihren Blicken erdolchen.
„Harry! Meine Bücher sind heilig! Verstehst du das? Ich werde mich nie von ihnen trennen, niemals! Eher würde ich tot umfallen!"
Das wollte ich dann doch nicht und deswegen gab ich es letztendlich auf. Gott sei Dank bot unsere neue Wohnung genügend Platz, um das Zeug unterzubringen. Sollte sie den überflüssigen Kram ruhig mitschleppen, aber beim Auspacken würde ich ihr ganz sicher nicht helfen.
Schneller als gedacht kam der Tag von Alistairs Verabschiedung. Schon am Morgen wirkten alle im Büro ziemlich geschäftig. Sogar unser Newbie, der letzte Woche seinen Dienst angetreten hatte. Sein Name war Shawn Mendes und der arme Kerl tat mir jetzt schon leid. Ich war gespannt darauf, welche Boshaftigkeiten sich Louis einfallen lasse würde, um ihn richtig auf die Schippe zu nehmen.
Niemals würde ich vergessen, dass ich für Niall meine roten Boxershorts hatte herausrücken müssen, als er nach einem Unfall in Alistairs Klamotten auf dem Sofa in unserem geheimen Versteck lag. Daraufhin wurde ich von allen als schwul abgestempelt, was sich zum Glück irgendwann gegeben hatte. Spätestens als ich Maggie aufriss mussten jedem klar sein, welche sexuellen Vorlieben ich besaß.
Nun ja, vielleicht nicht die Einzelheiten, das mit den Handschellen wusste nur Sophia, die glücklicherweise dicht gehalten hatte. Hoffentlich kam das niemals ans Licht und vor allem Niall und Sienna durften dies nie erfahren. Ganz gewiss würden sie mir Kieran dann nicht mehr über Nacht mitgeben, weil sie mich für einen Perversling hielten. Allerdings wollte ich lieber nicht wissen, was Niall alles mit Sienna in diesem Swinger Club angestellt hatte. Vermutlich nahmen wir uns nichts, das diese Dinge anging.
„Alle Mann antreten!", vernahm ich plötzlich Liams Stimme, die mich aus den Gedanken holte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Briana Shawns Krawatte zurechtrückte.
„So, Shawn, jetzt sitzt sie richtig", sagte sie lächelnd.
Dass man dem Newbie aber auch alles beibringen musste. Ob ich auch so schlimm gewesen war? Gedankenverloren griff ich nach meinem Jackett, welches über der Stuhllehne hing und plötzlich vernahm ich einen komischen Laut.
„Nein!" Entsetzt blickte ich auf den Riss an der Seite, den ich gerade fabriziert hatte, weil das Teil an einer hervorstehenden Schraube hängenblieb. „Was mache ich denn nun?"
„Geh' am besten nackt oder oben ohne", erwiderte Liam trocken.
„Alternativ könntest du die Krawatte anlassen", kam es von Sophia.
Sie waren ja so gehässig!
„Louis und Alistair werden mich steinigen!", jammerte ich.
„Alistair geht das am Arsch vorbei", erwiderte El lässig. „Er geht sowieso in Pension. Aber über Louis würde ich mir ernsthaft Gedanken machen."
Beide Männer befanden sich bereits in jenem Raum, in dem die Festivitäten und die Ernennung abgehalten wurden. Mir war schon ganz schlecht, ich konnte doch nicht ohne Jackett dort auftauchen! Ich würde Schande über das ganze Team bringen und Louis erste Amtshandlung als Chef würde es sein, mir den Kopf abzureißen.
Zum allem Überfluss klopfte es auch noch an der Tür. Ehe ich mich versah, wurde diese aufgerissen und Rosie stand im Raum. Über ihrem Arm hing ein, in Plastikfolie eingepackter, schwarzer Anzug.
„Harry", sagte sie freudestrahlend, „Maggie hat heute früh deinen Anzug aus der Reinigung abgeholt und dann vergessen mitzunehmen. Dieses Kind ist so chaotisch! Ich dachte, ich bringe ihn dir vorbei, du kannst ihn ja im Schrank einschließen und später mit nach Hause nehmen."
Das war meine Rettung!
„Oh Gott, das ist super!", platzte ich hervor. „Ich brauche unbedingt ein anderes Jackett."
Als Rosie das Malheur sah, begann sie zu schmunzeln. „Du und Maggie, ihr seid beide Chaoten, deswegen passt ihr auch so gut zusammen", meinte sie, bevor sie da Büro verließ. „Wir sehen uns dann gleich."
Ohne mit der Wimper zu zucken ließ ich vor dem Team die Hosen herunter und zog den frisch gereinigten Anzug an.
„Da hast du echt nochmal Glück gehabt", sagte Liam kopfschüttelnd.
Jetzt konnte es losgehen.
Wie zu erwarten war der Saal brechend voll, doch wir fanden noch einen Platz, von dem aus wir gut sehen konnten. Zuerst bat James Davis, der Leiter des Präsidiums, Alistair nach vorne, der eine schöne Rede hielt, die er mit den Worten: „Ich danke meinem Team für die Loyalität, Treue, Arbeitswut und vor allem für den Zusammenhalt. Mögt ihr diese Dingen beibehalten, denn sie sind wichtig", beendete.
Der tosende Applaus, der daraufhin folgte, ließ mich wissen, wie beliebt Alistair bei allen Kollegen gewesen war.
Nach seiner Rede musste Louis nach vorne treten. James Davis hielt eine kurze Ansprache und übergab Louis anschließend die neue Dienstmarke. Allerdings durfte Alistair die abschließenden und sehr wichtigen Worte sprechen.
„Louis William Tomlinson, ich befördere Sie hiermit in den Rang des Chief Superintendent und übergebe Ihnen mein Team. Alles Gute für die Zukunft."
Der schelmische Blick in Alistairs braunen Augen ließ uns alle schmunzeln.
Es war einer der schönsten Augenblicke in meiner beruflichen Laufbahn, das mitanzusehen. Niemand verdiente es so sehr wie Louis, diesen Posten zu bekommen und er würde unser Team hervorragend leiten, daran gab es keinen Zweifel.
Bei einem Glas Sekt und den kleinen Häppchen kam ich ein wenig zur Ruhe. Das zerrissen Jackett vergaß ich gänzlich und amüsierte mich stattdessen über Shawn, für den alles noch ganz neu war.
Gerade als Rosie auf mich zutrat, begann mein Handy zu vibrieren. Schnell warf ich einen Blick darauf, um festzustellen, dass Maggie eine Nachricht geschickt hatte, die folgenden Wortlaut trug.
„Du kannst aufatmen, ich hab' meine Tage gekriegt."
Erleichtert seufzte ich auf. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen und unser Leben war endlich perfekt. Dass es nicht so blieb, ist eine andere Geschichte.
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Das ist das Ende von Sideline. Ich mache ganz bewusst hier den Cut und werde keinen Spoiler für die Black-Reihe bringen.
Ich hoffe, die Kurzgeschichte hat euch gefallen. Für alle, die Lust auf die Black-Reihe bekommen haben, stürzt euch hinein. Für alle denen es zu angstrengend ist eine Trilogie zu lesen aber dennoch nicht von Harry und Maggie Abschied nehmen möchten: Ihr könnt sein älteres Ich in Blood Shed kennenlernen. Dieses Geschichte findet ihr, wie die Black-Reihe auch, auf meinem Profil. Wundert euch bitte nicht, dass Colton Haynes auf dem Cover von Blood Shed zu sehen ist. Das hat seinen Grund. ;) Er stellt dort meinen selbsterfundenen Charakter dar.
Die Danksagung für Sideline lade ich nachher noch hoch.
LG, Ambi xxx
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