Kapitel 45
[Zuhause]
Icarus betrat die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Er hatte gerade erst das Klacken des Schlosses gehört, das ihm sagte das die Tür nun wieder verschlossen war, als schon eine Gestalt zu ihm stürzte und ihn mit einem Baseball-Schläger bedrohte.
Zuerst erkannte Icarus nicht, wer da vor ihm stand aber diese roten Haare, die aussahen wie flackerndes Feuer erkannte er überall wieder. Auch wenn Kalea aussah als wäre sie gerade von den Toten auferstanden (obwohl das doch Icarus' Rolle war) wirkte sie nicht wirklich tot. Eher sehr aufgebracht und mordlustig.
Doch als sie erkannte, wer da gerade ihre Wohnung betreten hatte, ließ sie den Schläger achtlos fallen und anstatt Icarus den Schädel einzuschlagen (dieser Blick hatte Bände gesprochen), fiel sie ihm um den Hals und drückte ihn fest an sich.
Eigentlich liebte Icarus Umarmungen von Kalea. Sie konnte das wirklich gut, da sie diesen beruhigenden Duft von gebrannten Mandeln und dem Zimttee trug, den sie auch des Öfteren machte. Dann duftete das ganze Haus nach Zimt, Honig, Karamell und natürlich Heimat. Dieses Aroma war so heimelig, so wohltuend das Icarus es am liebsten immer riechen würde und der Zimttee von Kalea war einfach fabelhaft und war mit einem Schuss Milch noch viel besser, da er dann an einen sehr zimtigen Kakao erinnerte. Dieses Getränk war der Himmel auf Erden für Icarus.
Aber diese Umarmung fühlte sich nicht richtig an. Zwar sog Icarus noch immer diesen unfassbar betörenden Duft ein, der an Zuhause erinnerte, aber irgendwie war es...falsch. Icarus war gerade dabei Kalea anzulügen und sie schloss ihn einfach in eine Umarmung, als wäre es selbstverständlich. Es war falsch von Icarus, aber es war das Beste für Kalea, da war er sich sicher.
„Wo warst du? Warum hast du überall Blut auf deinen Sachen? Was hat dieser Typ gemacht?" fragte Kalea fast schon panisch und die Fragen prasselten auf Icarus ein wie frischer Sommerregen bis er sich aus der Umarmung löste und Kalea anlächelte.
„Alles gut, es ist nichts passiert. Ich hab mir aus Versehen die Nase gebrochen weil ich über meine eigenen Füße gestolpert bin" beruhigte er Kalea mit einer gekonnten Lüge. Zwar war Icarus kein willentlicher Lügner, er wollte schließlich nicht mehr diese kleinen Geschichten erzählen, die nicht der Wahrheit entsprachen, aber er war ein guter Lügner. Das war er schon immer gewesen, auch wenn er nicht wirklich verstanden hatte wieso. Es war einfach so, schon seitdem er ein kleines Kind war, waren Lügen ihm leicht über die Lippen geflossen, als wäre es ein Kompliment. Es hatte nie Probleme gegeben und Icarus hatte eine düstere Vermutung wieso das so war.
Die ganze Tripe Familie schien ein Lügenimperium zu sein und auch wenn sie Charon glaubte, war er sich nicht sicher ob er auch Atlas und vor allem ihrer Mutter Casandra trauen konnte.
Casandra. Diesen Namen kannte Icarus. Er war griechisch, besser gesagt stammte die berühmteste Casandra aus Troja, der Stätte des trojanischen Krieges. Sie war tatsächlich daran beteiligt gewesen und wohl auch eine Art Grund wieso die Trojaner verloren hatten.
Zwar war es nicht ihre Intention zu verlieren, wessen Intention war das schon? Aber sie hatte einen großen Fehler gemacht.
Der Gott Apollo, besser bekannt als der Typ, der den Sonnenwagen fährt, hatte sich in diese Sterbliche verliebt und ihr versprochen, ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und diesen zu erfüllen.
Casandra sah diese Chance und nutzte sie. Was wollten Menschen mehr als Macht? Genau. Nichts. Die Menschen sind verrückt nach ihr und würden einfach alles machen um die Macht zu erlangen, die ihnen scheinbar zusteht. Casandra hatte sich die Gabe der Weissagung gewünscht, ein weiterer Bereich, von dem Apollo der Gott war und ihr Wunsch wurde erfüllt.
Ihre Liebe zu Apollo war jedoch nur eine Lüge gewesen und sie hatte sich, sobald ihr Wunsch erfüllt war, von ihm abgewendet. Ein Gott lässt sich so etwas gefallen, aber es war Apollo nicht erlaubt ihr die Gabe der Weissagung wieder wegzunehmen. Also verfluchte er sie.
Niemand würde ihr mehr glauben, egal welche Wahrheit es war und so passierte es, das Casandra von dem trojanischen Krieg erfuhr und dem Grund, die schöne Helene.
Sie warnte die Leute davor, doch niemand glaubte ihr und selbst als sie sagte, sie sollen das trojanische Pferd keinesfalls einlassen, glaubten sie ihr nicht und so wurde Troja besiegt.
Zwar war es nicht nur ihre Schuld, da sie gegen den trojanischen Krieg keine Macht hatte, aber wäre sie damals nicht so machtgierig und dumm gewesen, hätte es vielleicht ein anderes Ende gegeben.
Es waren vielleicht nur Legenden, aber auch diese hatten immer eine Spur Wahrheit in ihren Worten, weshalb man sie keinesfalls unterschätzen sollte. Es waren nur Geschichten, genauso wie Lügen nur kleine, unwahre Geschichten waren, doch es gab einen unterschien denn eine dieser Geschichten konnte jemanden zerstören während die andere ein Leuchten in den Augen ihrer Zuhörer hinterließ.
Icarus war schon immer ein Fan der griechischen Mythologie gewesen. Er hatte sich sogar gewünscht ein Halbgott zu sein und dank seiner Flügel war er der Meinung gewesen, er wäre vielleicht sogar einer. Doch zugleich glaubte er nicht an die griechischen Götter, auch wenn er das gerne getan hätte. Sie waren ihm einfach eine Spur zu dumm und er blieb lieber bei gar keinem Glauben.
Er wusste zwar, das Glaube Dörfer bewegen konnte, sogar Berge versetzte aber er wollte nicht glauben. Es gab Menschen an die er glaubte, zum Beispiel an Theseus Rendall, der scheinbar der Sick Boy war und mit seiner Macht die Scena stürzen könnte, aber er glaubte nicht an sowas wie eine höhere Macht, die in einem bequemen Himmel aus Wolken saß und sich Engelslieder rein zog. Erstens konnte der Himmel dann ja nur Scheiße sein und zweitens hatte dieser Gott einen wirklich schlechten Musikgeschmack. Icarus wollte an keinen Gott glauben der diese dummen Engelschöre den E-Gitarren und Schlagzeugen von ACDC oder auch Fall out Boy vorzog. Wie könnte Icarus nur ohne Queen überleben? (zwar war das wirklich alte Musik, die kaum noch jemand hörte da sie vor langer Zeit berühmt war, aber irgendwie hatte Icarus etwas für sie übrig)
Und was sollte der Glaube ihm schon bringen? Würde er auf einmal wieder seine Flügel bekommen, wenn er ein paar nette Worte zu Gott richtete? Würde er all die Traumata vergessen können nur weil er zugab an diesen Trottel zu glauben? Nein. Es war wohl sehr unwahrscheinlich denn auf dieser Welt bekam man Dinge nicht einfach so geschenkt. Man musste sie sich verdienen mit Blut, Schweiß und Tod. Die Arena schien diese drei Dinge perfekt zu bündeln, vielleicht war Gott deshalb auf ihrer Seite.
Icarus fragte sich jedoch eigentlich nur eines: Wann war er am Zug? Wann hatte er einmal eine Glücksträhne und wann würde er wieder an der Spitze der Rangordnung stehen und auf alle anderen herabsehen. Wann würde endlich er wieder dabei zusehen, wie alle anderen sich im Pech suhlten? Wann?
„Du hast ein wirklich seltenes Talent in den ungünstigsten Momenten etwas komplett Dummes zu tun nicht wahr?" fragte Kalea nur amüsiert. Sie glaubte ihm obwohl diese Geschichte wahrlich nicht Icarus' beste Idee gewesen war. Aber Kalea hatte keinen Grund ihm nicht zu glauben.
Sie kannten sich erst seit ein paar Tagen, um genau zu sein fünf, aber diese Tage reichten schon aus, um zu wissen, das Icarus sie niemals belügen würde. Schließlich waren sie aufeinander angewiesen, in gewisser Weise. Icarus war bestimmt stark genug sich in dieser Welt einzufügen, aber war er auch stark genug sich in ihr durchzusetzen?
Kalea hatte Jahre ohne Icarus gelebt, sie hatte ihn nur aus dem Fernsehen gekannt und dort hatte er ein schlechtes Bild auf sie abgeworfen, aber nun könnte sie sich ein Leben nicht mehr vorstellen, in dem sie an diesem Tag nicht in der Gasse war und gesehen hatte, wie Icarus auf der Straße lag. Sie konnte sich nicht vorstellen anders zu reagieren, obwohl Icarus vor ihren Augen einen Mann umgebracht hatte und das ohne mit der Wimper zu zucken.
„Du hast doch niemanden umgebracht, oder?" fragte Kalea nur während sie seine Hände drückte und ihn noch immer überglücklich anstrahlte. Sie bemerkte zwar das Ica nachdenklicher war, als zuvor, aber das machte ihr nichts. Schließlich musste jeder einmal eine Pause machen und über ein Erlebnis nachdenken, auch Kalea musste das.
Sie war fast gestorben, sie spürte noch immer die Waffe an ihrem Kopf und die Angst, die ihre Knochen hochgekrochen war. Sie wusste noch immer wie es war, als Atlas sie festgehalte hatte und einfach an einen seiner Wachen abgab, weil er besseres zu tun hatte, als sich um Kalea zu kümmern. Es war schrecklich gewesen.
Den Tod hatte sie schon des Öfteren gesehen, es war schließlich keine Seltenheit wenn man auf der Straße lebte, mit nichts als dem Dach, einer Bushaltestelle und einer Decke, die schon mehr mitgemacht hatte als sie sollte. Kalea hatte vielen Menschen zugesehen, wie sie langsam gegangen sind. Der Hunger, Krankheiten, Selbstmord. Sie hatte sogar einmal zugesehen, wie jemand am Frost erkrankt war.
Damals war sie gerade einmal 13 gewesen und es war das schlimmste was sie jemals gesehen hatte. Ein ehemaliger Freund von ihr, der mit ihr auf der Straße gelebt hatte, war daran erkrankt und sie hatte es nicht verstanden. Zwar hatte Kalea gewusst was der Frost war, aber sie hatte nie erlebt wie jemand daran erkrankt oder besser gesagt wie jemand daran den Verstand verloren hatte.
Zuerst war es ein harmloser Schnupfen. Es war Winter und diese waren eiskalt. Das Klima hatte sich gewandelt und auf viel zu heißen Sommern, folgen noch kältere Winter, die alles in den Schatten stellen, was Kalea je gefühlt hatte. Sie hatte sogar zwei Zehen verloren, weil es einmal so kalt war, und das Loch in ihren Socken war ihr zum Verhängnis geworden.
Trevor Welshey, so hieß ihr Freund, war irgendwie seltsam geworden.
Dadurch, das sie die meiste Zeit im Freien verbrachten, bemerkte sie nicht, wie stark er zitterte. Sein Atem schien zu gefrieren, denn immer wenn er ausatmete bildete sich eine Art Dampf und kleine Schneeflocken flogen aus diesem.
Auch als die zweite Phase näher kam, hatte sie nicht bemerkt. Es war normal gewesen. Der weiße Frost auf seinen eigentlich honigfarbenen Haaren war nicht ungewöhnlich gewesen. Auch Kaleas rote Haare, waren weiß gewesen wegen des Schnees aber Welshey's Haare wären auch im inneren weiß gewesen oder auch im Hochsommer, denn dieser Frost wurde nicht von der Kälte produziert, sondern von der Krankheit.
Dann hatte er auch schon die zweite Phase erreicht und er ging immer näher in Richtung sicherer Tod.
Denn nun froren einige Körperteile einfach ab, der Körper war fast so kalt wie die Temperaturen aber man hatte kein Fieber. Der Körper wehrte sich nicht dagegen, er kam nicht gegen die Kälte an, die die Haut nun hatte. Trevor hatte drei Finger und alle seine Zehen verloren. Für ein kleines Kind, das Kalea damals eben noch war, war diese Etage schrecklich gewesen. Die Körperteile waren einfach abgebrochen, als wären sie kein Teil des Körpers mehr.
Die dritte Phase. Es ist zwar nicht bei jedem Menschen so, aber Trevor hatte es am schlimmsten erwischt. Die dritte Phase galt als der Punkt, an dem man den Patienten einsperren soll damit er keinen Schaden anrichten kann, aber Kalea hatte das nicht gewusst. Woher denn auch? Das war das erste Mal, das sie mit dieser Krankheit konfrontiert worden war.
Seine Haare wurden schneeweiß, der Frost übernahm sie einfach. Und er wurde blind. Seine Augen, schneeweiß und leer. Er konnte nur mehr Umrisse sehen, keine Farben, keine wirklichen Formen. Diese Blindheit tritt nur bei dreißig Prozent der Erkrankten auf, aber Trevor war einer dieser dreißig Prozent und Kalea verstand: Er hatte sich mit dem Frost angesteckt.
In der dritten Phase begann man auch wahnsinnig zu werden. Trevor konnte nicht mehr sehen, dafür alles hören und das war in diesem Fall ein Fluch. Er hörte Stimmen, die nicht real waren. Er sprach mit ihnen, als wären wirklich Menschen in seiner Näher aber er konnte nicht wissen das sie nicht wirklich da waren, da er blind war.
Und dann...die vierte Phase. Unheilbar. Trevor hatte nun keine Möglichkeit mehr geheilt zu werden, er war ein Todgesagter und niemand würde ihm mehr helfen können, vor allem nicht, weil das Mittel gegen den Frost teuer war und mehrere Seelen verlangte.
Trevor Welshey wurde verrückt. Er erkannte den Unterschied zwischen Gut uns Böse nicht mehr, seine Moral war abgestellt und sein Gewissen non existent. Er verlor jegliches Gefühl, jegliche Emotion. Schmerzen störten ihn nicht mehr. Aber der Mensch ist dafür gemacht um zu empfinden. Er will fühlen und zwar vor allem das Glück, das man dank des Frosts nur mehr durch eine Art erhielt. Das Morden.
Er wollte sie umbringen. Trevor wollte sie umbringen und jagte sie durch die gesamte Stadt. Er wollte sie tot sehen, aber Kalea hatte nicht verstanden wieso. Er war vielleicht blind, aber er konnte sie noch immer finden. Seine anderen Sinne waren schärfer als je zuvor und Kalea hatte so viel Angst gehabt, ihre Gedanken hatten sich scheinbar gegen sie verschworen.
Sie hatte mitangesehen, wie er mehrere Menschen zerfleischt hatte, wie ein Tier. Er hatte sie gebissen, gekrallt und sie dann gegessen. Dabei war dieses grausige Grinsen auf seinen Lippen gelegen, dieses dreckige Grinsen, das Kalea noch nie in seinem Gesicht gesehen hatte. Aber da war es, es existierte in ihm und hatte seinen Körper übernommen.
Fünf Menschen. Es hatte fünf Menschen gekostet bis er schließlich erschossen wurde und das vor Kaleas Augen. Er war einfach so erschossen worden, durch seinen Kopf und Kalea hörte noch immer den Schuss neben ihrem Ohr vorbeizischen. Sie hörte noch immer das Knacken seines Schädels und das Spritzen des Blutes und der Gehirnmasse, die der Frost bereits vergiftet hatte. Sie erinnerte sich an alles und diese Erinnerungen suchten sie immer wieder heim.
Sie wollte Trevor einfach vergessen, seine schrecklichen Taten und sein blutverschmiertes Gesicht, als er den wahnsinnigen, leeren Blick auf sie gerichtet hatte, als wäre sie seine Beute und das war sie auch. Kalea hatte gedacht er würde aufhören sobald er sie getötet hatte. An diesem Tag waren schon genug Menschen gestorben doch ihr Tod wäre nicht einmal aufgefallen.
Sie wäre eine unter abertausenden Toten gewesen, die der Frost gefordert hatte. Nicht nur weil sie sich mit dem Frost angesteckt hatten, sondern weil der ein Kranker sie getötet hatte...so viel Tod wegen einer einzigen Krankheit...einer einzigen verdammten Krankheit, die sogar ein Heilmittel hatte, aber die Menschen waren zu egoistisch um es zu teilen...es war der große Schatz der neuen Welt und dieser Schatz war mehr wert als tausende Leben.
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