Kapitel 43
[Nur eine Lüge]
~Eine Lüge kann retten oder auch alles in den Abgrund reißen~
Icarus wurde von Atlas wieder nach draußen geführt und er hatte endlich nicht mehr das Bedürfnis aufs Klo gehen zu müssen. Er war auf der wohl schönsten Toilette er Welt gesessen und wäre er nicht so verwirrt, geschockt und irgendwie auch erleichtert gewesen, hätte er diesen Moment vielleicht sogar genossen, doch leider hatte Charon ihn sehr verwirrt, mehr als er jemals gedacht hätte. Sein Blick war die ganze Zeit gerade, er starrte auf den Boden vor sich und versuchte seine Gedanken zu ordnen, aber irgendetwas sträubte sich dagegen und ließ seine Gedanken immer wieder wild herumfliegen als wären es Mücken und Icarus' Kopf war das Licht.
Beide schwiegen, kein Wort fiel und niemand startete eine Konversation auch wenn Icarus genau das bräuchte, um einen Moment seine stechenden Gedanken zum Stillstand zu bringen und die angespannte Stille zwischen den Beiden zu überbrücken. Doch das war nur möglich wenn Atlas ein Gespräch zulassen würde und es nicht gleich abblockte.
„Wir sollten lernen uns zu verstehen und uns nicht für immer hassen, Atlas. Schließlich...sind wir jetzt Familie" begann er nur stockend, sodass seine Stimme leicht zitterte und er versuchte etwas selbstsicherer zu klingen, jedoch war Icarus nicht sicher wie Atlas jetzt reagieren würde. Es gab zu viele Optionen, zu viele Zweige die er wählen könnte zu gehen und dennoch würde es nur eine Reaktion werden.
„Du hast recht, Knirps. Wir sollten lernen uns zu verstehen, auch wenn ich es nur ungern tue" Atlas seufzte fast schon wehleidig, als wäre es eine Strafe, seinen Cousin kennenzulernen, aber Icarus ignorierte diesen Unterton gekonnt. „Dein Name ist also Icarus? Wie der gefallene Neffe von Dädalus?" fragte er nach und Icarus riss überrascht die Augen auf, versuchte dann aber wieder eine gleichgültige Maske zu tragen, wie zuvor schon.
„J...ja. Ich habe meinen Namen geändert wie auch mein Geschlecht und ich würde es begrüßen wenn du meine Pronomen auch richtig verwenden könntest. Das...das bedeutet mir sehr viel" gab er nun zu, etwas kleinlaut zugegeben, aber es würde Atlas bestimmt gefallen sich ihm überlegen zu fühlen. Das gefiel schließlich jedem Menschen. Macht zu haben, egal über was.
„Du bist also...Transgender? Du hast also dein Geschlecht von weiblich auf männlich gewechselt, wenn ich das richtig verstehe?" fragte Atlas weiter und Icarus war fast schon gerührt weil er sich solche Mühen gab, Icarus' Pronomen richtig zu verwenden und zu lernen, wie das mit dem Geschlecht überhaupt war.
„Nicht ganz. Ehrlichgesagt bin ich selbst mehr als verwirrt, obwohl es ja mein Geschlecht betrifft. Aber ich bin Transgender-Fluid. Ich wechsle das Geschlecht je nachdem wie mein Kopf sich entscheidet. Ich fühle dann einfach das ich heute lieber die männlichen Pronomen als die meinen bezeichne oder anders herum. Manchmal will ich auch gar kein Geschlecht tragen aber ich bin mir nicht sicher welche Pronomen man dann verwenden würde. Ich hatte zu viel damit zu tun, zu überleben" gab er zu mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Es war gut, Atlas machte einen Schritt in die richtige Richtung, auch wenn dieser recht klein wirkte, war es ein sehr großer Schritt. Aber das war genug. Vollkommen genug.
„Naja...du wirst jetzt ganz bestimmt kein Problem mehr damit haben, zu überleben. Du bist eine...ein Tripe, das bedeutet du bist sowas wie ein Staatsgeheimnis. Wohl behütet und immer sicher, niemand kann sich mehr an dir vergreifen ohne zu sterben" versicherte er ihm und Icarus Herz machte einen kleinen Sprung als Atlas seine Pronomen richtig verwendete. Besser noch, er hatte sich selbst korrigiert damit er Icarus einen Gefallen tat. Das war ein sehr großer Schritt und Ica war ihm wirklich dankbar dafür.
„Ein Staatsgeheimnis also. Wird das nicht einmal langweilig? Ich meine, es ist bestimmt schön keine Angst vor irgendwelchen Mördern und Auftragskillern zu haben, aber wo bleibt denn dann die Spannung im Leben, das Risiko?" fragte er nur amüsiert weiter. Icarus wollte kein Staatsgeheimnis sein, nicht für zu lange jedenfalls. Vielleicht solange, bis seine Genesung vollständig war und es Kalea nach diesem bestimmt prägenden Erlebnis besser ging, Icarus war schließlich noch immer plötzlich entführt und zu Charon Tripe gebracht worden. Das würde Kalea, egal wie stark sie wirklich war, nicht so schnell vergessen.
„Wieso glaubst du suchen sich alle Tripes gefährliche Berufe? Mein Vater ist Leiter der größten Firmen der ganzen Welt, mein Onkel ein brillanter Geschäftsmann und meine Mutter die Frau des Präsidenten. Zwar wirken diese Jobs nicht gerade gefährlich, aber glaub mir. Es ist nicht ohne" meinte Atlas leicht lachend zu seiner Frage und auch Icarus konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Er hatte recht. Icarus' Mutter war scheinbar die Frau des Präsidenten und es war gefährlich so präsent in den Medien zu sein und immer an der Seite von einem wirklich sehr verhassten Mann zu stehen. Verhasst von den Phoenixen, der wohl gefährlichsten Waffe, die man als Feind haben könnte.
Atlas und Icarus traten nach draußen und sofort überschwemmte die frische Luft seine Lungen. Zwar hatte es sich nicht einmal wirklich lang angefühlt, aber die Sonne stand schon überraschend hoch und sie kletterte langsam wieder runter vom Himmel um dem Mond den Platz zu überlassen. Er war in der Früh entführt worden (freundlicher konnte er es einfach nicht ausdrücken) und jetzt war er wieder hier, auf dem Weg zurück zu Kalea, die bestimmt krank vor Sorge war. Schließlich wusste sie nicht wohin Icarus verschwunden war und auch nicht warum.
Sie dachte vielleicht sogar, Atlas wäre von der Scena und hatte ihn nur mitgenommen, um ihn umzubringen weil die Leiterin sich doch dafür entschieden hatte, das Icarus zu stark für die Welt da draußen war, selbst ohne seine Flügel, aber so war es ja nicht. Nur...woher sollte Kalea wissen das es sich hier nur um noch mehr Drama der Familie handelte?
Familie. Icarus war jetzt ein Tripe aber wie sollte er es Kalea am besten erzählen? Schließlich hatte er so lange über diese Familie geflucht und gezetert, doch nun war er sogar ein Teil von ihr. Ein direkter Nachfahre von Casandra Tripe und dem Präsidenten höchst selbst. Er war nun nicht mehr ein niemand, er war mehr als das. Er war nun eine Berühmtheit, jedenfalls wenn das herauskommen sollte, die Welt sollte jedoch noch nicht davon erfahren. Das hatte Charon ihm gesagt und er hatte ihn ebenso in seinen Plan eingeweiht, er wollte den Präsidenten stürzen.
Icarus hatte genau dasselbe Ziel. Er wollte die Welt von dieser Schreckensherrschaft befreien, auch wenn das scheinbar unmöglich war. Bis jetzt. Denn jetzt hatte er den mächtigsten Mann an seiner Seite. Charon Tripe und seine gesamte Familie.
Wenn Casmiel noch leben würde, wäre auch er an ihrer Seite. Schließlich wollte auch er diesen Mann tot sehen und mit Charon taten sich neue Wege auf, die ihnen eine neue Chance gaben, ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen und endlich an die Macht zu kommen. Charon hatte ihm versichert, er würde die Phoenixe genauso behandeln wie er alle andere Menschen behandelte, denn nichts anderes waren sie. Normale Menschen wie er selbst. Darum hatte Icarus zugestimmt ihm dabei zu helfen denn als Sohn des Präsidenten hatte er immense Auswirkungen auf ihn und seine Präsidentschaft die bald nicht mehr war. Icarus persönlich würde dafür sorgen.
Als das Auto vor dem alten Wohnblock hielt, war Icarus nervös. Er wusste nicht was er tun sollte, wie er Kalea das ganze Drama erklären sollte, denn das schien unmöglich zu sein.
Doch er wollte keine Geheimnisse vor ihr haben...aber was wenn es besser für sie war? Was wenn die Wahrheit ihr und ihm schaden würde? Wenn sie nur eine Klippe zwischen sie reißen würde? Dieses Risiko war ihm zu groß, er wollte Kalea doch nicht verlieren, keinesfalls. Er wollte sie aber auch nicht anlügen, schließlich hatte Kalea die Wahrheit verdient.
In Icarus kämpften Armeen gegeneinander und es schienen einfach nicht weniger Soldaten zu werden, die versuchten ihn vom Gegenteil zu überzeugen und die andere Seite zu besiegen. Doch diese beiden Seiten waren ausgeglichen, niemand hatte eine Chance und am Ende würden sie Icarus noch zerreißen. Er musste eine Entscheidung treffen, ob er wollte oder nicht. Es war wichtig, dass es Kalea gut ging, aber würde es das, wenn er ihr alles erzählen würde? Nein. Vermutlich nicht.
Ich lüge nicht, jedenfalls nicht, wenn es mir nicht schadet Diese Worte hallten durch Icarus' Kopf und er fasste einen Entschluss. Es würde Kalea definitiv schaden, wenn er ihr die Wahrheit erzähle würde. Deshalb würde er lügen. Charon hatte ihn für einen Auftrag gebraucht um etwas zu spielen. Er musste den Sohn des Präsidenten spielen damit die Phoenixe endlich wieder in Freiheit leben konnten. Genau. Das war der Plan.
„Hey Nervensäge" meinte Atlas noch bevor belustigt, bevor Icarus die Türe des Autos zuschlagen konnte. Er drehte sich zu ihm um und sah Atlas an. „Tut mir leid wegen deiner Nase aber das soll nicht heißen das ich nicht wieder zuschlagen würde" warnte er ihn nur und ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen nun.
„Keine Sorge. Ich plane schon wie ich dich das nächste Mal zur Weißglut bringe, Idiot" erwiderte Icarus ebenso frech wie sein Cousin bevor er die Türe zuschlug und dem schwarzen Wagen zusah, wie er langsam wieder verschwand und Icarus alleine ließ.
Als das Auto schließlich ganz weg war, drehte sich Icarus wieder zu dem Wohnblock und er atmete tief ein. Er hatte Kalea noch nie angelogen und eigentlich hatte er sich geschworen sie auch niemals anzulügen und immer ehrlich zu sein, aber er musste es tun. Er konnte, nein, er durfte Kalea nicht verlieren. Unter keinen Umständen. Er musste sie belügen um sie zu beschützen aber...würde diese Lüge wirklich schützen oder alles in die Schlucht reißen, die sie aufriss? Würde Icarus Kalea wirklich retten oder in den Abgrund stoßen?
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