Kapitel 13
[Mehr Glück als Verstand]
Die Feder traf genau neben Theseus' Ohr und er rutschte ab.
Er baumelte dort, mehrere Meter über dem Boden und beinahe am Ziel angekommen. Beinahe ganz oben, beinahe frei und nur seine Arme hielten seinen Körper fest.
„Theseus!" kreischte Robb als er sah, in welcher Gefahr er schwebte doch mit letzter Kraft und dem Adrenalin, das durch seine Adern pulsierte, konnte er einen festen Halt finden und sich wieder sicher festhalten.
Cas war stehen geblieben um zu sehen, was passiert war und er richtete seinen tiefblauen Blick auf Ketara, die mit einem überheblichen Grinsen, das auch auf Cas' Gesicht Platz hätte, auf die Flüchtlinge herab sah.
„Ketara Arayuma. Die Nummer 1" meinte Cas zu ihr und Ketara legte den Kopf schief. Sie betrachtete Casmiel wie ihre Beute, die in der Falle saß. Sie müsste nur mehr zupacken und ihn töten.
„Casmiel Tripe. Die Legende" widerholte sie seine Worte auf ihre Weise. Ihre Flügel schlugen fest und Theseus konnte ein paar silberne Federn daraus herausblitzen sehen, wenn die Sonne sie traf.
„Du hilfst also denen, die dich einsperren und zu ihren Zwecken ausnutzen?" fragte er weiter und irgendwie fühlte sich Theseus seltsam.
Ein Gefühl des Zweifelns stieg in ihm auf aber er zweifelte nicht an Casmiels Plan (an diesem zweifelte er sowieso, Cas war schließlich wahnsinnig in seinen Augen) sondern an der Arena ob sie denn wirklich gut war. Wieso hatte er plötzlich dieses Gefühl in seiner Brust?
Er wusste schließlich, dass die Arena vollkommen idiotisch war. Wieso also stiegen seine Zweifel? Wieso vertraute er Casmiel, als er diese Worte sprach?
„Sie behandeln mich gut. Ich habe Prämien erhalten, habe den Präsidenten kennengelernt und habe ein neues Hobby für mich gefunden" sie zog eine ihrer silbernen Feder aus ihren Flügeln und ließ diese aufblitzen. „Das Töten"
Cas schüttelte nur leicht lachend den Kopf und Ketara schien tatsächlich einen Moment verwirrt. Dieses Gefühl war Theseus schon gewohnt. Casmiel tat nichts anderes als ihn zu verwirren. Man gewöhnte sich daran...irgendwann...hoffentlich.
„Du denkst also diese Wissenschaftler und Trainer sind deine Freunde? Das der Präsident dich akzeptiert nur weil du die Nummer 1 bist? Oh Darling, für so naiv hatte ich dich nicht gehalten" lachte er fast schon mitleidig und er klang auch ein Stück weit enttäuscht.
Ketara ließ die silberne Feder sinken und musterte Casmiel verwirrt. Auch Theseus war ein wenig neben der Spur. Er war gerade fast durch diese Frau gestorben (mal wieder) und alles was Cas sagte war, dass sie naiv war? Wollte er sie provozieren und sie alle mit in seinen ganz bestimmt nicht glorreichen Tod reißen? Was ging im Kopf dieses Mannes nur vor sich?
„Ich...und...naiv?" fragte Ketara verwirrt. Sie schien mit ihrem Latein am Ende, sie schien generell am Ende zu sein. Wer konnte es ihr verübeln, sie hatte gerade den legendären Casmiel Tripe kennengelernt. Ein scheinbar wahnsinniger Mann, der gerade das zweite Mal unüberwindbare Mauern erklomm und dieses Mal sogar noch einen Ausbruch verursacht hatte. Dieser Casmiel Tripe, der wohl die Macht hatte alle zu verwirren und in die Irre zu leiten.
„Ja. Naiv. Diese Leute denken noch immer sie wären etwas besseres als du. Sie haben dich an der Leine wie einen Hund und du befolgst ihre Befehle blind ohne sie auch nur zu hinterfragen. Fast schon traurig" redete der Blonde einfach weiter. Er schien genau zu wissen was er sagen müsste damit Ketara noch etwas mit dem Töten wartete aber ihre Wut war deutlich in ihren lodernden Augen zu sehen.
„Das stimmt nicht" schrie sie wie ein trotziges Kind das nicht ihren Willen durchsetzen konnte und Theseus wusste das er Cas schnell irgendwie helfen müsste, sonst würde er mit einer Feder in der Brust am Boden der Arena landen.
Er warf Theseus nur einen kurzen Blick zu und in diesem Moment verstand Theseus diesen Mann. Er konnte das erste Mal aus seinen Augen lesen, was er vor hatte und was in seinem wohl genialen Gehirn gerade passierte. Er war kurz ein offenes Buch, eine Karte die ihn in die Freiheit führte. Aber in seinen Augen glänzte nicht der Wahnsinn, wie zuvor einige Male, sondern pure Intelligenz.
Theseus realisierte in diesem Moment das Casmiel vielleicht doch kein Idiot war. (Er war ein Idiot aber ein genialer Idiot)
So unauffällig wie nur möglich zog er die Feder aus dem Metall, sie steckte nicht gerade weit drinnen aber allein der Fakt das eine Feder aus Silber eine Metallwand durchbrochen hatte reichte, um ihm Angst vor diesem Ding zu machen.
Er sah Theon an, der die Feder nur verwirrt ansah, als hätte er keinen blassen Schimmer, was Theseus ihm damit sagen wollte. Eigentlich hatte Theseus gehofft, dass der mysteriöse Typ auch ein mysteriöses Messer-werf-Talent hatte, doch scheinbar hatte er das nicht.
Sein Tag war wirklich voller Enttäuschungen.
Plötzlich sah er eine Bewegung aus dem Augenwinkel und kurz hatte er die Sorge, das Ketara von ihrem Plan Wind bekommen hatte, aber es war nur Aspen, die vor Theseus kletterte und ihm die Hand hin hielt. Sie wollte also die Feder.
Aspen war ein Rätsel für sich. Sie war definitiv eine talentierte Kämpferin, doch irgendwie hatte sie diese ständige Aura um sich herum, als würde sich mehr hinter diesem Talent verstecken, als nur hartes Training. Es war, als würde der Tod ihren Schritten folgen und sich in ihrem Schatten verstecken.
Doch Theseus hatte keine Lust zu Sterben, so amüsant seine Zeit hier in der Arena gewesen war, weshalb er ihr einfach blind vertraute und hoffte, dass der Tod, der Aspen folgte, nicht ihn treffen würde. Nicht schon wieder.
Während Ketara und Casmiel also noch immer miteinander sprachen und Ketara wohl kurz davor war Cas zu töten (was Theseus ihr nicht wirklich übel nehmen konnte) zielte Aspen mit der Feder in ihrer Hand auf Ketara, die so vertieft in den Streit war, das sie nichts von Aspens fließenden, unauffälligen Bewegungen mitbekam.
Die junge Frau schien genau zu wissen was sie tun musste, damit sie unauffällig den Plan ausführen konnte und Theseus spannte sich merklich an.
Diese eine Feder aus Silber war ihre einzige Chance um zu überleben und vor Ketara zu fliehen und in diesem Moment schoss Aspen die Feder auf sie zu und traf den Engel im Bauch.
Ketara stöhnte auf und sah an sich herab, die Feder steckte tief in ihrem Bauch und war rot vor Blut. Ihrem eigenen Blut.
Sie versuchte ihre Flügel neu zu koordinieren, aber diese schlugen panisch auf und ab und das nicht im gleichen Takt sodass sie immer weiter sank und Casmiel einen letzten hasserfüllten Blick zuwerfen konnte bevor sich ihre Augen schlossen und sie mit einer ungesunden Geschwindigkeit auf dem sandigen Bode aufkam und regungslos liegen blieb.
Ihre Flügel waren ausgebreitete und in diesem Moment, mit den entspannten Zügen, den geschlossenen Augen und den ausgebreiteten Flügeln sah sie wahrlich aus wie ein gefallener Engel.
„Du machst dir hier wohl keine Freunde" bemerkte Theseus als er der Toten einen letzten Blick zuwarf und dann wieder weiter kletterte.
„Oh Darling" lachte Cas leicht als würde er Theseus ebenso als naiv bezeichnen, wie er es auch bei Ketara getan hatte, „Ich brauche keine Freunde. Ich habe mich und ich habe Dolores"
Dolores. Das musste seine Freundin sein, oder seine Schwester. Ein Mensch, der ihm viel bedeutete. Vielleicht war Casmiel doch nicht so herzlos wie er dachte. Vielleicht konnte er auch anders sein, seine Arroganz und seine Überheblichkeit abstellen und ein wahrer Held sein, genau wie in Theseus' Vorstellung. Vielleicht hatte Theseus ihn zu schnell als einen Idioten abgestempelt, vielleicht war sein wahres Wesen vollkommen anders. Vielleicht musste Theseus nur einen zweiten Versuch wagen den wahren Casmiel Tripe kennenzulernen. Den Helden, den er sich vorstellen wollte.
Vielleicht war es auch nur Theseus' naive Hoffnung und er würde bald eine weitere Enttäuschung erleben.
Sie waren angekommen. Am Ende der Mauer und endlich konnte Theseus tief einatmen und den Duft der Freiheit in seine Lungen aufnehmen.
Hier oben war die Luft rein, sauber. Er konnte förmlich fühlen wie die Freiheit ihn umspülte. Er fühlte den starken Wind, der gegen sein Gesicht schlug und ihn frösteln ließ. Er roch den leichten salzigen Duft, der die Luft erfüllte. Er sah die Stadt, wie sie unter seinen Füßen pulsierte. Er fühlte die befahrenen Straßen, die arbeitenden Fabriken und die beschäftigten Leute, die schnell von A nach B liefen. Er konnte etwas fühlen, das er schon lange nicht mehr wirklich gefühlt hatte. Das Leben in ihm.
„Es ist so schön hier" hauchte Aspen überwältigt von der Aussicht, die ihnen zuteil wurde. Ihre grün-orangen Augen strichen über jedes Haus, jeden Baum der Stadt als hätte sie diesen Anblick lange nicht mehr gesehen.
Hätte Theseus nicht gerade erlebt, wie sie Ketara getötet hatte, hätte er nie gedacht, dass sie dazu in der Lage wäre. Doch hier stand Aspen, scheinbar unberührt von dem Mord und hippelig auf- und ab federnd, als würde sie es kaum erwarten können, sich von dieser Mauer zu stürzen, in die Freiheit (nicht in den Tod, jedenfalls hoffte Theseus das (man konnte ja nie wissen)).
Auch die anderen stellten sich zu Theseus und Aspen. Robb, Theon, Rickard und Kalias hatten diesen Ausblick wirklich seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie hatten die Veränderung der Stadt nicht miterlebt, die sich seit Jahren weiterentwickelt hatte.
Casmiel war vor zehn Jahren aus der Arena geflohen und wie Theseus wusste war Robb zirka zu diesem Zeitpunkt in die Arena gekommen. Er hatte sein gesamtes Leben verpasst, zehn Jahre seines Lebens waren einfach verflogen.
Zehn Jahre hatte es für ihn geheißen: Töte oder du wirst getötet.
Die Arena hatte ihn verändert. Sie hatte ein Stück Menschlichkeit aus seinem Herzen entzogen, ein Stück seiner Seele zu sich genommen. Er würde nie wirklich vergessen können was er in der Scena erlebt hatte. Er war ein Teil der Arena und die Arena war ein Teil von ihm.
„Das ist Freiheit" sagte Cas ruhig. Er stand hinter den Befreiten und hatte seine Hände in die Taschen seines Mantels gesteckt. Der Kragen war hochgestellt um ihn von dem drückenden Wind zu beschützen, ein charmantes, ruhiges Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen das seine dunkelblauen Augen nicht erreichte.
Der Wind blies ein paar Strähnen seiner weiß-blonden Haare aus seinem Gesicht und das Licht schien auf ihn, als wäre er ein Heiliger. Scheinbar wollte die Natur seine Perfektion noch einmal hervorheben (als wäre das tatsächlich von Nöten).
Aspen trat vor und lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln, das Theseus schon einmal auf ihrem schönen Gesicht gesehen hatte.
„Danke Cas" meinte sie nur und ihre Augen leuchteten, so dankbar war sie für seine Hilfe aus der Arena zu fliehen. Er sah sie kurz nur mit einem merkwürdigen Blick an und nickte ihr dann nur leicht zu, als würde er ihren Dank wortlos entgegen nehmen.
„Cas!" schrie ein Mädchen mit schokoladenfarbener Haut, dunklen Haaren und leuchtenden ebenso dunklen Augen in denen goldene Sprenkel sich drehten.
Sie war schön, wirklich schön. Ihre Züge waren sanft und ihr Gesicht ein wenig breiter. Sommersprossen säumten ihre kleine, runde Nase und ihre Wangenknochen. Dichte, schwarze Wimpern umrahmten ihre schönen, großen Augen und sie war um einiges kleiner als Theseus.
Sie lief zu ihnen und als Theseus dachte, sie würde stoppen um alle zu begrüßen, schlang sie ihre Arme stürmisch um Casmiels Hals und umarmte ihn fest, als hätte sie ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Das musste also Dolores sein, Casmiels Freundin.
„Okay" machte Cas sichtlich überrascht von dieser stürmischen Begrüßung aber auch er legte seine Arme etwas unbeholfen auf ihren Rücken.
Als sie sich löste, sah sie Casmiel tief in die dunkelblauen Augen und ihr Blick war ein wenig streng, als hätte Cas etwas gemacht, was ihr nicht passte.
„Casmiel Tripe. Du hast dich verspätet um ganze sieben Minuten. Ich dachte schon du wärst tot!" tadelte sie ihn aber wirklich wütend klang sie nicht. Eher wie eine Mutter, die ihr Kind tadelte weil es etwas falsch gemacht hatte doch auch Sorge schlich sich in ihre schöne, melodische Stimme.
„Keine Panik, Darling. Ich hatte alles im Griff es gab nur ein paar...Schwierigkeiten" entschuldigte er sich nur schmunzelnd. Anscheinend kannte er das Mädchen und ihre Tadeleien gut.
„Wo ist Ellie?" fragte er das fremde Mädchen das Theseus als Dolores identifiziert hatte. Ihr Blick wurde etwas düsterer und sie sah in Richtung von den anderen, die scheinbar auf Cas gewartet hatte.
„Uns geht es relativ gut dafür das wir gerade gegen die halbe Arena gekämpft hat und zugleich noch gegen ein paar Wachen. Nika und Yizza wurden nicht wirklich verletzt, Lorcan hat eine kleine Wunde am Arm, Jason war kurz bewusstlos, klagt aber nur noch über Kopfschmerzen. Er wurde gegen die Mauer geschlagen. Ich, Azrael und Alessia sind ebenso unverletzt. Wir haben oben gewartet und uns um die verletzten gekümmert. Aber Ellie..." sie stockte kurz und gab ihm ein Zeichen das Cas ihr folgen soll.
Theseus ließ Aspen, Robb und die anderen stehen und folgte den beiden zu dem Mädchen, das gegen Eira gekämpft hatte als sie fliehen mussten. Damals hatte sie so kämpferisch und mörderisch ausgesehen das ihr jetziger Anblick fremd war.
Ihre schönen, goldenen Haare waren verwuschelt und verknotet, ihre Augen waren geschlossen und über ihrer rechten Augenbraue war eine kleine Wunde, vermutlich von einem dumpfen Gegenstand.
Ihre Kleidung, die aus einem praktischen, schwarzen Anzug bestanden hatte war an manchen Stellen zerrissen und eine größere Wunde zierte ihren Oberschenkel.
Doch das schlimmste war ihre Hand. Sie war vollkommen verbrannt und glühte rot. Sie strahlte sogar noch Wärme aus und das Fleisch war an einigen Stellen verbrannt und die Haut pellte sich ab. Es war ein grausiger Anblick.
„Ich...ich wollte sie heilen aber sie wollte es nicht" berichtete die Schwarzhaarige weiter. Tränen sammelten sich in ihren klaren Augen und sie sah etwas hilflos zu Casmiel der ein ernstes Gesicht aufgesetzt hatte und sie musterte.
„Wir bringen sie zum Widerstand. Hier sind wir nicht sicher und wenn wir Glück haben denken sie, wir sind schon lange weg. Gehen wir" meinte Cas und statt einfach an Eleanor vorbei zugehen hob er sie hoch und trug sie.
Theseus blickte ihnen besorgt nach. Eleanor sah nicht gut aus und obwohl er sie nicht kannte hoffte er das sie es überleben würde. Schließlich war sie nur wegen ihm in diese Arena gegangen und hatte gegen Eira gekämpft.
Er rief die anderen zu sich und folgte Casmiel zu einem Hubschrauber. Es war nicht irgendein Hubschrauber, es war ein Hubschrauber von der Arena um Phoenixe anzuholen, die die Jäger erwischt hatten. Sie waren schusssicher und für den Krieg gebaut, keine Kugel und keine Kraft konnte durch das Metall kommen.
„Wie habt ihr..." fragte Kalias erstaunt als er ihre Fahrkarte in die Freiheit erblickte. Auch Theseus musste zugeben das das ein seltsamer Anblick war. Normalerweise floh er vor diesen Gefährten und jetzt sollte er selbst in einem fliegen.
„Weißt du, mein Lieber. Wir sind seit fünfzehn Jahren untergetaucht und du denkst wirklich wir haben uns nie bewegt?" fragte ein großer Mann mit goldenen, Schulterlangen Haaren und einem verschmitzten Grinsen im Gesicht.
„Es hat eben auch seine Vorzüge einen Casmiel Tripe in seinem Team zu haben" fügte er noch hinzu und langsam fragte sich Theseus wirklich ob Casmiel nicht mehr war als nur ein Idiot...
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