11 PV
Mein Leben ist aus den Fugen geraten.
Nichts ist mehr, wie es war, das Leben hat seine Leichtigkeit verloren.
Alles, was ich kannte, hat sich verändert.
Nein! Keine Angst!
Keine schwere Krankheit, kein Todesfall.
Aber wir sind seit September stolze Besitzer eine Photo-Voltaik-Anlage. (Ich bin froh, dass Word dieses Wort kennt, ich schreibe es nämlich immer falsch, also mit -e hinten. Sieht einfach hübscher aus, finde ich.)
Dazu gekommen sind wir buchstäblich wie die Jungfrau zum Kind, ungeplant und überraschend.
Als wir nach dem Urlaub unser Auto ausgepackt haben, hat uns unsere Doppelhausnachbarin erzählt, dass sie eine solche Anlage installieren lassen werden.
Mein Mann, der bei allem, was mit Energiesparen zu tun hat, riesengroße Elefantenohren bekommt, hat sie ausgequetscht, und irgendwie haben die beiden meine Übermüdung nach der Reise schamlos ausgenutzt, so dass ich zugestimmt habe.
Nicht, dass ich gegen ein vernünftiges Energiemanagement wäre, aber billig sind die Dinger ja nicht gerade.
Also, kurz und gut – vier Wochen später waren die Module auf dem Dach, der Speicher war eingebaut, das Ding angeschlossen.
Damit hatte wir unheimliches Glück, dass wir vor der Verabschiedung der Förderpläne der Ampel den Vertrag abgeschlossen haben. Bekommen hätten wir eh nichts, denn ein E-Auto und eine Wallbox haben wir schon. Und nur, wenn man alles zusammen bestellt, gibt es Geld vom Staat.
Logisch!
Nicht?
Okay!
Nicht!
Wer frühzeitig gehandelt hat, geht leer aus.
Egal, nun haben wir also das Ding auf dem Dach und den Speicher im Keller.
Dann begann ich, neue Worte zu lernen:
Einspeiseerlaubnis
Bundesnetzagentur
Inbetriebsetzungsanzeige
Marktstammdatenregister
Netzanschlusspunkt
Einspeiseanlage
Registrierungsbestätigung für die Stromerzeugungseinheit
Einige davon hätten mir bei jedem „Hanging-man-Spiel" während der Schulzeit Siege ohne Ende beschert.
Ich merke sie mir mal fürs Scrabble, vielleicht bekomme ich die Buchstaben dafür zusammen.
Wir haben Formulare ausgefüllt, Mails mit PDF-Dateien verschickt und bekommen, telefoniert – meistens mit Adam oder Oskar oder Anton.
„Wenn Sie eine Frage zu Ihrem Hausanschluss haben, sagen Sie Hausanschluss"
„Hausanschluss"
„Ich habe Sie nicht verstanden. Wenn Sie .........."
„Haus an schluss"
„Ich habe Sie nicht verstanden. Wenden Sie sich bitte an einen Mitarbeiter. Ich bin nur ein Computer. Ich lerne noch."
Neue Nummer – neues Glück.
Oder auch nicht.
„Guten Tag, Sie sind verbunden mit ....... Wenn Sie eine Frage zu Ihrem Hausanschluss haben, wählen Sie bitte die 1."
1
„Guten Tag! Sie haben eine Frage zu Ihrem Hausanschluss? Wir bitten Sie um etwas Geduld. Derzeit sind alle Mitarbeiter in einem Gespräch. Der nächste freie Mitarbeiter wird sich um Ihr Anliegen kümmern. Legen Sie bitte nicht auf."
Dann beginnt diese Art von Musik zu dudeln, bei der ich überzeugt bin, dass die unbegabtesten Absolventen einer Komponistenklasse auserwählt wurden, diese Töne zu kreieren.
Und immer wieder von neuem die selbe Ansage dazwischen: „Guten Tag! Sie haben ......"
Plötzlich kommt Abwechslung in das Nicht-Gespräch.
„Kennen Sie schon Adam? Unseren KI-gesteuerten Helfer? Gerne können Sie sich an ihn wenden unter der Nummer ........"
Lange Telefonate, kurzer Sinn – irgendwann einmal waren alle Papiere an den richtigen Stellen, wir produzierten Strom, also die Module taten das für uns.
Der Netzbetreiber teilte uns mit, dass er sich freue, die überschüssige Energie abzunehmen.
Kann ich verstehen.
Zwei Monate lang bekommt er sie umsonst, dann bezahlt er acht Komma nochwas Cent pro Kilowattstunde an uns und verkauft sie für 46 Cent weiter, auch an uns an dunklen oder regnerischen Tagen, wenn der Speicher nicht ausreicht.
Aber klar, die Netze müssen ausgebaut und gewartet werden, während wir unsere Anlage ja geschenkt bekommen haben. Nicht!
Außerdem müssen die Vorstandsbosse bezahlt werden.
Egal – ist halt so.
Wir bekommen in einem gesonderten Schreiben mitgeteilt, dass die Registrierung beim Marktstammdatenregister noch zu erfolgen hat.
Haben wir zwar schon gemacht, aber wir schicken die Unterlagen gerne noch einmal zu.
Aber jetzt zum eigentlichen Einschnitt in unser Leben. Daran ist nicht die Anlage schuld, nein - der Übeltäter ist die App.
Die zeigt uns nämlich unentwegt, wie viel Strom produziert wird, wie viel in den Speicher fließt, wie viel ins Haus und wie viel wir derzeit noch verschenken.
Tag 1
Als ich am für mich frühen Morgen die Augen öffne und einen Blick auf meinen Liebsten werfe, sehe ich, dass er verzückt aufs Handy sieht.
Sicher scrollt er durch Fotos vom Urlaub, sein seliges Lächeln wird bestimmt von den Bildern von mir ausgelöst.
Ich fasse nach seiner Hand, er sieht mich strahlend an.
„1,8 Kilowatt!" Seine Stimme klingt so glücklich - und ich verstehe nur Bahnhof.
„Was?"
„Wir produzieren 1,8 Kilowatt pro Stunde!"
„Aha! Ist das viel?" Ich habe echt keine Ahnung, stelle mich also nicht dumm, bin es in diesem Fall.
„Wir haben einen Durchschnittsverbrauch pro Tag von ungefähr sieben Kilowatt." Er ist ein sehr geduldiger Ehemann.
Rechnen kann ich. 1,8 KW/H - das macht bei acht Sonnenstunden ..... viel!
Nein! Das macht 14,4 Kilowatt.
Der Speicher, der neun KW aufnimmt, ist fast voll.
Jetzt schon.
Was also tun?
Strom verbrauchen!
Wir springen aus dem Bett.
„Wir waschen!" schlägt er vor.
Eine gute Idee. Vor lauter Mails-schreiben und -beantworten ist die Wäsche etwas knapp geworden.
Als ich das Trockengestell vom Keller nach oben trage, sieht er mich verwundert an. „Es bleibt sonnig! Wir können den Trockner einschalten."
Wow! Welche Dekadenz. An einem gefühlten Sommertag den Wäschetrockner benutzen.
Tag 2
Ich hatte ja beschlossen, diese App nicht runterzuladen. Es würde genügen, wenn er, der was von dem ganzen Technikzeug versteht, sie auf seinem Handy hat.
Doch schon sehr schnell wollte ich diese Informationen auch zeitnah erleben dürfen. Fasziniert beobachte ich die Bildchen, die mir genau zeigen, wie viel Strom produziert wird, wie viel das Haus verbraucht, wie viel in den Speicher geht und wie viel – grrr – wir an den Netzbetreiber verschenken.
Auch dieser Tag würde sonnig werden, also können wir beruhigt das E-Auto laden.
Leider können wir dann eben nicht zum Einkaufen fahren, müssen kochen, was die Speisekammer und die Kühltruhe hergeben.
Tag 3
Beim Frühstück sind wir etwas schweigsam, weil wir beide diese vermaledeite App nicht aus den Augen lassen können.
„1,4 KWh!" seufzt er glücklich.
Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne.
„124 Watt!" Mein Herz rast.
Die Wolke zieht weiter. Er geht auf die Terrasse, betrachtete den Himmel.
„Sieht gut aus. Wir können backen!" bestimmt er zufrieden.
„Roggenbrot und Semmeln?" frage ich nach.
„Erstmal Brot, dann sehen wir weiter."
Der Sauerteig ist aus, wir müssen in den fünf Kilometer entfernten Supermarkt fahren.
Was nicht weiter schlimm ist, denn wir können bei diesen Sonnenstunden problemlos auch das Auto wieder laden. Im Supermarkt tapsen wir unsicher durch die Gänge, den Blick starr aufs Handy gerichtet. Könnte ja sein, dass sich eine Superwolke über unserem Haus einnistet. In diesem Fall müssten wir ganz schnell unsere Pläne ändern.
Tag 4
Noch vor Sonnenaufgang kontrolliere ich, ob der Speicher sich über Nacht geleert hat. Erst als ich sehe, dass immer noch vierzig Prozent zur Verfügung stehen, kann ich weiterschlafen.
Schon wieder ein sonniger Tag!
Was tun?
Wir beschließen, einen Ausflug zu machen, damit der Akku des Autos sich ein wenig leert, obwohl ich Kopfschmerzen habe und sich bei ihm der lebensgefährliche Männerschnupfen anbahnt.
Am Nachmittag kommen wir rechtzeitig zurück, damit wir den Akku noch füllen können, so lange die Sonne scheint.
Tag 5
Immer noch sonnig.
Wir stehen den ganzen Tag in der Küche, backen, was das Zeug hielt. Die Gefriertruhe quillt zwar fast über, aber das spart ja auch Energie, wenn sie gut gefüllt ist.
Tag 6
Wir schlafen lange – die letzten Tage waren anstrengend.
Als wir die Augen öffnen, ist irgendetwas nicht in Ordnung.
Was ist los?
Keine Sonne scheint ins Schlafzimmer?
Grau, wolkig, Regen!
Die App zeigte: 134 Watt Produktion!
Verbrauch: 246 Watt!
Der Speicher bei dreißig Prozent.
Wir brechen beinahe zusammen.
Dabei war heute geplant, den Geschirrspüler anzuschalten.
Also, das gebrauchte Geschirr wieder ausräumen, per Hand spülen.
Tag 7
Das triste Regenwetter hält an. Die Anlage produziert wenig. Wir stehen spät auf, gehen früh schlafen. Auch nicht schlecht! Blinzel! Blinzel!
Woche 2
Langsam pendelt sich das Leben rund um den Stromverbrauch ein. Unser Leben organisiert eine App.
November
Dann kommt über Nacht der Winter. Ende November fällt der erste Schnee, die Module sind erst vereist, dann schneebedeckt.
Wir wachen auf, halten uns lachend im Arm, akzeptierten, dass Solarenergie eben hauptsächlich bei Sonnenschein funktionierte – wie der Name schon sagt.
Wir bekommen unsere Coolness zurück, finden uns damit ab, dass wir Strom von den Halsabschneidern beziehen müssen. Bleibt uns schließlich nichts anderes übrig.
Nach Tagen schmilzt endlich der Schnee, an der einen Seite langsamer, denn dort haben wir Schneegitter, er kann nicht so einfach abrutschen wie auf der Seite zum Garten. Dort donnert er mit Getöse auf den Balkon - ein erdbebendes Geräusch.
Noch immer versuchen wir, stromintensive Aktivitäten nach Sonnenstunden einzuteilen.
Und wir freuen uns auf die nächste Abrechnung vom Stromanbieter
Drei Monate waren wir nicht zu Hause gewesen, seit September haben wir den Großteil unseres Verbrauches selbst produziert. Ein erhebendes Gefühl.
Irgendwann einmal wird der Netzbetreiber den Produktionsüberschuss bezahlen müssen, dann wird er zwar die Grundgebühren erhöhen, aber das würde er so auch.
Ende Dezember
Der Schnee auf dem Dach ist abgetaut, die Sonne scheint, das Leben ist leicht und gut.
Ein Schreiben und eine Mail vom Netzbetreiber erreichen uns.
Wir sollen die Registrierung beim Marktstammdatenregister durchführen.
Ich bin nahe am Schreikrampf und Nervenzusammenbruch, bis mich mein Mann davon überzeugt, dass es das nicht wert ist.
Ich habe diese Unterlagen gemailt, als Brief gesendet und - man glaubt es kaum – auch gefaxt.
Anrufen?
Nein!
Keinen Bock auf Adam, den Computer, der noch lernt.
Keinen Bock auf Dudelmusik!
Lieber ein seeeehr freundliches Begleitschreiben und noch eine Kopie dieser verdammten Registrierung abschicken.
Per Einschreiben.
Aber es scheint die Sonne, wir können mit dem Auto zum Postamt fahren.
Nach ein paar Tagen wieder eine Mail: Nur noch wenige Schritte trennen uns davon, eine Vergütung für den Überschuss an Strom zu erhalten.
Wir müssen lediglich die „Erklärung über Unternehmen in Schwierigkeiten" ausfüllen und übermitteln.
Bei Fragen können wir uns gerne unter der Nummer ....... an den Netzbetreiber wenden.
Oder die Hilfe des virtuellen Helfers in Anspruch nehmen.
Doch Nervenzusammenbruch?
Oder wenigstens einen hysterischen Anfall?
Wir füllen auch dieses Formular aus, nehmen das Ganze mittlerweile mit Humor, bringen es zur Post. Der Beamte begrüßt uns lächelnd – eine neue Freundschaft scheint sich anzubahnen.
Eine Woche später erreicht uns wieder einmal ein Schreiben des Netzbetreibers. Es ist kurz vor Weihnachten, ich lege es erst einmal zur Seite.
Zwar bin ich gespannt, was die sich als nächstes ausgedacht haben, aber ich habe auch keine Lust, uns die vorweihnachtliche Stimmung verderben zu lassen.
Umso größer die Überraschung, als ich schließlich den Umschlag öffne. Man bittet um eine Kontonummer, auf die die Pauschale für die Einspeisung überwiesen werden kann.
Der Postbeamte am Schalter, dem wir wieder einmal ein Einschreiben bringen, sieht uns mitleidig an, als er die Adresse liest. „PV-Anlage?" fragt er nur.
Wir nicken matt, er lächelt mitleidig.
Januar
Ein Schreiben vom Netzbetreiber
Die Registrierung bei der Bundesnetzagentur liegt noch nicht vor.
Ich atme tief ein und aus, versuche den Tobsuchtsanfall zu verdrängen, greife zum Telefon.
„Gute Tag! Herzlich willkommen bei ..... Wenn Sie .........."
Nach bereits zwei Minuten meldet sich eine weibliche Stimme. Uff! Kein Adam!
„Was kann ich für Sie tun?"
Ich versuche gaaaanz ruhig und sachlich mein Anliegen zu schildern, werde aber schnell abgewürgt. „Sind Sie die Vertragsinhaberin?"
„Ah also..." stottere ich los. „Der Vertrag läuft auf meinen Mann."
„Haben Sie eine Vollmacht?"
Eine Vollmacht, um anzurufen, um nachzufragen, was mit unserer Anlage auf unserem Haus schiefläuft?
„Nein!"
Aber die Lizenz zum Töten werde ich demnächst beantragen.
„Dann bin ich nicht befugt, Ihnen Auskunft zu geben!"
Okay, ich rufe von der hinterlegten Nummer an, habe alle Vertragsnummern vor mir liegen, sämtlichen Schriftverkehr – und, wohlgemerkt! – es handelt sich um eine Summe von ungefähr 20 Euro pro Monat, mit der wir als Einspeiseerstattung rechnen.
„Ist der Herr zu sprechen?"
Der „Herr" hat sich natürlich verkrümelt, er hasst diese Telefongespräche so sehr wie ich sie „liebe".
Also, auflegen, Mann suchen, noch einmal anrufen, er erteilt fernmündlich die Vollmacht, wird ermahnt, sie schriftlich nachzureichen.
So wie auch die Steuernummer.
Als Kleinunternehmer in Sachen Stromerzeugung ist er zwar von Umsatzsteuer befreit, aber eine Steuernummer brauchen sie trotzdem. Schriftlich. Deutschland!
Dann darf ich weitersprechen, frage nach, warum denn die Registrierung noch immer nicht vorliegt, erfahre, dass ich das mit der Bundesnetzagentur klären müsse.
Eine neue Telefonnummer.
Adam teilt mir mit, dass ich außerhalb der Geschäftszeiten anrufe.
Gut! Deshalb kommen diese Schreiben also immer freitags nach zwölf.
Besser so, kann ich mich bis Montag etwas beruhigen.
Am Samstag kommt mir die Idee, eine Anfrage per Mail zu schicken, denn ohne Vollmacht werde ich auch da keine Auskunft bekommen.
Ich schreibe auch gleich noch eine Vollmacht, setze die Steuernummer darunter, drucke das ganze aus.
Wahrscheinich bekomme ich in vier Wochen eine Antwort, dass die Steuernummer gesondert angegeben werden muss. Dann haben sie sich weitere vier Wochen davor gedrückt, für den eingespeisten Strom zu bezahlen.
Und wahrscheinlich kommt ein gesondertes Schreiben, dass die Registrierung im Marktstammdatenregister noch nicht vorliegt.
Einen weiteren Monat später brauchen sie dann wohl Körpergröße und Gewicht.
Im Sommer merken sie dann, dass die Registrierung im Marktstammdatenregister noch nicht vorliegt.
Vielleicht kann ich nächstes Jahr vermelden, dass wir 20 Euro Pauschale bekommen haben.
Mit ganz viel Glück.
Es kann aber auch sein, dass die Registrierung im Marktstammdatenregister (Ich kann dieses Wort schon ziemlich fehlerlos tippen) noch nicht vorliegt.
Vielleicht sitze ich aber auch im Gefängnis, weil ich Adam ermordet habe, oder den Komponisten der Dudelmusik.
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