
Kapitel 8 ϟ Oxygen
Hear Me - Imagine Dragons ♪♫
"Ist alles okay?", fragte Henry und schaute mich besorgt an.
"Ja, alles bestens", log ich und schüttelte den Kopf, damit er die Tränen nicht sah. "Lass uns gehen."
Obwohl ich wusste, dass Melody mit dem Mittag beschäftigt war und mir nicht begegnen konnte, wehrte ich Henrys alternativen Vorschlag, in die Bibliothek zu gehen, ab. Stattdessen beharrte ich auf unseren eigentlichen Plan, raus zu gehen, mit der Begründung, dass es wahrscheinlich die letzten schönen Tage für dieses Jahr sein würden.
Henry beugte sich meinem Wunsch und wir setzten uns auf den Pausenhof ins Gras.
Die warmen Sonnenstrahlen waren das einzig Positive, was ich an diesem Tag zu verzeichnen hatte. Die Luft war eher kühl und wenn eine Windböe die Mauern erreichte und durch die Steinbögen pfiff, fröstelte ich ein wenig.
Doch die meiste Zeit blieb es ruhig und ich genoss die zarte Wärme auf meiner Haut. Bei dem Gedanken, dass es nun wirklich auf die letzten schönen Tage zu ging, wurde ich fast traurig.
"Denkst du, die Gryffindors wissen, dass wir sie morgen im Gemeinschaftsraum überfallen?", fragte ich Henry, welcher ebenfalls mit geschlossenen Augen die Nase in die Luft reckte.
"Keine Ahnung, ist mir auch egal. Einen Abend mit uns werden die schon überstehen."
"Denkst du, die werden uns nerven oder tatsächlich in Ruhe lassen?"
"Kassy, das sind Gryffindors und keine Slytherins. Außerdem sind Tori und Teddy dabei, das geht schon gut."
"Aber was ist mit Dave und so? Denkst du ..."
"Kas, so viel wie ich in der letzten Minute denken sollte, überfordert selbst mein Ravenclawgehirn, okay? Mach dir jetzt keine Gedanken. Wir haben zwei Geburtstagskinder, eine Achtel-Veela und einen Lupin als Schulsprecher. Verstehst du das? Einen Lupin! Wenn die uns wirklich blöd kommen - "
"Drohen wir mit Werwolfkräften, schon klar", grinste ich.
Teddy tat das vor allem bei jüngeren Schülern gerne, um sie ein wenig zu ärgern. Das war zwar nicht seine Art, allerdings blieb auch er nur so lange nett, wie andere nett blieben. Wenn ihm jemand blöd kam, konnte der Hufflepuff richtig zickig werden.
Wir lagen schweigend eine Weile im Gras, als die Schulglocke über den Hof drang. Wir waren nicht die einzigen, die aufstöhnten und sich langsam in Bewegung setzten.
"Wo musst du hin?", fragte Henry mich.
"Muggelkunde", antwortete ich und schwang mich auf die Beine.
"Muggelkunde? Du hast das immer noch?"
"Henry, natürlich. Ich kann das nicht einfach abwählen", lachte ich.
"Ich versteh das nicht. Ich brauch doch nichts über Muggel zu wissen, wenn ich eh in der Zauberwelt lebe", argumentierte er.
"Und ich brauche Pflege Magischer Geschöpfe nicht, wenn ich eh im Ministerium arbeiten will", grinste ich, winkte ihm verschmitzt und ging ins Schloss.
Es klingelte gerade das zweite Mal, als ich das Klassenzimmer erreichte und Professor Perks die Tür aufschloss.
Wir strömten hinein und ich setzte mich auf meinen Platz neben Davina. Professor Perks begann sogleich mit dem Unterricht.
"In der letzten Stunde haben wir unser Wissen aus dem letzten Jahr wieder aufgefrischt", erklärte sie begeistert. "Dabei ging es vor allem um Computer. Heute möchte ich euch etwas Neues vorstellen, das eng in Verbindung damit steht. Es heißt: das Internet."
Das Internet war eine scheiß Erfindung.
Ich brauchte die ganze Doppelstunde um den Mist zu verstehen. Saiph hatte zwar häufiger davon erzählt, allerdings verstand ich nie den Sinn dahinter.
Welche penetrante Muggel kam auf die beknackte Idee, Post durch Kabel zu verschicken? Wozu hatte man Eulen?
Als Professor Perks erzählte, dass die Erfindung von Amerikanern stammte, wunderte mich allerdings nichts mehr. Die hatten ja auch einen Menschen auf den Mond geschickt. Verrückt, diese Muggel.
In der Pause traf ich mich mit Alia vor dem Arithmantikklassenraum. Wir quatschten ein bisschen, ich versuchte sie davon zu überzeugen, dass das Internet (gegen ihre Meinung) echt komisch war und danach heulte Alia sich bei mir aus, dass sie sich nun endgültig sicher war, ihre Schwester hätte ihr beim Kofferpacken doch ihre Lieblingsfeder gestohlen.
"Die war verdammt teuer! Ich glaub echt nicht, was der einfach einfällt!", beschwerte sie sich lautstark. Es war nicht das erste Mal, dass Jenny Alia einfach Sachen klaute.
"Wenn ich das Passwort wüsste, würde ich ja glatt einbrechen", scherzte ich. Alia schien das allerdings gar nicht wie einen Scherz zu sehen.
"Das", sprach sie verführerisch, "ist eine geniale Idee. Wenn du Melody bearbeitest, dann kriegst du doch bestimmt das Passwort, oder?"
"Wir ... nein, ich ..."
"Was hat sie gemacht?"
"Ist nicht wichtig. Fakt ist, dass ich mich ab sofort von ihr fernhalte und meine ganze Aufmerksamkeit euch gebührt."
"Endlich", atmete Alia erleichtert auf. "Ich will ja nichts sagen, aber ich mochte sie von Anfang an nicht. Ich wusste, dass sie komisch ist. Nicht nur, weil sie in Slytherin ist, hast du sie mal angesehen?"
Alias Hetzrede, die sich anscheinend über die Jahre aufgebaut hatte, führte sich noch ein wenig fort. Ich blieb dabei geflissentlich still und lächelte leicht. Sie hatte so recht, obwohl ich durchaus auch gute Zeiten mit Melody teilte. Diese waren jetzt vorbei und komischer Weise wurde ich nicht mal mehr traurig, wenn ich daran dachte.
Arithmantik verging relativ schnell. Ich schrieb fleißig mit und versuchte, die gestellte Aufgabe zu lösen. Alia laberte mich und Olivia damit zu, wie sehr sie sich auf ihren Geburtstag freute und wenn sie ab und zu mal die Luft anhielt, versuchten Davina oder ich, Alia die Lösungsmethode zu erklären.
Nach der einen Stunde waren wir allerdings noch nicht ganz erlöst, da wir noch eine Doppelstunde Geschichte der Zauberei vor uns hatten.
Dabei schlief ich tatsächlich fast ein, obwohl ich heute Morgen schon viel geschlafen hatte. Professor Binns schien heute besonders weit vom eigentlichen Kontext abzuschweifen und erzählte uns etwas über die Koboldaufstände. Nicht, dass es uninteressant wäre, nur hatten wir das alles schon behandelt und es war fast eins zu eins im Buch nachzulesen.
Ich saß neben Lian, dem es ähnlich wie mir zu gehen schien. Nach weniger als zwanzig Minuten war er eingeschlafen. Ich nutze diese Gelegenheit und fing an, auf ein Blatt Pergament zu kritzeln.
Immerhin hatte ich nun eine Doppelstunde Zeit, mir Gedanken über das zu machen, was ich Shawn beibringen wollte. Ich hatte zwar noch keine genaue Ahnung, wobei er Hilfe brauchte, aber sein Grundgerüst abzuchecken kam mir nicht blöd vor.
Ich schrieb einige Dinge auf, von denen ich wusste, dass sie in den UTZ-Prüfungen gefordert waren. Da ich ohnehin vorhatte, Zauberkunst als UTZ-Kurs zu belegen und ich mir zugegeben nicht wirklich Sorgen um die ZAGs machte (zumindest nicht in diesem Fach), nutzte ich einen Teil meiner Sommerferien dazu, mich über den Inhalt der sechsten und siebten Klasse zu informieren.
Demnach war ich mir ziemlich sicher, dass Shawn Probleme mit dem Gedächtniszauber Obliviate haben würde. Die Zauberstabbewegung war äußerst schwierig und ich beherrschte ihn nur in der Theorie, da sich bis jetzt kein praktisches Beispiel geboten hatte. Von meinem Cousin wusste ich, dass er Teil der ersten Unterrichtseinheit war.
Am Ende der ersten Stunde hatte ich eine beachtliche Liste zusammen, mit möglichen Problemen Shawns, auch wenn einige ziemlich unwahrscheinlich waren. Neben Wiederholungen aus dem fünften und sechsten Schuljahr standen Zauber wie der Desillusionierungszauber und der Proteus-Zauber auf dem Pergament. Auf Letzteren war ich selbst auch unheimlich neugierig, da er erstens sehr schwer und zweitens angenehm praktisch war.
Als es endlich klingelte, schreckten einige Hufflepuffs, Henry und Lian aus ihrem Nachmittagsschlaf hoch. Alle packten schnell ihre Sachen zusammen und während Professor Binns in seinen Monolog über Alguff den Abstoßenden vertieft war, verließen wir das Klassenzimmer.
"Noch was für heute Abend geplant?", fragte Alia mich fröhlich grinsend.
Letztes Jahr war Dienstag immer der Tag gewesen, an dem Melody und ich uns in der Bibliothek getroffen hatten, um die Woche aufzuarbeiten. Ich hatte versucht, ihr die Dinge zu erklären, die sie nicht verstand, und sie kontrollierte stets meinen Wissensstand.
"Nö", antwortete ich spitz und lächelte breit.
"Also ... es gäbe da ja noch Hausaufgaben in Alte Runen."
Alia wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
"Die ich sogar ganz zufällig noch nicht fertig habe", antwortete ich lachend.
"Abschreiben lässt du mich trotzdem nicht, oder?", vermutete sie enttäuscht.
"Du hast es erfasst, aber ich kann dir helfen - wenn ich es selbst hinkriege."
Gesagt, getan. Nach dem Abendessen tauschte ich meine Sachen aus und traf mich mit Alia, Olivia und Teddy vor dem Eingang zur Bibliothek. Wir suchten uns einen Tisch im hinteren Teil. Teddy hatte sich auf Alias Anfrage Zeit genommen, um uns ein wenig zu helfen.
"Der Geier sitzt auf dem Dach ...", übersetzte Alia langsam. Teddy nickte unterstützend und Lil suchte schnell auf einer ihrer Aufzeichnungen nach einer Rune.
"Hier", half ich und schob ihr mein Blatt hin.
"Ah, danke ... ja ... Der Geier sitzt auf dem Dach", startete Alia erneut und ihr Finger fuhr an den Runen entlang, "und ... und fliegt auf ... die Ehefrau?"
Teddy prustete los und auch Olivia und ich konnten uns kaum halten vor Lachen. "Die Ehefrau?", wiederholte Teddy atemlos. "Das heißt garantiert nicht Ehefrau!"
"Mr Lupin!"
Madam Pince reckte den Kopf um die Ecke des Regals und durchbohrte uns mit einem ihrer Adlerblicke, die einem wirklich Angst machen.
"Sie fallen wirklich negativ auf."
"Ich schwöre, Madam Pince, beim Barte des Merlin, das war nicht meine Schuld. Die Ehefrau - "
"Die Ehefrau wird Ihnen auch nicht helfen. Noch eine Auffälligkeit und Sie werden Mr Mendes und Miss Bole bei ihrer morgigen Strafarbeit zur Seite stehen."
"Bei - was?" Teddys Kinnlade klappte auf und ich schlug innerlich meinen Kopf gegen die Schlossmauer.
"Sie haben mich schon richtig verstanden, Mr Lupin. Und jetzt seien Sie leise, sonst schmeiße ich Sie alle raus!"
Madam Pince schnaufte, reckte ihre spitze Nase in die Höhe und zog sich zurück.
"O-kay", schnaufte Teddy fassungslos und fuhr sich durch die türkisenen Haare. "Was - wieso - "
"Es ...", setzte ich an, kam aber nicht weiter.
"Es tut dir leid, schon klar", unterbrach Teddy mich. "Wieso erzählst du uns von einer Strafarbeit, aber nicht von deiner Strafarbeit zusammen mit Shawn, nachdem du gesagt hast, du würdest ihn nicht wiedersehen?"
"Ich hab nicht gesagt, dass ich ihn nicht wiedersehe", verbesserte ich ihn.
"Ist mir egal, dann streich das letzte, das ändert immer noch nichts!"
Olivia schlug Teddy gegen den Arm, da er schon wieder lauter wurde. Energisch flüsterte Teddy weiter: "Wieso verheimlichst du uns das?"
"Wieso wohl", antwortete Alia für mich. "Weil du sonst wieder alles bis aufs kleinste Detail analysierst!"
Teddy verschränkte eingeschnappt die Arme. "Na ja, vielleicht ein wenig. Aber wir sind doch ihre Freunde!"
"Könntet ihr euch bitte nicht so über mich unterhalten, als sei ich nicht da?", mischte ich mich ein.
"Entschuldige bitte. Aber du kennst mich, ich bin bei solchen Sachen nicht zu halten", entschuldigte Teddy sich verlegen. "Wenn du uns nichts erzählen möchtest, von einer Strafarbeit mit Shawn Mendes und dir, dann ist das okay."
"Edward!", zischte Olivia und schlug den Türkishaarigen einmal mit Runen für Fortgeschrittene.
"Da läuft wirklich nichts", beteuerte ich die Wahrheit. "Es gibt tausend Mädchen, die er haben könnte. Ich mach mir da keine Hoffnungen. Ich bin sowieso zu jung für ihn."
Teddy legte in Zeitlupe seinen Du-Mich-Auch-Blick auf und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken.
"Aha", sprach er langsam. "Nur, dass es auf Hogwarts keine tausend Mädchen gibt, sondern so um die hundertvierzig. Von denen ist fast die Hälfte wirklich zu jung. Da sind wir bei achtzig. Ein Viertel ist vergeben, ein Viertel hat kein Interesse und ein Viertel ist in Slytherin."
"Teddy", grinste ich vorwurfsvoll.
"Ist die Wahrheit", behauptete er spitz. "Damit haben wir noch zwanzig Mädchen und eins davon, meine Teure, bist du."
"Und was ist, wenn ich nicht will?", fragte ich.
"Du willst, Kassy, du willst."
Wollte ich? Shawn war wirklich nett, irgendwie fand ich seine Persönlichkeit interessant und fühlte mich in gewisser Weise cool, weil er freiwillig mit mir ein Wort gewechselt hatte. Aber mehr nicht.
"Nein", widersprach ich und meinte es völlig ernst. "Schau dir mal seine Freunde an, da passe ich nicht rein. Shawn als ... Kumpel, so wie du, das ist in Ordnung. Mehr nicht."
"Jetzt mal ohne Drachenmist, Kassy, das ist totaler Drachenmist." Teddy beugte sich nach vorne und musterte mich. "Stell dir mal vor, ich hätte mich damals dagegen entschieden, was mit Tori wegen ihrer Freunde zu machen. Dann hätte ich euch nie kennengelernt."
"Das ist aber was anderes", sagte Alia seit langem ein Wort. "Shawns Freunde sind ... echt seltsam. Flint hat sie nicht mehr alle, ganz zu schweigen von Gree und Laurent. Und Dave ist ein Arsch, das kann man nicht anders sagen."
"Kennt ihr sie denn richtig?", sprach der wahre Hufflepuff aus Teddy.
"Teddy, bitte nicht", hielt Olivia ihn auf. "Alia hat recht, Dave ist wirklich nicht nett."
"Na, wenn ihr meint. Zu mir ist er meistens in Ordnung."
"Dich kann er ja auch leiden", erwähnte ich leise.
"Okay, ich gebe zu: Dave und Lewis müssen dich mögen, sonst sind sie unangenehm. Laurent redet nicht sonderlich viel und Gree ... die muss dich auch mögen."
Olivia, Alia und ich schauten ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Ist ja gut, seine Freunde sind wirklich seltsam."
Damit war das Thema beendet. Olivia korrigierte Alias falsch übersetzten Satz und Teddy brauchte eine Viertelstunde, um uns den Sinn zu erklären. Wir verstanden einfach nicht, was ein Geier, der von einem Dach in die Morgenröte fliegt, mit Rassismus im 12. Jahrhundert und die damit verbundenen Verschwörungen der Zauberer gegen die Zentauren zu tun haben sollte.
Auf dem Weg zum Abendessen wurde uns Teddy förmlich von seinen Freunden entrissen. Er entschuldigte sich und verschwand mit Kieran Spinnet, Isabelle Hoffman und noch einigen anderen Hufflepuffs, die ich nicht kannte. Doch überraschenderweise war auch Nate Kennedy unter ihnen.
Als wir uns den Tischen nach trennten, versprach Lil mir, den anderen von der Strafarbeit mit Shawn zu erzählen. Ich streckte ihr nur die Zunge raus.
Als Olivia und ich nach Davina, Ivy und Henry suchten, stellten wir enttäuscht fest, dass um sie herum alles belegt war. Auf der einen Seite schlugen sich Lian und Vince das Essen in den Bauch, an der anderen Front der drei saß Gavin, der Alice und ihrem Redeschwall lauschte.
"Dass die Jungs da sind, ist ja okay", flüsterte ich Olivia zu, auch, wenn ich mich ein wenig wunderte, da sie meist spät aßen, "aber was will Alice schon wieder bei uns? Hat die keine Freunde?"
Olivia zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Egal, lass uns einen anderen Platz suchen."
Ich nickte und wir gingen zurück an das andere Tischende. Dort fragte Olivia Jasmin, ob wir uns dazu setzten dürften. Sie willigte ein.
Ich mochte Jasmin und ich wusste, dass sie nichts gegen mich hatte, aber mir war auch bewusst, dass ich, wenn ich allein gewesen wäre, schräge Blicke bekommen hätte. Olivia war die, die jeder leiden konnte. Wie auch bei Teddy tat sie nicht viel, die Menschen mochten sie einfach.
Nach dem Essen trafen wir uns in der Bibliothek und ich hatte so viel Spaß wie lange nicht mehr. Madam Pince beaufsichtigte zwei Siebtklässler in der verbotenen Abteilung und konnte uns daher nicht wegen unserer Lautstärke bestrafen.
Obwohl wir eigentlich lernen wollten, schweiften wir immer wieder von den eigentlichen Themen zu alten Geschichten ab. Zwischendurch fragte ich mich, ob die anderen die letzten Jahre immer so viel Spaß hatten, wenn ich meine Zeit mit Melody verbracht hatte.
Doch diesen Gedanken schüttelte ich ab, denn Mel war das letzte, an das ich jetzt denken wollte.
Um acht scheuchte uns Madam Pince raus und unsere Wege trennten sich im siebten Stock. Zusammen mit Olivia und Henry traf ich im Gemeinschaftsraum auf Davina und Ivy, die mit Gavin an einem Tisch saßen.
Ich hatte nie wirklich eine längere Konversation mit Gavin geführt. Nun stellte sich auch heraus, wieso. Er war weder dumm noch unfreundlich, aber doch auf besondere Art so seltsam, dass ich mich bereits um zehn Uhr freiwillig verabschiedete, um ins Bett zu gehen. Irgendwie war ich tatsächlich ziemlich müde und schlief trotz meiner Intention, zu lesen, nach weniger als zehn Minuten ein.
Am nächsten Morgen erwachte ich von Davinas Versuch, ihre Schulsachen mithilfe eines Schwebezaubers zu packen. Dabei stießen ihre Bücher gegen die Bettpfosten und rissen andere Gegenstände auf den Boden.
Liegend betrachtete ich das Spektakel und musste zwischen dem Gähnen kichern. Davina fuchtelte ein wenig hilflos mit ihrem Zauberstab rum und als ich kurz davor war, aufzustehen und ihr zu helfen, war Olivia bereits zur Stelle und stoppte die lebensgefährliche Bedrohung.
Doch als Davinas Lehrbuch Zaubern zur Selbstverteidigung durch den aufgehobenen Zauber auf mein Bett fiel, wurde ich in die brutale Realität zurück geholt und daran erinnert, was für ein Tag heute war und was dieser für mich bereit hielt.
Vor der Mittagspause erwartete mich der Patronuszauber.
Ich wusste bis jetzt immer noch nicht, wieso ich mich davor so fürchtete. Selbst Melody hatte ihn am Ende des Schuljahres hingekriegt. Wahrscheinlich wollte ich nicht, dass der Patronuszauber, den ich mir so mächtig und schön vorstellte, der erste Zauber wurde, den ich nicht auf Anhieb hinbekam.
In Zaubertränke passte ich deswegen kaum auf und verpasste unsere Anweisungen. Am Ende der Stunde schwamm ein grünliches Gebräu in meinem Kessel und ich schwor, ich hatte Stimmen gehört. Der Inhalt in fast allen anderen Kesseln (außer in Tobys und Malcolms) hatte den gewünschten Rosaton.
Der alte Professor Slughorn betrachtete meinen Kessel und mich mit einem besorgten Blick, winkte dann aber mit der Hand, als wollte er sagen: "Jeder hat mal einen schlechten Tag, vergessen Sie's", und ging weiter.
"Evanesco", murmelte ich niedergeschlagen, mein sprechender Schleim verschwand und ich packte mit eingezogenem Kopf meine Sachen zusammen.
Die Pause verging schneller als mir lieb war und ehe ich mich versah, stand ich im Klassenraum im dritten Stock, in dem die Tische und Stühle an die Seite gezaubert wurden (erfolgreicher als Davinas Versuch von heute Morgen).
Jetzt war mir klar, was los war. Ich hatte tierische Angst, zu versagen. Der Patronus war schwierige Magie, außerdem brauchte man eine mächtige positive Erinnerung.
Doch mir wollte beim besten Willen keine einfallen.
Somit hatte ich indirekt meine Hausaufgaben nicht gemacht. Wir sollten alle guten Erinnerungen, die uns einfielen, aufschreiben und die mächtigste bestimmen. Ich saß zwei Stunden und hatte gegrübelt, aber es wollte nichts kommen, was mächtig genug sein könnte.
"Wir haben schon alles Wichtige besprochen, denkt immer daran: Sprecht deutlich und denkt mit aller Kraft an eine positive Erinnerung", wies Professor Goldstein uns an, während alle Umstehenden schon ihre Zauberstäbe aus ihren Umhangtaschen zogen.
Zögernd beobachtete ich auch Sydney und Henry, wie sie ihre Stäbe zückten und sich zu konzentrieren schienen.
Ich wollte einfach nur, dass diese Stunde endete. Ich wollte, dass der September, der sich schon viel zu lange hinzog, endlich endete und wir uns einem anderen Zauber widmeten.
Ich war es leid, ich brauchte Luft.
Zuerst traute sich niemand anzufangen, doch dann überwand sich Olivia und obwohl sie normal sprach, wirkte es fast, als würde sie schreien: "Expecto Patronum!"
Alle Köpfe drehten sich neugierig zu ihr und als aus Olivias Zauberstabspitze einige helle Fäden sprossen, ging ein allgemeines Gemurmel durch den Raum. Plötzlich schienen alle von dem kleinen Erfolg motiviert zu sein und probierten es selbst aus. Vereinzelnd passierte das gleiche wie bei Olivia. Ich schaute den anderen stumm dabei zu.
"Miss Bole, warum versuchen Sie es nicht?", fragte Professor Goldstein hinter mir und ich fuhr herum.
Oh Mist.
"Ich ... suche immer noch nach der richtigen Erinnerung", gab ich offen zu.
"Die Richtige gibt es nicht", erklärte Professor Goldstein mir. "Du musst alles ausprobieren, aber wenn ich dir ..."
"Sagen Sie", unterbrach ich Professor Goldstein, "Sir, wieso lernen wir den Patronus schon jetzt? Er ist ziemlich schwer."
Mein Lehrer schaute mich schief an und ich schob schnell hinter: "Das sollte kein Vorwurf sein, Sir, nur eine Frage ..."
"Aber natürlich. Wir Ravenclaws sind so, nicht? Ich habe mich damals auch gefragt, wieso Harry uns den Patronus beibringen wollte."
Ungewollt fiel meine Kinnlade nach unten, aber noch in der gleichen Sekunde fing ich mich wieder. "Harry ... Potter hat Ihnen den Patronuszauber beigebracht?"
Um uns herum häuften sich die Zauber, ebenso wie die weißen Schliere.
Professor Goldstein lachte leicht und rieb sich das Kinn. "Nein, er hat es versucht. Wir waren in einem Jahrgang, ich war Teil der DA. Tatsächlich geschafft habe ich es erst ein gutes Jahr später, nachdem ich das Üben eine Weile zur Seite geschoben habe, was ein Fehler war."
Jetzt wurde ich neugierig. Professor Goldstein schob seine Brille hoch.
"Es waren dunkle Zeiten damals ... Ich weiß, dass wahrscheinlich niemand in diesem Raum je einem Dementor begegnen wird, was ich auch hoffe, aber wenn es soweit ist, will ich nicht Schuld sein, wenn ihr euch nicht verteidigen könnt. Für viele ist das hier das letzte Jahr. Ich will euch wenigstens die Möglichkeit geben, ein bisschen in die höhere Verteidigungskunst zu schnuppern."
Verständnisvoll nickte ich. Professor Goldstein lächelte mich an und ging rüber zu einer Gruppe Hufflepuffs, die jubelten, da Bea Scott etwas mehr als nur einen silbernen Schleier vollbracht hatte.
Irgendwie bekam ich ein wenig Motivation durch Professor Goldsteins Geschichte. Immerhin war mein Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste selbst mal ein Schüler gewesen, der für den Patronus Zeit gebraucht hatte.
Trotzdem hatte das Ende der Doppelstunde einen bitteren Beigeschmack. Niemand hatte einen vernünftigen Patronus heraufbeschworen, geschweige denn einen gestaltlichen. Lediglich Olivia hatte kurz einen Streifen gezaubert, auf den jeder eifersüchtig war.
Und dann war da noch ich. Ich, die nicht mal die feinen Schimmer geschafft hatte. Einfach nichts, egal, welche Erinnerung ich hervorgekramt hatte. Das Weihnachtsfest, an dem ich mein absolutes Lieblingsbuch mit einem Autogramm der Autorin geschenkt bekommen hatte. Der Moment, als ich Saiph das erste Mal im Arm halten durfte. Der Tag und das Gefühl, als mein Hogwartsbrief in der Post lag. Nichts.
So schlecht waren sonst nur Gavin und Nicole. Und besser als die zu sein, war wirklich nicht schwer.
Dementsprechend war auch meine Laune furchtbar und die anderen taten mir unheimlich leid, da sie meine miese Stimmung ertragen mussten. Während des Mittagessens stocherte ich enttäuscht in meinem Essen herum, neben Olivia in Arithmantik kritzelte ich frustriert meine Hausaufgaben voll und nicht mal mein von Professor McGonagall gelobtes Erfolgserlebnis, meinen Flubberwurm verschwinden zu lassen, konnte meinen Gemütszustand bessern.
Henry ging das so dermaßen auf die Nerven, dass er mich im Gemeinschaftsraum zur Seite nahm und mich derart anmeckerte, dass es mir hätte noch schlechter gehen sollen. Aber irgendwie half das und ich entschuldigte mich bei den anderen. Ab da fraß ich den Frust nach innen.
Hausaufgaben, Lernen (ich mied den Patronus), vorgezogenes Abendessen aus der Küche und ehe ich mich versah, war es kurz vor halb sieben.
Seufzend stand ich vor der doppelflügeligen Tür der Bibliothek, überhaupt nicht bereit, die Strafarbeit anzutreten. Durch meinen Rückschlag hatte ich Shawn völlig verdrängt und jetzt mal absolut gar keine Lust, mich auch noch darum zu kümmern.
ϟ ϟ ϟ
Der Patronus-Unterricht hat also angefangen :D Ob Kassy noch eine Erinnerung findet?
Und was passiert bei der Strafarbeit?
Bis demnächst, Amelie :)
Next Update ⥋ 05.10.2017 (Thursday)
[01.10.2017]
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