
Kapitel 7 ϟ Insult
Way Down We Go - Kaleo ♪♫
"Wieso lächelst du? Tori, wieso lächelt sie?", fragte Alia und zog die Nase kraus.
"Keine Ahnung, aber mich würde jetzt einiges andere interessieren", sagte Tori und schaute mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an.
Wir saßen in der Bibliothek in einer der hinteren Ecken, damit wir Madam Pince und die anderen Schüler nicht störten. Wie bei einem Verhör wurde ich in den einen Sessel gesetzt und vor mir, in einem Halbkreis, standen zwei Sofas und zwei Sessel.
Teddy, Tori, Alia, Katie, Olivia, Henry und Sydney beäugten mich kritisch. Tori, die in der Mitte saß, besonders kritisch.
"Dann fang mal an", forderte Teddy mich auf.
"Womit denn?", fuhr Tori dazwischen.
"Genau Teddy, womit denn?", wiederholte ich grinsend.
"Kassy, hör auf zu lachen! So meinte ich das doch gar nicht", klagte Tori.
"Wie denn dann?", fragte Alia.
"Wir stellen ihr Fragen, die sie dann beantworten musst, damit das geordnet abläuft", erklärte die Halbfranzösin.
Die Idee fand ich sehr gut, zumal mir so nicht passieren konnte, dass ich irgendwas erzählte, was ich nicht erzählen wollte.
"Erste Frage", forderte ich Tori auf.
"Wieso kennt Dave Owen dich?"
"Das klingt so, als wäre sie ein Niemand", warf Teddy ein. Natürlich kannte er die ganze Geschichte dazu, Tori hatte ihm alles ausführlich berichtet.
"Ted, ich bin ein Niemand", sagte ich.
"Bist du nicht", schritt Olivia ein.
"Wieso hat Dave dich so komisch angesprochen?", formulierte Alia die Frage um.
"Weil ..."
Wie sollte ich das erklären? Weil ich zu Shawn gerannt bin und mit ihm reden wollte und Dave gedacht hat, ich würde auf ihn stehen? Was war das denn für eine Antwort?
"Weil?", wiederholte Henry.
"Ist kompliziert ... Er stand in der Gruppe von Shawns Freunden, als ich mit Shawn reden wollte", stotterte ich.
"Wieso wolltest du mit Shawn reden?", fragte Katie.
"Teddy, das tut mir jetzt echt leid", fing ich an.
Ich wollte ihn nicht verletzen. Ich wusste, dass Teddy keine Ahnung hatte, wieso er Schulsprecher war.
"Aber ... du bist nur Schulsprecher, weil Shawn freiwillig zurückgetreten ist."
In Teddys Augen schimmerte kurz pure Enttäuschung durch, aber dann lächelte er mich an.
"Ist nicht schlimm, mir war klar, dass es einen Grund für den plötzlichen Wechsel geben musste."
"Aber warum würde Shawn das Amt freiwillig abgeben?", stellte Olivia meine Antwort auf die Probe.
"Er hat es sich entziehen lassen, aber das war geplant. Er wollte es loswerden, wegen..."
Ich stockte. Gleich würden sie mich für übergeschnappt halten.
"Wegen was?", drängte Alia.
"Wegen mir", murmelte ich leise.
"Wegen dir?", wiederholten Tori, Alia, Katie und Olivia gleichzeitig.
"Ich schmeiße Sie alle raus, wenn Sie weiter so rumschreien!", zischte Madam Pince wütend hinter dem Halbkreis.
"Kann ich vielleicht doch einfach erzählen?", fragte ich leise, als Madam Pince wieder zwischen den Regalen verschwunden war.
"Na gut, fang an", gab Tori sich geschlagen.
Und dann fing ich an, die ganze Geschichte von vorne zu erzählen - so leise wie möglich. Wie Shawn mich umgerannt hatte, Maddox kam und wir von Filch erwischt wurden. Dass wir nachsitzen mussten, von Filch aus dem Büro gescheucht wurden und ich Shawn zurückgewiesen hatte.
Schließlich noch, wie er die Kleinen fertig gemacht hatte und ich dann von Teddy hörte, dass er Schulsprecher sei. Meine ganze Erzählung wurde von leisen Ohs und Wows begleitet.
"Als ich euch so stehen gelassen habe, bin ich zu Shawn gegangen und wollte mit ihm reden, da hat Dave mich gesehen und sich anscheinend meinen Namen gemerkt", schloss ich ab.
Eine Zeit lang wurde ich nur angestarrt, aber niemand traute sich, etwas zu sagen.
"Und jetzt?", brach Alia schließlich die Stille.
"Was jetzt?", fragte ich verwirrt.
"Was ist jetzt mit euch? Wieso hat Shawn das gemacht und was hat er gesagt?"
Ich seufzte. Ich kam wohl doch nicht umhin, ihnen alles zu erzählen.
"Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht mit ihm befreundet sein will, weil wir und unsere Umfelder nicht zusammenpassen. Genau genommen hab ich ihn fast angeschrien, dass er in allem höher und besser sei als ich und mich gar nicht richtig kenne."
"Und deswegen hat er sein Amt vom Besen kippen lassen?", schlussfolgerte Katie.
Ich nickte. "Er meint, so habe ich ein Argument weniger, ihn von mir fern zu halten und er könnte mich besser kennenlernen."
"Aber wieso hast du ihm gesagt, dass ihr keine Freunde sein könnt, solange er Schulsprecher ist?", fragte Olivia.
"Das hab ich eben nicht gesagt", widersprach ich entrüstet, "das hat er falsch daraus interpretiert. Und es passt einfach nicht, was will Shawn denn mit jemandem wie mir?"
"Kassy, jetzt fang nicht wieder damit an. Du bist nicht zu schlecht für ihn", drohte Teddy.
"Aber er zu gut für mich", setzte ich an.
"Kassy!", fuhr Teddy dazwischen.
"Teddy!", entgegnete ich.
Keiner von uns sagte etwas, da wir diesen kleinen Streit nicht hier fortführen wollten, wenn alle anderen zuhörten.
"Ich muss am Mittwochabend übrigens noch los", schob ich deswegen hinterher. "Da ist noch die Strafarbeit in der Bibliothek zu erledigen." Wieso ich Shawn nicht erwähnte, wusste ich nicht. Es kam mir in dem Moment einfach angemessener vor.
"Toll, an meinem Geburtstag", beschwerte Alia sich und ich sah sie entschuldigend an. Daran hatte ich gar nicht gedacht, auch nicht an die Party.
"Steht er denn auf dich?", meldete sich Henry, völlig aus dem Kontext gerissen, zu Wort.
"Henry!", brauste Olivia auf und schlug ihm auf den Arm.
"Nein", stellte ich klar.
"Du lügst", stellte Henry trocken fest.
"Tu ich gar nicht", log ich und ließ mich mit verschränkten Armen in den Sessel fallen.
Die Wahrheit war, dass ich nicht wusste, ob Shawn das alles wegen einer Freundschaft oder anderen Interessen tat. Leider konnte ich nicht in seinen Kopf gucken und ihn auch sonst nur sehr schwer einschätzen.
Aber dann dachte ich an das Kompliment und den Schimmer in seinen Augen.
Es war gut möglich - eigentlich ging ich sogar fest davon aus -, dass ich in dieses Kompliment viel zu viel rein interpretierte und mich um das Gewicht übel verschätzte, aber das Lächeln konnte ich trotzdem nicht unterdrücken.
"Jetzt lacht sie wieder", bemerkte Alia und sah dabei Tori an.
"Also steht er doch auf sie", schlussfolgerte Tori.
"Nein", stellte ich klar. "Nein, er ... Ich weiß auch nicht, wieso er unbedingt mit mir befreundet sein will, aber ... er wird sich nicht davon abhalten lassen, also wieso sollte ich mich in den Weg werfen?"
"Siehst du Tori, nur weil Shawn einer der wenigen Jungen ist, die dir nicht hinterher starren", grinste Katie.
"Jetzt klingt das so, als würde ich das genießen! Teddy, sag ihr, dass ich das nicht genieße", jammerte Tori, konnte sich das Lächeln aber nicht verkneifen.
"Katie!" Teddy beugte sich nach hinten und schaute über die Lehne zu der Brünetten. "Ich soll dir sagen, dass Victoire das nicht genießt."
"Teddy Lupin, du bist so ein Arsch!"
Tori zog das Kissen hinter ihrem Rücken hervor und schlug damit auf Teddy ein, der neben ihr saß. Teddy versuchte zurück zu schlagen und schnappte Olivia das Kissen vom Schoß. Tori sprang auf und versteckte sich hinter Alia. Als Teddys Kissen sie im Gesicht traf, führte eins zum anderen und wir warfen uns alle mit Kissen ab.
"Mr. Lupin!", rief Madam Pince erschrocken. "Miss Weasley, Miss ... Harrison! Harding! Äh - Shaw! Wer ist das denn noch? Mr. Miller, ich bitte Sie! Miss Thorne und Miss Bole? Ich bin enttäuscht! Was erlauben Sie alle sich?"
Wir stoppten in unseren Bewegungen und Teddy schmiss reflexartig zurück auf das Sofa, das er schon lange verlassen hatte.
"Entschuldigen Sie bitte, Madam Pince", sprudelte es aus ihm heraus. "Das wird nicht wieder vorkommen, der Schulsprecher verspricht Ihnen das. Eine einmalige einzig bleibend einsame Ausnahme, wirklich."
"Mr. Lupin, schieben Sie sofort die Sofas zurück", zischte Madam Pince.
"Aber natürlich, sofort", bestätigte Teddy und hechtete erleichtert um den Sessel.
"Und direkt danach haben wir vorne jede Menge Bücher, die nicht allein den Weg zurück in die Regale finden", fügte die Bibliothekarin schnippisch hinzu.
Die anderen stöhnten auf, Teddy am lautesten.
"Madam Pince, bitte nicht", flehte er und rückte den Sessel zurück unter den Kaminsims.
"Ich warte vorne, Mr. Lupin. Guten Tag."
Sie schürzte die Lippen, hob ihre Nase in die Luft und tippelte davon.
Obwohl es bei weitem nicht so viele Bücher wie gestern und wir mehr Personen waren, dauerte es eine gute halbe Stunde, bis alle Bücher wieder in den Regalen standen, da wir alle trödelten. Diesmal hatte ich mich nicht drücken können.
Den restlichen Sonntag blieb das Lächeln auf meinem Mund, den Montag auch. Obwohl ich volle acht Stunden hatte, genoss ich den Unterricht. Bis auf Verteidigung gegen die dunklen Künste, wo wir unsere letzte Theoriestunde hatten, bevor es zu der von mir gefürchteten Praxis ging, lernte ich begeistert und machte direkt am Nachmittag die Hausaufgaben.
Am Abend, nach dem Abendessen und einer weiteren Stunde in der Bibliothek, wurde ich aufgeregt von Henry in Empfang genommen, der mich sofort, sobald ich einen Fuß in den Gemeinschaftsraum gesetzt hatte, zum schwarzen Brett zog.
"Der Termin der Quidditch-Auswahl steht", hörte ich ihn nur noch sagen, bevor er mich vor den Zettel stellte und drauf zeigte.
"Danke, den sehe ich auch so", bemerkte ich. "Ist ja nicht so, dass ich direkt davor stehe."
"Kassiopeia", gluckste Henry.
"Sag den Namen nicht", grummelte ich und sah ihn aus dem Augenwinkel vernichtend an.
"Sorry", murmelte Henry. "Und jetzt sag, was du von dem Termin hältst!"
"Am zwölften September", las ich das Datum vor. "Und?"
"Das ist diesen Samstag!", rief Henry und mehrere Schüler zischten wütend: "Pscht!".
"Dann haben wir es schneller hinter uns und ich kann mich wieder dem Lernen widmen, da ich es eh nicht ins Team schaffe."
"Kassy, du bist so eine üble Pessimistin, dass einem schlecht wird", meckerte Henry.
"Ich bin keine Pessimistin", widersprach ich und lief zu unserem Tisch. "Ich bin Realistin."
"Oh nein, entweder willst du nur Komplimente hören oder du bist wirklich blöd."
"Ich bin in Ravenclaw, also will ich anscheinend nur Komplimente hören", entgegnete ich und setzte mich in einen Sessel.
"Nein, ich kenne dich so gut, dass ich weiß, dass du das nicht willst."
"Also bin ich doch blöd", grinste ich und kramte meine Feder aus meinem Rucksack.
"Kassy, nein! Du bist nicht blöd, du hast nur einen schrecklichen Dickkopf."
Henry schüttelte sich lachend und schmiss sich über die seitliche Lehne des Sessels.
Es lohnte sich nicht schlafen zu gehen, da wir heute Nacht eine Astronomiestunde hatten, weswegen ich alle Hausaufgaben und Aufsätze abschloss, sodass ich ein wenig zusätzlich lernen und Ungesagte Zauber lesen konnte.
Um kurz vor zehn verließen wir den Gemeinschaftsraum. Professor Ronio stand bereits davor, um uns abzuholen. Die mürrischen Slytherins hatte er im Gepäck.
Wir gingen zu der Tür, hinter der sich die Treppe zum Astronomieturm befand. Professor Ronio schloss sie auf und wir erkämpften uns steilen Weg nach oben.
Oben setzten wir uns vor die Teleskope, Professor Ronio erklärte kurz unsere Aufgabe (das Theoretische hatten wir bereits in den Tagesstunden vorbereitet), und dann fingen wir an, unsere lückenhaften Sternkarten zu vervollständigen.
Als Professor Ronio vor zwei Jahren an unsere Schule kam, hatte er den Astronomieunterricht komplett umgeschmissen. Professor Sinistra war in den Ruhestand gegangen und Professor Ronio weigerte sich strikt, den alten Gewohnheiten nachzugehen.
Deswegen hatten wir jetzt immer zwei Theoriestunden in der Woche und eine Doppelstunde abends. Wobei die UTZ-Kurse zwei Doppelstunden nachts hatten, so wie wir sie am Ende des Jahres haben würden.
Gegen halb zwölf sollten wir zum Ende kommen und unsere Arbeit abgeben. Heute Nacht war der Himmel klar gewesen und es machte Spaß, die Sterne einzutragen.
"Ich liebe die Sterne", schwärmte Ivy, als wir die Treppe hinabstiegen. "Weißt du, sie sind nicht nur schön, sondern du kannst dich immer auf sie verlassen."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Ivy war sehr verträumt, daher war ich solche aus dem Kontext gerissenen Aussagen gewöhnt, aber ich verstand nicht ganz, was sie meinte.
"Wie kann ich mich auf Sterne verlassen?", hakte ich nach.
"Ganz einfach: Sie sind immer da und bleiben auch. Du kannst dich darauf verlassen, dass sich ihre Position niemals ändert und sie jede Nacht zurückkehren. Auch wenn du sie nicht siehst, sind sie immer da."
"Wie Magie", fügte ich dem wahrlich schönen Gedanken hinzu. "Magie ist und bleibt immer, auch wenn wir sie oft nicht sehen können."
Nach dieser kurzen aber irgendwie tiefgründigen Unterhaltung wurde ich unsagbar müde und konnte den restlichen Weg nur noch an mein Bett denken. Der Gemeinschaftsraum war bis auf wenige Ausnahmen leer.
Henry schickte zwei Erstklässler, die sich hinter einem Sessel versteckt hatten, in ihren Schlafsaal und ich winkte Jasmin, die uns vier grüßte.
Ich schlief schon fast beim Umziehen ein und bekam die Gespräche der anderen gar nicht mehr mit. Doch mitten in der Nacht wachte ich auf.
Ich erinnerte mich nur wage an meinen Traum, doch als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass mein Kissen nass war. Ich hatte geweint.
Meine Vermutung beschränkte sich auf einen der üblichen Träume, in denen ich mich mit Melody gestritten und sie mich angeschrien hatte. An sich waren sie nicht schlecht, da ich ihr wenigstens dort die Meinung sagte, aber mein Kopf entschied sich jedes Mal dafür, auch die Konsequenzen mit einzubeziehen.
Müde ließ ich mich zurück in die Kissen fallen, doch jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, wurde mir schlecht.
Da ich noch viel zu schlapp war, um aufzustehen, drehte ich mich auf die Seite und starrte in die Dunkelheit.
Lange dachte ich über die belanglosesten Themen nach, darunter auch Quidditch und Shawn. Nur diesmal störte es mich nicht, dass ich an ihn dachte.
Im Prinzip machte ich mir auch nur jede Menge Gedanken um unsere erste Nachhilfestunde. Wie würde er mir helfen und vor allem - wie sollte ich ihm helfen?
Während ich so da lag spielten sich in meinem Kopf tausend verschiedene Szenarien ab, wie es verlaufen könnte. Das eine Mal endete es in einem einzigen Desaster, das andere Mal im Erfolg.
Es dauerte, aber letztendlich war ich doch noch eingeschlafen und wachte bei dem Krähen der Hähne auf.
"Morgen", gähnte Olivia und tauchte aus ihrem Deckenhaufen auf.
"Morgen", antwortete Ivy verschlafen.
"Einen wunderschönen guten Morgen!", rief Davina, die schon neben ihrem Bett stand und sich anzog.
"Du mich auch", murmelte ich und schob ein lauteres: "Morgen ... oder so ...", hinterher. Ich war unglaublich müde.
Es war Dienstag und wir hatten in den ersten Stunden zwei Freistunden. Ich hatte zusätzlich auch in der Dritten und Vierten frei. Deswegen klärte ich die anderen kurz über meine nicht so angenehme Nacht auf und schmiss mich zurück auf die Matratze.
Um halb elf wachte ich deutlich erholter auf und bewegte mich sogar aus dem Bett. Ich verspürte keinen Hunger, und da ich noch zwei Stunden vor mir hatte, die ich totschlagen musste, schnappte ich mir meine Sachen und machte mich auf den Weg in die Bibliothek - wohin auch sonst.
Ich suchte mir einen Sessel weiter hinten, da mein Lieblingsplatz besetzt war.
Die Alternative war kein Fensterplatz, aber einer, der in einer Nische lag und von Kerzenlicht beleuchtet wurde. Ich machte es mir bequem und fuhr Ungesagte Zauber fort.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich auf etwas anderes aufmerksam wurde. Links und rechts von mir erstrecken sich Regale, aber trotzdem redeten die drei laut genug, dass ich sie verstehen konnte.
"Ich bin nicht mit ihr befreundet", behauptete eine Stimme lautstark. Es kam nur gedämpft an, aber mir war schon nach dem ersten Wort klar, um wen es sich handelte: Melody.
"Ist das die Komische aus Ravenclaw? Du hast ihr doch am Samstag zum Geburtstag gratuliert", bemerkte eine männliche Stimme, die stark nach Ente klang. Nico.
"Das war Freitag", korrigierte Melody und ich stellte schmerzlich fest, dass es tatsächlich um mich ging. "Und das hab ich nur gemacht, weil sie mich auf Knien angefleht hat."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Was sollte ich bitte getan haben?
"Echt?", fragte die Dritte - Dorothy. "So richtig wie ein Schlammblut?"
"Aber sowas von. Ich hab es nur getan, weil ich das Gejammer nicht mehr ertragen konnte. Die hätte sich locker vom Astronomieturm geworfen, wenn ich mich nicht überwunden hätte."
Mich traf es wie ein Stich ins Herz und ein großer Stein legte sich in meiner Magengrube ab. Ich hatte im letzten Jahr aufgehört, mir Melodys Meinung wichtig zu nehmen, aber diese Lüge erwischte mich mit voller Wucht.
Hatte Mel immer so über mich geredet, wenn ich nicht da war? Sie hatte die letzten vier Jahre mit mir gelernt und war mir eine wirklich gute Freundin gewesen - redete sie schon die ganze Zeit so über mich?
"Locker, stell dir das mal vor", lachte Dorothy gekünstelt, "wenn die sich den Turm runterschmeißt! Wirft sich dem alten Dumbledore hinterher."
Mel und Nico fingen an zu lachen, doch sie wurden unterbrochen.
"Dass ihr euch nicht schämt", schimpfte jemand laut. Die Stimme kam mir bekannt vor, doch ich konnte sie nicht zuordnen.
"Kennedy, verpiss dich", sagte Dorothy genervt.
"Stevens, ich würde an deiner Stelle aufpassen", drohte Elise Kennedy ihr.
"Sonst was", stichelte Mel. "Ich bin hier die Vertrauensschülerin."
"Und ich nicht in deinem Haus, aber danke für den Hinweis, MacDougal. Lasst das Lästern einfach, klar? Ich kann auch Madam Pince holen, die euch rausschmeißt. Mir glaubt sie mehr als euch."
"Ist ja gut, wir haben es verstanden. Jetzt geh weiter Quidditch üben. Aber überanstreng dich nicht, ihr habt gegen uns eh keine Chance", keifte Dorothy.
"Schaff du es erstmal ins Team", erwiderte Elise schnippisch und ging an den Regalen, auch an meiner Nische, vorbei.
"Olles Schlammblut", zischte Nico wütend.
"Ist sie eins?", fragte Mel interessiert. "Dann drücke ich ihr vielleicht doch noch eine Strafarbeit auf."
"Ich glaube sie ist Halbblut, aber egal. Mach es trotzdem", grinste Dorothy.
"Zurück zum Thema, warum hängt die wertlose Ravenclaw-Blutsverräterin so an dir?", fragte Nico.
Ich rappelte mich aus dem Sessel auf und packte schnell und leise alle Bücher zusammen. Ich wollte nicht weiter zuhören, wie sie über mich redeten.
Stumm stellte ich fest, dass mir Tränen in die Augen gestiegen waren. Schnell wischte ich sie mit dem Ärmel meines Umhangs weg und stand auf.
Ich zog meinen Zauberstab aus der Umhangtasche, tippte mir einmal auf den Kopf und murmelte dabei leise die Zauberformel.
Schlagartig bekam ich das Gefühl, unter einer kalten Dusche zu stehen und sah gespannt an mir runter. Bis auf Teile meiner Schuhe und einen Fleck meiner Hand hatte der Desillusionierungszauber funktioniert.
Stolz hängte ich mir einen Träger des Rucksacks über die Schulter und schlich vor bis zur Nische. Ich musste an Mel vorbei und wollte nicht, dass sie mich sah. Meinen Rucksack beförderte ich mit Hilfe eines Schwebezaubers unter der Decke auf die andere Seite und schlich dann schnell nach.
In der Hoffnung, dass meine Füße mich nicht verraten hatten, schnappte ich mir den Rucksack und verließ mit zügigen Schritten die Bibliothek.
Es war mir egal, ob jemand den schwebenden Rucksack bemerkte oder nicht, ich wollte einfach nur so schnell wie möglich in den Gemeinschaftsraum.
Mein Hass auf Melody wuchs mit jedem Schritt. Ich konnte nicht verstehen, wie sie so etwas von mir behaupten konnte, wo wir uns doch so lange kannten. Ich hatte immer den Eindruck, ihr hätte unsere Freundschaft was bedeutet.
Und wenn sie das nur tat, um bei Dorothy cool anzukommen, dann würde ich nie wieder mit ihr reden. Denn dann wäre ich nur ein Mittel zum Zweck. Wenn ich das jetzt schon nicht war.
Im siebten Stock war ich fast an dem Zugang zu der Wendeltreppe angelangt, als mich eine Stimme erstarren ließ.
"Hey! Keine Zauberei auf den Gängen!"
"Scheiße", murmelte ich und warf den Kopf in den Nacken.
"Kassy?", fragte Shawn und stellte sich direkt vor mich.
"Scheiße!"
"Was tust du da?"
"Wieso haben denn alle jetzt eine Freistunde?", fragte ich genervt, holte meinen Zauberstab raus und machte mich wieder sichtbar.
"War das ein Desillusionierungszauber?", wollte Shawn verblüfft wissen.
"Ja, aber kein besonders Guter", murmelte ich.
"Spinnst du? Wir machen das gerade in Zauberkunst und ich krieg das absolut nicht hin", sah er mich erstaunt an. Super, dann würden wir wohl an Desillusionierungszaubern arbeiten.
"Da du mir jetzt ja keine Punkte mehr abziehen kannst", sagte ich leise, "gehe ich einfach weiter und tu so, als wäre nichts gewesen, okay?"
"Hast du immer um diese Zeit frei?", stellte Shawn sich mir in den Weg.
"Ja, wieso?", fragte ich und hätte mir schon wieder die Hand ins Gesicht hauen können. Völlig offensichtlich.
"Ich dachte, dann könnten wie die - "
" - die Nachhilfestunde hier rein legen, schon klar", beendete ich für ihn.
Shawn lachte. "Wieso fragst du dann?"
"Sorry, passiert manchmal", gab ich kleinlaut zu und sah auf den Boden.
"Wir sehen uns morgen ja noch, dann können wir die Einzelheiten klären", schlug er begeistert vor.
"Klar, gute Idee", stimmte ich zu.
"Geht's dir gut? Du wirkst so niedergeschlagen", sah er mich besorgt an.
Ja, meine nun definitiv ehemals beste Freundin hat gerade auf die übelste hippogreifmistigste Art über mich abgelästert und Gerüchte in die Welt gesetzt, die mein geringes Selbstbewusstsein endgültig zerstört haben und mir wahrscheinlich wieder Albträume verschaffen und nein - ich habe sie nicht zur Rede gestellt, weil ich dann vor ihren und den Augen ihrer hässlichen gemeinen Freunde angefangen hätte zu heulen, und dann alles nur noch schlimmer geworden wäre.
"Nein, alles gut. Bis morgen."
Mit nach wie vor gesenktem Blick drängte ich mich an Shawn vorbei und sprintete die Wendeltreppe fast hoch, in der Angst, Shawn könnte mir folgen.
Oben angelangt klopfte ich völlig außer Atem an die Tür und der Adler erwachte.
"Was ist tödlicher? Der Schrei der Alraune oder die Augen des Basilisken?"
Ich atmete zwei Mal tief ein und dachte scharf nach. Der Verfolgungswahn ließ mich irgendwie nicht los.
"Beides gleich tödlich. Tot ist tot, da gibt es keine Steigerungsform", keuchte ich deshalb.
"Gut überlegt", flötete der Adler und ließ mich rein.
Die restliche Freistunde verbrachte ich voller Paranoia im Schlafsaal und lief auf und ab, da ich nicht still sitzen konnte.
Zwei Feststellungen:
Shawn hatte definitiv eine weitere Absicht, möglicherweise wollte auch er mich ausnutzen.
Melody war für mich gestorben, was sie allerdings nicht wusste.
Fazit: Es ging steil bergab.
Mein Vater hätte mir gesagt, ich hätte es verdient. Nach ihm verdiente ich ohnehin alles schlechte, da ich unsere Familie verdorben hatte. Ich war der Wurm, das schwarze Schaf.
Wenn das tatsächlich das Leben war, was ich verdient hatte, dann war es ziemlich armselig. Eine verkackte Kindheit, eine hinterlistige Schlange als langjährige beste Freundin und jetzt ließ ich mich auch noch auf Shawn ein.
Shawn war das, was ich verdient hatte - entweder es ging bergauf oder ich setzte meinen Trauermarsch fort und er würde mich noch tiefer ziehen.
Seufzend schmiss ich mich irgendwann auf mein Bett, weil meine Füße weh taten.
Dort lag ich etwas länger und ließ meine Gedanken einfach durch meinen Kopf rasen. Ich schaltete ab und genoss die Ruhephase, auch wenn sie nur von kurzer Dauer war.
Denn es war bereits Mittagspause und ich machte mich auf den Weg in die große Halle. Zugegeben hatte ich einen Bärenhunger und immerhin noch den Nachmittagsunterricht vor mir.
Beim Essen unterhielt ich mich mit Henry über den Stoff seines Vormittags und steuerte das Gespräch so, dass er bloß nicht fragen konnte, was ich getrieben hatte.
Alles verlief gut und wir wollten gerade gehen, um uns draußen bei der Mittagssonne noch eine halbe Stunde auf die faule Haut zu legen, doch dann betrat Melody die Halle.
Sie stolzierte mit Dorothy und Nico durch die Tür und krümmte sich vor Lachen, als sie zum Slytherintisch ging.
Vor knapp einem Vierteljahr hatte sie noch gemeinsam mit mir so gelacht.
Ich wollte es nicht, doch ich konnte es nicht verhindern - meine Augen füllten sich mit Tränen.
Es schmerzte.
ϟ ϟ ϟ
Ich mag es nicht, zu sagen, dass es nur ein Übergangskapitel war, in dem nicht viel passiert ist. Nicht in jedem Kapitel kann so viel Drama sein, ihr braucht ja auch mal eine Pause ;p aber auch wenn ihr es jetzt noch nicht wisst, enthielt dieses Kapitel viele wichtige Informationen für später, denn ich schreibe nicht einfach 1000 Wörter ohne tieferen Sinn. Ich hoffe natürlich trotzdem, dass ihr euch nicht zu sehr gelangweilt habt.
Was glaubt ihr, hat die Melody-Kassy-Ära damit ein Ende? Wie fandet ihr das, was Melody über Kassy gesagt hat?
Und ist Kassy eine Pessimistin? xD
Bis demnächst, Amelie :)
Next Update ⥋ 01.10.2017 (Sunday)
[27.09.2017]
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