"Award oder so": Gedankenflut
Bewegungsunfähig stehe ich vor der geschlossenen Küchentür.
Wäre ich mutig, würde ich sie öffnen. Aber es lohnt sich nicht, darüber nachzudenken, wie ich sein könnte. Wer man ist, lässt sich nicht ändern. Niemand hat die Wahl. Auch ich nicht. Ich bin das Mädchen, das zu den Problemen schweigt, was auch immer passiert. Meine Geschichte ist eine von vielen. Sie muss nicht gehört werden.
Ich bin egal. Oder nicht? Auch das ist egal. Vielleicht würde sich etwas ändern, wenn ich jetzt die Tür öffne, mein Vorhaben umsetze. Oder aber ich gehe wieder, fliehe irgendwo tief in mein Innerstes, wie so oft. Dort ist es nicht schön, niemals. Das Problem ist, dass ich dennoch nie zurück in die Realität wollte, obwohl ich wusste, ich muss. Doch ich habe geweint, hatte Angst, weil auch dieser Ort keine Option war. Weil ich nicht wusste, was richtig und falsch war und die Orientierung verloren hatte. Niemand musste davon wissen. Es war ganz allein meine Sache, damit klarzukommen. Bis jetzt.
Kann ich mich doch ändern? Ich nehme einen tiefen Atemzug, hebe die Hand.
Diesmal zeige ich mich wirklich. Ich muss nur besser vorbereitet, mir ganz sicher sein.
Meine Finger berühren die Türklinke. Sie klammern sich um den Griff, sodass nur noch eine entscheidende Bewegung fehlt. Festhalten, oder loslassen? Ich kann loslassen, mich verlieren...
Es wäre egal. Ich bin nicht wichtig. Vielleicht sollte ich nicht so ein Drama daraus machen, das hier ist nur eine Tür. Nehme ich mich zu ernst? Was aber, wenn ich es tue? Was, wenn sich dann herausstellt, dass ich mich irre, übertreibe? Ja, ich kann einfach weiterleben, als wäre nichts. Aber das heißt nicht, dass ich nicht ständig aufgeben möchte. All das wird zu viel für mich. Ich kann es nicht allein tragen. Und das kann sie auch nicht von mir erwarten. Er hat uns beide verlassen. Von einem Tag auf den anderen. Wir können es nicht ignorieren, nicht ewig. Als wäre es erst heute geschehen, spult sich die Erinnerung erneut in meinem Kopf ab.
Ich sitze unter dem offenen Fenster in meinem Zimmer. Ein weiterer sinnloser Streit spielt sich vor der Haustür ab.
Papa brüllt.
"Doch, kann ich! Habe ich!"
Mama brüllt.
"Bleib gefälligst hier!"
Kurz darauf ein Automotor.
Er ist nicht hier geblieben. Und es war auch mehr als ein weiterer, sinnloser Streit.
Seitdem haben wir nicht mehr davon gesprochen. Kein einziges Wort. Obwohl wir beide wussten, was es für uns bedeutet. Mama und ich allein, als wäre nichts geschehen.
Glaubt sie, das macht es mir oder ihr leichter? Ich werde es ändern, mit ihr reden, ihr alles sagen. Das Schweigen hat ein Ende. Sie muss wissen, dass meine Angst und Wut nicht erst an diesem Tag entstanden sind. Es ist schon lange nicht mehr richtig, wir hätten schon ewig reden sollen. Wie konnten wir warten, bis es sich so zugespitzt hat? Bis ich angefangen habe, dieses Gespräch zu fürchten? Oder nein, noch schlimmer, es kommt mir so vor, als würde es ganz und gar unmöglich sein, die Wahrheit zu sagen. Doch was ist daran falsch?
Ich drücke die Klinke herunter. Würde ich es nicht tun, könnte es ewig so weiter gehen. Und alles würde mit jedem Tag der ungesagten Dinge schlimmer werden.
Ich habe Angst. Ich denke zu viel. Ich kann nicht mehr.
Immer nur ich. Als wäre ich allein. Das stimmt nicht.
Ich könnte die Tür jetzt öffnen. Ich tue es.
Mama steht am Herd. Sie rührt in einem Topf. Offensichtlich habe ich die Tür etwas zu energisch aufgerissen. Verwundert sieht sie mich an.
"Geht es dir gut, Schatz?"
Ich sehe ihr zu, wie sie eine Prise Salz in den Topf streut.
Meine Brust fühlt sich plötzlich leer an, ohne diese Wut, die noch kurz zuvor Wörter aus meinem Mund schleudern wollte. Alles was ich sagen könnte, fühlt sich verletzlich an, als würde es nicht an einen Ort wie diesen gehören. Langsam lösen sich meine Lippen voneinander, bei denen ich nicht einmal gemerkt habe, wie sehr ich sie aufeinanderpresste.
"Nein."
Es fühlt sich unrealistisch an. Etwas in meinem Bauch verknotet sich.
"Es geht mir nicht gut", sage ich.
Nichts passiert. Nur das angespannte Gefühl bleibt.
"Warum?", fragt Mama.
Ich denke nicht groß nach, lasse nicht zu, dass mich dadurch der Mut verlässt.
"Weil wir nicht so tun können, als wäre nichts. Mir fehlt die Kraft dazu."
In einer mir schier unendlich vorkommenden Zeit legt Mama den Deckel auf den Topf, dreht am Herd herum und kommt dann auf mich zu. Sie bleibt stehen. Mir ist klar, dass sie weiß was ich meine.
"Mir geht es auch nicht gut."
Ich sehe, wie ihre Augen sich weiten, als sie es ausspricht. Wir schweigen. Nach einer Weile unterbreche ich zögernd die Stille.
"Und jetzt?"
Mama antwortet mir nicht, sondern streckt nur ihre Arme aus. Es ist ganz leicht. Ich durchbreche den letzten Abstand zwischen uns und wir fallen in eine Umarmung.
"Ich habe keine Ahnung", flüstert sie.
Noch leiser flüstere ich zurück: "Schaffen wir das?"
"Ganz sicher."
Ich glaube ihr.
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