...2...
Zitternd lag Zira in einer Ecke. Ihr Gesicht hatte sie verschleiert.
Es war Einbruch der Dunkelheit und langsam löste sich die Menschenmenge der Großstadt
auf.
Als das junge Mädchen sich sicher fühlte, und kein Mensch mehr sie sehen konnte, nahm sie den Schleier ab.
Auf ihrem Gesicht war ein riesiges, schwarzes Mal zu sehen.
Zira schien froh darüber zu sein den Schleier endlich ablegen zu können. Sie stand auf, was ihr sichtlich schwer fiel, und ging zu den Mülltonnen, die auf der gegenüberliegenden Straße
standen.
Während sie die Straße überquerte setzte sie sich wieder den Schleier auf. Das Risiko, dass sie jemand sehen könnte war zu hoch.
Bei den Mülltonnen angekommen, versuchte sie diese ein wenig von der Wand wegzuschieben, damit sie dahinter schlafen konnte.
Ihre schwachen, dürren Arme bewegten die Mülltonne zwar nur wenig, aber sie brach zusammen und musste sich mit dem wenigen
Platz zufrieden geben.
Sie nahm ihren Schleier ab und kramte mit letzter Kraft eine Decke
aus ihrem Rucksack und kuschelte sich darin ein.
Am nächsten Morgen wurde Zira von den üblichen Großstadt Geräuschen geweckt. Autos, Menschen, Mülltonnen, ...
Es brauchte eine Weile bis das Mädchen verstand, das Mülltonnen von sich aus keine Geräusche machen, geschweige denn sich von selbst bewegen.
Anstatt sich den Schleier aufzusetzen, griff sie nach ihrem Messer, welches sie immer, in ihrer Bauchtasche, bei sich hatte.
Sobald die Müllmänner sie sehen, müssten sie sie umbringen.
Jeder der das selbe Mal wie Zira hatte, musste auf der Stelle umgebracht werden.
Die Mülltonne, hinter der sie geschlafen hatte, wurde weggeschoben.
Zira bekam eine Gänsehaut und ihr Herz pochte wie wild. Sie wusste, dass sie zu schwach war um einen
Menschen zu erstechen. Ihre Krankheit zog zu viel Kraft von ihr, als das sie solch eine Aktion durchführen könnte.
Die Person die nun vor ihr stand hätte fast einen Schrei ausgestoßen, hielt sich aber selbst zurück.
Zira nutzte die Chance und zog sich schnell den Schleier auf.
Die Person vor ihr war ein kleiner, dünner Junge mit bronzetöniger Haut.
Auf seinem Gesicht befand sich das selbe Mal, das Zira trug.
“Ich schwöre, ich… äh... “, der Junge begann zu flüstern, “Bitte bring mich nicht um!”
Zira starrte ihn, noch immer erschrocken, an.
Der Junge blickte unsicher nach links und rechts und sprach weiter: “Ich werde dich auch nicht umbringen. Versprochen.”
Zira nickte.
“Perfekt! Und kannst du mir eventuell sagen woher du das Kopftuch hast?”
Sie öffnete ihren Rucksack und zog eines heraus, das genauso aussah wie das, das sie gerade trug.
“Schwarz? Du bist nicht gerade Farbenfroh, oder?”
Der Junge lächelte.
“Dir ist bewusst, dass normalerweise nur Mädchen Kopftücher tragen?”fragte Zira.
“Das ist mir herzlichst egal Kleine.” “Normalerweise trägt man das mit einem passenden Outfit.”
“Du meinst eine Burka?”
“Keine Ahnung.” antwortete Zira.
Sie hatte nie wirklich etwas gelernt und wusste deshalb nur sehr wenig. “Du trägst es auch nicht mit einem 'passenden Outfit´, also werde ich das auch nicht müssen.” meinte der Junge.
“Aber ich habe einen langen Rock und
ein langes Tuch, das ich mir über meine nackten Schultern gebe.”
“Mädchen, willst du das ich dich umbringe? Nein, dann halt deine Klappe.” sagte der Junge sichtlich genervt.
“Du wirst auch sterben, wenn du dich nicht richtig kleidest.” entgegnete
Zira.
Der Junge atmete tief aus. “Na gut, wenn du dich da so gut auskennst, dann hilf mir.”
Zira schien kurz zu zögern.
“Das werde ich!”
Sie stand auf und nahm den Jungen an der Hand.
“Was wird das?” fragte der Junge und starrte auf Ziras Hand, die seine berührte.
“Damit wir uns nicht verlieren.”antwortete sie.
“Ich habe Augen. Ich werde dich schon nicht verlieren.”
Zira ließ los und schnappte mühevoll ihren Rucksack.
Der Junge schien zu bemerken, dass
sie Probleme hatte ihn hochzuheben. Er nahm ihn ihr aus der Hand und warf sich ihn um die
Schulter.
“Danke.”
Nach einiger Zeit kamen sie bei einem Kleidergeschäft an.
Es war unter der Woche, weshalb kaum jemand außer den Zweien dort war.
Drinnen ließ sich Zira erschöpft auf einen der Sessel fallen.
“Für erschöpfte Shoppingbegleiter” stand auf einem Schild darüber.
“Da hinten ist ein langer, schwarzer Rock. Probier den mal an.” sagte sie und deutete auf einen der Kleiderständer.
Ohne zu zögern holte der Junge sich einen Rock und ging in die Umkleidekabine.
Eine Minute später kam er, den Rock angezogen und lächelnd, wieder heraus.
“Warum tragen Jungs keine Röcke? Die Dinger sind der Wahnsinn!”
Zira musste lächeln.
“Jetzt brauchen wir nur noch ein passendes T-Shirt.”
“Was spricht denn gegen mein super cooles Dino-Shirt?” fragte er.
“Es passt nicht zum Rock. Am besten wäre irgendetwas weißes.”
Zira stand auf und ging mit ihm durch das Geschäft, bis sie endlich ein passendes Shirt gefunden haben.
An der Kasse angekommen bezahlte der Junge alles und sie gingen wieder hinaus.
“Sag mal, woher hast du die Kreditkarte?”
“Meine Eltern haben mir eine gegeben und mich aus dem Haus geschmissen. Natürlich erst nach dem Missgeschick.”
Zira wusste genau was er mit ´Missgeschick´ meinte.
“Jetzt überweisen sie mir jeden Monat Geld.”
“Meine Eltern machen das auch.”
“Wie heißt du überhaupt?” fragte der Junge.
“Zira, und du?”
“Percival, aber ich glaube der
Name passt jetzt nicht mehr wirklich... “
“Wie wärs mit Alex?” schlug Zira vor. Percival nickte:
“Ich glaub daran kann ich mich gewöhnen.”
Bei der nächsten Gelegenheit aufs Klo zu gehen zog Percival sich um. Er bekam sogar noch ein Tuch von Zira, welches gut zu seinem Outfit passte.
Danach gingen sie zu einem Kaffee und aßen Frühstück.
Es war leer und sie konnten sich in
eine ruhige Ecke setzen wo sie niemand störte.
Zira hatte sich einen Muffin und heiße Schokolade bestellt und Percival einen Erdbeerkuchen mit Kaffee.
“Warum hast du dein… öhm.. es?” fragte Percival.
“Darmkrebs.”
“Kriegt man den nicht erst wenn man alt ist?”
“Anscheinend bin ich eine Ausnahme. Was hast du?”
“Ich hab die Eisenspeicherkrankheit.”
“Was hat man da so?”
“Naja, meine Haut zum Beispiel. Dieser bronzene Ton kommt davon. Dazu kommt noch das irgendwas mit meinen Organen los ist, ich ziemlich Müde und auch eher Schwach bin.”
“Ich bin auch ständig Müde. Und schwach.”
“Wie alt bist du?” fragte Percival.
“Fünfzehn.”
“Ich bin vierzehn.”
Zira war überrascht, Percival sah älter aus. Sie hätte ihn auf mindestens sechzehn Jahre
geschätzt.
Er zog sich seinen Schleier nach oben um seinen Kaffee zu trinken, wobei man einen Teil des schwarzen Mals auf seinem Gesicht sah.
Schnell schluckte er ihn hinunter und zog den Schleier wieder über.
Er schien nervös zu sein.
Seine Tasse war nun halb leer.
“Wie lange bist du schon alleine unterwegs?” fragte Zira.
“Zwei Monate. Ich hoffe es werden noch mehr.”
Zira nickte.
“Ich bin seit sechs Monaten unterwegs, oder sieben. Ich habe den Überblick verloren.”
Nun trank auch sie etwas von ihrer heißen Schokolade und aß ihren Muffin.
Percival schien es eilig zu haben und verschlang seinen Kuchen mit drei bissen.
“Wo wollen wir schlafen? Wir brauchen einen sicheren Schlafplatz.” fragt er ungeduldig.
“Wir können uns heute nach einem geeigneten Platz umschauen. Du brauchst dir nicht so viele Gedanken zu machen, es wird uns schon keiner entdecken.” beruhigte ihn Zira.
“Wenn du meinst…”
Percival trank seinen Kaffee aus und Zira ihre heiße Schokolade.
Sie zahlten und gingen hinaus, zurück auf die Straße.
Die beiden begaben sich richtung Park.
Schweigend gingen sie nebeneinander.
Sie gingen an einem Krankenhaus vorbei.
“Findest du es nicht schlimm, an solchen Orten vorbeizugehen?”, fragte Percival, “Wir waren
dort schließlich auch. Wir haben gesehen wie sie die Leute umbringen. Sie hätten uns umbringen können.”
“Es ist ihre Pflicht und somit empfinde ich es nicht als schlimm-” Zira brach zusammen und Percival konnte sie gerade noch auffangen.
Sie hatte sichtlich schmerzen.
Sofort trug er sie in eine Ecke, wo sie niemand sah.
“Ist alles okay? Brauchst du irgendetwas?”
“Nein, nein. Schon gut.”, sie krampfte zusammen, “Es ist nur das Essen, es bekommt mir nicht gut.”
Zira schenkte ihm ein Lächeln.
“Wir können hier bleiben-”
“Nein. Hier ist am Nachmittag zu viel los.”
Sie stand wieder auf und hielt sich an Percivals rechten Arm fest.
Ohne Widerspruch ging er weiter.
Nach einer Stunde schienen sich Ziras Schmerzen aufgelöst zu haben.
Die Zwei befanden sich in der Nähe eines abgelegenen Parks, indem es einige Unterschlüpfe gab.
Viele Obdachlose tummelten sich hier herum und auch die Schüler die
gerade Schulschluss hatten.
Die Schüler standen in kleinen Grüppchen. Sie waren zwischen 15 und 16 Jahre alt. Es waren hauptsächlich Jungs. Einige von ihnen rauchten.
“Wir sollten nicht zu nah an sie heran.” warnte Zira.
“Wieso nicht?”
“Als Mädchen sollte man von solchen Gruppen einfach Abstand halten, glaub mir.”
Percival jedoch hörte nicht auf sie.
Was sollte denn schon passieren? dachte er sich.
Zira, die noch von ihren Schmerzen geschwächt war, hatte keine andere Wahl als ihm zu folgen, da sie sich noch immer an ihm festhielt.
“Percival, nein!” flüsterte sie ihm verzweifelt zu.
Als sie an einer der Gruppen vorbeikamen, die nur aus Jungs bestand, pfiffen diese und riefen
ihnen zu:
“Hey, zeigt doch mal euer schönes Gesicht!” “Kommt doch mal her ihr Süßen!”
Percival, der solch einer Situation noch nie ausgesetzt war, wirkte überrascht.
Er wollte schon fast zu ihnen gehen und ihnen eine Standpauke geben, jedoch hielt Zira ihn so gut sie es konnte davon ab.
“Du darfst das nicht, es ist zu gefährlich, sie wissen einfach nicht, dass du kein Mädchen bist.”
flüsterte Zira.
“So etwas lässt du einfach durchgehen?” fragte Percival erstaunt.
Einer der Jungs stand plötzlich vor ihnen.
Er war etwas größer als Percival und Zira.
“Habt ihr mich nicht gehört? Ihr sollt eure hübschen Gesichter zeigen! Wahrscheinlich tragt ihr sie eh nur, weil eure Eltern es verlangen.” sagte er und grinste.
“Wir tragen unsere Schleier weil wir es wollen!” sagte Percival und verstellte dabei seine Stimme, sodass sie heller klang.
“Ach was, wer würde so etwas schon freiwillig tragen.”, behauptete er, “Hier könnt ihr sie ruhig abnehmen. Eure Eltern sehen euch nicht.”
Er grinste wieder komisch.
Es war ein unangenehmes, hässliches Grinsen.
“Nein! Wir nehmen sie nicht ab!” verteidigte sich Percival.
“Ach komm schon Süße!”
Er griff einfach nach seinem Schleier.
Er nahm ihn ab.
Er sah das Mal.
Er zückte seine Waffe.
Er schoss.
Er sah Zira an.
Zira begann zu rennen.
Sie stolperte.
Er nahm auch ihr den Schleier ab.
Er schoss auch auf sie.
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