vielleicht
23:25.
Diese Uhrzeit zeigt ihr ihr Handy an. Die Helligkeit des Displays brennt in ihren müden Augen, die sich bereits an die Schwärze der Nacht gewöhnt hatten. Aber weiter dimmen geht nicht, sie hat bereits den Nachtmodus ihres Smartphones aktiviert und die Display-Helligkeit so weit heruntergeschraubt, wie es nur geht.
Whatsapp. Instagram. Wattpad. Youtube.
Gelangweilt wechselt sie von einer App zur Nächsten. Eigentlich sollte sie schlafen.
Natürlich weiß sie, warum sie ihr Smartphone nicht einfach beiseite legt. Nur will, nein, sie kann es sich nicht eingestehen. Dabei sind die Anzeichen doch eindeutig: andauernd tippt sie auf Whatsapp seinen Chat an, obwohl da keine neuen Nachrichten sind. Gerade weil da keine neuen Nachrichten sind.
Durch einen seltsamen Zufall haben sie sich kennengelernt. Gesehen haben sie sich noch nie, denn er wohnt zu weit von ihr entfernt. Aber dafür haben sie so viel miteinander geschrieben, dass sie das Gefühl hat, ihn zu kennen. Einen Teil von ihm wenigstens zu kennen. In der letzten Zeit hatten sie dann aber weniger Kontakt, und das hat ihr schmerzlich aufgezeigt, wie sehr sie sich doch an das Schreiben mit ihm gewöhnt hat.
So liest sie den bisherigen Chatverlauf wieder und wieder, mit der zarten Hoffnung, dass er online kommt umd ihr schreibt. Doch nichts dergleichen passiert. Vielleicht morgen, denkt sie, klammert sich an die Vorstellung, dass am nächsten Tag ihr Wunsch in Erfüllung geht. Dass er ihr diesen Wunsch erfüllt, von dem er nichts weiß. Vielleicht morgen. Gleichzeitig zerreißt dieses 'vielleicht' etwas in ihrem Innern.
Was ist, wenn? Wenn er sich morgen nicht meldet? Übermorgen? Diese, nächste Woche?
23:37.
Sie sollte diese Gedanken verbannen, sich nicht so viele Gedanken um ihn machen. Jemanden, den sie nicht einmal im realen Leben gesehen hat. Wobei, vielleicht ja doch, vielleicht sind sie irgendwann mal aneinander vorbeigelaufen. Passanten. Im Urlaub oder so, wegen der Entfernung. Vielleicht haben sie sich angerempelt und es nur schon wieder vergessen, weil es damals nicht weiter wichtig erschien. Und schon wieder ist es da, dieses unliebsame Wort.
Vielleicht.
Vielleicht hat er auch einfach nur wieder so viel zu tun. In den letzten Wochen hat sie durchaus mitbekommen, dass er viel beschäftigt ist. Eigentlich ist das ja auch gut so- er weiß, was er in seinem Leben erreichen will, und kämpft für seine Ziele.
Aber was, wenn sie keines seiner Ziele ist? Nur eine nette Person, mit der er bei Langeweile chatten kann? Wenn er aktuell einfach keine Lust hat, sich mit ihr zu befassen?
Am liebsten würde sie ihm sogar von ihrem Alltag berichten. Dabei ist der nicht einmal besonders spannend, aber das ist nicht der Punkt. Nein. Der ist, fällt ihr in diesem Augenblick auf, dass sie ihm mehr vertraut, als sie sich eingestehen wollte. Nur weiß sie nicht, ob er dieses Vertrauen verdient.
Vielleicht.
Vielleicht sollte sie ihn anschreiben. Aber sie hat ihn die letzten zwei Male angeschrieben, und sie will ihn nicht nerven. Außerdem kann er ruhig auch mal zeigen, dass er mit ihr schreiben möchte, überlegt sie. Falls er möchte...
23:56.
Missmutig starrt sie weiterhin ihr Handy an. Seit inzwischen einer halben Stunde, fällt ihr auf. Das ist übel. Wie lange ist es schon her, dass sie schlafen gehen wollte? Definitiv zu lange. Doch sie will ihr Smartphone nicht ausschalten, wie sie es sonst zum schlafen tut. Und das wegen einem kleinen 'Vielleicht'.
Wegen dem 'Vielleicht', dass er sich doch noch meldet. Denn ziemlich oft haben sie erst abends geschrieben. Spät abends, oder auch füh morgens, je nachdem, wie man es sehen will.
Müde starrt sie sein Profilbild an. Er war seit Stunden nicht mehr online, eigentlich sollte sie es einfach lassen und schlafen gehen. Morgen muss sie immerhin ziemlich früh aufstehen- morgen, besser gesagt heute.
00:03.
Nein, gleich geht sie schlafen. Gleich, entscheidet sie.
Ihr letzter Chat mit ihm war anders, irgendwie. Er hat sich nicht so... so leicht angefühlt. Wie es sonst war, wenn sie stundenlang geschrieben haben. Aber das ist auch schon wochenlang her. Aber diese Gezwungenheit ist ihm auch aufgefallen, denkt sie, er hat seltsam kurze, harsche Antworten gegeben. Dementsprechend kurz ist das Gespräch geblieben.
Aber vielleicht- verdammt, da ist es schon wieder. Dieses elendige Wort. Welches Hoffnung sät, von der niemand weiß, ob sie aufgeht. Und wenn doch, muss sie vorsichtig gegossen werden, um zu wachsen.
Vielleicht.
Vielleicht hat er nur wenig Zeit. Vielleicht hat er keinen Bock auf sie.
Vielleicht sind sie sich schon einmal begegnet, vielleicht auch nicht. Wobei Letzteres definitiv wahrscheinlicher ist.
Vielleicht wurde ihm auch sein Handy von einem fliegenden Regenwurm geklaut.
Sie schluckt, schaltet ihr Smartphone aus und kuschelt sich in ihre Kissen.
Wer weiß schon, was sich hinter einem 'Vielleicht' alles verbergen kann.
~beendet~
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