2.
Coral hatte das gefüllte Müllnetz am Meeresboden eingeklemmt und war weiter ins offene Meer hinausgeschwommen. Angestrengt hielt er nach dem schwachen Leuchten der Hippocampi Ausschau, die in der Nähe lebten. Nach wenigen Minuten entdeckte er die ersten goldenen Schuppen nahe dem Boden. Schnell tauchte Coral tiefer.
Eines der Pferdeähnlichen Wesen hatte sich an einem alten Fischernetz verletzt. Coral hatte fast eine Stunde gebraucht um den jungen Hengst davon zu überzeugen, dass er nur helfen wollte.
Die Herde machte ihm zwar Platz, doch das Misstrauen, das sie ihm entgegenbrachten war deutlich zu spüren. Sie hatten sich erst kürzlich in der Gegend angesiedelt und Coral hoffte, dass der Schwarm für eine Weile in der Nähe der Bucht bleiben würde. Hippocampi sorgten für ein schnelleres gedeihen der Wasserpflanzen und für erhöhte Fruchtbarkeit. Jetzt im Frühling erwies sich diese Fähigkeit als besonders nützlich.
Coral hatte festgestellt, das der Schwarm perfekt organisiert und gut zu verteidigt war. Die ungefähr fünfzig Fabelwesen waren folglich an ein hartes Leben in tieferen Meeresregionen gewöhnt.
Langsam näherte Coral sich dem verletzten Hengst. Das Tier lag auf dem Meeresboden und wurde von zwei kräftig gebauten Hippocampi flankiert, die Coral förmlich mit ihren durchdringenden gelben Augen durchbohrten. Sie beide trugen Narben an den Hälsen und ihre Schuppen waren dunkler als die der anderen Mitglieder der Herde. Er sah sie an und ließ seine eigenen Augen kurz gelb aufleuchten, als Zeichen dafür, dass er stark genug war um einen Kampf zu gewinnen. Das schien die beiden Wächter ein wenig zu besänftigen. Hippocampi schätzten Stärke.
Mit geübten Bewegungen löste Coral den alten Verband. An manchen Stellen hatten sich Fasern von dem dunkelgrünen Material gelöst. „Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht daran herumfummeln sollst." murmelte er leise. Der Hippocamp schnaubte als Antwort nur abfällig. Coral konnte ihn verstehen. Es musste eine Schande sein, vor der ganzen Herde als hilfsbedürftig dazustehen.
Ohne weiter auf das Thema einzugehen befreite er die Wunde von den Resten der Salbe, die er vorher aufgetragen hatte. Durch die Pflege der letzten Tage hatte sich der Zustand der Verletzung zwar deutlich verbessert, doch sie sah immer noch schrecklich aus. Nach einer kurzen Begutachtung zog Coral eine kleine Dose aus der Tasche. Die Salbe war so hergestellt worden, dass sie sich im Wasser weder auflöste, noch einen Teil ihrer Wirkung verlor. Eine Herstellungsmethode, auf die Coral sehr Stolz war sie zu beherrschen. Als er den Verband gewechselt hatte, strich er dem Hippocamp vorsichtig über die dunkelblauen Schuppen.
„Bewege dich am besten langsam und gewöhne dich wieder an die Bewegungen." riet er. „Sobald die Haut deiner Rückenflosse wieder golden leuchtet, kannst du den Verband abknabbern. Er wird der Umwelt nicht schaden, es ist nur Seetang." der Hengst stieß ein leises Wiehern aus. Aus der Höhe und Länge des Tons schloss Coral, dass es sich um ein ungeduldiges „Ja" handelte.
Lächelnd erhob sich Coral. Seine Flosse schmerzte ein wenig von der ungewohnten Position, in der sie so lange gehalten worden war doch er schob den Schmerz beiseite. Der Schwarm würde ihm nie vertrauen, wenn er wegen so einer Kleinigkeit anfing zu jammern. Mit neutralem Gesichtsausdruck wandte er sich der Leithippocamp zu. Ihre purpurnen Schuppen hoben sich deutlich von denen der anderen Hippocampi ab und ihre Flossen leuchteten heller. Sie neigte anerkennend den Kopf und Coral seufzte innerlich vor Erleichterung. Er erwiderte die Geste und schwamm der Wasseroberfläche entgegen.
Die Sonne machte ihn schläfrig. Die viele Arbeit forderte langsam aber sicher ihren Tribut. Vielleicht sollte ich die Delfine besuchen. Überlegte Coral. Doch wenn er an die Verspielten Gesellen dachte, wurden seine Glieder nur noch schwerer. In Gedanken ging er die Aufgaben durch, die er noch zu erledigen hatte. Den Müll wegbringen! Schoss es ihm durch den Kopf. Der Tag wurde ja immer besser.
Plötzlich hörte er, wie sich langsame Flossenschläge näherten. Coral drehte sich um. Eine grüne Meeresschildkröte schwamm langsam auf ihn zu. Coral spürte wie sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Hey!" rief er. „Wie geht es dir Linda?" Er hatte eine starke Bindung zu der Schildkröte aufgebaut, weshalb er telepathisch mit ihr kommunizieren konnte.
Der Name stammte von einem jungen Taucher, der ihn der Schildkröte unhöflicherweise auf den Panzer geschrieben hatte. Natürlich war sie danach sofort zu Coral gekommen, damit er die Farbe abwischte. Überraschenderweise wollte sie den Namen behalten.
Corals Lächeln verblasste langsam, als er die Bewegungen der Schildkröte genauer betrachtete. Sie waren hastiger als sonst und das Tier schien fast verzweifelt. „Ich werde keine Eier legen können!" Hörte Coral ihre Stimme in seinem Kopf. „Menschen am Strand!"
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