Prolog
Das Brummen erklang tief und allgegenwärtig, bedrohlich und doch irgendwie bekannt.
Der Mond lugte nur wenig hinter den Wolken hervor und doch konnte man hin und wieder einen Blick auf sein silbernes Antlitz erhaschen. Kalt strahlte er auf Arensberg hinab, die Hütten für wenige Augenblicke in Mondlicht getaucht, nur um dann wieder von den Wolken verschluckt zu werden.
Sie spürte die Wärme der dicken Wolldecken um sich herum, der Stoff kratzte leicht an ihrer Wange. Eigentlich müsste das die beste Voraussetzung für einen erholsamen Schlaf sein. Doch sie konnte einfach nicht. Irgendetwas störte.
Mit einem Stöhnen setzte sich die junge Frau abrupt auf. Ihre Augen wanderten durch die Hütte, aber es dauerte eine Weile bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnten. Mit einem Ohr an das raue Kissen gepresst, hatte die junge Frau kaum ausmachen können, was sie am Einschlafen hinderte. Doch jetzt spürte sie nicht nur die Vibrationen, sie hörte sie auch.
War es Zen? Der fette Kater hatte die bemerkenswerte Angewohnheit, direkt neben ihrem anderen Ohr einzuschlafen und die ganze Nacht zu schnurren.
Ihre Finger glitten über dicke Wolle und weiche Leinen, doch das Fellknäuel konnte sie nirgends ausmachen.
Aber das Geräusch war da. Brummend, lauernd.
Die junge Frau schwang die Füße aus dem Bett und zündete ihre Laterne an. "Zen?" Ihr Blick glitt durch die obere Etage ihrer kleinen Hütte. Schränke, ein alter Tisch, eine kleine Holzkiste mit ihren wenigen Besitztümern darin. Aber kein Kater.
Eine Weile saß sie nur da und wartete. Gab es vielleicht einen Angriff? Stand der Krieg nun doch vor der Tür? Sie hielt ihren Atem an und lauschte. Sie hörte ihr Herz laut klopfen. Keine Schreie. Nur das Geräusch. Was war da los?
Sie versuchte, einen Blick durch die kleine Öffnung in der Wand zu werfen. Nichts.
Aber das Brummen vibrierte unnachgiebig durch ihren Kopf und fast schon spürte sie, wie er anfing, bedrohlich zu ziehen.
Sie musste wissen, was vor sich ging.
Vorsichtig stieg sie die marode Treppe ins Erdgeschoss hinab. Sie musste aufpassen wo sie hintrat, ihre Zimmermannsfähigkeiten waren einfach nicht gut genug, um die Treppe regelmäßig auszubessern und damit gegen Zens Kratzlust anzukämpfen.
Das Erdgeschoss war ebenfalls katzenfrei.
Der Umhang war schnell übergeworfen, und so verließ die junge Frau ihre Hütte. Kalte Luft schlug ihr ins Gesicht. Sie krabbelte ihren Rücken hinab und hinterließ eine Gänsehaut darauf.
Der erste Blick schnellte zu dem Haus von Mary. Die Lichter waren erloschen und die junge Frau atmete erleichtert aus. Mary war eine von den wenigen Bewohnern, die man nachts definitiv nicht antreffen und schon garnicht ansprechen wollte. Beim letzten Mal hatte es in einer wütenden Tirade über Götterlästerung geendet.
Der zweite Blick musterte ihre Umgebung. Die kleinen Hütten mit den müde flackernden Lampen daran, die Bäume die sich sachte im Wind bewegten. Und dennoch vernahm die junge Frau das Geräusch.
Hier, draußen an der frischen Luft war es lauter. Es hörte sich an wie ein tiefes, dumpfes Brummen. Wie eine dicke Hummel, nur noch tiefer... und gleichmäßiger. Es schien von überall und doch nirgends zu kommen. Vielleicht wurde es von den Bergen zurückgeworfen?
Sie huschte vorbei an Blumenkästen, Scheunen und kleinen Kräutergärten. Die Häuser lagen friedlich vor ihr, nichts deutete auf einen Angriff hin.
Instinktiv führte ihr Weg sie zum zentralen Punkt des Dorfes - dem Markt. Sie selbst bemerkte aber erst, dass sie auf dem Markt stand, als ihre Schuhe plötzlich ein klackerndes Geräusch von sich gaben, sobald sie auftrat.
Dieser Platz war der einzige, der gepflastert worden war, die Bewohner hatten es eigenständig getan. Stein für Stein. Sie sollten stolz darauf sein, es war selten, dass so kleine Dörfer wie Arensberg einen gepflasterten Marktplatz besaßen.
Sie hoffte nur, dass keiner von den reichen, aufgeblasenen Lords ihnen jemals einen Besuch abstatten würde.
Der Platz lag leer und verlassen vor ihr.
Langsam drehte sich die junge Frau und musterte ihn. Sieben Stände lagen im Halbkreis auf dem Platz verteilt, eine große Eiche säumte die Mitte und spendete im Sommer Schutz vor der Sonne. Jetzt sorgte sie dafür, dass die junge Frau in dunkle Schatten gehüllt zu sein schien.
Das Dorf lag finster vor ihr und nur im Gasthof brannten noch Lichter. Sie hörte die gedämpften Klänge, menschliches Lachen, scheppernde Krüge. Und das Brummen, das allgegenwärtig zu sein schien. Es nahm ihren Kopf ein, legte sich über ihre Gedanken und sorgte dafür, dass sich ihr Kopf so dick und schwer anfühlte, als wäre sie zu lange in der Sonne gewesen.
Warum war hier denn niemand, der es auch hörte?
Es verstummte abrupt. Und mit dem Brummen auch ihre Kopfschmerzen. Alles was sie hörte, waren ein paar zirpende Grillen, die noch nicht wahr haben wollten, dass der Sommer vorrüber war, und den Wind der sich darum bemühte, es ihnen zu beweisen.
Die junge Frau runzelte die Stirn. War sie überhaupt wach? Geistesgegenwärtig kneifte sie sich am Arm. Diesen Schmerz spürte sie deutlich, aber das Brummen kam trotzdem nicht zurück. Ebenso wenig wie die Kopfschmerzen.
Entschlossen lief sie auf den Gasthof zu. Sie musste sich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Sie musste es hören.
"Ey, ich sag' dir, das is ne süße Schnecke!"
Sie stoppte in ihrer Bewegung.
Für einen Moment dachte sie, der Mann vor dem Gasthof redete mit ihr, da löste sich ein zweiter aus den Schatten.
"Na, dann los! Schnapp' sie dir Tiger, haha."
Während der eine nach drinnen ging, blieb der andere draußen stehen. Vielleicht wusste er etwas?
Die junge Frau hatte schon die ersten Schritte auf ihn zugemacht, da setzte auch er sich taumelnd in Bewegung und verschwand hinter der Hausecke.
Prima.
Immer noch stand sie unter der Eiche, rausgelockt von einem Geräusch das genau so schnell wie es aufgetaucht war, auch wieder verschwunden war. Und dann fragte sie sich, was sie hier eigentlich machte. Sie verschwendete ihre kostbare Schlafenszeit damit, einem ominösen Geräusch hinterher zu jagen, das offenbar niemand außer ihr gehört hatte.
Wurde sie verrückt? Würde sie das selbe Schicksal ereilen wie das der alten Mary?
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