Getrennte Wege
Nicht viele hätten den Mut ihr etwas abzuschlagen, nicht wenn sie wussten welche Position sie in ihrer Organisation hatte und zu was sie im Stande war. Doch im Gegensatz zu den meisten Menschen in ihrem Leben gehörte er nicht zu ihren Untergebenen, sie konnte ihn also nicht dazu zwingen zu tun was sie wollte. Ihm ein Angebot in Form eines spannenden Falles und einer mehr als großzügigen Bezahlung zu machen war ihre beste Option gewesen. Wissend das Drohungen und ähnliches bei diesem Mann nichts bringen würden. Des Weiteren wollte sie seine Hilfe und nicht einen neuen Gegenspieler.
Von jenen hatte Suvi weiß Gott genug. Wortlos schickte sie ihren Fahrer weiter ihren Schirm aufspannend, sie wollte etwas im Regen laufen, ihren Kopf frei bekommen und in Ruhe nachdenken. Sherlock Holmes war ein Teil ihres Plans gewesen aus dieser Situation heraus zu kommen, nun da er sich weigerte ihr zu helfen musste sie einen anderen Weg finden.
Genies wie seines waren rar gesät, er hatte einen Bruder, es hatte einige Anstrengungen gekostet aber am Ende hatte sie alles herausbekommen über die Holmes Brüder. Doch sie hätte bessere Chancen den Atlantik mit einer Gummiente zu überqueren als Mycroft Holmes davon zu überzeugen ihr zu helfen. Immerhin spielten die Beiden für Gegensätzliche Teams.
Es gab immer noch James Moriarty aber für ihren Geschmack war dieser Mann zu sprunghaft und selbst an guten Tagen unberechenbar. Sie vermied es, selbst wenn es große Anstrengungen und Opfer mit sich brachte, mit ihm Geschäfte zu machten. Nein, auch wenn es um ihr Leben ging würde sie dennoch nicht an ihn heran treten. Lieber fing sie sich eine Kugel ein als ihr Schicksal, wenn auch nur zu Teilen in seine Hände zu legen.
Der Geruch von süßem Gebäck, welcher sich mit der frische des Regens vermischte brachte ihre Aufmerksamkeit wieder zurück in die Gegenwart. Sie war an einer kleinen Bäckerei angekommen, kurz blieb sie stehen, die Gelegenheit nutzend nochmal genauer auf ihre Umgebung zu achten, sichergehend das niemand ihr folgte oder etwas anderes vor sich ging auf das sie reagieren musste.
Doch alles was sie bemerkte war eine Frau, platinblond, wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als sie doch hatte sie die Merkmale eines Lebens auf der Straße. Sie kauerte sich in dem kaum merklichen Schutz einer Bushaltestelle zusammen in dem versuch trocken zu bleiben. Ihre Kleidung war zerrissen, ihre Augen zeigten eine tiefe Traurigkeit. Auch diese Fremde hatte den Geruch bemerkt der durch die kurzzeitig geöffnete Tür des Geschäftes auf die Straße geströmt war. Suvi glaubte ein Magenknurren zu hören, so tief und dringlich das es ihr wieder einmal vor Augen führte das sie im Prinzip ein gutes Leben hatte.
Sie war nicht frei, konnte nicht entscheiden was sie tat mit ihrem Leben und bei Gott da waren tausend andere Dinge, doch sie hatte niemals Hunger leiden oder auf der Straße leben müssen. Ihre Arme zeigten keine Narben von Selbsthass oder Drogenkonsum. Von der Fremden sah sie zu der Bäckerei, beschließend etwas Gutes zu tun.
Der Geruch im inneren war noch verlockender. Ihren Schirm stellte sie in den entsprechenden Ständer neben der Tür als ein Klingeln des Türmechanismus ihr Eintreten verkündete. Sie lächelte die Frau hinter der Auslage an, eben jene erwiderte dies, ebenso ihre mit auffallendem Akzent ausgesprochene Begrüßung, es war immer von Vorteil wenn man sie nur für eine Touristin hielt.
Wie immer wenn sie nicht eiskalt sein musste lächelte sie und versuchte Smalltalk zu führen, dies waren die einzigen Momente in denen dies angebracht war. Ansonsten galt in ihrer Welt das Gesetz des Stärkeren und die beste Stärke war es sich nicht in die Karten sehen zu lassen, nichts zu verraten und unlesbar zu sein. Doch als sie mit glitzernden Augen die Auslage besah musste sie ihre Begeisterung nicht verstecken.
Sobald sie mit ihrem Einkauf und Regenschirm in der Hand das Geschäft wieder verließ verlor sie sowohl das übergroße Lächeln als auch den Akzent. Sie sprach sechs Sprachen fließend, Akzentfrei. Doch Englisch war ihr die liebste, sie erinnerte sich daran wie ihre Mutter es mit ihr geübt hatte, in diesen ersten Jahren als ihr Leben noch schön gewesen war und ihre Lektionen ohne Schmerz einhergingen. Diese fremde Sprache zu sprechen gab ihr immer das Gefühl ihrer Mutter nahe zu sein.
Die Fremde saß immer noch wo sie es wenige Minuten zuvor getan hatte. Zusammengekauert auf der Metallbank unter dem löchrigen Dach der Bushaltestelle. Wortlos setzte Suvi sich daneben, genügend Abstand lassen um nicht aufdringlich zu wirken aber auch nicht zu viel, sie wollte keinesfalls das die junge Frau dachte sie war angewidert von ihr oder derartiges. Sie wusste das sie meisten Menschen nicht gerade freundlich zu Menschen in erkennbarer finanzieller Not waren.
Ihr Telefon vibrierte, sie hatte einen Timer eingestellt damit es genau das tat sobald sie sich gesetzt hatte. Sie nahm es aus ihrer Handtasche als erwartete sie eine Nachricht und würde diese lesen. „Dieser Windhund" grummelte sie leise, wissend das die Fremde sie, wenn auch nur aus dem Augenwinkel, beobachtete. Suvi glaubte nicht das sie versuchen würde ihr etwas zu stehlen, ihr Blick war zwar über ihren Schmuck und die kostspielige Tasche sowie das Smartphone geglitten aber das Risiko war ihr wohl zu hoch.
Sie nahm es ihr nicht übel, diesen ersten Impuls, in ihrer Situation konnte man sich keinen Moralkodex oder Gesetzestreue leisten, das war etwas das auch die Enkeltochter eines Mafiabosses kannte. Sie spielte weiter ihre kleine Szene, tat so als wäre sie genervt als sie auf ihren zweiten Kaffee sah der noch in der Papphalterung klemmte. Danach tat sie so als würde die ihre Banknachbarin zum ersten Mal wirklich ansehen.
„Sie trinken nicht zufällig gerne Milchkaffee?" fragte sie nach einer kurzen Kunstpause mit einem verlegenen Lächeln. Aus großen traurigen Augen wurde sie angesehen, aber auch etwas Argwohn war zu erkennen. Ganz natürlich, man musste immer vorsichtig sein, auf der Straße wie im Untergrund. Dies war der Hauptgrund warum sie Theater spielte, das Leben hatte sie eines gelehrt, jeder Mensch hatte seinen Stolz und selbst wenn man Hilfe brauchte war es nicht immer einfach darum zu bitten. Oder auch einfach nur Anzunehmen.
„Doch tue ich" sagte die platinblonde Frau vorsichtig. Auch sie nahm sich einen Moment Suvi nun ganz unverhohlen anzusehen.
„Klasse" sagte eben jene „Dann würden sie mir einen riesen Gefallen tun wenn sie das hier trinken" selbst durch ihre Handschuhe konnte die Estländerin fühlen wie kühl die Finger der zierlichen Dame waren als sie den Kaffee entgegen nahm und sich ihre Hände kurz streiften. „Mein Bruder sollte mich hier treffen aber er hat ein Date und das entschuldigt es anscheinend seine Schwester zu versetzen."
Es hatte einen Vorteil wenn man in einem Netz aus Gewalt und Geheimnissen aufwuchs, man wurde unglaublich gut darin zu Lügen, es wurde beinah zu einer zweiten Natur, so sehr das es Zeiten in Suvis Leben gegeben hatte in denen sie selbst nicht mehr wusste wann sie die Wahrheit sagte und wann sie Log, ob nun zu anderen oder sich selbst.
„Ich sage Ihnen das ist das letzte Mal das ich ihm Gebäck kaufe" setzte sie fort als sie keine Antwort bekam, stattdessen wärmte die Fremde ihre Finger an dem warmen Getränk. „Da ich gerade davon spreche" sprudelte sie weiter als wäre es ihr gerade erst eingefallen „wollen sie es vielleicht haben? Ich mag keine Muffins"
Das wusste sie war gelogen, Suvis größte Schwäche waren süße Sachen. Doch das wusste die Fremde nicht und selbst wenn sie es ahnte war die Aussicht auf etwas zu essen wohl doch zu verlockend als das sie ihren Verdachte äußerte oder gar die dargebotene Tüte ablehnte.
Zufrieden lächelte die Jüngere als die Fremde gierig zubiss und anfing ihren Kaffee zwischen den Muffin stücken zu trinken. Innerlich wusste sie das es nicht genug war, dies würde das Leben der jungen Frau auf Dauer nicht verändern oder sie gar retten, doch sie wusste auch das es nicht viel mehr gab das sie tun konnte, ihr Geld zu geben wäre falsch, sie wusste das es nicht fair war doch die Wahrscheinlichkeit das sie es für Drogen ausgeben würde war zu groß.
„Danke" murmelte sie nachdem sie fertig war damit ihr Essen beinah einzuatmen. „Gern geschehen" dies war eine Wahrheit. „Jack ist wirklich unzuverlässig" dies war wieder eine Lüge, erstens kannte sie keinen Jack und zweitens hatte sie keine Geschwister, sosehr sie auch wünschte es wäre anders, das es jemanden gab der sie Beschützen und mit dem sie ihre Lasten teilen könnte.
„Mein Name ist Sue" bot eben jene an, anscheinend Vertrauen gefasst habend mit einer Fremden. Sie streckte eine Hand aus und Suvi enttäuschte nicht als sie sie ergriff und schüttelte. „Rebecca" stellte sie sich ohne mit der Wimper zu zucken vor.
„Ein schöner Name" komplimentierte die Fremde.
„Danke sehr" deshalb hatte sie sich ihn herausgesucht. Etwas an dem Namen Rebecca sprach zu ihr, sie glaubte auch dies hätte mit ihrer Mutter zu tun doch dies war ein Teil ihrer Erinnerung der im Nebel der Vergangenheit lag, so sehr sie sich auch bemühte klar zu sehen.
Sue und Rebecca saßen noch eine Weile auf dieser Bank, sie sprachen über das Wetter, Kaffee und unzuverlässige Brüder. Suvi hatte das Gefühl das etwas Besonderes an Sue war doch sie wusste auch das es in diesem Leben keine Chance für sie gab herauszubekommen was es war. Deshalb stand sie auf als der Bus kam um einzusteigen. Sie lächelte noch ein letztes Mal durch das Fenster in Richtung Sue bevor sie ihrem Fahrer schrieb das er sie an der nächsten Station abholen sollte.
Es war Zeit das sie in ihr Leben zurückkehrte von dem sie sich gerade eine kurze aber notwendige Pause genommen hatte.
*
„Du hattest Recht interessanten Besuch." Sherlock rollte seine Augen über diese Begrüßung seines Bruders. Schon an seinen Schritten hatte er ihn erkannt doch hatte er die unbegründete Hoffnung gehabt er würde gehen wenn er ihn ignorierte. Wissend das Mycroft dafür, wie er, zu stur war. Er würde sagen was er zu sagen hatte, ob Sherlock dies nun hören wollte (wollte er nie) oder nicht. Auch deshalb öffnete er seine Augen um seinen Bruder anzusehen, dieser hatte sich bereits auf Johns Sessel niedergelassen. Sein Anzug zeigte in welcher hast er hergekommen war und das es immer noch Regnete.
„Reicht das um heutzutage mit einem Besuch von dir belastet zu werden." Er hätte mit seinem Bruder, der britischen Regierung rechnen müssen, es wunderte ihn beinah das er nicht eher aufgetaucht war wenn er so darüber nachdachte. Zweifelsohne wusste er seit dem Zeitpunkt als ihre Füße erstmals britischen Boden berührten das Suvi Padar in London war, doch hatte er wohl nicht in seinen wildesten Träumen damit gerechnet das sie Hilfe von seinem Bruder wollte. Das hieß es gab noch einen anderen Grund für ihren Aufenthalt in England. Interessant.
„Warum war sie hier?" Da schien echte Sorge in Mycrofts Blick zu sein, wie rührend. Doch auch ohne das brüderliche Band zwischen ihnen wäre er interessiert daran was Miss Padar in der Baker Street gewollt hatte. Ein Imperium wie das ihres Großvaters nahm nur ungern die Hilfe von Außenstehenden an und erst recht nicht von fremdländischen Detektiven.
„Keine Abhörgeräte mehr in meiner Wohnung, ich bin erstaunt." Natürlich war er das nicht. Sherlock wusste immer wann sein Bruder seine Überwachung mal wieder verstärkt hatte. Seine Leute waren schrecklich darin ihre Spuren zu verwischen, selbst wenn sie sich mühe gaben.
„Das kann sich ganz schnell wieder ändern" sagte der auch als Eismann bekannte Vertreter der britischen Regierung wenig amüsiert. „Also" sprach er im gleichen Tonfall weiter „was hat sie hier gewollt?"
Sherlock rollte erneut seine einzigartigen grünblauen Augen „Sie hat mir einen Fall angeboten." Er ließ absichtlich offen was für einen und ob er ihn angenommen hatte.
„Hör mir gut zu Sherlock" begann sein Bruder, die dramatische Wirkung verstärkend lehnte er sich nach vorne, seine Augen ernst. „Du wirst dich von Suvi Padar fern halten. Ihre Anwesenheit in unserem Land ist Ärgernis genug, ich möchte dich nicht einmal in der Nähe ihrer Geschäfte wissen, Gott bewahre darin verstrickt sehen. Verstanden?"
Vielleicht musste Sherlock seine Rangliste nochmal überdenken im Angesicht der Szene die sein Bruder machte wegen eines einfachen Besuches. „Verstanden" sagte er deshalb, denn das hatte er. Er wusste warum sein Bruder wollte das er ihr fern blieb. Gerade in Erinnerung an die Frau und ihre Spiele. Sherlock hatte Verstanden aber was er tun würde stand auf einem anderen Blatt Papier in der Geschichte seines Lebens.
*
Das Rosewood war eines der schönsten und luxuriösesten Hotels in London. Alleine der Name war makellos, genau so war es die Pearl Suite in der Suvi wohnte. Der Wohnbereich war lichtdurchflutet am Tage und am Abend konnte man sich in der perfekten Ausleuchtung der Räume auf dem gemütlichen Sofa einkuscheln. Alle Möbel waren Antik aber der Schnitt und die Zusammensetzung des Dekors waren Modern, eine perfekte Symbiose.
Ein großes schwarzes Piano stand an einem der bodentiefen Fenster neben der Terassentür. Suvi wünschte sich das sie es spielen könnte doch sie hatte keinen einzigen musikalischen Knochen im Leib. Ihre Mutter hatte eine perfekte Singstimme gehabt, zumindest erinnerte sie sich das es so gewesen war, doch dies war keine Eigenschaft die sie an ihr einziges Kind vererbt hatte.
Vom Wohnzimmer ging es über das Schlafzimmer und das angeschlossene Ankleidezimmer in das marmorgeflieste Bad, es gab noch ein Gästebad am Wohnzimmer doch dieses konnte nicht mithalten mit dieser Ausstattung. Die Dusche bot Platz für mindestens vier Personen aber war gedacht für eine, die unzähligen Düsen und Funktionen würden jedoch vorerst ungenutzt bleiben da Suvi es vorgezogen hatte sich ein Bad einzulassen.
Als das Wasser perfekt temperiert einlief ging sie mit ihrem Glas Wein zurück in den begehbaren Kleiderschrank um sich ihre Schlafsachen zurechtzulegen. Annie ihre persönliche Assistentin hatte in ihrer Abwesenheit ihre Koffer ausgepackt und alles so einsortiert wie es die Blonde gern hatte. Ihre Finger strichen über die verschiedenen Seidennachthemden die sie mitgenommen hatte, ihre Gedanken fanden ihren Weg zu Sherlock und seinen Augen.
Sie hatte stets angenommen das ihre dunkel blauen Augen bereits außergewöhnlich waren doch ein Blick in seine Seelenspiegel hatte sie eines besseren belehrt, Fotos wurden ihm nicht gerecht. Sie schüttelte ihren Kopf, was für dumme kindische Gedanken, was spiele dies für eine Rolle, der Mann hatte sich geweigert ihr zu helfen also war die Wahrscheinlichkeit gering das sie ihn und seine Augen jemals wieder sah. Dennoch, ob nun absichtlich oder nicht, nahm sie ein spitzenverziertes Nachthemd in einem hellen Cyan mit.
[A/N: Hier noch ein zweites Kapitel. Kommentare und Sterne sind immer herzlich willkommen, auch Nachrichten wenn ihr eher schüchterne Leser seid. Ansonsten war es das von mir, ich wünsche euch einen wunderschönen Abend.]
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