Wieder auf der Jagd
Die Hauswand fühlte sich rau unter Jims Fingern an. Er ging schon eine ganze Weile so und mittlerweile brannten seine Fingerkuppen von der scharfkantigen Oberfläche aber seine Hand lösen konnte er nicht.
Irgendwie genoss er den Schmerz. Es war lange her, dass er zum letzten Mal so empfunden hatte. Damals hatte er sich Schmerzen zugefügt um etwas zu spüren oder einfach um seine Langeweile zu vertreiben, bis ihm schließlich klar geworden war, dass es so viel unterhaltsamere Methoden gab.
Wenn es darum ging seinen Geist aus den Fängen des Alltags zu befreien, war es ihm egal, ob er selbst oder andere davon Schaden nahmen, aber letzteres machte mehr Spaß.
Erst als er sein kriminelles Netz soweit aufgebaut hatte, dass es großteils ohne sein Zutun florierte und das Planen von Morden, Terroranschlägen und Erpressungen zu einer Konstante in seinem Leben geworden war, hatte er wieder wieder zu diesem Mittel gegriffen. Sein Ersatz war Sherlock Holmes geworden. Dann die Ereignisse auf dem Krankenhausdach und die wohl interessantesten Monate seines Lebens waren zuende gegangen.
Darauf war eine Zeit der Untätigkeit gefolgt. Untätig hatte er zugesehen, wie Sherlock Holmes sein Lebenswerk Stück für Stück zerschlagen hatte. Man könnte denken, dass er sich darüber ärgerte, aber das tat er nicht. Es lag ein gewisser Reiz darin, noch einmal von vorne anzufangen - sich selbst zu beweisen, dass er noch einmal schaffen konnte, was ihm schon einmal gelungen war. - Hier in London, wo Sherlock Holmes nur darauf wartete, dass sich etwas andeutete.
Sherlock Holmes - sein Spiegel, sein Schicksal, sein Feind. Aber dennoch wollte er ihn nicht missen. Wie sehr er ihn brauchte, wie sehr er sich nach jemandem wie ihm gesehnt hatte, war ihm erst klar geworden, als ihr gemeinsames Spiel zuende gegangen war. Aber es würde eine zweite Runde geben, in der es einen einzigen Gewinner gab - und auch einen Verlierer.
Der Consulting Criminal war jetzt vor dem Haus angekommen, in dem sich sein Apartment befand. Normalerweise bevorzugte er Hotels, aber jetzt da ihn die ganze Welt für Tod hielt, blieb ihm keine andere Wahl. Er hatte unter einem falschen Namen einst das gesamte Gebäude gekauft. - Auf Nachbarn konnte er verzichten. Er gab den Zahlencode für die Tür ein - dann noch einmal an seinem Apartment - und betrat schließlich einen riesigen, karg möblierten Raum. Er durchquerte ihn mit hallenden Schritten, schaltete seinen Computer ein und schenkte sich an der Bar ein Glas sündhaft teuren Scotch ein. Er nahm ihn mit zu seinem Arbeitsplatz, öffnete das Programm, das er entworfen hatte und richtete seinen Blick aus dem riesigen Panoramafenster, aus dem die gesamte Westfront des Gebäudes bestand.
Während er sein Glas an die Lippen führte, drückte er mit seinem Zerschundenen Zeigefinger die Entertaste. Von hier aus konnte er keinen Öffentlichen Platz gut genug sehen um den Erfolg seiner Aktion zu prüfen und eigentlich musste er das auch nicht, aber auf die Reaktionen wollte er nicht verzichten, auch wenn er bereits wusste, wo sie aussehen würden: Angst, Panik, Unglauben. Mit einem Seufzen stellte er sein Glas ab und und setzte sich vor seinen Computer. Mit ein paar Tastendrücken hatte er die aktuellen Bilder der Londoner Kameras abgerufen. Lächelnd lehnte er sich zurück und betrachtete sein Werk.
Aber eigentlich gab es nur einen Menschen, dessen Reaktion ihn wirklich interessierte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro