Von Erzfeinden und Verdächtigen
Von Erzfeinden und Verdächtigen
Am nächsten Morgen machte ich mich, wenn auch ein wenig missmutig, auf den Weg zum Stadttheater, wo ich mich mit Sherlock treffen sollte. Und noch immer ging mir das mysteriöse Treffen mit dem Unbekannten vom vergangenen Abend nicht aus dem Kopf.
Warum hatte er so ein unglaubliches Interesse an den Aktivitäten, welche Sherlock an den Tag legte und warum war es seiner Meinung nach an der Zeit, sich für eine Seite zu entscheiden?
Während ich mir darüber den Kopf zerbrach, erreichte ich schließlich das Theater. Und unverkennbar, in langem Mantel und mit blauem Schal, stand dort bereits Sherlock und wartete auf mich. Allerdings schien er allein zu sein, denn von John fehlte jede Spur.
,,Guten Morgen, Evelyn!", begrüßte er mich und ich sah mich suchend um.
,,Guten Morgen! Wo haben Sie denn John gelassen?"
,,Er hatte einen Notfall."
,,Was denn für einen Notfall?", fragte ich nach, als Sherlock einen kurzen Blick auf sein Handy warf.
,,Er ist Arzt. Ohne jeglichen Zweifel hat er also einen Patienten. Wir sollten uns darüber nicht den Kopf zerbrechen, sondern unser eigenes Anliegen klären. Haben Sie Ihre Waffe dabei?"
,,Natürlich! Aber warum fragen Sie?", gab ich verdutzt zurück und Sherlock steckte sein Handy in die Manteltasche.
,,Reine Routine! Ich hab so das Gefühl, dass Sie sie brauchen werden."
Ohne mir seine Vermutung zu ergründen, ging Sherlock voraus in das Theater und ich folgte ihm. Während wir durch die Gänge gingen, beschloss ich, Sherlock entgegen der Bitte des Unbekannten, von dem Treffen zu berichten.
,,Ich bin gestern übrigens Ihrem Erzfeind begegnet.", sagte ich schließlich und Sherlock horchte auf.
,,Meinem Erzfeind?"
,,Ja! Zumindest hat er gesagt, Sie würden ihn so bezeichnen.", meinte ich und Sherlock schmunzelte leicht.
,,Interessant! Hat er Ihnen Geld angeboten, um mich auszuspionieren?"
Verdutzt blieb ich stehen und sah Sherlock überrascht an. Wie konnte er das denn wissen? War es etwa schon einmal vorgekommen und das war die Masche von diesem mysteriösen Unbekannten? Das würde natürlich so einiges erklären.
,,Ähm...ja, in der Tat. Das hat er. Woher wissen Sie das?", wollte ich wissen und Sherlock zuckte mit den Schultern.
,,Das hat er bisher bei so ziemlich jedem versucht. Haben Sie es denn angenommen?"
Abwartend sah er mich an und schien wahrhaftig neugierig auf meine Antwort zu sein. Zuerst war ich noch erstaunt darüber, dass Sherlocks Erzfeind offenbar jeden von Sherlocks Bekannten bereits versucht hatte zu kaufen, doch schließlich schüttelte ich den Kopf.
,,Nein! Ich bin keine Spionin und ich würde auch nicht wollen, dass man mich ausspioniert."
,,Hm...dachte, Sie würden die Gelegenheit nutzen und somit versuchen, mir das Leben schwer zu machen.", entgegnete Sherlock und ich grinste nun ein wenig.
,,Netter Gedanke, aber nein. Ich meine, auch wenn Sie ein ziemlich arroganter Mistkerl sein können, so wäre das doch langweilig. Und Spionage ist nun wirklich nicht mein Stil."
Sherlock sagte nichts, aber ich konnte ihm ansehen, dass er ebenfalls etwas amüsiert war. Denn seine Mundwinkel zuckten leicht und für einen Moment war ich selbst erstaunt darüber, dass wir anscheinend auch mal Spaß haben konnten, ohne uns verbal die Köpfe einzuschlagen. Doch eine Frage ließ mich nicht los und ich sah Sherlock daraufhin vielsagend an.
,,Sherlock, wer ist er wirklich?", brachte ich hervor und Sherlock sah mich fragend an.
,,Wer ist wer?"
,,Ihr Erzfeind! Wer steckt wirklich dahinter?"
Erwartungsvoll sah ich ihn an, denn es interessierte mich schon, wer Sherlock im Schatten stand und offensichtlich alles über sein Leben wissen wollte. Sherlock selbst, sagte für einen Moment nichts, doch dann sah er mich nur ausdruckslos an und brach sein Schweigen wieder.
,,Das werden Sie schon noch früh genug herausfinden.", sagte er und ich verschränkte die Arme vor der Brust.
,,Ach, wirklich?"
,,Ja! Sagen wir einfach, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Sie ihm begegnet sind. Sie werden ihn noch öfter antreffen."
Sherlock ging schließlich weiter und für ihn schien das Thema damit abgeschlossen zu sein. Ich sah ihm für einen Moment noch etwas perplex nach, ehe ich seufzte und ihm folgte.
,,Ich kann es kaum erwarten!"
Als wir den Bühnensaal schließlich erreichten, bot sich uns ein Anblick des Troubles, denn offenbar platzten Sherlock und ich gerade mitten in eine wichtige Probe hinein. Überall liefen Assistenten, Bühnenbildner und wahrscheinlich Artisten herum und brachten die Bühne in Szene. Und auf der Bühne standen sich ein junger Mann und eine junge Frau gegenüber und probten gerade ohne jeglichen Zweifel für ihre Aufführung.
,,Wehe mir, oh Romeo!", setzte die junge Frau an und der junge Mann legte sich poetisch seine linke Hand ans Herz.
,,Sie spricht! Oh, sprich noch einmal, holder Engel. Denn über meinem Haupt erscheinst du. Der Nacht so glorreich, wie ein Flügelbote...des Himmels dem Erstaunten über sich. Gekehrten Aug der Menschensöhne, die sich rücklings werfen, um ihm nachzuschauen. Wenn er dahin fährt auf den trägen Wolken und auf der Luft gewölbten Busen schwebt."
,,Oh, Romeo! Warum denn, Romeo? Verleugne deinen Vater, deinen Namen. Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten und ich bin länger keine Capulet.", erwiderte die Frau und der Mann trat etwas näher an sie heran.
,,Julia, meine Liebste...beim ewigen Heil...ich schwöre dir, es wird für immer sein. Mein Leben ists, das meinen Namen ruft. Wie silbersüß tönt bei der Nacht, die Stimme der Liebenden, gleich lieblicher Musik dem Ohr des Lauschers!"
Und daraufhin zog der junge Mann seine Schauspielkollegin zu sich heran und küsste sie leidenschaftlich. Ich blieb mit Sherlock stehen und während dieser sich aufmerksam umsah, staunte ich nicht schlecht über die Darbietung der beiden Darsteller.
,,Wow! Die gehen ja richtig auf in ihren Rollen.", meinte ich und Sherlock quittierte es lediglich mit gelangweiltem Blick.
,,Sie wirken wir zwei Besessene, die jeglichen Sinn und Verstand für die Realität verloren haben. Denn..."
,,Gefühle sind ein chemischer Defekt, der nur auf der Verliererseite zu finden ist.", vollendete ich seinen Satz und er nickte anerkennend.
,,Ganz genau! Sie lernen dazu."
,,Man tut was man kann.", sagte ich und grinste ein wenig, als eine forsche Stimme uns plötzlich aus unserem Gespräch riss.
,,Kann ich ihnen beiden irgendwie helfen?"
Sherlock und ich drehten uns um und ein Mann, der einen dicken Batzen Papier in den Händen hielt und meiner Meinung nach, nur zweifellos der Regisseur dieses Stücks sein konnte, kam direkt auf uns zu. Er musterte uns mit kritischem Blick und wirkte wie ein strenger Major der Navy. Ich zog kurzer Hand meinen Dienstausweis hervor und hielt ihn dem Mann vor die Nase.
,,Ich bin Sergeant Evelyn Headley vom Scotland Yard und dies ist Sherlock Holmes.", stellte ich uns vor und deutete kurzer Hand auf meine Begleitung, woraufhin der Mann Sherlock abfällig musterte.
,,Soso, Scherlock Holmes also. Ich habe schon viel von Ihnen gehört und von Ihrem wahnsinnigen Vorgehen bei Ihren Ermittlungen. Was wollen Sie hier?"
Sherlock zeigte keinerlei Reaktion, aber ich konnte ihm dennoch ansehen, dass ihm ein Kommentar auf der Zunge lag. Ich gab ihm mit meinem Blick zu verstehen, dass er besser schweigen sollte und steckte meinen Ausweis wieder ein.
,,Es gab einen Mord und ein Hinweis bei unserem Opfer deutete auf dieses Theater hier. Wir müssen Ihnen und Ihren Leuten daher ein paar Fragen stellen, um Verdächtige auszuschließen. Reine Routine!", entgegnete ich und der Regisseur brummte genervt.
,,Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber machen Sie schnell und dann verschwinden Sie."
Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, suchte der Regisseur das Weite und ich schüttelte fassungslos den Kopf, während ich den Blick gen Saaldecke richtete.
,,So viel Freundlichkeit in einer Person!"
,,Freundlichkeit wird überbewertet, Miss Headley. Beginnen wir lieber mit der Befragung.", sagte Sherlock und ging nun direkt auf die beiden Darsteller zu, die immer noch auf der Bühne standen und nun normal miteinander sprachen.
Ohne zu zögern folgte ich ihm und wir gingen die kleine Treppe hoch, als die beiden Schauspieler auch schon auf uns aufmerksam wurden und der junge Mann fiel beim Anblick von Sherlock fast in Ohnmacht.
,,Sarah, kneif mich maldas ist Sherlock Holmes."
,,Offensichtlich!", gab seine Kollegin von sich und warf einen überraschten Blick auf Sherlock, ehe ihr Blick auf mich fiel. ,,Und er hat eine Freundin dabei!"
,,Ich bin nicht seine Freundin, sondern Polizistin. Sergeant Evelyn Headley! Wir haben einige Fragen über Richard Hopkins!", erwiderte ich und der junge Mann sah uns auf einmal ziemlich unsicher an.
,,Richard? Wieso...was ist denn mit ihm?"
,,Hat er was angestellt?", kam es von der jungen Frau und Sherlock ließ direkt die Bombe platzen.
,,Er wurde ermordet! Erschlagen und anschließend aufgespießt."
Augenblicklich wich den beiden jegliche Farbe aus den Gesichtern und sie starrten uns schockiert an. Eigentlich mochte ich es ja, wenn Menschen direkt waren, aber zumindest in diesem Fall hätte Sherlock meiner Meinung nach einen Gang zurückschalten können. Aber was sollte ich sagen...er war eben Sherlock!
,,Kannten Sie das Opfer?", fragte ich und während die junge Frau offenbar vollkommen unter Schock stand, nickte der junge Mann schließlich.
,,Richard war ein guter Freund von uns. Er hat sich fast jede unserer Aufführungen angesehen und kam uns auch in den Proben ziemlich oft besuchen. Aber...wer...wer hat ihm das angetan?"
,,Das versuchen wir ja herauszufinden. Wann war Richard das letzte Mal hier?", fragte ich und nun antwortete die junge Frau, da sie sich anscheinend wieder halbwegs gefangen hatte.
,,Vor einer Woche! Er war abends nach unserer Probe kurz hier."
Sie bemühte sich sichtlich, ihre Fassung zu wahren und ich sah kurz zu Sherlock. Der hatte sich inzwischen ein paar Meter von uns entfernt und schien mir die Befragung zu überlassen, während er sich umsah. Offenbar suchte er auf seine Weise nach Hinweisen und ich wandte mich wieder den beiden Schauspielern zu.
,,War Richard Hopkins irgendwie anders? Ich meine, hat er sich an dem Abend merkwürdig verhalten oder sind Ihnen irgendwelche Feinde bekannt, die er gehabt haben könnte?", wollte ich wissen und der Schauspieler schüttelte den Kopf.
,,Nein! Richard war immer freundlich gewesen und eigentlich bei allen beliebt. Gut, er war Rechtsanwalt und was das angeht, können ein paar ja voreingenommen sein, aber er war ein guter Mensch. An dem Abend war er auch ganz normal. Vielleicht ein bisschen angespannt, aber das war er immer, wenn er wegen der Arbeit gestresst war."
,,Wie sind eigentlich ihre Namen? Nur, falls ich noch ein paar Fragen habe.", entgegnete ich und die junge Frau senkte ein wenig den Blick.
,,Ich bin Sarah Torey und das ist David Jenkens."
,,Danke! Können sie mir sonst etwas über das Opfer sagen, was ich wissen sollte?"
Erwartungsvoll sah ich die beiden an und die tauschten einen kurzen Blick. Doch schließlich schüttelten sie die Köpfe und ich beließ es dabei. Immerhin mussten die beiden auch erstmal die Nachricht verkraften und in solchen Situationen kam nun einmal meine einfühlsame Seite zum Vorschein.
,,Vielen Danke erstmal! Ich melde mich, sollte ich noch Fragen haben."
Die beiden nickten matt und dann sah ich zu Sherlock, der mich gerade zu sich winkte. Ich steckte meinen Notizblock zurück und erreichte Sherlock, der gerade etwas abseits von der Bühne stand und auf eine Reihe Fotos deutete, die neben der Bühne hingen.
,,Was gefunden, Sherlock?", fragte ich und er nickte, während er auf ein einzelnes Foto deutete.
,,Es scheint, als hätten wir einen neuen Verdächtigen."
Ich folgte seinem Blick und staunte nicht schlecht, denn auf dem Bild waren der Regisseur und unser Opfer abgebildet. Und ganz offenbar schienen die beiden, zumindest dem Foto nach, ziemlich gute Freunde gewesen zu sein. Suchend schweifte mein Blick nun im Saal umher und ich machte den Regisseur schließlich ausfindig, als er gerade mit Sarah und David sprach. Und es machte ganz den Anschein, als redete er eindringlich auf die beiden ein und in meinen Augen machte ihn das unglaublich verdächtig.
,,Hey, Mister Regisseur! Wir hätten da auch ein paar Fragen an Sie, bezüglich Richard Hopkins!"
Der Regisseur hob den Kopf und als ich vielsagend auf das Foto deutete, veränderte sich augenblicklich seine Mimik. Zuerst schien er unsicher zu sein, doch als Sherlock und ich dann ein paar Schritte auf ihn zumachten, machte er auf den Absatz kehrt und ergriff die Flucht. Instinktiv zog ich meine Waffe und rannte ihm auch schon nach.
,,HEY! STEHEN BLEIBEN!"
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